AG Köln: Verkehrsüberwachungsgerät M5 als stanardisiertes Messverfahren

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 06.04.2017
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht|4204 Aufrufe

Nachfolgendes Urteild es AG Köln ist gar nicht so spektakulär. Es ist aber außerordentlich ausführlich und zeigt die Messung mit M5 des Herstellers VDS Verkehrstechnik GmbH auf. Daher ein schönes Musterurteil (auch für andere Gerichte), zumal man zu M5 nicht ganz so viel findet:

Die Betroffene wird wegen einer fahrlässigen Ordnungswidrigkeit gemäß §§ 41 Abs. 1 in Verbindung mit Anl. 2,49 StVO, 24,25 StVG, § 4 I BKatV zu einer Geldbuße von 160 € kostenpflichtig verurteilt.

Der Betroffenen wird für die Dauer von einem Monat das Führen von Kraftfahrzeugen aller Art untersagt.

Das Fahrverbot wird erst wirksam, wenn der Führerschein nach Rechtskraft des Urteils in amtliche Verwahrung gelangt, spätestens jedoch mit Ablauf von vier Monaten seit Eintritt der Rechtskraft.

Tatkennziffer: 14 17 24

Gründe:

I.
Die Betroffene ist deutsche Staatsangehörige und geschieden. Sie verfügt als angestellte Industriekauffrau über ein geregeltes Einkommen.
Ausweislich des Auszuges aus dem Fahreignungsregister vom 31.10.2016 ist die Betroffene bislang verkehrsrechtlich nicht in Erscheinung getreten.

II.
Am 19.06.2016 um 08:56 Uhr fuhr die Betroffene mit einem PKW der Marke VW mit dem amtlichen Kennzeichen ... auf der dreispurigen BAB 3 in Köln auf dem mittleren Fahrstreifen zwischen der Anschlussstelle L. und dem Autobahnkreuz Köln-Ost in Fahrtrichtung P. bei Kilometer 0,000. Dabei überschritt sie die außerhalb geschlossener Ortschaften durch Vorschriftzeichen 274 der StVO auf 60 km/h begrenzte zulässige Höchstgeschwindigkeit um mindestens 62 km/h.
Das von der dortigen Baustelle zwischen KM 2,95 und Km 0,95 unabhängige Verbot, schneller als 60 km/h zu fahren, begann bei Kilometer 2,050, angezeigt durch Verkehrszeichen 274 der StVO (beidseitige Bodenbeschilderung). Die Messung erfolgte dann bei Kilometer 0,000, kurz vor dem AQ 21 (Anzeigenquerschnitt Nr. 21) bei Kilometer 0,000. Die Messung erfolgte durch das Messgerät U. mit Anbindung an Wechselverkehrszeichen der Firma K.
Die Betroffene hatte das vorgenannte Verkehrszeichen 274 der StVO bei Kilometer 2,050 zuvor passiert. Bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Aufmerksamkeit hätte sie nicht nur das Vorschriftzeichen frühzeitig optisch richtig wahrnehmen, sondern auch die Geschwindigkeitsüberschreitung erkennen und vermeiden können. Hierbei geht das Gericht allerdings zugunsten der Betroffenen davon aus, dass ihr subjektiv vorwerfbar lediglich eine Geschwindigkeitsüberschreitung über 80 km/h ist. Dies ergibt eine Geschwindigkeitsüberschreitung um 42 km/h.

