Jede Wette: Diesen BGH-Fall gibt es bald im Staatsexamen

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 14.12.2017
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht1|39666 Aufrufe

Der Sachverhalt ist überschaubar: Der Angeklagte stößt das Opfer vor der Geldentnahme am Geldautomaten weg...und nimmt das Geld selbst! Raub? Oder räuberische Erpressung? Man kann den Fall abwandeln oder ausbauen. Und der Strafrechtler hat das Gefühl, auch noch Zivilrecht zu können. Ich denke, dass das also eine Entscheidung ist, die man in Klausuren/mündlichen Prüfungen wiedersehen wird:

Das Landgericht hat den Angeklagten M. wegen räuberischer
Erpressung in drei Fällen, räuberischen Diebstahls in zwei Fällen, Erpressung,
Betruges in vier Fällen und Diebstahls in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe
von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Außerdem hat es ihn aufgrund
seines Anerkenntnisses verurteilt, an den Adhäsionskläger 5.767 Euro
nebst Zinsen zu zahlen. Die Angeklagte P. hat das Landgericht wegen
Betruges zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je fünfzehn Euro verurteilt.
Gegen den strafrechtlichen Teil des Urteils richten sich die Revisionen der
Angeklagten jeweils mit der Sachrüge. Die Rechtsmittel sind unbegründet im
Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

I.
Der Erörterung bedarf nur die rechtliche Würdigung im Fall II.11 der
Urteilsgründe, der allein den Angeklagten M. betrifft.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts begab sich der Angeklagte
am 6. März 2016 gegen 5.45 Uhr in die Filiale der Sparkasse A. . Auch der
Zeuge B. betrat diese Filiale, um am Bankautomaten Geld abzuheben. Der
Angeklagte verwickelte ihn in ein Gespräch. Nachdem der Zeuge B. seine
Bankkarte in den Automaten eingeschoben und seine Geheimnummer eingegeben
hatte, stieß ihn der Angeklagte von dem Automaten weg, wählte einen
Auszahlungsbetrag von 500 Euro und entnahm das vom Geldautomaten ausgegebene
Bargeld, um sich zu Unrecht zu bereichern.
Der Zeuge B. forderte die Herausgabe des Geldes, worauf der Angeklagte
ihm bedeutete, er solle sich ruhig verhalten und keinen Ärger machen. Er
werde sein Geld zurückbekommen, wofür er ihm lediglich bis zum Hauptbahnhof
folgen müsse. Er könne ihn aber auch boxen. Dies verstand der Zeuge B.
als Androhung von Schlägen. Nachdem beide die Sparkassenfiliale verlassen
hatten und der Zeuge B. ein Angebot des Angeklagten, ihm Drogen zu
verkaufen, abgelehnt hatte, entfernte sich der Angeklagte mit dem Geld.
2. Das Landgericht hat ausgeführt, der Angeklagte habe sich der
räuberischen Erpressung schuldig gemacht. Raub komme nicht in Betracht. Die
Geldausgabe sei aufgrund einer ordnungsgemäßen Bedienung des Automaten
erfolgt, weshalb nicht der Gewahrsam der Bank an den Geldscheinen gebrochen
worden sei. Der Zeuge B. habe zurzeit des Ergreifens der Geldscheine
durch den Angeklagten noch keinen eigenen Gewahrsam begründet gehabt.

II.
Diese rechtliche Wertung ist nicht zu beanstanden.

1. Raub gemäß § 249 Abs. 1 StGB liegt nicht vor.

a) Die Geldscheine waren allerdings für den Angeklagten fremde bewegliche
Sachen; denn sie standen im Eigentum der Sparkasse. Diese hat die
Geldscheine auch nicht durch Ausgabe am Automaten konkludent an den
Angeklagten übereignet.
Adressat des mit dem Ausgabevorgang verbundenen Einigungsangebots
ist nach den vertraglichen Beziehungen zwischen Kontoinhaber und Geldinstitut
und der Interessenlage der Kontoinhaber, nicht aber ein unberechtigter Benutzer
des Geldautomaten. Dies gilt auch dann, wenn eine technisch ordnungsgemäße
Bedienung des Automaten vorangegangen ist (vgl. Erman/Bayer,
BGB, 15. Aufl., § 929 Rn. 37; MünchKomm-HGB/Haertlein, 3. Aufl., Teil E.
Bankkartenverfahren, Rn. E 125; Jungwirth, MDR 1987, 537, 539 f.; BeckOKBGB/Kindl,
43. Ed., § 929 Rn. 19; Staudinger/Wiegand, BGB, 2017, § 929
Rn. 94).

