Tagessatzhöhe: Gar nicht so einfach...sagt der BGH

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 30.07.2017
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht1|12846 Aufrufe

Die Bestimmung der Tagessatzhöhe soll den Lebenszuschnitt des Angeklagten wiedergeben. Wie ist sie aber genau zu bestimmen? Der BGH hat einmal schön die Grundsätze der Zumessung dargelegt:

Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte
zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 25 Euro verurteilt
und von einem weiteren Tatvorwurf freigesprochen.
Mit ihrer auf die Höhe der verhängten Tagessätze beschränkten Revision
wendet sich die Angeklagte gegen die Festsetzung der Höhe des einzelnen
Tagessatzes durch das Landgericht. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

II.

1. Zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen der Angeklagten
hat das Landgericht festgestellt, dass diese im Anschluss an ihre Schulzeit
eine Ausbildung zur Zahnarzthelferin machte und nach deren Abschluss noch
etwa eineinhalb Jahre in diesem Beruf in einer Zahnarztpraxis tätig war. Nachdem
sie aber mit ihrem damaligen Chef nicht zurecht kam, beendete sie das
Arbeitsverhältnis und unternahm mehrere Versuche, andere berufliche Tätigkeiten
zu finden, welche allesamt scheiterten. In der Folge lebte sie bis zu ihrer
Heirat im Alter von 27 Jahren im Haushalt ihrer Mutter, ohne irgendeiner Berufstätigkeit
nachzugehen. Nach der Eheschließung hatte sie auch weiterhin
keine eigenen Einkünfte; die Eheleute haben zwei gemeinsame Kinder im Alter
von nunmehr 21 und 19 Jahren, welche noch zu Hause wohnen. Der Ehemann
verdient monatlich zwischen 3.000 € und 3.500 € netto, wobei er für die Wohnungsmiete
900 € monatlich aufbringen muss.
Die Angeklagte befindet sich seit 1988 regelmäßig in psychologischer
und psychiatrischer Behandlung und war erstmals auch 1988 für vier und folgend
für sechs Wochen wegen Magersucht und Depressionen in einer Klinik.
Ein weiterer stationärer Aufenthalt erfolgte über 14,5 Wochen 1992 wegen Bulimie.
Beginnend Mitte der 1990er Jahre folgten 30-35 stationäre Aufenthalte im
C. , welche zwischen drei Tagen und zweieinhalb Jahren dauerten.
Derzeit ist die Angeklagte auf freiwilliger Basis im C. untergebracht,
wobei sie allerdings an den Wochenenden zu Hause bei ihrer Familie ist.

2. Keine Feststellungen hat die Strafkammer dazu getroffen, wer aktuell
für die Kosten der Unterbringung aufkommt und in welchem Umfang gegebe-
nenfalls weitere Kosten der Lebenshaltung von ihrem Ehemann übernommen
werden.

III.
Das Rechtsmittel ist wirksam auf die Bemessung der Tagessatzhöhe beschränkt
(BGH, Beschluss vom 30. November 1976 – 1 StR 319/76, BGHSt 27,
70, 73). Ein Ausnahmefall, bei dem sich die Zumessungsakte zur Anzahl des
Tagessatzes und dessen Höhe überschneiden, liegt nicht vor. Die Festsetzung
der Tagessatzhöhe hält rechtlicher Prüfung nicht stand, weil das Landgericht
vor der Vornahme der Schätzung die Einkommens- und Zahlungsverhältnisse
sowie eventuell vorhandene Ansprüche an Sozialhilfeträger nicht ausreichend
geklärt hat (§ 40 Abs. 2 Satz 2 StGB).

