BVerfG verhandelt in Sachen „Streikrecht für Beamte“

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 18.01.2018
Rechtsgebiete: Bürgerliches RechtArbeitsrecht3|4762 Aufrufe

der Verfasser dieser Zeilen ist Beamter und war bislang stets davon ausgegangen, dass er nicht streiken dürfe. Das könnte sich demnächst ändern, wenn das BVerfG mit der überkommenen Sichtweise bricht. Ob es dazu kommt, lässt sich nach der mündlichen Verhandlung vom 17.1.2018 schwer vorhersagen.

Verhandelt wurde über vier Verfassungsbeschwerden von beamteten Lehrkräfte an Schulen. Sie nahmen während der Dienstzeit (teils wiederholt) an Protestveranstaltungen beziehungsweise Streikmaßnahmen der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft teil. Diese Teilnahme wurde durch die zuständigen Disziplinarbehörden disziplinarrechtlich geahndet. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Streikteilnahme stelle einen Verstoß gegen grundlegende beamtenrechtliche Pflichten dar. Insbesondere dürfe ein Beamter nicht ohne Genehmigung dem Dienst fernbleiben. In den fachgerichtlichen Ausgangsverfahren wandten sich die Beschwerdeführer erfolglos gegen die jeweils ergangenen Disziplinarverfügungen.

Mit den Verfassungsbeschwerden rügen die Beschwerdeführenden eine Verletzung ihres Grundrechts aus Art. 9 Abs. 3 GG (teilweise in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG). Sie machen insbesondere geltend, die Koalitionsfreiheit gewährleiste ein Streikrecht auch für Beamte, jedenfalls aber für beamtete Lehrkräfte. Solange Beamte keine hoheitlichen Aufgaben ausübten, unterfielen sie nicht dem Funktionsvorbehalt des Art. 33 Abs. 4 GG. Auf die Personengruppe der nicht hoheitlich tätigen Beamten, zu der beamtete Lehrkräfte zählten, finde Art. 33 Abs. 5 GG und das daraus abgeleitete Streikverbot keine Anwendung. Selbst wenn man von einer Anwendung des Art. 33 Abs. 5 GG auf alle Beamten ausginge, sei das Streikverbot für Lehrer nicht mit dem Verhältnismäßigkeitsprinzip zu vereinbaren.

Darüber hinaus rügen die Beschwerdeführenden die Missachtung der Vorgaben des Grundgesetzes zur völkerrechtsfreundlichen Auslegung des nationalen Rechts. Die Europäische Menschenrechtskonvention gewährleiste mit Art. 11 Abs. 1 ein umfassendes Streikrecht für Beamte, welches nicht statusbezogen, sondern nur nach funktionalen Kriterien eingeschränkt werden dürfe. Diese völkerrechtlichen Vorgaben ließen sich auf das nationale Recht übertragen. Das von der Rechtsprechung bislang als hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtentums angesehene Streikverbot für Beamte müsse daher insbesondere vor dem Hintergrund der jüngeren Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte in den Rechtssachen Demir und Baykara v. Türkei (Urteil der Großen Kammer vom 12. November 2008, Nr. 34503/97) und Enerji Yapi Yol Sen v. Türkei (Urteil vom 21. April 2009, Nr. 68959/01) überdacht werden.

