BGH zu § 315c StGB: "Riskante Fahrweise reicht nicht! Ihr müsst schon was feststellen!"

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 16.06.2017
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht|10312 Aufrufe

Der Angeklagte war kein Guter! Ganz klar! Beihilfe zum Raub....und Beihilfe zum Diebstahl....aber eben noch nicht ausreichend festgestellt: § 315c StGB. Für den Angeklagten bedeutete das: Auch der §§ 69, 69a StGB-Ausspruch entfiel erst einmal:

Das Landgericht hat den Angeklagten O. wegen Beihilfe zum versuchten
Raub, Beihilfe zum Diebstahl und Gefährdung des Straßenverkehrs zu
einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt.
Außerdem hat es ihm die Fahrerlaubnis entzogen, seinen Führerschein einge-
zogen und die Verwaltungsbehörde angewiesen, ihm vor Ablauf von zwei Jahren
keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen. Seine hiergegen gerichtete Revision
hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet
im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

1. Die Verurteilung des Angeklagten wegen Gefährdung des Straßenverkehrs
im Fall II. 3 der Urteilsgründe hat keinen Bestand.

a) Nach den hierzu getroffenen Feststellungen fuhr der Angeklagte am
7. März 2015 mit einem Pkw Audi A 3 ohne Abblendlicht und „mit deutlich überhöhter
Geschwindigkeit“ auf der A. straße in B. . Dabei
missachtete er eine Rechts-vor-Links-Regelung und nahm dem Polizeibeamten
D. , der mit seinem Dienstfahrzeug die R. straße befuhr, die Vorfahrt.
Polizeiobermeister D. erkannte das Fahrzeug des Angeklagten „in letzter
Sekunde“ und leitete eine Gefahrenbremsung ein. Anschließend nahm er die
Verfolgung des Angeklagten auf. Als der Angeklagte das ihm folgende Polizeifahrzeug
bemerkte, vermutete er, dass ein zuvor von seinen Mitfahrern verübter
Diebstahl, dessen Beute sich noch im Fahrzeug befand, entdeckt worden sei
und befürchtete seine Festnahme. Um dieser zu entgehen, entschloss er sich
zu einer „riskanten Fahrweise“, indem er mit ca. 80 km/h und weiterhin ohne
Licht die A. straße befuhr. Dabei nutzte er die gesamte Breite der Stra-
ße einschließlich der Gegenfahrbahn. Polizeiobermeister D. folgte dem
Angeklagten, wobei er ihn mit eingeschalteter „Licht- und Zeichenanlage“ zum
Anhalten aufforderte. Im weiteren Verlauf der Fahrt überholte der Angeklagte in
der Or. straße mehrere Fahrzeuge auf dem Gegenfahrstreifen und scherte
kurz vor diesen wieder ein. Die entgegenkommenden Fahrzeuge „mussten
dadurch stark abbremsen, um einen Aufprall zu vermeiden“. In einem Kreisverkehr
verlor er für einen kurzen Moment die Kontrolle über sein Fahrzeug, das
„ausbrach“. Als Polizeiobermeister D. den Pkw des Angeklagten links
überholen wollte, drängte der Angeklagte das Polizeifahrzeug „durch eine
Lenkbewegung nach links ab“, sodass Polizeiobermeister D. eine Kollision
mit dem Fahrzeug des Angeklagten oder am Fahrbahnrand geparkten Fahrzeugen
nur durch ein starkes Abbremsen verhindern konnte. Schließlich konnte
das Fahrzeug des Angeklagten gestoppt werden.
Das Landgericht ist ohne Darstellung der Subsumtion davon ausgegangen,
dass sich der Angeklagte aufgrund des geschilderten Sachverhalts wegen
„Gefährdung des Straßenverkehrs“ strafbar gemacht habe. Im Rahmen der
Strafzumessung wird § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB in den Begehungsformen der
Buchstaben a, b und d angeführt.

b) Die Urteilsgründe tragen die Annahme einer Gefährdung des Straßenverkehrs
gemäß § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB nicht, weil sich aus ihnen nicht ergeben,
dass es infolge eines dieser Vorschrift unterfallenden Verkehrsverstoßes
zu einer konkreten Gefährdung eines der bezeichneten Rechtsgüter gekommen
ist.

