Keine Akteneinsichtspauschale bei gescannter OWi-Akte ohne gesetzlicher Grundlage

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 06.05.2017
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht|3692 Aufrufe

Wir leben in einer Zeit des Umbruchs. Auch im Hinblick auf die Aktenführung im OWi-Verfahren. Die elektronische Akte ist flächendeckend in Planung. Die Papierakte wird solange oftmals gescannt, elektronisch verwaltet und bei Bedarf ausgedruckt. Was ist aber, wenn der Verteidiger von seinem Recht auf Einsicht in die Orignalakte Gebrauch machen will, trotzdem aber nur Ausdrucke der Scans erhält? Muss er dann die Akteneinsichtspauschale zahlen? Nein. Meint das AG Pirmasens, dessen Entscheidung mir Rechtsanwalt Brüntrup aus Minden gescannt (!) zugesandt hat:

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist zulässig und begründet.

Der zulässigerweise durch den Verteidiger des Betroffenen gestellte (vgl. BGH, Urteil vom 06.04.2011 — IV ZR 232/08, zitiert nach juris, Rn. 16 ff.) Antrag nach § 62 Abs. 1 OWiG ist gemäß § 108 Abs. 1 S. 1 OWiG zulässig. Die Zuständigkeit des Amtsgerichts Pirmasens ergibt sich abweichend von § 68 Abs. 1 S. 1 OWiG - auch wenn zum Zeitpunkt des gegenständlichen Antrages noch kein Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid vorlag - aus §§ 62 Abs. 2 S. 1, 68 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 OWiG i.V.m. § 4 StrafZustV RP (vgl. hierzu etwa BGH, Beschluss vom 17.10.2001 - 2 ARs 277/01 - 2 AR 161/01, zitiert nach juris, Rn. 3 ff.; BGH, Beschluss vom 17.10.2001 - 2 ARs 245/01 - 2 AR 141/01, zitiert nach juris, Rn. 4 ff.),

Der Antrag ist auch begründet, da es im Hinblick auf den durch die Bußgeldstelle an den Verteidiger übersandten Aktenausdruck derzeit an einer Grundlage für die Auslagenfestsetzung fehlt.

Gemäß § 107 Abs. 5 S. 1 OWiG kann von demjenigen, der die Versendung von Akten beantragt, je durchgeführter Sendung einschließlich der Rücksendung pauschal 12,00 Euro als Auslage erhoben werden. Im Fall, dass die Akte — wie hier — elektronisch geführt und deren Übermittlung - was hier nicht der Fall war — elektronisch erfolgt, beträgt die Pauschale 5,00 Euro.

Grundsätzlich hat bei der durch einen Rechtsanwalt beantragten Aktenübersendung die Übersendung der Originalakte zu erfolgen. Dies gilt jedoch nicht, wenn zulässigerweise eine elektronische Akte im Sinne von § 110 b OWiG geführt wird. In einem solchen Fall kann anstelle der — physisch nicht vorliegenden Akte gemäß § 110 d Abs. 2 S. 1 OWiG Akteneinsicht durch Übermittlung von elektronischen Dokumenten oder — wie hier durch Erteilung von Aktenausdrucken erfolgen. Daraus ergibt sich, dass in einem solchen Fall der Aktenausdruck an die Stelle der physisch nicht vorhandenen elektronischen Akte tritt, was im Fall der nicht elektronisch geführten Akte der übersandten Originalakte entspräche und die Entstehung der Auslage begründet. In einem solchen Fall des § 110 d Abs. 2 S. 1 OWiG muss jedoch der übersandte Aktenausdruck bzw. die Einzelblätter des Ausdrucks die für sie jeweils und gegebenenfalls voneinander abweichenden Voraussetzungen der §§ 110 b ff. OWiG erfüllen. Darüber, ob die an den Verteidiger vorliegend übersandten Aktenausdrucke die jeweiligen Voraussetzungen erfüllen, bestehen zwischen Verteidiger und Bußgeldstalle unterschiedliche Ansichten.

