Da half auch das BVerwG nicht: Klage gegen Tempo-30-Zone erfolglos

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 02.11.2017
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht3|3203 Aufrufe

Der Sachverhalt:

Der Kläger wendet sich gegen die Anordnung einer Tempo 30-Zone für ein Teilstück der F. Straße auf der Gemarkung der Beklagten. Die Straße zweigt in Ortslage von einer Bundesstraße in südwestlicher Richtung ab, quert nach ca. 150 m eine Bahnlinie und mündet an einem Thermalbad in eine Landesstraße ein. Die F. Straße hat eine Fahrbahnbreite von etwa 5,5 m; entlang ihrer Südostseite verläuft ein von der Fahrbahn nur durch ein Niederbord abgetrennter Gehweg von etwa 1,5 m Breite. Zwischen der Bundesstraße und dem Bahnübergang befindet sich beidseits der F. Straße auch Wohnbebauung. Nach Hinweisen von Anwohnern auf die Gefährdung von Fußgängern durch Kraftfahrzeuge, die bei Begegnungsverkehr auf den Gehweg auswichen, traf die Beklagte am 2. September 2011 die straßenverkehrsrechtliche Anordnung, in Verbindung mit der bereits bestehenden Tempo 30-Zone im angrenzenden Wohngebiet auch in der F. Straße zwischen der Bahnlinie und der Bundesstraße wieder eine Tempo 30-Zone einzurichten (Zeichen 274.1/274.2 zu Beginn der F. Straße rund 10 m nach der Abzweigung von der Bundesstraße und in Gegenrichtung rund 10 m vor der Eisenbahnlinie). Die Tempo 30-Zone wurde am 13. Oktober 2011 eingerichtet. Den Widerspruch des Klägers, der die F. Straße regelmäßig befährt, um das Thermalbad zu besuchen, wies das Regierungspräsidium Tübingen zurück. Die Klage hiergegen ist in den Vorinstanzen jeweils ohne Erfolg geblieben.

Nun musste das BVerwG ran. 

Die Entscheidungsleitsätze:

1. Für die Einordnung als Straße des überörtlichen Verkehrs im Sinne von § 45 Abs. 1c Satz 2 Alt. 1 StVO ist die Klassifizierung als Bundes-, Landes- oder Kreisstraße maßgeblich. Auf das tatsächliche Verhältnis von Durchgangs- und Anliegerverkehr kommt es insoweit nicht an. 

2. Jedenfalls seit der Neufassung von § 45 Abs. 9 StVO durch die Erste Verordnung zur Änderung der Straßenverkehrs-Ordnung vom 30. November 2016 (BGBl. I S. 2848) ist § 45 Abs. 9 Satz 1 StVO auch bei der Anordnung einer Tempo 30-Zone nach § 45 Abs. 1c StVO anzuwenden. 

3. Die Anordnung einer Tempo 30-Zone ist aufgrund der besonderen Umstände zwingend erforderlich im Sinne von § 45 Abs. 9 Satz 1 StVO, wenn die allgemeinen und besonderen Verhaltensregeln der Verordnung nicht ausreichen, um die mit der Anordnung bezweckten Wirkungen zu erreichen. 
 

BVerwG Beschl. v. 1.9.2017 – 3 B 50.16, BeckRS 2017, 127653

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3 Kommentare

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So belanglos, wie die Überschrift dieses Beitrags es andeutet, ist der Beschluss nicht. Vielmehr hat er mit dem Leitsatz 2 erhebliche (politische und juristische) Sprengkraft, da nun erstmals alle extra aus der Beurteilung nach § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO ausgenommenen Beschränkungen des fließenden Verkehrs an § 45 Abs. 9 Satz 1 StVO gemessen werden können. Ob das Sinn macht, kann man sich bei einzelnen Ziffern des Satzes 4 fragen.

Man kann sich allerdings überhaupt fragen, was § 45 Abs. 9 StVO in der heutigen Form soll. In der Fassung von 1997 hat er gutes Richterrecht in die StVO geholt. Aber mit immer mehr eigentümlichen Urteilen zu Tempo 30-Zonen usw., denen die Verkehrsminister unbedingt entgegentreten wollten, wurde die Wirkung des § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO immer weiter eingeschränkt und die Entschilderungsnorm immer mehr zu einer Bleiwüste. Die Ergebnisse von Klageverfahren gegen Verkehrsschilder werden damit immer weniger vorhersagbar und der Schilderwald so nicht kleiner. Aber klar ist nun auch, daß diese Bleiwüste seit 2017 eher dürr und ihr Ertrag inzwischen eher gering ist.

Dr. Frank Bokelmann

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Gast schrieb:

So belanglos, wie die Überschrift dieses Beitrags es andeutet, ist der Beschluss nicht. Vielmehr hat er mit dem Leitsatz 2 erhebliche (politische und juristische) Sprengkraft, da nun erstmals alle extra aus der Beurteilung nach § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO ausgenommenen Beschränkungen des fließenden Verkehrs an § 45 Abs. 9 Satz 1 StVO gemessen werden können.

In der Tat. Das VG Hannover hat im Januar 2018 die vermutlich erste außerörtliche Radwegbenutzungspflicht nach der Neufassung des § 45 Abs. 9 StVO geknickt, weil die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 45 Abs. 9 Satz 1 StVO nicht vorlagen. Auf die qualifizierte Gefahr nach Satz 3, dessen Anwendung der Normgeber mit dem neu eingefügten Satz 4 Nr. 3 explizit ausschließen wollte, kam es in dem Fall gar nicht an. Der gesetzgeberische Schnellschuss vom Sommer/Herbst 2016 ging insoweit nach hinten los.

V. Holsten schrieb:

In der Tat. Das VG Hannover hat im Januar 2018 die vermutlich erste außerörtliche Radwegbenutzungspflicht nach der Neufassung des § 45 Abs. 9 StVO geknickt, weil die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 45 Abs. 9 Satz 1 StVO nicht vorlagen. Auf die qualifizierte Gefahr nach Satz 3, dessen Anwendung der Normgeber mit dem neu eingefügten Satz 4 Nr. 3 explizit ausschließen wollte, kam es in dem Fall gar nicht an. Der gesetzgeberische Schnellschuss vom Sommer/Herbst 2016 ging insoweit nach hinten los.

Richtigerweise sollten die Länder, die für die meisten Chaosradwege verantwortlich sind (entweder direkt als Baulastträger an Landesstraßen oder ausführende Körperschaft an Bundesstraßen bzw. indirekt im Wege der Fachaufsicht über die Kreise und Gemeinden) nach 20 Jahren offener Rebellion gegen die StVO einfach mal anfangen, die Radwege auf das notwendige Maß einzukürzen und diese notwendigen Radwege dann vernünftig zu unterhalten anstatt die StVO mit wirkungslosen Sonderlocken zu verzieren (hier: § 45 Abs. 9 Satz 3 StVO). Denn ohne Klagen gibt es keine Richter und keine Urteile. Und außerorts gibt es meist so wenige Radfahrer und bei vernünftig angelegten und unterhaltenen Radwegen so wenig Probleme für diese Radfahrer, dass Klagen, denen man mit einer Änderung der StVO das Wasser abgraben muss, nicht vorkommen müssten bzw. von vornherein ohne Erfolgsaussicht wären.

Aber die Länder wollten ja wieder mal ganz schlau sparen.

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