Mittäterschaft beim Fahrzeugklau - nicht so einfach, wie man denkt!

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 22.08.2017
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht|2350 Aufrufe

Der BGH hat sich gerade damit befasst, wie man eigentlich zum Mittäter eines Fahrzeugdiebstahls wird. Der Angeklagte kam nach Deutschland und sollte für 500 Euro ein unmittelbar zuvor geklautes Fahrzeug nach Polen bringen. Das LG hatte Mittäterschaft angenommen. Der BGH ist da kritischer:

Das Landgericht hat den Angeklagten – nach vorläufiger Einstellung des
Verfahrens hinsichtlich der Fälle 1 bis 8 gemäß § 154 Abs. 2 StPO sowie nach
Einstellung des Verfahrens durch Prozessurteil hinsichtlich der Fälle 38, 39, 41
bis 43 wegen des Verfahrenshindernisses der Spezialität (richtig: Vollstreckungshindernis,
vgl. Senat, Beschluss vom 16. November 2016
2 StR 246/16, NStZ-RR 2017, 116 mwN) – wegen Diebstahls in drei tateinheitlichen
Fällen zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt und eine Entscheidung
über den Anrechnungsmaßstab für die in Litauen erlittene Auslieferungshaft
getroffen. Die dagegen gerichtete, auf die unausgeführte Sachrüge
gestützte Revision des Angeklagten hat Erfolg. Der Tatrichter hat die Annahme
mittäterschaftlichen Handelns des Angeklagten hinsichtlich der zur Tateinheit
52 StGB) verbundener Diebstähle dreier Kraftfahrzeuge nicht tragfähig belegt.

1. a) Nach den Feststellungen reiste der Angeklagte am 7. Dezember
2015 gemeinsam mit dem gesondert verfolgten P. und einer weiteren, unbekannt
gebliebenen männlichen Person mit dem Zug von Litauen über Polen
nach Deutschland ein, um „zwei bis drei“ wertvolle Kraftfahrzeuge zu entwenden
und sie unmittelbar nach ihrer Entwendung nach Litauen zu verbringen. Die
Beteiligten kamen überein, dass der Angeklagte das erste der zu entwendenden
Kraftfahrzeuge über Polen nach Litauen fahren und hierfür eine Entlohnung
in Höhe von 500,00 Euro erhalten sollte. Aufgrund dieser Abrede „wusste der
Angeklagte, dass der gesondert verfolgte P. und die männliche, unbekannt
gebliebene Person die Fahrzeuge entwenden würden. Ihm war gleichzeitig bewusst,
dass ohne sein Mitwirken die geplante Entwendung von zwei bis drei
Fahrzeugen nicht möglich sein würde. Denn jeder der drei Beteiligten sollte eines
der zu Stehlen beabsichtigten Fahrzeuge nach Litauen fahren“. Der Angeklagte
erhielt von einem seiner Begleiter ein „Arbeitshandy“ ausgehändigt, über
das er später Anleitungen für die genaue Fahrtroute nach Litauen erhalten sollte.

In Ausführung dieses Tatentschlusses entwendete der gesondert Verfolgte
P. und die zweite, unbekannt gebliebene männliche Person am
8. Dezember 2015 gegen 1.00 Uhr in W. einen Pkw BMW 740d xDrive
im Wert von mindestens 35.000 Euro. Der Angeklagte wartete während des
Diebstahls absprachegemäß an einer Kreuzung in der Nähe des Tatorts. Etwa
zwei bis drei Minuten nach dem Diebstahl wurde dem Angeklagten das „bereits
gestartete“ Fahrzeug übergeben. Er stieg in das Fahrzeug ein und fuhr davon.
Der gesondert verfolgte P. und der weitere Täter entwendeten „im unmittelbaren
Anschluss“ noch zwei weitere Kraftfahrzeuge, einen BMW 530d sowie
einen BMW 535xd im Gesamtwert von rund 80.000,00 Euro und fuhren mit
ihnen davon.