III.
Die Feststellungen zu I. beruhen auf den Angaben der Betroffenen im Rahmen der Hauptverhandlung sowie der Verlesung des Fahreignungsregisterauszuges vom 31.10.2016.
Die Überzeugung, dass die Betroffene den Verkehrsverstoß so wie oben unter II festgestellt, fahrlässig begangen hat, hat das Gericht gewonnen aus der durchgeführten Geschwindigkeitsüberwachung, die durch das am bis zum gültig geeichte Geschwindigkeitsüberwachungsgerät mit Drucksensoren U. mit Anbindung an Wechselverkehrszeichen der Firma K. erfolgte.
Zur Sache selbst hat die Betroffene sich dahingehend eingelassen, das Fahrzeug zur Tatzeit am Tatort geführt zu haben. Sie sei nach Verlassen der Baustelle in Annäherung an die Schilderbrücke unsicher gewesen, welche Geschwindigkeitsbeschränkung dort maßgeblich gewesen sei. Daher sei sie nicht von einer Beschränkung auf 60 km/h ausgegangen. Sie sei davon ausgegangen, dort 120 Km/h fahren zu dürfen.
Die Fahrereigenschaft der Betroffenen steht zur Überzeugung des Gerichts aufgrund ihrer Einlassung fest. Der Abgleich des Beweisfotos Bl. 5 der Beiakten, auf welches gemäß § 71 OWiG i. V. m. § 267 Abs. 1 S. 3 StPO wegen der Einzelheiten verwiesen wird, mit der Betroffenen im Rahmen der Hauptverhandlung ergab auch keine Zweifel hinsichtlich der Fahreridentität.
Es bestehen auch keine Bedenken gegen die Richtigkeit der Messung.
Aufgrund einer Vielzahl parallel gelagerter Fälle (u. a. 806 Owi 845/11, 806 Owi 278/12, 806 Owi 565/12, 806 Owi 452/16) ist dem erkennenden Gericht bekannt, dass kurz nach der Anschlussstelle Köln-L. der Anzeigenquerschnitt Nr. 20, also eine elektrische Geschwindigkeitsanzeige, in Höhe von Kilometer 2,539 passiert wird. Die entsprechende elektronische Beschilderung ist an einer dort vorhandenen Eisenbrücke befestigt, welche die BAB 3 überspannt. Über jedem Fahrstreifen ist eine eigene Geschwindigkeitsanzeige vorhanden, wobei dort allerdings auch andere Anzeigen möglich sind. So lässt sich z. B. hiermit eine Anzeige zum Sperren eines Fahrstreifens anzeigen oder ein Überholverbot. Kurz nach dem Abzweig nach Aachen zur BAB 4 steht der nächste Anzeigenquerschnitt (Nr. 21) auf der BAB 3 in Höhe Kilometer 0,811. Bezüglich der Eisenbrücke und der Beschilderung liegen die oben genannten Verhältnisse wie in Höhe von Kilometer 2,539 vor. In Höhe Kilometer 0,830 in Fahrtrichtung Oberhausen erfolgt die Geschwindigkeitsüberwachung der dort vorhandenen drei Fahrstreifen. Jeder Fahrstreifen besitzt eine eigene Messstelle, wobei jede Überwachung mit einer eigenen Kamera und einem eigenen Blitzlicht durchgeführt wird. Rechts ist ein solches Paar bestehend aus einer Digitalkamera und einem Blitzlicht vorhanden, links zwei weitere derartige Paare. Der mittlere und linke Fahrstreifen werden von dort aus erfasst.
Die Kameras arbeiten vollelektronisch. Dies gilt für die gesamte Anlage. Ein analoger Film wird nicht benutzt. Die an den Anzeigenquerschnitten angezeigten Geschwindigkeiten werden der Geschwindigkeitsmessanlage vollelektronisch mitgeteilt. Eine Bearbeitung dieser Daten findet nicht statt. Die auf den drei Fahrstreifen gültigen höchstzulässigen Geschwindigkeiten werden jeweils an die Anlage übermittelt und dort registriert. Die Fotoauslösung erfolgt nicht bei einem konstanten Geschwindigkeitswert, sondern nur bei einer konstanten Geschwindigkeitsüberschreitung. Diese ist einstellbar. Dies ist für Pkw und Lkw auch unterschiedlich möglich.