aa) § 315c Abs. 1 StGB setzt voraus, dass eine der dort genannten Tathandlungen
über die ihr innewohnende latente Gefährlichkeit hinaus im Hinblick
auf einen bestimmten Vorgang in eine kritische Verkehrssituation geführt hat, in
der die Sicherheit einer bestimmten Person oder Sache so stark beeinträchtigt
war, dass es nur noch vom Zufall abhing, ob das Rechtsgut verletzt wurde oder
nicht. Erforderlich ist ein „Beinahe-Unfall“, also ein Geschehen, bei dem ein unbeteiligter
Beobachter zu der Einschätzung gelangt, „das sei noch einmal gut
gegangen“
(vgl. BGH, Beschluss vom 22. November 2011 – 4 StR 522/11, NZV
2012, 249; Urteil vom 30. März 1995 – 4 StR 725/94, NJW 1995, 3131, 3132;
Ernemann in: SSW-StGB, 3. Aufl., § 315c Rn. 22 mwN).

bb) Ein diesen Vorgaben entsprechender Verkehrsvorgang wird durch
die Feststellungen nicht belegt.
Hinsichtlich der ersten, für eine Strafbarkeit nach § 315c Abs. 1 Nr. 2a
StGB in Betracht kommenden Verkehrssituation (Missachtung der Vorfahrt des
Polizeibeamten D. , Gefahrenbremsung zur Kollisionsvermeidung) verhält
sich das Urteil weder zu der von dem Polizeifahrzeug gefahrenen Geschwindigkeit
noch zu der Intensität der „Gefahrenbremsung“
(vgl. BGH, Beschluss vom
2. Juli 2013 – 4 StR 187/13, NStZ-RR 2013, 320, 321; Beschluss vom 29. April
2008 – 4 StR 617/07, NStZ-RR 2008, 289). Soweit davon die Rede ist, dass der
Angeklagte „mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit“ gefahren sei, handelt es
sich um eine Wertung, für die sich in den Urteilsgründen keine Tatsachengrundlage
findet. Um eine konkrete Gefährdung einer fremden Sache von bedeutendem
Wert bejahen zu können, hätte es zudem bestimmter Angaben zum Wert
des gefährdeten Polizeifahrzeugs und zur Höhe des drohenden Schadens (berechnet
anhand der am Marktwert zu messenden Wertminderung) bedurft (vgl.
BGH, Beschluss vom 28. September 2010 – 4 StR 245/10, NStZ 2011, 215,
216; Beschluss vom 29. April 2008 – 4 StR 617/07, NStZ-RR 2008, 289).
Gleiches gilt, soweit Überholvorgänge geschildert werden, bei denen
entgegenkommende Fahrzeuge „stark abbremsen“ mussten, „um einen Aufprall
zu vermeiden“. Zwar mag dies dafür sprechen, dass der Angeklagte im Sinne
von § 315c Abs. 1 Nr. 2b StGB, § 5 Abs. 2 Satz 1 StVO falsch überholt hat. Ob
in dieser Situation der Eintritt einer Rechtsgutsverletzung nur noch vom Zufall
abhing, kann der Senat aber nicht beurteilen. Einzelheiten zur Art der konkreten
Begegnung der Fahrzeuge sind nicht festgestellt.
Auch hinsichtlich des Abdrängens des überholenden Polizeifahrzeugs
315c Abs. 1 Nr. 2b StGB) fehlt es an einer Darlegung der konkreten Umstän-
de. Dass Polizeiobermeister D. eine Kollision mit dem Fahrzeug des Angeklagten
oder am Fahrbahnrand geparkten Fahrzeugen nur durch ein starkes
Abbremsen verhindern konnte, vermag einen „Beinahe-Unfall“ nicht ausreichend
zu belegen.
In welcher Verkehrssituation das Landgericht § 315c Abs. 1 Nr. 2d StGB
verwirklicht gesehen hat, bleibt gänzlich unklar.

2. Die Aufhebung der Verurteilung im Fall II. 3 der Urteilsgründe zieht die
Aufhebung der Gesamtstrafe und der an diese Verurteilung anknüpfenden
Maßregel gemäß §§ 69, 69a StGB nach sich. Im Übrigen weist das Urteil keinen
Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.

BGH, Beschluss vom 27.4.2017 - 4 StR 61/17

Diesen Beitrag per E-Mail weiterempfehlenDruckversion

Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
Kommentar schreiben

Kommentare als Feed abonnieren

Kommentar hinzufügen