b) Das Landgericht hat angenommen, dass der Angeklagte als Mittäter
der drei zur Tateinheit (§ 52 StGB) verbundenen Fahrzeugdiebstähle anzusehen
sei. Nach seiner teilgeständigen Einlassung sei zu Beginn der Reise noch
unklar gewesen, wer welchen konkreten Tatbeitrag erbringen solle. Daraus folge,
dass der Angeklagte nicht nur zum Abtransport, sondern auch zur Entwendung
der Fahrzeuge bereit gewesen sei. Der Abtransport des (ersten) Fahrzeugs
durch den Angeklagten sei für den Taterfolg wesentlich gewesen, da ohne
seine Mitwirkung die beiden weiteren Fahrzeuge nicht hätten entwendet
werden können. Dies, so das Landgericht, habe dem Angeklagten „bewusst
sein müssen“, da ihm die Technik des Kraftfahrzeugdiebstahls – die Entwendung
von mit einem so genannten „Keyless-Go-System“ ausgestatteten Kraftfahrzeugen
unter Einsatz eines „Funkwellenverlängerers“ – bekannt gewesen
sei. Er habe auch ein erhebliches eigenes Interesse am Taterfolg gehabt, weil
er „für den Abtransport des ersten Fahrzeugs“ 500,00 Euro habe erhalten sollen.

2. Diese Feststellungen und Erwägungen tragen die Annahme von Mittä-
terschaft nicht.

a) Mittäterschaft im Sinne des § 25 Abs. 2 StGB setzt einen gemeinsamen
Tatentschluss voraus, auf dessen Grundlage jeder Mittäter einen objektiven
Tatbeitrag leisten muss. Bei der Beteiligung mehrerer Personen, von denen
nicht jede sämtliche Tatbestandsmerkmale verwirklicht, ist Mittäter, wer seinen
eigenen Tatbeitrag so in die Tat einfügt, dass dieser als Teil der Handlung eines
anderen Beteiligten und umgekehrt dessen Handeln als Ergänzung des eigenen
Tatanteils erscheint. Mittäterschaft erfordert dabei zwar nicht zwingend eine
Mitwirkung am Kerngeschehen selbst; ausreichen kann auch ein die Tatbestandsverwirklichung
fördernder Beitrag, der sich auf eine Vorbereitungs- oder
Unterstützungshandlung beschränkt. Stets muss sich diese Mitwirkung aber
nach der Willensrichtung des sich Beteiligenden als Teil der Tätigkeit aller darstellen.
Ob ein Beteiligter ein so enges Verhältnis zur Tat hat, hat der Tatrichter
aufgrund einer wertenden Gesamtbetrachtung aller festgestellten Umstände zu
prüfen. Wesentliche Anhaltspunkte können dabei der Grad des eigenen Interesses
am Taterfolg, der Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft oder
wenigstens der Wille zur Tatherrschaft sein, so dass die Durchführung und der
Ausgang der Tat maßgeblich auch vom Willen des Betreffenden abhängen (st.
Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom 23. Mai 2017 – 4 StR 617/16, juris Rn. 13;
vom 22. März 2017 – 3 StR 475/16, juris Rn. 12; Urteil vom 17. Oktober 2002
3 StR 153/02, NStZ 2003, 253, 254; Beschluss vom 2. Juli 2008 – 1 StR
174/08, NStZ 2009, 25, 26).