Die stationäre Geschwindigkeitsmessanlage stammt von der Fa. K.- früher Fa. S. - und trägt die Bezeichnung U. Es handelt sich hierbei um eine stationäre Geschwindigkeitsmessanlage, die in die Fahrbahn verlegte Sensoren aufweist und von der aufgrund der Abstände der Sensoren in Verbindung mit zeitlichen Impulsen und daher Zeitspannen die Geschwindigkeit ermittelt wird. Jede Messstelle besteht, soweit es sich um den Teil der Messanlage in der Fahrbahn handelt, aus drei Sensoren, die quer zur Fahrtrichtung der Fahrbahn an dieser Stelle und parallel zueinander in die Fahrbahn eingelassen sind. Bei den Sensoren handelt es sich um piezoelektrische Sensoren, die auf Druckstöße reagieren. Sie erzeugen einen Impuls, der verstärkt und in das jeweils zugehörige Messgerät weiteregeleitet wird. Die drei Sensoren sind parallel zueinander angeordnet und weisen einen Abstand von jeweils 1,0 m zueinander auf. Die Sensoren sind in die Fahrbahn eingelassen. Dies geschieht, indem hierzu eine Nut in die Fahrbahn gefräst wird. Die Sensoren sind in dann in ein Gummiformteil eingebettet, welches von seiner Breite und Tiefe her der eingefrästen Nut in der Fahrbahn entspricht. Nach oben steht lediglich eine kleine Kuppe über die Fahrbahnoberfläche hinaus. Diese durch Gummi geschützten Piezosensoren werden mit der Fahrbahn verklebt. Die Piezosensoren befinden sich hierbei in Fahrtrichtung der Betroffenen wenige Meter - konkret etwa 20 Meter - vor der o.g. Schilderbrücke in Höhe Km 0,81.
Im Messgerät befinden sich drei geeichte Quarze, die die Zeitspanne zwischen den einzelnen Sensorsignalen ermitteln. Die Zeitspanne zwischen dem ersten und dem zweiten Kabel wird gemessen, ferner zwischen dem zweiten und dritten Kabel. Die zur Verfügung stehenden Quarze sind von ihrer Funktion her identisch. Beim Überfahren eines Fahrzeuges werden drei Impulse erzeugt, die zur Bildung von drei Zeitwerten führen. Mit den beiden eben angesprochenen Quarzen wird die Zeitdifferenz zwischen dem ersten und dem zweiten sowie dem zweiten und dem dritten Signal gebildet. Da zwischenzeitlich von dem die Messung auslösenden Fahrzeug eine Distanz von jeweils 1,0 m zurückgelegt wird, lässt sich hieraus in doppelter Weise die Geschwindigkeit an versetzter Stelle ermitteln. Darüber hinaus wird zur Erhöhung der Sicherheit auch der zeitliche Unterschied vom ersten zum dritten Kabel mit einem in der Frequenz halb so hohem Quarz ermittelt. Dies entspricht dem Abstand vom ersten zum dritten Kabel von 2,0 m und wird hierdurch berücksichtigt. Aus diesen Messdaten sind drei Geschwindigkeitswerte zu bilden, die auf der Distanz von 2 x 1 m und 1 x 2 Meter jeweils eine mittlere Geschwindigkeit darstellen. Diese drei Geschwindigkeitswerte werden dann miteinander verglichen. Weichen sie nicht um mehr als 2 km/h voneinander ab, so wird der niedrigste Geschwindigkeitswert als Messwert zugrunde gelegt. Dies zugunsten der Betroffenen. Im Falle einer höheren Abweichung als 2 km/h bei den einzelnen Messwerten wird die Messung annulliert.
Wenn ein an dem Gerät eingestellter Wert für die Geschwindigkeit überschritten wird, wird ein Foto ausgelöst. Die Anfertigung des Fotos erfolgt um die Verzugszeit nach Beendigung der Messung. Diese Verzugszeit ist systemabhängig, aber auch temperaturabhängig. Sie muss während einer Messreihe in etwa konstant sein.
Die drei Messstellen auf den drei Fahrstreifen sind minimal zueinander versetzt. Die Sensoren laufen nicht über die komplette Fahrbahn durch. Es befinden sich auf jedem Fahrstreifen eigene Sensoren. Hierdurch ist es möglich, dass bei Benutzung von zwei Fahrstreifen auch jeweils eine Messung durchgeführt wird.
Kommt es zu einer Anhebung der höchstzulässigen Geschwindigkeit, so wird dies sofort übernommen. Findet eine Herabsetzung der höchstzulässigen Geschwindigkeit statt, so wird drei Minuten gewartet, bis dass die Anlage wieder freigeschaltet wird. Die Distanz zwischen den beiden Anzeigen ist innerhalb dieser drei Minuten unter normalen Verkehrsbedingungen zurückzulegen.