In der mündlichen Verhandlung (hierzu Bericht des Handelsblatts vom 17.1.2018) führte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) dagegen das besondere Treue- und Versorgungsverhältnis zwischen Beamten und Staat an. „Das Streikverbot sichert die Funktionsfähigkeit der Verwaltung für die Bürgerinnen und Bürger“, sagte er. Beamte seien unkündbar und dem Gemeinwohl verpflichtet, sie bekämen eine gute Versorgung. „Im Gegenzug dürfen sie nicht streiken.“ Rosinenpickerei sei nicht möglich. Das Streikverbot sei unerlässlich für einen modernen Staat. „Ich kämpfe dafür, dass es dabei bleibt.“ De Maizière erinnerte an die Flüchtlingskrise. In solchen Situationen müsse sich der Staat auf seine Beamten verlassen und sie auch versetzen können. Unterstützung bekommt die Bundesregierung vom dbb Beamtenbund und Tarifunion. „Das Treueverhältnis passt mit Arbeitskampfmitteln nicht überein“, sagte der Vorsitzende Ulrich Silberbach. Der Rechtswissenschaftler Prof. Matthias Pechstein hielt dagegen, ein Streikrecht für Lehrer würde das gesamte System des Beamtentums infrage stellen. Wenn Beamte gegen den Gesetzgeber streiken könnten, gebe es keine Rechtfertigung mehr für ihre staatliche Alimentation. Auch die schleswig-holsteinische Bildungsministerin Karin Prien (CDU) argumentierte gegen ein Streikrecht für Lehrer. Sie verwies auf die Folgen eines Streiks etwa während der Abiturprüfungen. Das würde allen Bemühungen um ein bundeseinheitliches Abitur zuwiderlaufen. Auch von Lehrerverbänden, etwa dem Philologenverband, kam Unterstützung für das Streikverbot. „Für die bei uns organisierten Lehrkräfte ist klar, dass sie ihren Teil für die Erfüllung der Schulpflicht als Beamte leisten. Das schließt ein gleichzeitiges Streikrecht aus“, teilte die Bundesvorsitzende des Philologenverbandes, Susanne Lin-Klitzing, mit.

Die Verfechter eines Streikrechts wollen zwischen hoheitlich tätigen Beamten wie Polizisten und anderen Beamten, darunter Lehrern, unterscheiden, wie es der EGMR macht. „Wir wollen nicht die Abschaffung des Beamtentums, wir wollen das Streikrecht für nicht hoheitlich tätige Beamte“, sagte Henriette Schwarz für den DGB.  

Intensiv erörterten die Beteiligten die Frage, welche Bedeutung die Rechtsprechung des EGMR für den Fall hat. Der Senat sei sich über die Größe des Spielraums noch nicht sicher, sagte der Präsident des BVerfG und Berichterstatter in diesem Verfahren Andreas Voßkuhle. Die Wertungen des EGMR müssten ausreichend berücksichtigt werden. Seine Aufgabe sei aber nicht, das Recht zu harmonisieren, sondern Mindeststandards festzulegen.

Bereits zu Beginn der Verhandlung unterstrich Voßkuhle die große Breitenwirkung des Verfahrens. Die Auswirkungen auf das Berufsbeamtentum seien nicht zu unterschätzen. Nach Voßkuhles Angaben unterrichten gut 800 000 Lehrer in Deutschland, etwa drei Viertel davon im Beamtenverhältnis. Daneben seien rund eine Million weitere Beamte in Deutschland tätig.

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3 Kommentare

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Wird das BVerfG analog zum Mitbestimmungsurteil 1979 entscheiden?

 

Auf die Frage, ob durch das beamtenrechtliche Streikverbot in das Grundrecht des Beamten aus Art. 9 Abs. 3 GG eingegriffen wird, würde die Antwort passen, die der Erste Senat des BVerfG im Mitbestimmungsurteil 1979 auf einen behaupteten Eingriff in das Grundrecht gegeben hat:

» Das Grundrecht [des Art 9 GG] enthält … keine Garantie des Bestands des Tarifvertragssystems und Arbeitskampfsystems in seiner konkreten gegenwärtigen Gestalt. Art. 9 Abs. 3 GG lässt sich auch nicht dahin auslegen, dass er ein Tarifsystem als ausschließliche Form der Förderung der Arbeitsbedingungen und Wirtschaftsbedingungen gewährleiste. Dies würde im Widerspruch zu dem Grundgedanken und der geschichtlichen Entwicklung der Koalitionsfreiheit treten, der für die Auslegung maßgebliche Bedeutung zukommt. « (BVerfGE 50, 290 , 371)

Und, angepasst an den aktuellen Fall: Das beamtenrechtliche Streikverbot behindere zwar das Streiken, greife aber nicht in das Grundrecht des Art 9 GG ein, dessen Verletzung die  Verfassungsbeschwerden  rügen. Denn ein Recht zum Streiken sei nicht Gegenstand des Grundrechts.    

