BGH: "Hat sich der Angeklagte nun eingelassen oder nicht?!"

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 06.01.2018
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht|3935 Aufrufe

Verfahrensrügen sind nur selten erfolgreich. Hier hat es einmal wieder ein Verteidiger geschafft. Der Sachverhalt ist ganz einfach: Im Protokoll heißt es, der Angeklagte habe sich zur Sache eingelassen. Im Urteil dagegen, der Angeklagte habe sich nicht zur Sache eingelassen. Ich nehme einmal an, dass da die Protokollführung nicht richtig war...man weiß es aber nicht. Der BGH jedenfalls:

Die Revision beanstandet zu Recht, dass das Landgericht in seiner Beweiswürdigung
davon ausgegangen ist, der Angeklagte habe sich „zur Sache
nicht eingelassen“, obwohl er sich, was durch das Hauptverhandlungsprotokoll
bewiesen ist, am 10. Hauptverhandlungstag zur Sache eingelassen hat.

1. Die Rüge ist zulässig erhoben.
Entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts gehört der Inhalt der
Einlassung des Angeklagten in der Hauptverhandlung nicht zu den den Verfahrensmangel
begründenden Tatsachen im Sinne des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO
und musste deshalb in der Revisionsrechtfertigung auch nicht vorgetragen werden.
Den Inhalt der Sacheinlassung des Angeklagten in der Hauptverhandlung
festzustellen – in welcher Form auch immer diese erfolgt ist – ist Sache des
Tatrichters, der dafür bestimmte Ort sind die Urteilsgründe (vgl. BGH, Beschlüsse
vom 9. Dezember 2008 – 3 StR 516/08, BGHR StPO § 344 Abs. 2
Satz 2 Einlassung 1; vom 10. Dezember 2014 – 3 StR 489/14, NStZ 2015,
473).

2. Die Rüge hat auch in der Sache Erfolg.

a) Angesichts der durch das Hauptverhandlungsprotokoll bewiesenen
Tatsache (§ 274 StPO), dass der Angeklagte in der Hauptverhandlung vom
15. Dezember 2016 „weiter zur Sache“ aussagte, sind die Urteilsgründe
lückenhaft. Sie ermöglichen dem Senat nicht die Nachprüfung, ob der Tatrichter
bei der Urteilsfindung alles verwertet hat, was Gegenstand der Hauptverhandlung
war. Vielmehr ist zu besorgen, dass das Landgericht bei der Beweiswürdigung
die Einlassung des Angeklagten nicht mit berücksichtigt hat und seiner
Überzeugungsbildung deshalb eine tragfähige Grundlage fehlt (vgl. BGH, Be-
schlüsse vom 10. August 2007 – 2 StR 204/07, StV 2008, 235; vom 22. Juni
2017 – 1 StR 242/17).

b) Der Senat kann deshalb nicht ausschließen, dass das Urteil auf dem
Verstoß gegen § 261 StPO beruht. Der Inhalt der Einlassung des Angeklagten
ist wegen des Verbots, den Inhalt der Hauptverhandlung zu rekonstruieren, der
revisionsgerichtlichen Prüfung nicht zugänglich (vgl. BGH, Beschlüsse vom
14. August 2003 – 3 StR 17/03, BGHR StPO § 243 Abs. 4 Äußerung 8; vom
27. März 2008 – 3 StR 6/08, BGHSt 52, 175, 180; vom 9. Dezember 2008
3 StR 516/08, BGHR StPO § 344 Abs. 2 Satz 2 Einlassung 1; im Ergebnis
ebenso BGH, Beschluss vom 22. Juni 2017 – 1 StR 242/17).

BGH, Beschl. v. 27.9.2017 - 4 StR 142/17

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