Eine Entscheidung darüber, ob die Ausdrucke den Erfordernissen der §§ 110 b ff. OWiG gerecht werden, kann vorliegend jedoch dahinstehen bleiben, da der Erhebung der Aktenversendungs-pauschale bereits ein anderer — vorgelagerter — Grund entgegensteht.

Durch den durch das Justizkommunikationsgesetz vom 22.03.2005 (BGBl. I S. 837) eingeführten § 110 b OWiG wurde die elektronische Führung von Verfahrensakten in Ordnungswidrigkeitsverfahren ermöglicht. Die Führung einer elektronischen Akte setzt jedoch nach § 110 b Abs. 1 S. 2 OWIG voraus, dass Bundesregierung und Landesregierungen für ihren Bereich durch Rechtsverordnung den Zeitpunkt bestimmen, von dem an die Akten elektronisch geführt werden oder im behördlichen Verfahren geführt werden können sowie die hierfür geltenden organisatorisch-technischen Rahmenbedingungen für die Bildung, Führung und Aufbewahrung der elektronisch geführten Akten. § 110 b Abs. 1 S. 3 OWIG sieht weitergehend vor, dass Bundesregierung und Landesregierungen die Ermächtigung durch Rechtsverordnung auf die zuständigen Bundes- oder Landesministerien übertragen können. Eine solche Übertragung der Ermächtigung nach § 110 b Abs. 1 S. 3 OWiG fand in Rheinland-Pfalz beispielsweise durch die RpflErmV RP statt. Diese betrifft jedoch nicht die Führung der elektronischen Akte bei den Bußgeldstellen.

Die durch das Justizkommunikationsgesetz geschaffenen Regelungen betreffend die Möglichkeit zur Führung einer elektronischen Akte begründen daher zum damaligen Zeitpunkt eine Ausnahme bzw. Abkehr von dem bis dahin geltenden Grundsatz, dass die Akten in Papierform geführt werden.

Die Führung einer elektronischen Akte ist, wie sich aus § 110 b Abs. 1 OWiG aber auch der Gesetzesbegründung ergibt, jedoch erst dann zulässig, wenn sie durch Rechtsverordnung zugelassen wurde (vgl. BT-Drs. 15/4067, S. 47, linke Spalte a. E.).

Eine entsprechende Rechtsverordnung liegt - wie seitens der Bußgeldstelle in der Stellungnahme vom 30.012017 (BI. 84 f. d.A.) bestätigt wurde - derzeit noch nicht vor. Insofern geschieht die Aktenführung bei der Zentralen Bußgeldstelle des Polizeipräsidiums Rheinpfalz, wo alle verfahrensrelevanten Dokumente zunächst nur digital vorhanden sind bzw. digital hergestellt werden und erst bei Bedarf — wie beispielsweise nach erfolgtem Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid — ausgedruckt werden, im Hinblick auf die fehlende Rechtsverordnung nach § 110 b Abs. 1 OWiG derzeit ohne Rechtsgrundlage (OLG Koblenz, Beschluss vom 06.09.2016 — 1 OWi 3 Ss Rs 93/16, zitiert nach juris, Rn. 5).

Da es insofern an einer zulässigerweise und durch Rechtsverordnung zugelassene Führung einer elektronischen Akte fehlt, kann auch keine Akteneinsicht nach § 110 d Abs. 2 S. 1 OWiG durch Erteilung eines Aktenausdrucks gewährt werden, da diese zwingend eine aufgrund Rechtsverordnung geführte elektronische Akte voraussetzt. Die Übersendung eines Ausdrucks einer insofern ohne Rechtsgrundlage geführten elektronischen Akte kann naheliegenderweise keine Aktenversendungspauschale begründen, denn eine solche kann nur dann anfallen, wenn Einsicht in eine zulässigerweise und ordnungsgemäß geführte Akte gewährt wird.

Im Ergebnis war der Antrag auf gerichtliche Entscheidung daher begründet, weswegen die Auslagenfestsetzung aufzuheben war.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 62 Abs. 2 S. 2 OWiG, 467 Abs. 1 StPO analog (vgl. Göhler, OWiG, 16. Auflage, § 62, Rn. 32a, Vor § 105, Rn. 7, 57).

Danke, lieber Herr Brüntrup!

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