Reutlingen gewinnt!

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 18.07.2017
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht|2179 Aufrufe

Wer ist für einen Bewährungswiderruf zuständig, wenn der Verurteilte in Haft sitzt? Klar - die StVK an dem Ort, wo der Verurteilte einsitzt. "Alles klar", könnte man denken. Der BGH musste sich jetzt mit einem solchen Fall befassen. Das ursprünglich für die Bewährungsüberwachung zuständige AG Reutlingen hatte wohl nicht alle Akten an das AG Lingen mit einer dort angesiedelten StVK gesandt. "Egal", so der BGH. Und dann wurde der Verurteilte auch noch verlegt....klar, dass man da als Richterin/Richter auf die Idee kommen kann, das jeweils andere Gericht sei zuständig. Den Zuständigkeitsstreit hat das AG Reutlingen gewonnen!

Für die weiteren Entscheidungen, die sich auf die Aussetzung
der Vollstreckung der Strafen aus dem Urteil des Amtsgerichts
Reutlingen vom 2. April 2009 – 5 Ds 43 Js 21873/08 – und
seines Beschlusses vom 14. Dezember 2009 beziehen, ist die
Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Osnabrück bei
dem Amtsgericht Lingen (Ems) zuständig.

Gründe:

I.
Der Verurteilte wurde durch Urteil des Amtsgerichts Reutlingen – Jugendrichter
– vom 2. April 2009 – 5 Ds 43 Js 21873/08 – unter Einbeziehung
der Strafe aus einem Strafbefehl des Amtsgerichts Bad Urach vom 10. Februar
2009 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Monaten und zu einer Geldbuße
verurteilt. Mit Beschluss vom 14. Dezember 2009 bildete das Amtsgericht Reutlingen
aus den Einzelstrafen in den genannten Entscheidungen und einem zwischenzeitlich
ergangenen Strafbefehl eine Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Monaten
neben einer gesonderten Freiheitsstrafe von zwei Monaten.
Mit Beschluss vom 26. Juni 2012 setzte das Amtsgericht Reutlingen die
Vollstreckung eines Rests der Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung aus. Es
folgte jedoch die Vollstreckung anderer Freiheitsstrafen gegen den Verurteilten.
Dazu befand er sich in der Zeit vom 29. April 2015 bis zum 30. November 2015
in der Justizvollzugsanstalt Lingen (Ems), danach in der Justizvollzugsanstalt
Rottenburg.
Die Staatsanwaltschaft Tübingen hat am 22. Juli 2015 bei dem Amtsgericht
Reutlingen beantragt, die Strafaussetzung zur Bewährung hinsichtlich des
Rests der Gesamtfreiheitsstrafe aus dem Urteil vom 2. April 2009 in der Fassung
des Beschlusses vom 14. Dezember 2009 zu widerrufen. Das Amtsgericht
Reutlingen hat die Sache dem Landgericht Tübingen vorgelegt, das eine
Übernahme abgelehnt hat. Nach Aktenrückgabe hat das Amtsgericht Reutlingen
mit Beschluss vom 20. Juni 2016 die nachträglichen Entscheidungen, die
sich auf die Strafaussetzung zur Bewährung beziehen, an die Strafvollstreckungskammer
des Landgerichts Osnabrück verwiesen. Diese hat ebenfalls die
Übernahme der Sache abgelehnt und angemerkt, die Sache sei dort nicht anhängig
geworden. Mit Beschluss vom 6. September 2016 hat das Amtsgericht
Reutlingen die Sache dem Bundesgerichtshof zur Bestimmung des zuständigen
Gerichts vorgelegt.

II.

1. Der Bundesgerichtshof ist als gemeinschaftliches oberes Gericht des
Amtsgerichts Reutlingen und der Landgerichte Tübingen und Osnabrück zur
Entscheidung über die Zuständigkeitsfrage berufen.

2. Zuständig ist die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Osnabrück
bei dem Amtsgericht Lingen (Ems).
Für die Beantwortung der Frage, welche Strafvollstreckungskammer für
die beantragte Widerrufsentscheidung örtlich zuständig ist, gilt der Grundsatz,
dass für anstehende Entscheidungen diejenige Strafvollstreckungskammer zuständig
ist, in deren Bezirk die Justizvollzugsanstalt liegt, in der sich der Verur-
teilte befindet oder zuletzt befand. Maßgeblich ist der Zeitpunkt der erstmaligen
Befassung des Gerichts mit der Angelegenheit (vgl. Senat, Beschluss vom
19. Juni 2013 – 2 ARs 227/13, NStZ-RR 2013, 390 f.).
Der Angeklagte befand sich zur Zeit der Befassung des Landgerichts
Osnabrück mit dem Widerrufsantrag in dessen Gerichtsbezirk in Haft. Spätestens
mit Eingang der Akten bei dem Amtsgericht Lingen am 21. August 2015
wurde die dortige Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Osnabrück mit
der Sache befasst (§ 462a Abs. 1 Satz 1 StPO). Darauf, ob die Akten zu diesem
Zeitpunkt vollständig waren, insbesondere ob der Strafvollstreckungskammer
auch das Bewährungsheft vorlag, kommt es nicht an. Auch setzt die
gesetzliche Zuständigkeit des Gerichts gemäß § 462a Abs. 1 Satz 1 StPO keinen
förmlichen Abgabebeschluss des bisher mit der Sache befassten Gerichts
voraus.
Die Zuständigkeit des mit der Sache befassten Gerichts wirkt bei einer
späteren Verlegung des Verurteilten in eine Justizvollzugsanstalt in einem anderen
Landgerichtsbezirk fort, solange über diese Frage nicht abschließend
entschieden ist (vgl. Senat, Beschluss vom 8. Dezember 2016 – 2 ARs 5/16,
StraFo 2016, 86, 87 f.). Daher ist die Verlegung des Verurteilten in die Justizvollzugsanstalt
Rottenburg nach dem 30. November 2015 unerheblich. 

BGH, Beschluss vom 8.3.2017 - 2 ARs 359/16

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