Praxisabgabe - der Einstieg in den Ausstieg

von Dr. Michaela Hermes, LL.M., veröffentlicht am 22.12.2017
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… will gut überlegt sein. Jeder vierte oder fünfte Haus- oder Facharzt möchte in den nächsten Jahren seine Praxis verkaufen. Dies geht aus einer Statistik der Kassenärztlichen Bundesvereinigung hervor. Gerade zum Ende des Jahres überlegen viele Ärzte, wie sie in der Zukunft die Weichen stellen sollen. Schwierig ist die Praxisabgabe seit dem Urteil des Bundessozialgerichts vom 04.05.2016 – B 6 KA 21/15 R (vgl. Blog Beitrag vom 12.01.2017) geworden.

Käufer und Verkäufer einer Arztpraxis müssen sich gut koordinieren. Sie stehen vor der Herausforderung das öffentlich-rechtliche Nachbesetzungsverfahren  mit dem privatrechtlichen Praxiskauf zu verbinden. Die Interessenslage ist komplex. Die übernehmenden Ärzte möchten eine oft risikoreiche Ausschreibung vermeiden. Ihnen ist daran gelegen, den Vertragsarztsitz möglichst schnell mit einem meist bereits schon feststehenden Bewerber nach zu besetzen. Die abgebenden Ärzte haben ein Interesse, einen möglichst hohen Preis zu erzielen und ohne Verzögerung auszuscheiden.

Durch die Entscheidung des BSG wird die Praxisübergabe zeitlich in die Länge gezogen. Viele Ärzte sind frustriert. Die Bundessozialrichter hatten entschieden, dass ein Arzt, der nach einem Praxisverkauf auf seine Zulassung zur Anstellung in der Berufsausübungsgemeinschaft (BAG) oder dem Medizinischen Versorgungszentrum (MVZ) verzichtet, dort drei Jahre als Angestellter tätig sein muss. Ausnahmen, die ein vorzeitiges Ausscheiden des Arztes rechtfertigen können, sieht das BSG nur, wenn der Arzt erkrankt oder aus „zwingenden Gründen seine Berufs- oder Lebensplanung“ ändern muss.

Verfahrensabläufe:

Die Zulassungsnachfolge kann mit oder ohne Ausschreibung des Vertragsarztsitzes erfolgen. Soll der Sitz ausgeschrieben werden, muss der Arzt einen Antrag auf Ausschreibung und Nachbesetzung seiner Zulassung stellen. Im Falle einer Ausschreibung  wird  der Praxiskäufer direkt auf den Sitz zugelassen. Er kann mit dem ausscheidenden Arzt individuell vereinbaren, ob letzterer noch als Angestellter arbeiten oder direkt in Rente gehen möchte. Die 3-Jahresfrist gilt nicht für ein Anstellungsverhältnis, das nach einer Ausschreibung eingegangen wurde. In Regionen, in denen es aufgrund der Arztknappheit nur einen Bewerber gibt, ist dies eine taugliche Alternative. 

Gibt es mehrere Bewerber, hat der Zulassungsausschuss zwar die Interessen der anderen BAG-Gesellschafter zu berücksichtigen. Doch kann unter Umständen ein anderer als der Wunschkandidat ausgewählt werden (vgl. hierzu § 103 Abs. 4 Satz 3, 4 SGB V).

Birgt dieses Verfahren für die Ärzte zu viele Unwägbarkeiten, kann die Nachbesetzung auch ohne Ausschreibung erfolgen. Hier muss der abgebende Vertragsarzt auf seine Zulassung zur Anstellung in der BAG verzichten. Nach der neuen BSG-Rechtsprechung muss die Anstellung 3 Jahre lang andauern. Eine vorzeitige Kündigung ist ausgeschlossen. Dies ist für Ärzte, die ein Leben lang freiberuflich tätig waren, eine große Umstellung. Möglich ist es aber, den Umfang der Tätigkeit innerhalb der 3 Jahre sukzessive zu reduzieren. Ein Jahr nach Beginn der Anstellung bei der BAG kann der Arbeitsumfang in den beiden nächsten Jahren um jeweils eine Viertelstelle vermindert werden.

Ein vollständiger Wechsel auf die Arztstelle des abgebenden Arztes durch einen neuen angestellten Arzt kann nun erst nach 3 Jahren erfolgen. 2-4 Quartale, je nach Spruchpraxis, muss der dann angestellte Nachfolger zunächst auf dieser Stelle ausharren. Dann kann der Nachfolger seine Arztstelle in eine Zulassung umwandeln. Die Aufnahme in die BAG ist damit geschafft.

Auch der Arzt, der seine Praxis in ein MVZ einbringen will, um in den Ruhestand zu gehen, verzichtet auf seine Zulassung zur Anstellung im MVZ. Gleichzeitig qualifiziert sich der Arzt als Gesellschafter im MVZ. Wie auch bei der Nachfolge in der BAG muss seine Anstellung im MVZ, so das BSG, mindestens 3 Jahre dauern. Erst dann ist ein kompletter Wechsel auf diese Arztstelle möglich.

Neue Entwicklungen

Die meisten Ärzte scheinen sich inzwischen mit der BSG-Rechtsprechung zu arrangieren. Wie aus einem Bericht der „Ärzte Zeitung“ vom 05.01.2018 hervorgeht, bieten immer mehr Ärzte ihre Praxis einem bestehenden MVZ an. Das ist insoweit für die Ärzte interessant als die übernehmenden MVZ oft Teilzeitmodelle anbieten, die über die vorgeschriebenen drei Jahre weitergeführt werden können. Dabei sind zunehmend die übernehmenden MVZ in reiner Klinik-Trägerschaft. Auf diese Weise profitieren auch die Krankenhäuser. Denn sie organisieren, so die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Westfalen-Lippe, „mit den Sitzen eine lukrative, hochspezialisierte fachärztliche Versorgung“ („Ärzte Zeitung“ vom 05.01.2018).

Bedeutung für die Ärzte

Am Ende ihres Arbeitslebens büßen viele Ärzte nun ein hohes Maß an Eigenständigkeit und Selbstverantwortung ein. Zwar ist die Befürchtung, als Angestellter wenig zufriedenstellende Arbeitsbedingungen vorzufinden, meist unbegründet. Zu gefragt ist die „Arbeitskraft Arzt“. Doch nach Angaben der KV Sachsen-Anhalt stünden inzwischen „20 bis 30 Prozent aller Arztsitze nicht mehr für die freiberufliche Tätigkeit zur Verfügung“ („Ärzte Zeitung“ vom 05.01.2018). Ein Trend, der sich durch die neue BSG-Rechtsprechung fortsetzt.

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