Bei der Auslegung der konkludenten rechtsgeschäftlichen Erklärung der
Sparkasse müssen die Interessen und Zwecke, die mit einer dinglichen Einigung
verfolgt werden, berücksichtigt werden. Das Geldinstitut hat keinen
Anlass, das in seinem Automaten befindliche Geld an einen unberechtigten
Benutzer der Bankkarte und der Geheimzahl des Kontoinhabers zu übereignen
(vgl. BGH aaO, BGHSt 35, 158, 161 f.). Sein Übereignungsangebot richtet sich
erkennbar nur an den Kontoinhaber, der hier das Angebot nicht angenommen
hat. Das Eigentum an den Geldscheinen verblieb demnach bei der Sparkasse.

b) Der Angeklagte hat die fremden Geldscheine aber nicht im Sinne des
Raubtatbestands weggenommen.

Wegnahme ist der „Bruch“ fremden und die Begründung neuen Gewahrsams
(vgl. BGH, Beschluss vom 16. Dezember 1987 – 3 StR 209/87, BGHSt
35, 152, 158). Ein Bruch des fremden Gewahrsams liegt aber nur vor, wenn der
Gewahrsam gegen oder ohne den Willen des Inhabers aufgehoben wird. Dies
war bei der Herausnahme der Geldscheine durch den Angeklagten aus dem
Geldausgabefach des Automaten nicht der Fall. Wird der Geldautomat technisch
ordnungsgemäß bedient, erfolgt die tatsächliche Ausgabe des Geldes mit
dem Willen des Geldinstituts. Dessen Gewahrsam wird nicht gebrochen
(vgl.
BGH aaO, BGHSt 35, 152, 158 ff.; Senat, Urteil vom 22. November 1991
– BGHSt 38, 120, 122; Fischer, StGB, 64. Aufl., § 242 Rn. 26; NKStGB/Kindhäuser,
5. Aufl., § 242 Rn. 51; MünchKomm-StGB/Schmitz, 3. Aufl.,
§ 242 Rn. 104; a.A. Jungwirth, MDR 1987, 537, 540). Insoweit ist der tatsächliche
Vorgang der Gewahrsamspreisgabe auch von dem rechtsgeschäftlichen
Angebot an den Kontoinhaber auf Übereignung zu unterscheiden (vgl. BGH
aaO, BGHSt 35, 152, 161).
Da der Zeuge B. keinen Gewahrsam an den Geldscheinen begründet
hatte, konnte auch dieser vom Angeklagten nicht gebrochen werden (vgl. KG,
Beschluss vom 16. Januar 2015 – [4] 161 Ss 240/14 [280/14]).

2. Der Angeklagte hat jedoch eine räuberische Erpressung begangen
(§ 253 Abs. 1 und 2, § 255 StGB).
Eine räuberische Erpressung begeht, wer rechtswidrig mit Gewalt gegen
eine Person oder unter Anwendung von Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr
für Leib oder Leben zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigt und
dadurch dem Vermögen des Genötigten oder eines anderen Nachteil zufügt,
um sich oder einen Dritten zu Unrecht zu bereichern. Auf eine Vermögensverfügung
des Geschädigten kommt es als Nötigungserfolg nicht an (st. Rspr.; vgl.
BGH, Urteil vom 17. März 1955 – 4 StR 8/55, BGHSt 7, 252, 255).
Der Angeklagte hat durch Wegstoßen des Zeugen B. vom Geldautomaten
Gewalt gegen diesen angewendet. Dadurch hat er diesen gezwungen,
die Eingabe des Auszahlungsbetrages in den Geldautomaten und die Herausnahme
der dem Zeugen zur Übereignung angebotenen Geldscheine zu dulden.
Der Zeuge hat dabei einen Vermögensschaden erlitten; denn einerseits wurde
sein Konto automatisch mit dem Ausgabebetrag belastet, andererseits hat er
die ihm von der Sparkasse zur Übereignung angebotenen Geldscheine nicht
erhalten. Der Angeklagte hat mit der Absicht rechtswidriger Bereicherung,
ferner rechtswidrig und schuldhaft gehandelt und nach allem eine räuberische
Erpressung begangen.

3. Der Tatbestand der Unterschlagung tritt hinter § 253 Abs. 1, § 255
StGB zurück, denn er ist gemäß § 246 Abs. 1 StGB nur anzuwenden, wenn die
Tat nicht in anderen Vorschriften mit schwererer Strafe bedroht ist. 

BGH, Beschl. v. 16.11.2017 - 2 StR 154/17

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1 Kommentar

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Wirklich ein schöner Fall fürs Examen. Und wenn man (wie das Schrifttum) für § 253 StGB eine Vermögensverfügung verlangt, wird es hier mit der räub. Erpressung schwierig.

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