Richtigkeit einer juristischen Fachübersetzung: Teil Eins

von Peter Winslow, veröffentlicht am 02.11.2017

Eine juristische Fachübersetzung ist in notwendigem, aber nicht in hinreichendem Sinne richtig, wenn sie bestimmte Anforderungen der DIN ISO EN 17100 erfüllt, welche ein Mindestmaß an Anforderungen an Übersetzungsdienstleistungen im Allgemeinen vorschreibt. Dieses Mindestmaß besteht unter anderem in den sogenannten beruflichen Kompetenzen, über die Übersetzer und Übersetzerinnen verfügen sollten, und den Prozessen, denen jede Übersetzung unterzogen werden sollte. Also scheint der Begriff richtig in diesem Sinne mehr oder minder unproblematisch, weil er ausschließlich im Zusammenhang mit den in einer internationalen Norm festgehaltenen Anforderungen zu verstehen ist.

Dabei kommt dieses Verständnis einer Art Wahrscheinlichkeit gleich, die anhand des (Nicht-)Vorliegens der beruflichen Kompetenzen und der (Nicht-)Einhaltung der Prozesse festgestellt wird. Allgemein gilt: Je kompetenter der Übersetzer/die Übersetzerin ist und je effektiver die übersetzungsrelevanten Prozesse eingehalten werden, desto wahrscheinlicher ist es, dass eine juristische Fachübersetzung richtig ist. …

Auf der Kompetenzseite sind juristische Fachübersetzungen mit größer Wahrscheinlichkeit richtig, wenn deren ausführenden Übersetzer und Übersetzerinnen über die folgenden sechs beruflichen Kompetenzen verfügen: (1) »übersetzerische Kompetenz«, (2) »sprachliche und textliche Kompetenz in der Ausgangs- und Zielsprache«, (3) »Kompetenz beim Recherchieren, bei der Informationsgewinnung und -verarbeitung«, (4) »kulturelle Kompetenz«, (5) »technische Kompetenz« und (6) »Sprachgebietskompetenz«.

Auf der Prozessseite sind diese Übersetzungen mit größer Wahrscheinlichkeit richtig, wenn sie bestimmten Prozessen unterliegen und – um auf das Kafkaeske an der dieser Norm zugrundeliegenden Annahme hinzudeuten – wenn keine »menschlichen Fehler« durch »Ungeduld« und »ein vorzeitiges Abbrechen des Methodischen« in die jeweilige Fachübersetzung Eingang finden. … Zu diesen Prozessen gehören mindestens und insbesondere Übersetzung, Kontrolle und Revision. Der Prozess Übersetzung bezeichnet die Erstellung des Erstentwurfs einer Übersetzung. Der Prozess Kontrolle bezeichnet die Erstellung des Zweitentwurfs aufgrund einer durch den Übersetzer/die Übersetzerin selbst vorgenommenen Prüfung. Und der Prozess Revision bezeichnet die durch eine andere qualifizierte Person (einen Revisor/eine Revisorin) vorgenommene Prüfung des Zweitentwurfs. In der Praxis kann die Übersetzung dann entweder durch den Übersetzer/die Übersetzerin selbst oder durch den Revisor/die Revisorin finalisiert werden.

Diese Kompetenzen und Prozesse sollten zudem in zumutbarer Weise vorliegen und eingehalten werden, auch wenn ein Übersetzungsdienstleister nicht nach DIN ISO EN 17100 zertifiziert ist. Mit anderen Worten: Sollte der Übersetzungsdienstleister ein Einzelkämpfer sein, so sollte er über sämtliche beruflichen Kompetenzen verfügen und seine Dienstleistungen mindestens den Prozessen Übersetzung und Kontrolle unterziehen. Aber sollte der Übersetzungsdienstleister eine Agentur sein, so sollten ihre Übersetzer und Übersetzerinnen sowohl über sämtliche beruflichen Kompetenzen verfügen als auch ihre Dienstleistungen mindestens den drei vorstehenden Prozessen unterziehen.

Für die Richtigkeit einer juristischen Fachübersetzung ist also die Erfüllung dieser Anforderungen notwendig, aber nicht hinreichend, weil diese Anforderungen lediglich allgemeiner Natur sind. Sie führen zu einer (zweifelsohne wichtigen) Wahrscheinlichkeitsfeststellung über die kompetenz- und prozessbezogene Richtigkeit, die einer Übersetzung innewohnen könnte und sollte. Sie führen aber nicht zu einer Aussage im Hinblick auf konkrete Übersetzungsfragen, also nicht zu einer Aussage im Hinblick auf die Richtigkeit übersetzter Wörter, Sätze und Dokumente im Einzelnen. Diese letztere Art der Richtigkeit ist m. E. komplizierter und problematischer als die kompetenz- und prozessbezogene Art. ...

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2 Kommentare

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Hallo [Rw],

vielleicht werde ich diese drei Fragen bereuen, aber ich hätte gerne verstehen können, was Sie meinen:

1) Was ist an meiner Prosa unklar und undeutsch?

2) Was hätte ich klarer formulieren können und sollen?

3) Wie hätte ich die Prosa deutscher schreiben können und sollen?

MfG
PW

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