Fahren ohne Fahrerlaubnis mit zu schnellem Mofa: Geschwindigkeitsfeststellung für Fahrlässigkeit nötig!

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 06.07.2017
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht|5840 Aufrufe

Eine durchaus interessante Entscheidung. Der Betroffene hätte eine Fahrerlaubnis haben müssen. Sein Fahrzeug, das maximal 25 km/h hätte fahren dürfen war nämlich deutlich schneller. Klar: Fahren ohne Fahrerlaubnis! Aber ganz so einfach ist es dann doch wieder nicht. Der Tatrichter muss sich schon mehr Mühe bei seinen Feststellungen geben:

 

.....Nach den Feststellungen des Landgerichts befuhr der Angeklagte am 20.08.2015 eine öffentliche Straße in Q mit einem Kleinkraftrad mit einer Geschwindigkeit von „ca. 50 km/h“. Mangels Fahrerlaubnis sei er zum Führen eines solchen Kleinkraftrades, dessen Höchstgeschwindigkeit mehr als 25 km/h beträgt, nicht berechtigt gewesen. Angesichts der wesentlichen Überschreitung der  „erlaubten Höchstgeschwindigkeit“ habe er erkennen können, dass es sich um ein erlaubnispflichtiges Kleinkraftrad gehandelt habe.....

 
 
 
 
....Die Überprüfung des angefochtenen Urteils auf die Sachrüge hin hat hingegen einen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
 
Die Beweiswürdigung, mit der das Landgericht zu der Überzeugung kommt, dass der Angeklagte eine Überschreitung der für ein erlaubnisfreies Fahrzeug nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 FeV zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 25 km/h um „mindestens“ 20 km/h (UA S. 12) hätte bemerken und deswegen erkennen müssen, dass er zum Führen dieses Fahrzeugs nicht berechtigt war, hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
 
Grundsätzlich ist die Beweiswürdigung Sache des Tatrichters. Das Revisionsgericht kann nur eingreifen, wenn sie rechtsfehlerhaft ist, insbesondere wenn sie Widersprüche oder erhebliche Lücken aufweist oder mit Denkgesetzen oder gesicherten Erfahrungssätzen nicht vereinbar ist (Senatsbeschluss vom 15.09.2016 – III-4 RVs 107/16 – juris m.w.N.).
 
Die Beweiswürdigung im Hinblick auf den gegenüber dem Angeklagten erhobenen Fahrlässigkeitsvorwurf ist vorliegend lückenhaft. Das beruht darauf, dass notwendige Feststellungen zur – wie vorliegend erfolgt – Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren, wie sie schon im Ordnungswidrigkeitenverfahren geboten sind, nicht getroffen wurden. Aus den Urteilsgründen ergibt sich lediglich, dass die als Zeugen vernommenen Polizeibeamten angegeben haben, dass sie dem ein Mofa führenden Angeklagten im fließenden Verkehr etwa 100 bis 200m nachgefahren seien, die Geschwindigkeit des Polizeifahrzeugs laut Tacho „etwa“ 50 km/h betragen habe und die Geschwindigkeit des verfolgten Fahrzeuges der des Polizeifahrzeugs entsprochen habe. Nähere Angaben, wie dies festgestellt wurde, fehlen indes. So wird insbesondere im Bußgeldverfahren für notwendig erachtet, dass angegeben wird, wie groß der Abstand zwischen verfolgendem und verfolgtem Fahrzeug war und wie sich dieser ggf. verändert hat (OLG Hamm, Beschl. v. 04.08.2008 – 2 Ss OWi 409/08 – juris; OLG Koblenz, Beschl. v. 27.01.2016 – 1 OWi 4 SsBs 1/16-  juris; OLG Oldenburg, Beschl. v. 08.11.2012 – 2 SsBs 253/12 - juris). Weiter bedarf es Angaben dazu, ob die Geschwindigkeitsfeststellung mittels eines geeichten oder ungeeichten Tachos erfolgte (OLG Hamm a.a.O.). Je nach den Modalitäten der Messung sind dann Sicherheitsabschläge von der gemessenen Geschwindigkeit vorzunehmen. Bei einem  nicht geeichten bzw. nicht justierten Tachometer im Polizeifahrzeug wird grundsätzlich einen Toleranzabzug von 20 Prozent der abgelesenen Geschwindigkeit für notwendig, aber auch ausreichend erachtet, um bei guten allgemeinen Sichtverhältnissen grundsätzlich alle zu Gunsten des Täters in Betracht kommenden Fehlerquellen menschlicher und technischer Art zu berücksichtigen, wenn der Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug etwa den halben bis maximal ganzen Tachowert (in Metern), den das nachfahrende Fahrzeug anzeigt, nicht übersteigt, der Abstand ungefähr gleich bleibt, die Nachfahrstrecke wenigstens rund das Fünffache des Abstandes beträgt und der Tachometer in kurzen Abständen abgelesen wird (OLG Celle, Beschl. v. 25.08.2005 – 222 Ss 196/05 (OWi) –juris; OLG Rostock, Beschl. v. 28.03.2007 – 2 Ss (OWi) 311/06 I 171/06 –juris m.w.N.). Ob diese Voraussetzungen für einen zwanzigprozentigen Sicherheitsabschlag (der allerdings vom Landgericht nicht vorgenommen wurde) vorliegen oder gar wegen der Umstände der Messung ein größerer Abschlag vorzunehmen wäre, kann der Senat mangels ausreichender Feststellungen nicht überprüfen.
 
