EuGH zur Übertragbarkeit des Urlaubsanspruchs - Fall "King"

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 28.12.2017
Rechtsgebiete: Bürgerliches RechtArbeitsrecht1|5234 Aufrufe

Die Urteile des EuGH in Sachen Schultz-Hoff (Urt. vom 20.1.2009 - C-350/06 ua., NZA 2009, 135) und KHS (Urt. vom 21.11.2011 - C-214/10, NZA 2011, 1333) haben das Urlaubsrecht bekanntlich ordentlich durcheinander gewirbelt. Jetzt setzt der EuGH in einem englischen Fall noch einen drauf: Hatte der Arbeitnehmer keine Möglichkeit, bezahlten Jahresurlaub zu nehmen, gibt es unionsrechtlich keine Ausschlussfrist, für die der Anspruch auf Urlaubsabgeltung rückwirkend geltend gemacht werden kann.

Im konkreten Fall war der Arbeitnehmer von 1999 bis 2012 aufgrund eines "Selbständigen-Vertrags ausschließlich gegen Provision" bei der Beklagten beschäftigt. Nach Eintritt in den Ruhestand begehrte und erreichte er die gerichtliche Feststellung, dass sein Vertragsverhältnis in Wahrheit ein Arbeitsverhältnis gewesen sei. Nunmehr verlangt er Urlaubsabgeltung

  1. für den Urlaub, den er erworben, aber zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses während des letzten Bezugsjahrs (2012/2013) nicht genommen hatte;
  2. für den Urlaub, den er zwischen 1999 und 2012 tatsächlich genommen hatte, der ihm aber nicht vergütet worden war;
  3. für den Urlaub, der ihm für seine gesamte Beschäftigungszeit zustand, den er aber nicht genommen hatte.

Der EuGH entscheidet:

1. Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung und das in Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankerte Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf sind dahin auszulegen, dass sie es im Fall einer Streitigkeit zwischen einem Arbeitnehmer und seinem Arbeitgeber über die Frage, ob der Arbeitnehmer Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub gemäß der erstgenannten Vorschrift hat, verbieten, dass der Arbeitnehmer seinen Urlaub zunächst nehmen muss, ehe er feststellen kann, ob er für diesen Urlaub Anspruch auf Bezahlung hat.

2. Art. 7 der Richtlinie 2003/88 ist dahin auszulegen, dass er einzelstaatlichen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten entgegensteht, nach denen es einem Arbeitnehmer verwehrt ist, Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub, die in mehreren aufeinanderfolgenden Bezugszeiträumen wegen der Weigerung des Arbeitgebers, diese Urlaubszeiten zu vergüten, nicht ausgeübt worden sind, bis zum Zeitpunkt der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses zu übertragen und gegebenenfalls anzusammeln.

EuGH, Urt. vom 29.11.2017 - C-214/16, NZA 2017, 1591 - King

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1 Kommentar

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In Deutschland zumindest ist die Entscheidung  des EuGH m.E. (zu Recht) nicht überwiegend kritisch aufgenommen worden. Nach § 2 Satz 2 i.V.m. § 7  Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) gilt, dass auch arbeitnehmerähnliche Selbständige in den Genuss von Mindesturlaub (oder später folgend einer Abgeltung) kommen. 

Spannend wäre allenfalls, ob bei einem ähnlichen Sachverhalt ein Arbeitsgericht womöglich alleine die Form der Vertragsgestaltung (also das Festhalten, dass keine Urlaubsansprüche bestehen) ausreichen lassen würde, um hier eine Art Rechtsmissbrauch des Arbeitgebers/Dienstherrn anzunehmen mit der Folge, dass der Urlaub auch bei uns über einen derart langen Zeitraum angesammelt werden könnte. 

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