1. Die Höhe eines Tagessatzes bestimmt sich unter Berücksichtigung
der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters
(§ 40 Abs. 2 Satz
1 StGB). Dabei ist grundsätzlich vom Nettoeinkommen auszugehen, das der
Täter an einem Tag hat oder haben könnte (§ 40 Abs. 2 Satz 2 StGB). Jedoch
erschöpft sich die Festlegung der Tagessatzhöhe nicht in einem mechanischen
Rechenakt, sondern es handelt sich um einen wertenden Akt richterlicher Strafzumessung,
der dem Tatrichter Ermessensspielräume hinsichtlich der berücksichtigungsfähigen
Faktoren belässt (MüKo-StGB/Radtke, 3. Aufl., § 40 Rn. 56;
ebenso Fischer, StGB, 64. Aufl., § 40 Rn. 6a). Zudem ist das Einkommen ein
rein strafrechtlicher und nicht steuerrechtlicher Begriff
, welcher alle Einkünfte
aus selbständiger und nicht selbständiger Arbeit sowie aus sonstigen Einkunftsarten
umfasst (Fischer, aaO Rn. 7), wobei es auch nicht erforderlich ist,
dass es sich um Einnahmen in Form von Geldleistungen handelt (MüKo-
StGB/Radtke, 3. Aufl., § 40 Rn. 60), auch Unterhalts- und Sachbezüge oder
sonstige Naturalleistungen zählen hierzu.
Grundsätzlich kann auch das Einkommen des Ehepartners berücksichtigt
werden
, wenn dem Täter hieraus tatsächlich Vorteile zufließen, wobei aber
das Strafgericht den Entschluss eines Ehepartners, nicht berufstätig zu werden,
zu respektieren hat (Fischer, aaO Rn. 9). Im Ergebnis kommt es in solchen Fällen
darauf an, inwieweit der nicht berufstätige Ehepartner am Familieneinkommen
teilhat, indem ihm tatsächlich Naturalunterhalt, gegebenenfalls auch ein
Taschengeld, gewährt wird.
Von den anzurechnenden Einkünften abzuziehen sind damit zusammenhängende
Ausgaben, wie beispielsweise Werbungskosten und Betriebsausgaben,
auch Sozialversicherungsbeiträge; ebenfalls sind in der Regel au-
ßergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen, Unterhaltsverpflichtungen des
Täters demgegenüber nur in angemessenem Umfang
(Fischer, aaO Rn. 13 ff.;
MüKo-StGB/Radtke, 3. Aufl., § 40 Rn. 65 ff.; vgl. auch Schäfer/Sander/van
Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 5. Aufl., Rn. 121).
Dem Tatrichter steht gemäß § 40 Abs. 3 StGB eine Schätzungsbefugnis
zu, sofern entweder der Angeklagte keine oder unrichtige Angaben zu seinen
wirtschaftlichen Verhältnissen macht oder deren Ermittlung zu einer unangemessenen
Verzögerung des Verfahrens führen würde bzw. der erforderliche
Aufwand nicht im Verhältnis zur Höhe der Geldstrafe stehen würde (OLG
Düsseldorf, Beschluss vom 19. Januar 1995 – 5 Ss 437/94; MüKo-StGB/
Radtke, 3. Aufl., § 40 Rn. 119).

2. Demgegenüber hat das Landgericht die Tagessatzhöhe durch Schätzung
festgelegt, ohne ausreichend die wirtschaftlichen Verhältnisse der Angeklagten
aufzuklären.
Es hat zwar festgestellt, dass die Angeklagte ohne eigene
Erwerbseinkünfte ist, der Ehemann mindestens 3.000 € monatlich verdient, an
monatlicher Miete 900 € aufwendet und den beiden noch im Haushalt lebenden
21 und 19 Jahre alten Kindern Naturalunterhalt gewährt, und dass die Angeklagte
jeweils am Wochenende sich in der Familienwohnung aufhält. Ob der
Aufenthalt am Wochenende 2,5 Tage oder etwa nur 1,5 Tage ausmacht, ergibt
sich aus den Feststellungen des Landgerichts nicht, was aber entscheidend
dafür sein dürfte, ob der damit geleistete und vom Landgericht auf 750 € geschätzte
Naturalunterhalt tatsächlich ein Viertel des Nettoverdienstes des Ehegatten
ausmachen kann.
Des weiteren gibt es keine Feststellungen dazu, wer die Kosten der freiwilligen
Unterbringung der Angeklagten im C. ganz oder teilweise
aufbringt, ob es insoweit Ansprüche gegen Sozialhilfeträger gibt oder ob diese
bei einer Leistung möglicherweise Rückzahlungsansprüche gegen den Ehegatten
haben oder bereits geltend machen.
Die Aufklärung der vorgenannten Grundlagen für die Bestimmung der
Tagessatzhöhe benötigt ersichtlich keinen unübersehbaren zeitlichen Aufwand,
weshalb die Voraussetzungen einer Schätzung gemäß § 40 Abs. 3 StGB vorliegend
noch nicht gegeben waren.

3. Der neue Tatrichter wird nach den erforderlichen ergänzenden Feststellungen
die Höhe des Tagessatzes unter Berücksichtigung von § 358 Abs. 2
Satz 1 StPO neu festzulegen haben, wobei ihm die Schätzungsbefugnis zu-
steht, wenn auch aufgrund der weiteren Feststellungen keine eindeutigen
Grundlagen für die richterliche Strafzumessung gegeben sind. 

BGH, Beschluss vom 25.4.2017 - 1 StR 147/17 

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1 Kommentar

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"Die Aufklärung der vorgenannten Grundlagen für die Bestimmung der
Tagessatzhöhe benötigt ersichtlich keinen unübersehbaren zeitlichen Aufwand".

Diese Behauptung des BGH ist leider in keiner Weise irgendwie nachvollziehbar.

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