Die einzelnen Messungen werden automatisch gespeichert. Für die Übertragung zur Dienststelle erfolgt ein Abspeichern der Daten- der elektronischen Filme - auf einen USB-Stick. Dieser Stick wird dann in der entsprechenden städtischen Dienststelle eingelesen, hiervon eine CD gebrannt und die weitere Verarbeitung der Daten von dort aus durchgeführt. Diese CD wird archiviert.
Das Geschwindigkeitsüberwachungsgerät mit Drucksensor ist mit dem Zulassungszeichen 18.11/07.02 von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt in Braunschweig (PTB) in der Bauart zugelassen worden. Diese Zulassung wird nur dann ausgesprochen, wenn auch auf Dauer ausreichend genaue Messergebnisse von der Bauweise her zu erwarten sind.
Laut der Eichbescheinigung wurde bezüglich des - hier maßgeblichen - mittleren Fahrstreifens die Eichung der Anlage einschl. Sensoren am 21.05.2015 mit Eichgültigkeit bis 31.12.2016 durchgeführt.
Die Sensoren unterliegen keiner notwendigen halbjährlichen zusätzlichen Wartung. Denn es handelt sich um Sensoren des Typ Roadtracks BL Traffic in Verbindung mit dem Intelligenten Piezo-Vorverstärker (IPV).
Das Geschwindigkeitsmessverfahren ist ein standardisiertes Messverfahren i. S. d. Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes. Hierbei handelt es sich allgemein um ein durch Normen vereinheitlichtes (technisches) Verfahren, bei dem die Bedingungen seiner Anwendbarkeit und sein Ablauf so festgelegt sind, dass unter gleichen Voraussetzungen gleiche Ergebnisse zu erwarten sind (vgl. BGH NJW 1998, 321). Bei Anwendung eines standardisierten Messverfahrens genügt für die tatrichterliche Überzeugung in der Regel die Mitteilung des Messverfahrens und des berücksichtigten Toleranzwertes, wenn sich der Tatrichter der Fehlermöglichkeit bewusst war (vgl. BGH A. A. O.). Darüber hinaus muss er sich von der Zuverlässigkeit der Messung nur bei Vorliegen konkreter Anhaltspunkte für Messfehler überzeugen (vgl. BHG St 43, 277; OLG Köln, DAR 2001, 421). Ausführungen zur Beachtung der Verfahrensbestimmungen müssen erst dann erfolgen, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass diese nicht eingehalten worden sind oder Messfehler konkret behauptet werden (vgl. BGH NJW 1993, 3081,3082). Dies war vorliegend nicht der Fall.
Im Zeitraum vom 25.02.2016 bis zum 15.12.2016 befand sich gerichtsbekannt zwischen den beiden Schilderbrücken in Höhe Kilometer 2,539 und 0,811 eine Baustelle, konkret von Km 2,95 bis Km 0,95,. Hierbei ist die nachfolgend beschriebene Beschilderung gerichtsbekannt aufgrund der in allen diesen Zeitraum betreffenden Verfahren identischen Beschilderungspläne, die auch der tatsächlich vorhandenen Beschilderung entsprachen. Das Gericht selbst ist die Örtlichkeit Ende November 2016 zur Vorbereitung mehrerer Hauptverhandlungstermine im Hinblick auf die Schilderproblematik abgefahren um sich ein eigenes Bild von den Schilderkombinationen zu machen.
In Annäherung an die Baustelle fuhren Betroffene zunächst an mehreren Geschwindigkeitsbeschränkungen auf 100 Km/H durch Verkehrszeichen 274 der StVO (Bodenbeschilderung) vorbei. Dieser Bereich ist auf den Beschilderungsplänen bezüglich der Baustelle nicht abgebildet, dem Gericht aber aufgrund Inaugenscheinnahme der Örtlichkeit ab der Anschlussstelle Lohmar bekannt. Schließlich erfolgte eine Vorankündigung der Baustelle durch Zeichen 123 der StVO (Arbeitsstelle) in Höhe Kilometer 4,950. In Höhe Kilometer 3,550 wurde ein Spurenversatz durch Verkehrszeichen 501 der StVO (Überleitungstafel) beidseitig vorangekündigt. Diese Beschilderung wurde in