b) Gemessen hieran begegnet die Annahme mittäterschaftlichen Handelns
des Angeklagten durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Allein die festgestellte
vorherige Kenntnis des Angeklagten von der Tat und sein Wille, diese
als gemeinsame anzusehen, kann eine Mittäterschaft nicht begründen
(vgl.
BGH, Beschluss vom 29. September 2015 – 3 StR 336/15, NStZ-RR 2016, 6, 7;
vgl. aber auch BGH, Urteil vom 15. Juli 1999 – 5 StR 155/99, NStZ 1999, 609,
610; MüKoStGB/Joecks, 3. Aufl., § 25 Rn. 27 ff.). Soweit das Landgericht in den
festgestellten Tatbeiträgen des Angeklagten – der im Vorfeld der Tat erfolgten
Zusage, das erste der entwendeten Kraftfahrzeuge zu übernehmen und nach
Litauen zu überführen sowie der unmittelbar nach der Entwendung des ersten
Fahrzeugs erfolgten Übernahme und des Fahrtantritts in Richtung Litauen – die
Tatbestandsverwirklichung fördernde Tatbeiträge angesehen hat, begegnet
dies zwar für sich genommen keinen Bedenken. Das Landgericht hat jedoch
nicht erkennbar geprüft, ob der an einer Kreuzung in Tatortnähe wartende An-
geklagte Tatherrschaft oder jedenfalls den Willen zur Tatherrschaft hatte. Dies
verstand sich vorliegend in Ansehung aller Umstände des Einzelfalls nicht von
selbst. Hinzu tritt, dass der Tatrichter nicht erkennbar in seine Erwägungen einbezogen
hat, dass der Angeklagte sich nach Übergabe des ersten Fahrzeugs
mit diesem vom Tatort entfernt hat und die Ausführung der weiteren Diebstähle
– soweit ersichtlich – seinem Einfluss und seinem Willen entzogen waren. Zwar
hat das Landgericht – im rechtlichen Ansatzpunkt zutreffend – in seine Erwä-
gungen eingestellt, dass der Angeklagte ein erhebliches eigenes Tatinteresse
hatte, und dies damit begründet, dass er „für den Abtransport des ersten Fahrzeugs“
eine Entlohnung in Höhe von 500,00 Euro erhalten sollte. Damit ist ein
erhebliches Eigeninteresse des Angeklagten an der Entwendung auch der beiden
weiteren Kraftfahrzeuge jedoch nicht belegt. Darüber hinaus hat das Landgericht
nicht erkennbar in seine Erwägungen eingestellt, dass der Angeklagte
von P. und dem unbekannt gebliebenen weiteren Täter ein so genanntes
Arbeitshandy ausgehändigt erhielt, über das ihm Anweisungen für die Rückreise
erteilt werden sollten; dies hätte in die gebotene umfassende Abwägung aller
für und gegen eine Mittäterschaft sprechenden Umstände eingestellt werden
müssen.
Schließlich ist die tatrichterliche Annahme, dass die drei Diebstähle im
Verhältnis der Tateinheit zueinander stehen, nicht tragfähig belegt. Das Landgericht
hat seine Auffassung nicht näher begründet. Zwar kommt die Annahme
von drei im Verhältnis der Tateinheit zueinander stehender Taten des Diebstahls
in Betracht, wenn zwischen allen drei Taten ein unmittelbarer räumlicher
und zeitlicher Zusammenhang bestand, aufgrund dessen sich das gesamte Tä-
tigwerden bei natürlicher Betrachtungsweise als einheitliches Tun erweist
(BGH, Beschluss vom 31. Mai 2016 – 3 StR 54/16, NStZ-RR 2016, 274, 275;
Beschluss vom 27. Juni 1996 – 4 StR 166/96, NStZ 1996, 493, 494). Anhaltspunkte
dafür, dass der Angeklagte und die beiden weiteren Täter alle drei Fahr-
zeuge vorab als Tatobjekte ausgekundschaftet und sich zur Entwendung dieser
Kraftfahrzeuge entschlossen hatten, sind – ungeachtet des Umstands, dass
dies in Ansehung der organisiert wirkenden Gesamtumstände der Tat nicht fern
liegt – nicht festgestellt. Darüber hinaus ist den Urteilsgründen zwar zu entnehmen,
dass, allerdings nur die beiden ersten Kraftfahrzeuge, in ein und derselben
Straße entwendet worden sind. Ob damit in räumlicher und in zeitlicher
Hinsicht ein ausreichend enger Zusammenhang hinsichtlich aller drei Diebstähle
gegeben ist, der die Annahme von Tateinheit belegt, hätte jedoch näherer
Feststellung und Erörterung bedurft. Die Annahme von Tateinheit kann sich in
der vorliegenden Fallkonstellation zum Nachteil des Angeklagten auswirken und
deshalb nicht zu seinen Gunsten unterstellt werden. 

BGH, Beschl. v. 11.7.2017 - 2 StR 220/17 -

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