Der Senat kann zwar ausschließen, dass das Landgericht bei zutreffender Beweiswürdigung zu dem Ergebnis gekommen wäre, dass es sich bei dem vom Angeklagten geführten Fahrzeug um ein erlaubnisfreies gehandelt hat, denn dazu wäre im Hinblick auf die von ihm gefahrene Geschwindigkeit ein Sicherheitsabschlag von 50% erforderlich gewesen. Vor allem aber ergibt sich dies daraus, dass sich die Überzeugung des Landgerichts insoweit nicht nur auf die tatsächlich vom Angeklagten gefahrene Geschwindigkeit stützt, sondern auf die von einem Zeugen vorgenommenen Messungen auf dem Prüfstand und sachverständigen Bewertungen zur mit seinem Fahrzeug erzielbaren Geschwindigkeit. Hinsichtlich der subjektiven     Tatseite, also bzgl. eines Erkennenkönnens durch den Angeklagten stützt sich das Landgericht hingegen allein auf die tatsächlich gefahrene Geschwindigkeit. Dass das vom Angeklagten geführte Fahrzeug eine höhere Geschwindigkeit als 25 km/h erzielen kann, habe dieser angesichts einer tatsächlich gefahrenen, um 20 km/h höheren Geschwindigkeit erkennen müssen und hätte sich nicht auf die Angabe der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 25 km/h in der ihm vorliegenden Betriebserlaubnis für das Fahrzeug verlassen dürfen. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht bei ordnungsgemäßer Feststellung der Umstände der Geschwindigkeitsmessung und bei Vornahme eines größeren Sicherheitsabschlags zur Annahme einer niedrigeren tatsächlich gefahrenen Geschwindigkeit gelangt und dann auch zu einer anderen Bewertung bzgl. des Fahrlässigkeitsvorwurfs gelangt wäre.
 
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat allerdings darauf hin, dass selbst bei einer tatsächlich vom Angeklagten gefahrenen Geschwindigkeit von 35 km/h jedenfalls ein Fahrlässigkeitsvorwurf noch äußerst nahe liegen könnte, wird doch in der obergerichtlichen Rechtsprechung bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung von 40 % häufig sogar schon Vorsatz wegen der Erheblichkeit der Überschreitung angenommen (vgl. z. B. OLG Celle, Beschl. v. 26.01.2015 – 321 SsBs 176/14 – juris; OLG Hamm ZfS 2016, 650).
 
Oberlandesgericht Hamm, Beschl. v. 8.6.2017 - 4 RVs 64/17

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