Höhe Kilometer 3,350 und 3,150 beidseitig wiederholt. Dazwischen befand sich ohne Zusatzzeichen in Höhe Kilometer 3,450 eine Geschwindigkeitsbeschränkung auf 80 km/h durch beidseitiges Verkehrszeichen 274 der StVO (Bodenbeschilderung). In Höhe Kilometer 3,050 erfolgte eine Geschwindigkeitsbeschränkung auf 60 km/h durch beidseitiges Verkehrszeichen 274 der StVO (Bodenbeschilderung) ohne Zusatzzeichen. In Höhe Kilometer 2,950 begann dann der baustellenbedingte Spurenversatz. Die oben genannte Schilderbrücke i. H. v. Kilometer 2,539 zeigte dann als Dauereinblendung im vorgenannten Zeitraum auf den beiden äußeren und dem mittleren der fünf Einblendungsfelder eine Geschwindigkeitsbeschränkung auf 60 km/h durch Verkehrszeichen 274 StVO an. Die beiden dazwischen gelegenen Felder wiesen als Dauereinblendung das Zeichen 123 (Arbeitsstelle) aus. In Höhe von Kilometer 2,050 erfolgte eine Wiederholung der Geschwindigkeitsbeschränkung auf 60 Km/H durch beidseitiges Verkehrszeichen 274 der StVO (Bodenbeschilderung) ohne ein Zusatzzeichen. Außerdem befanden sich in der Baustelle in Höhe von Kilometer 2,539, Kilometer 2,050 und vor Kilometer 1,714 Kennzeichen einer Baustellenausfahrt durch Verkehrszeichen 101 der StVO. In Höhe Kilometer 0,950 endete der Spurenversatz, dies zugleich durch entsprechende Beschilderung angekündigt (Zeichen 501 der StVO, Überleitungstafel). Auf der Höhe kurz hinter Km/h 0,900 in Fahrtrichtung Oberhausen befanden sich auf dem Abfahrtstreifen der BAB 4 in Fahrtrichtung Aachen beidseitig Verkehrszeichen 274 der StVO mit einer Geschwindigkeitsbeschränkung auf jeweils 60 km/h ohne Zusatzbeschilderung. Es folgten dann die Messschleifen in Höhe Kilometer 0,830 und dahinter die Wechselverkehrszeichenanlage AQ 21 in Höhe Kilometer 0,811. Diese zeigte auf den beiden äußeren und dem mittleren der fünf Einblendungsfelder als Dauereinblendung das Verkehrszeichen 274 der StVO mit einer Geschwindigkeitsbeschränkung auf 60 km/h. Ein Zusatzzeichen war insoweit nicht eingeblendet. In Höhe der Messschleifen stand rechtsseitig der Fahrbahn auf dem Grünstreifen das Schild mit der Aufschrift «Vielen Dank für ihr Verständnis«. Betroffene fuhren nach Verlassen der Baustelle auf die in 150 m Entfernung gelegene Schilderbrücke (WVZ-Anlage) bei Km 0,811 zu. Diese Schilderbrücke war gerichtsbekannt bereits bei Verlassen der Baustelle aufgrund des geraden Straßenverlaufes gut und eindeutig zu erkennen. Insoweit wird wegen der weiteren Einzelheiten und der konkreten Schilderkombinationen auf die Beschilderungspläne Blatt 12 - 14 d.BA in dem Verfahren 806 Owi 452/16 gemäß § 71 OWiG i. V. m. § 267 Abs. 1 S. 3 StPO verwiesen, welche im Rahmen der Hauptverhandlung in Augenschein genommen wurden.
Das Fallprotokoll Bl. 11 d. BA, die Dokumentation Geschwindigkeitsmessung Bl. 6 d. BA, der Auszug aus dem WVZ-Protokoll Bl. 12 d.BA, die Displayerläuterung Bl. 9 u. 10 d.BA, die Dateneinblendungen und das Beweisfoto Bl. 5 d.BA, der Eichschein Bl. 13 d.BA, der Schulungsnachweis Bl. 14 d.BA., die Lebensakte Bl. 5 d.BA, die Angaben zur Anlage Bl. 7 d.BA sowie die Beschilderungspläne Bl.8 d.BA. und aus dem am selben Verhandlungstag verhandelten Verfahren 806 Owi 452/16 (dort Bl.12 - 14 d.BA) wurden in Augenschein genommen bzw. durch Bekanntgabe des wesentlichen Inhalts und Kenntnisnahme hiervon zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht.
Ein Toleranzabzug von 4 km/h (3%) wurde vorgenommen.
Weitere Toleranzen sind hinsichtlich der maßgeblichen Geschwindigkeitsmessanlage gerichtsbekannt nicht zu berücksichtigen, weil mit dem vorgenommenen Toleranzabzug etwaigen Messungenauigkeiten hinreichend Rechnung getragen wurde.

