LG Stuttgart: Zur Anfechtung von in der Hauptversammlung der Porsche SE gefassten Entlastungsbeschlüssen im Zusammenhang mit der „Dieselthematik“

von Ulrike Wollenweber, veröffentlicht am 30.01.2018

Das LG Stuttgart hat mit Urteil vom 19. Dezember 2017 (Az. 31 O 33/16 KfH) die in der ordentlichen Hauptversammlung der Porsche SE 2016 gefassten Beschlüsse zur Entlastung des Vorstands und des Aufsichtsrats für nichtig erklärt.

Die Porsche SE ist als reine Holdinggesellschaft ohne eigenes operatives Geschäft tätig, hält aber die Mehrheit der Stimmrechte der Volkswagen AG. Aktionäre der Porsche SE hatten geltend gemacht, dass Fragen zur „Dieselthematik“ der Volkswagen AG auf der Hauptversammlung der Porsche SE nicht bzw. unzureichend beantwortet worden seien. U.a. war die Frage nach dem Zeitpunkt der Kenntniserlangung der Organmitglieder der Porsche SE von Rechtsverstößen mit Bezug auf die Dieselthematik sowie nach eigenen Maßnahmen der Porsche SE damit beantwortet worden, dass Vorstand und Aufsichtsrat bis zum öffentlichen Bekanntwerden im September 2015 keine Kenntnis von den zugrundeliegenden Umständen gehabt hätten. Im Hinblick auf diejenigen Organmitglieder, die gleichzeitig Organmitglieder der Volkswagen AG (gewesen) seien, war erklärt worden, dass man bis zum Abschluss der laufenden Untersuchungen bzw. eines Vergleichs mit den Klägern und Behörden in den USA keine weitergehenden Auskünfte erteilen könne.

In ihrem Urteil kommt die Kammer zu dem Ergebnis, dass die Entlastungsbeschlüsse wegen Verletzung des Informationsrechts der Aktionäre (§ 131 AktG) gem. § 243 Abs. 1 AktG rechtswidrig sind. Die Kammer untersucht dabei insbesondere, unter welchen Voraussetzungen die einem verbundenen Unternehmen zuzuordnende Angelegenheit als (Eigen-)Angelegenheit der Gesellschaft i.S.d. § 131 Abs. 1 S. 1 AktG zu qualifizieren ist. Hiervon sei in den folgenden drei Fallgruppen auszugehen:

  1. Vorstand oder Aufsichtsrat der Gesellschaft haben sich in der Vergangenheit mit der Angelegenheit des verbundenen Unternehmens tatsächlich befasst;
  2. die Angelegenheit ist als kurserhebliche Insiderinformation der Obergesellschaft zu qualifizieren, so dass letztere bei Unterstellung ihrer Kenntnis vom Vorliegen der Insiderinformation nach Art. 17 MAR ad-hoc publizitätspflichtig wäre;
  3. Vorstand und Aufsichtsrat hätten sich mit der Angelegenheit des verbundenen Unternehmens befassen müssen, um ihren objektiven Sorgfaltspflichten nach §§ 93 Abs. 1, 111 Abs. 1 AktG nachzukommen.

Die Kammer qualifiziert die Dieselthematik nach allen drei Fallgruppen als eigene Angelegenheit der Porsche SE. Insbesondere nimmt sie aufgrund der hohen wirtschaftlichen Bedeutung dieser Thematik eine Befassungspflicht von Vorstand und Aufsichtsrat der Porsche SE an. Die genannten Vorgänge stellten bis zu ihrem öffentlichen Bekanntwerden zugleich eine die Porsche SE unmittelbar betreffende Insiderinformation dar.

Die Gesellschaft habe sich auch nicht auf ein Auskunftsverweigerungsrecht nach § 131 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AktG berufen können. Selbst wenn man davon ausgehe, dass sich die Offenlegung bekannter Fakten in den eingeleiteten Strafverfahren straferhöhend auswirken würde, würden die Vorteile einer Auskunftserteilung für die Aktionäre die damit verbundenen Nachteile für die Gesellschaft überwiegen.

Die Entlastungsbeschlüsse seien darüber hinaus rechtswidrig, da die Gesellschaft ihrer aus § 91 Abs. 2 AktG resultierenden Pflicht, ein funktionierendes Überwachungssystem einzurichten, nicht hinreichend nachgekommen sei. Spätestens seit dem öffentlichen Bekanntwerden der Dieselthematik habe sich die Gesellschaft nicht mehr gutgläubig auf das Überwachungssystem der Volkswagen AG verlassen dürfen, sondern habe dieses kritisch hinterfragen müssen. Da diese Pflichtverletzung bereits zum Zeitpunkt der Entlastungsbeschlüsse erkennbar gewesen sei, seien diese treuwidrig gefasst worden.

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