Übrigens dürfen nicht nur Beamte nicht streiken - das "Streikrecht" ist ein Märchen

"Streik" ist ein Anwendungsfall der Erpressung (vgl. RGSt. 21, 114) , eines nach deutschem Recht kriminellen und strafbaren Unrechts. Erpressung ist Offizialdelikt, dessen Verfolgung der Staat nach dem Willen des Gesetzes unabhängig vom Willen des/der Verletzten betreibt. (Dies funktioniert derzeit nicht; das allerdings bringt das Recht der Gesellschaft auf Amtsermittlung der Erpressung nicht zum Erlöschen) Unrecht mutiert nicht dadurch zu Recht, dass der Unrechtsbegriff über einen Bindestrich mit dem Wort "Recht" verknüpft und als Rechts-Komposit durch „Richterrecht“ salonfähig gemacht wird. „Streikrecht“ als ein "Recht zu erpressen" wäre das paradoxe Recht, Recht zu verletzen – das nicht nur Beamten nicht zusteht. Es gibt kein Recht, gegen Recht zu verstoßen, sondern nur die Pflicht, Recht zu achten und rechtswidriges Verhalten zu unterlassen. Soweit die Justiz unter der Ägide des BVerfG (seit 1991 – BVerfGE 84, 212) ein Streikrecht annimmt, verlässt sie den Boden des Rechts.

In der Judikatur des BVerfG geht die Annahme eines Streikgrundrechts zurück auf das Jahr 1991. Das BVerfG begründete damals in seinem Aussperrungsbeschluss (BVerfGE 84, 212) den Grundrechtsschutz für den Streik aus Art. 9 GG damit, dass der Schutz der Tarifautonomie zwangsläufig auch die Arbeitskampfmaßnahmen schütze, die die Tarifautonomie funktionsfähig hielten. Geschützt sei damit auch der Streik, der nach den Grundsätzen des BAG durchgeführt werde.

In der mündlichen Verhandlung vor dem BVerfG über das Beamtenstreikrecht stand sich damit das „Streikverbot zur Sicherung der Funktionsfähigkeit der Verwaltung für die Bürgerinnen und Bürger“ und das „Streikrecht“ zur Sicher  ung der Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie kontrovers gegenüber. Und damit ist für diesen Verfassungsrechtstreit steht die Frage aufgeworfen: Muss die Funktionsfähigkeit der Verwaltung hinter der Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie zurückstehen – oder umgekehrt? Und logisch vorausgehend ist zu klären, ob die „Tarifautonomie“, die als Rechtsbegriff im Grundgesetz nicht vorkommt und auch sonst in keinem Gesetz als Rechtsinstitut beschrieben wird, und unter der das Erpressen von Tarifverträgen verstanden wird, überhaupt Schutzgegenstand eines Verfassungsgrundrechts ist. Falls das, wie das BVerfG 1979 im Mitbestimmungsurteil angenommen hat, nicht zutrifft, dann wäre das beamtenrechtliche Streikverbot kein Eingriff in ein Grundrecht der streikenden Beamten. Und die Verfassungsbewerden wären unbegründet.

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Die Beamten lassen sich ihren "Verzicht" auf das Streikrecht mit vielerlei Vergünstigungen teuer bezahlen, von denen andere nur träumen können. Die Beamten saollten darauf achten, dass ihre Streikforderung nicht nach hinten losgeht, was dann wg. "Gleichbehandlung" unausweichlich wäre. Man kann ganz einfach nicht alles haben, auch nicht in diesem unserem Beamtenstaat.

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Freiheit bedeutet, dass der Kläger ja um Entlassung aus dem Beamtenverhältnis bitten und dann sich als Angestellter anstellen lassen kann. Dann bekommt er seine Wünsche erfüllt.  Jedenfalls seinen klagegegenständlichen Hauptwunsch.

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