IV.
Der Betroffene hat fahrlässig eine Verkehrsordnungswidrigkeit nach §§ 41 Abs. 1 i. V. m. Anl. 2,49 StVO, § 24 StVG begangen.
Im Bereich der Messstelle galt eine Geschwindigkeitsbeschränkung auf 60 km/h durch Verkehrszeichen 274 der StVO. Grundsätzlich endet nach laufender Nr. 55 zu § 41 Abs. 1 Anl. 2 Spalte 3 StVO ein Streckenverbot unter anderem ungekennzeichnet, wenn das Streckenverbotszeichen zusammen mit einem Gefahrzeichen angebracht ist und sich aus der Örtlichkeit zweifelsfrei ergibt, von wo an die angezeigte Gefahr nicht mehr besteht (vergleiche hierzu auch Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 42. Auflage, § 3 StVO Rn. 45 b mit weiteren Nachweisen). Diese Regelung ist vorliegend nicht einschlägig. Denn die Geschwindigkeitsbeschränkung auf 60 km/h durch Verkehrszeichen 274 StVO erfolgte in Höhe von Kilometer 2,050 durch beidseitiges Verkehrszeichen 274 der StVO (Bodenbeschilderung) ohne ein Zusatzzeichen, insbesondere also nicht das Zeichen 123 der StVO. Ab Kilometer 2,050 galt damit eine Geschwindigkeitsbeschränkung auf 60 km/h, unabhängig von der an dieser Stelle noch bestehenden Baustelle.
Allerdings ist Betroffenen subjektiv vorwerfbar lediglich eine Geschwindigkeitsüberschreitung über 80 km/h. In diesem Zusammenhang ist zunächst zu berücksichtigen, dass nach Ende der Baustelle die Geschwindigkeitsbeschränkung auf 60 km/h durch Verkehrszeichen 274 StVO nicht sofort wiederholt wurde. Allerdings fuhren die Betroffenen nach Verlassen der Baustelle auf die 150 Meter entfernt gelegene eindeutig und gut erkennbare Wechselverkehrszeichenanlage zu, die ebenfalls ohne Zusatzzeichen eine Geschwindigkeitsbeschränkung auf 60 km/h anzeigte. Zudem befand sich das Schild, mit dem um Verständnis gebeten wurde, nicht am Ende der Baustelle sondern in Höhe der Messschleifen und damit unmittelbar vor der Schilderbrücke, die - wie ausgeführt - eine Beschränkung auf 60 km/h anzeigte. Das Gericht geht zugunsten der Betroffenen davon aus, dass nach der Baustelle aufgrund der dort nicht wiederholten Beschilderung durch Verkehrszeichen 274 StVO subjektiv eine Unsicherheit darüber entstehen konnte, welche Geschwindigkeit dort ab Km 0,95 zulässig ist. Bei der Frage, welche Geschwindigkeit dort subjektiv für zulässig gehalten werden kann, spielt insbesondere die folgende WVZ- Anlage (Schilderbrücke) eine Rolle. Das Gericht ist zugunsten der Betroffenen der Auffassung, dass sie subjektiv davon ausgehen durften, dass die letzte vor der Baustelle vorgenommene Geschwindigkeitsbeschränkung durch Verkehrszeichen 274 StVO maßgeblich war. Dies war eine Geschwindigkeitsbeschränkung auf 80 km/h, die durch Verkehrszeichen 274 ohne Zusatzzeichen erfolgte. Hierbei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass Betroffene ausgehend von 80 km/h grundsätzlich auch in der Lage gewesen wären, ihre Geschwindigkeit in Höhe der Wechselverkehrszeichenanlage - also auf der Wegstrecke von etwa 20 Metern zwischen den Piezosensoren und der Wechselverkehrszeichenanlage - auf 60 km/h zu reduzieren, wozu sie als aufmerksamer Verkehrsteilnehmer verpflichtet waren. Denn Verkehrsteilnehmer haben bei Geschwindigkeitsbeschränkungen durch Verkehrszeichen 274 der StVO ihre Annäherungsgeschwindigkeit so einzustellen, dass sie die dort zulässige Geschwindigkeit bei Erreichen des Streckenverbotsschildes haben, ohne hierfür erhebliche Bremsmanöver durchführen zu müssen. Gerade dieser Gesichtspunkt spricht auch dagegen, dass Betroffene subjektiv von einer höheren zulässigen Höchstgeschwindigkeit im Bereich der Messstelle als 80 km/h ausgehen durften.

