BGH: Unterbringung nach § 63 StGB nach Trunkenheitsfahrt? Hohe Anforderungen!

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 28.03.2017
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht|2408 Aufrufe

Die Unterbringung nach § 63 StGB ist ein wirklich scharfes Schwert. Sie kann auch bei Delikten wie dem § 316 StGB greifen. Aber: Der BGH zeigt in einer aktuellen Entscheidung auf, dass man es sich hier nicht zu leicht machen darf:

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Konstanz vom 16. August 2016 mit den Feststellungen
aufgehoben.

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung,
auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere
Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf der vorsätzlichen
Trunkenheit im Verkehr und des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in
Tateinheit mit Beleidigung freigesprochen. Zugleich hat es seine Unterbringung
in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet und deren Vollstreckung zur
Bewährung ausgesetzt. Außerdem hat es die Verwaltungsbehörde angewiesen,
dem Angeklagten vor Ablauf von weiteren zwei Jahren keine neue Fahrerlaubnis
zu erteilen. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat
Erfolg.

1. Nach den Feststellungen trank der Angeklagte am 28. August 2014
zuhause Bier. Gegen 22.00 Uhr fuhr er mit seinem Pkw zu einer Tankstelle, um
weiteres Bier zu kaufen. Dabei war ihm bekannt, dass er aufgrund vorangegan-
genen Alkoholgenusses und des Konsums von Cannabis fahruntüchtig war.
Schließlich fuhr er geradeaus über einen Kreisverkehr, wodurch sein Pkw beschädigt
wurde und liegen blieb. Zu diesem Zeitpunkt wurde er bereits von einer
Polizeistreife mit eingeschaltetem Blaulicht verfolgt. Nachdem er einer Aufforderung
der Polizeibeamten zum Verlassen seines Fahrzeugs keine Folge
geleistet hatte, wurde er aus dem Fahrzeug gezogen und zur Durchführung
weiterer Durchsuchungsmaßnahmen an das Auto gelehnt. In der Folge wurde
der Angeklagte zunehmend aggressiver und musste deshalb gefesselt werden.
Danach unternahm er mehrere Kopfstöße in Richtung eines Polizeibeamten,
der diesen jedoch ausweichen konnte. Dabei beleidigte er den Beamten unter
anderem mit den Worten „Scheißbulle“ und „Hurensohn“. Nachdem er in den
Streifenwagen verbracht worden war, versuchte er erneut, den neben ihm sitzenden
Polizeibeamten mit Kopfstößen zu treffen; außerdem wiederholte er
ständig die bereits angeführten Beleidigungen.
Die sachverständig beratene Strafkammer hat angenommen, dass der
Angeklagte bei Tatbegehung aufgrund einer paranoiden Schizophrenie mit akuter
psychotischer Symptomatik sowie einer Alkohol- und Cannabisintoxikation
bei sekundärer Alkoholabhängigkeit und THC-Missbrauch schuldunfähig war.

2. Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus
gemäß § 63 StGB hat keinen Bestand, weil die Urteilsgründe nicht belegen,
dass zwischen der psychischen Erkrankung des Angeklagten und den Anlasstaten
ein symptomatischer Zusammenhang besteht
.

a) Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63
StGB darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende
bei Begehung der Anlasstat aufgrund eines psychischen Defekts
schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung auf diesem
Zustand beruht. Dazu ist eine konkrete Darlegung erforderlich
, in welcher
Weise sich die festgestellte psychische Störung bei Begehung der Tat auf die
Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten in der konkreten Tatsituation und
damit auf die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (st. Rspr.; vgl.
nur BGH, Beschluss vom 4. August 2016 – 4 StR 230/16, insofern nicht abgedruckt
in NStZ 2016, 747).

b) Dem wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.
Soweit das Landgericht im Anschluss an den Sachverständigen ausführt,
dass der Angeklagte schon allein aufgrund der feststellbaren akuten Symptomatik
der schizophrenen Psychose mit u.a. Wahnideen, Beobachtungsgefühlen
und Denkstörungen nicht mehr in der Lage gewesen sei, zwischen der Fahrt
und den ihm bekannten rechtlichen Vorgaben abzuwägen und sein Verhalten
„ethisch zu kommentieren“, wird daraus nicht deutlich, ob und inwieweit bei dem
Angeklagten zum Tatzeitpunkt tatsächlich Wahnideen etc. vorhanden waren
und wie sich diese auf seine Tatmotivation und seine Handlungsmöglichkeiten
ausgewirkt haben. Der festgestellte Anlass für die Trunkenheitsfahrt (weiteres
Bier kaufen) und die Situation im Zeitpunkt der Durchfahrt durch den Kreisverkehr
(Verfolgung durch die Polizei) lassen eine psychotische Handlungsmotivation
nicht erkennen. Auch die sich anschließenden Widerstandshandlungen und
Beleidigungen enthalten für sich genommen keinen Hinweis auf ein psychotisches
Erleben oder ein Verkennen der Situation; sie sind vielmehr ebenso gut
normal-psychologisch erklärbar. Die weitere Erwägung der Strafkammer, der
Angeklagte habe sich krankheitsbedingt in seinem Auto am sichersten gefühlt,
was zu dem zwanghaften Verhalten geführt habe, sich in das Auto zu setzen,
ist für die konkrete Tatsituation nicht mit Tatsachen unterlegt und lässt sich mit
der mitgeteilten Motivation für die Fahrt nicht in Einklang bringen.

3. Die Sache bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung.
Mit Blick auf die Vorschrift des § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO ist auch der
Freispruch des Angeklagten mit aufzuheben (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Oktober
2016 – 4 StR 78/16, Rn. 12, Beschluss vom 5. August 2014 – 3 StR
271/14, BGHR StPO § 358 Abs. 2 Satz 2 Freispruch 1). Damit verliert auch die
Anordnung einer isolierten Sperrfrist gemäß §§ 69, 69a Abs. 1 Satz 3 StGB ihre
Grundlage.

4. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf das Folgende hin:
Sollte die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus
auf der Grundlage des § 63 StGB in der Fassung des Gesetzes zur
Novellierung des Rechts der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus
gemäß § 63 des Strafgesetzbuches und zur Änderung anderer Vorschriften
vom 8. Juli 2016 erneut in Betracht gezogen werden, wird hinsichtlich der
Gefährlichkeitsprognose zu berücksichtigen sein, dass Straftaten, die im
Höchstmaß mit Freiheitsstrafe unter fünf Jahren bedroht sind, nicht ohne weiteres
dem Bereich der erheblichen Straftaten zuzurechnen sind
(vgl. BVerfG, Beschluss
vom 24. Juli 2013 – 2 BvR 298/12, RuP 2014, 31, 32). Sollte der neue
Tatrichter zu dem Ergebnis gelangen, dass von dem Beschuldigten in Zukunft
(auch) Taten vergleichbar der Anlasstat zum Nachteil der eingesetzten Polizeibeamten
zu erwarten sind, wird er bei deren Gewichtung in den Blick zu nehmen
haben, dass Angriffe gegen Personen, die professionell mit derartigen
Konfliktsituationen umgehen, dafür entsprechend geschult sind und in der konkreten
Situation über besondere Hilfs- und Schutzmittel verfügen, möglicher-
weise weniger gefährlich sind (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Januar 2017
4 StR 595/16, Rn. 19)

BGH, Beschl. v. 14.2.2017 - 4 StR 565/16

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