So (!) muss das anthropologische Sachverständigengutachten im Urteil wiedergegeben werden!

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 04.08.2017
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht|6564 Aufrufe

Das AG hatte den Betroffenen wegen einer GeschwidnigkeitsOWi verurteilt....nach Erstattung eines mündlichen Sachverständigengutachtens zur Fahreridentifizierung. Offensichtlich hatte der Sachverständige den Fahrer identifizieren können - im Urteil hat der Tatrichter aber zu wenig zum Gutachten dargestellt: 

Das angefochtene Urteil konnte keinen Bestand haben, weil die Urteilsgründe den sachlich-rechtlichen Anforderungen an die Darlegung von Gutachten, die nicht unter Anwendung eines allgemein anerkannten und weithin standardisierten Verfahrens erstattet worden sind, wie es bei einem anthropologischen Vergleichsgutachten der Fall ist, nicht gerecht werden. Nach ständiger obergerichtlicher und höchstrichter-licher Rechtsprechung muss der Tatrichter, der ein Sachverständigengutachten eingeholt hat und ihm Beweisbedeutung beimisst, auch dann, wenn er sich dem Gutachten des Sachverständigen, von dessen Sachkunde er überzeugt ist, anschließt, in der Regel die Ausführungen des Sachverständigen in einer in sich geschlossenen (wenn auch nur gedrängten) zusammenfassenden Darstellung unter Mitteilung der zugrundeliegenden Anknüpfungstatsachen und der daraus gezogenen Schlussfolgerungen im Urteil wiedergeben, um dem Rechtsmittelgericht die gebotene Nachprüfung zu ermöglichen (OLG Hamm, Beschluss vom 26.05.2008 – 3 Ss OWi 793/07 –juris m.w.N.).
 
Die Überzeugung des Tatrichter beruht hier nach der Darstellung in den Urteils-gründen allein auf einem Sachverständigengutachten. Zwar heißt es zur Einleitung der Beweiswürdigung, dass die Überzeugung von der Täterschaft „insbesondere“ auf den „Feststellungen“ des Sachverständigen Dr. I beruhten. Letztlich ergibt aber die Beweiswürdigung und auch ihr Abschlusssatz, dass diese Über-zeugung allein auf dem Sachverständigengutachten beruht. Insoweit werden zwar einige Gesichts- bzw. Kopfmerkmale wiedergegeben, die Sachverständige bei Abgleich mit dem Messfoto gefunden haben will. Die Merkmale wiesen „ein große Ähnlichkeit“ auf.  Insgesamt habe der Sachverständige die Identität des Betroffenen mit der Person auf dem Radarfoto als „sehr wahrscheinlich“ eingeordnet und die von der Verteidigung ins Spiel gebrachte Alternativfahrerin als höchstwahrscheinlich nicht identisch mit dieser Person bezeichnet. Dies reicht nicht aus, um das Rechtsbe-schwerdegericht in den Stand zu versetzen, die Ausführungen des Sachverständigen überprüfen zu können. So bleibt schon unklar, was mit den Formulierungen „große Ähnlichkeit“ oder „sehr wahrscheinlich“ gemeint ist. Nachvollziehbar begründete Wahrscheinlichkeitsaussagen fehlen. Hinzu kommt, dass die Beweiswürdigung ureigene Aufgabe des Tatrichters ist (vgl. § 261 StPO): Hier fehlt es aber schon an einer solchen eigenen Beweiswürdigung des Tatrichters. Die Urteilsgründe beschränken sich darauf, die Angaben des Sachverständigen wiederzugeben und abschließend zu bemerken, dass das „Gericht aufgrund der Feststellungen des Sachverständigen“ von der Täterschaft des Betroffenen überzeugt sei.
 
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass die o.g. Dar-legungsanforderungen nur für den Fall gelten, dass sich der Tatrichter für seine Überzeugungsbildung von der Täterschaft (allein) auf ein Sachverständigen-gutachten stützt. Verschafft er sich aufgrund eigener Wahrnehmung von der Person den Betroffenen (oder eines Fotos) und einem Abgleich mit dem Radarfoto eine solche Überzeugung, gelten sie nicht. Vielmehr müssen dann die Urteilsgründe so gefasst sein, dass das Rechtsbeschwerdegericht überprüfen kann, ob das jeweilige Lichtbild überhaupt geeignet ist, die Identifizierung einer Person zu ermöglichen. Diese Forderung kann der Tatrichter dadurch erfüllen, dass er - wie hier - in den Urteilsgründen gemäß § 71 Abs. 1 OWiG i. V. m. § 267 Abs. 1 S. 3 StPO (ausdrücklich) auf das sich in der Verfahrensakte befindliche Lichtbild Bezug nimmt. Durch die Bezugnahme, welche deutlich und zweifelsfrei zum Ausdruck gebracht werden muss, wird das Lichtbild zum Bestandteil der Urteilsgründe und das Rechtsbeschwerdegericht hat insoweit die Möglichkeit, das Lichtbild aus eigener Anschauung zu würdigen und zu beurteilen, ob es als Grundlage einer Identifizierung generell tauglich ist (BGH NJW 1996, 1420 m. w. N.). Macht der Tatrichter von dieser Möglichkeit Gebrauch, so sind darüber hinaus keine weiteren Ausführungen zur Beschreibung des abgebildeten Fahrzeugführers oder aussagekräftiger Identi-fizierungsmerkmale in den Urteilsgründen erforderlich. Dies setzt allerdings voraus, dass das Lichtbild zur Identifizierung des Betroffenen uneingeschränkt geeignet ist (BGH a. a. O.). Ist das Lichtbild aufgrund seiner Qualität und seines Inhalts zur Identifizierung uneingeschränkt geeignet, kann von dem Betroffenen im Rahmen der Rechtsbeschwerde nicht gerügt werden, dass er entgegen der Überzeugung des Tatrichters nicht mit der auf dem jeweiligen Lichtbild abgebildeten Person identisch sei. Eine Überprüfung der tatrichterlichen Überzeugung ist dem Rechtsbeschwerde-gericht grundsätzlich untersagt (BGH NJW 1996, 1420; NJW 1979, 2318). Dies folgt auch daraus, dass eine solche Überprüfung eine Inaugenscheinnahme des Betroffenen voraussetzte, was aber ohne eine unzulässige (teilweise) Rekonstruktion der Hauptverhandlung nicht möglich wäre (OLG Hamm, Beschl. v. 11.04.2016 –     III-4 RBs 74/16 – juris).
 

Oberlandesgericht Hamm, Beschluss  vom 22.06.2017 - 4 RBs 216/17 

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