V.
Der auch für die Gerichte verbindliche Bußgeldkatalog sieht für den Verstoß eine Regelbuße von 160,00 € vor, 11.3.7 Tabelle 1 der Bußgeldkatalog-Verordnung.
Es bestand kein Anlass, unter Berücksichtigung der oben unter I. festgestellten geregelten wirtschaftlichen Verhältnisse oder aus sonstigen Gründen von dieser Regelbuße abzuweichen. Die Betroffene ist Ersttäterin.
Ein Fahrverbot für die Dauer von einem Monat ist neben der Geldbuße zur Einwirkung auf die Betroffene geboten.
Nach § 25 Abs. 1 S. 1 StVG kann einer Betroffenen wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit nach § 24 StVG, die sie unter grober oder beharrlicher Verletzung ihrer Pflichten als Kraftfahrzeugführerin begangen hat und wegen der eine Geldbuße festgesetzt worden ist, für die Dauer von ein bis zu drei Monaten verboten werden, Kraftfahrzeuge jeder oder einer bestimmten Art im Straßenverkehr zu führen.
Vorliegend liegt eine grobe Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers vor. Das Regelfahrverbot folgt aus § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BKatV (11.3.7 Tabelle 1 Bußgeldkatalog-Verordnung) i. V. m. § 25 Abs. 1 S. 1 StVG. Die Erfüllung dieses Tatbestandes indiziert das Vorliegen eines groben Verstoßes im Sinne von § 25 Abs. 1 S. 1 StVG, der zugleich ein derart hohes Maß an Verantwortungslosigkeit im Straßenverkehr offenbart, dass es regelmäßig der Denkzettel-und Besinnungsmaßnahme eines Fahrverbotes bedarf (vgl. BGH ST 38,125,134; 231,234).
Besondere Umstände in objektiver und/oder subjektiver Hinsicht, die geeignet erscheinen, die indizielle Annahme einer groben Pflichtverletzung zu kompensieren, sind vorliegend nicht vorhanden.
Dem Gericht ist bewusst, dass es gemäß § 4 Abs. 4 BKatV die Möglichkeit gibt, in Härtefällen gegen angemessene Erhöhung der Geldbuße von dem Fahrverbot abzusehen. Derartige Gründe hat die Betroffene nicht vorgebracht. Sie sind auch nicht ersichtlich.
Das Fahrverbot wird nicht mit der Rechtskraft der Entscheidung sofort wirksam, § 25 Abs. 2 Buchst. a StVG.

VI.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 465 Abs. 1 StPO i. V. m. § 46 Abs. 1 OWiG.

AG Köln Urt. v. 9.3.2017 – 806 OWI 513/16, BeckRS 2017, 103727

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