Urteilstenor in der Sitzung ins Protokoll! Anlage reicht nicht!

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 22.02.2018
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht1|3561 Aufrufe

Als ich Referendar war, gab es noch viele Richter, die ihre Urteile in Strafsitzungen hinten auf den Aktendeckel schrieben. Das war gut. Damals. Und wirkte auf einen Referendar sehr souverän. Da konnte das Urteil auch gar nicht verloren gehen. Tatsächlich war das gar nicht nicht gut - das OLG Karlsruhe zeigt einmal auf, wie es nun weitergehen muss:

1. Eine Sachentscheidung des Senats über die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Pforzheim vom 2. Juni 2017 kann derzeit noch nicht getroffen werden.
 
2. Die Sache wird an das Amtsgericht Pforzheim zur Fertigstellung des Protokolls über die Hauptverhandlung vom 2. Juni 2017, zur erneuten Zustellung einer Urteilsausfertigung sowie zur anschließenden erneuten Vorlage an den Senat zurückgegeben.
 
 
Gründe: 
 
I.
 
Das Amtsgericht Pforzheim hat den - vom persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung entbundenen, nicht erschienenen und auch nicht von einem Verteidiger vertretenen - Betroffenen mit Urteil vom 02.06.2017 wegen fahrlässiger Nichtbeachtung des Rotlichts einer Wechselzeichenanlage zu einer Geldbuße von 240 EUR verurteilt sowie - bei einem Wirksamkeitsausspruch nach § 25 Abs. 2a StVG - ein Fahrverbot von einem Monat verhängt. Gegen das dem Betroffenen am 17.08.2016 zugestellte Urteil - der Verteidiger hatte keine schriftliche Vollmacht vorgelegt - begründete der Betroffene mit am 18.09.2017 eingegangenem Schriftsatz seines Verteidigers die am 26.06.2017 eingelegte Rechtsbeschwerde; gerügt wird die Verletzung materiellen Rechts. Der Verteidiger rügt unter anderem eine wirksame Zustellung des Urteils, da das Protokoll noch nicht fertig gestellt worden sei. Zur Begründung beruft er sich auf einen - nicht veröffentlichten, vom Senat jedoch beschafften - Beschluss des Brandenburgischen OLG vom 30.06.2017 - (2 B) 53 Ss-OWi 140/15 (80/15) -. Danach ist das Protokoll dann nicht fertig gestellt, wenn die Urteilsformel nicht Gegenstand es Protokolls geworden ist, sondern als Anlage lediglich nachgeheftet wird. Die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe hat mit Zuschrift vom 15.01.2018 beantragt, die Rechtsbeschwerde gem. § 349 Abs. 2 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG zu verwerfen.
 
Das Rechtsmittel führt zur Rückgabe der Sache an das Amtsgericht.
 
II.
 
1. Der Senat ist derzeit nicht befugt, über die Rechtsbeschwerde zu entscheiden, da jedenfalls die Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde mangels wirksamer Zustellung des Urteils noch nicht in Lauf gesetzt worden ist. Das Urteil darf erst zugestellt werden, wenn das Hauptverhandlungsprotokoll fertig gestellt worden ist (§ 273 Abs. 4 i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG). Letzteres ist vorliegend - ungeachtet des Fertigstellungsvermerks - nicht der Fall. Es hat nämlich gegen die zwingende Vorschrift des § 273 Abs. 1 Satz 1 a.E. StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG verstoßen, indem es die verkündete Urteilsformel nicht in das Hauptverhandlungsprotokoll aufgenommen, sondern lediglich auf eine nachgeheftete Anlage verwiesen hat. Nach einhelliger Auffassung in Rechtsprechung und Literatur, welche auch vom Senat vertreten wird, genügt bei der Urteilsformel eine bloße Bezugnahme auf eine Anlage dem Protokollierungsgebot nicht; diese ist im vollen Wortlaut zum Bestandteil des Protokolls zu machen (Senat, Beschluss vom 01.12.2015 - 2 (6) SsRs 637/15 -, n.v.; RGSt 58, 143; Brandenburgisches OLG BeckRS 2015, 09112; Beschluss vom 30.06.2015 - (2 B) 53 Ss-OWi 140/15 (80/15), n.v.; SaarlOLG, Beschluss vom 04.07.2013 - Ss (B) 57/13 (57/13 Owi) -, juris; HansOLG Hamburg, Beschluss vom 24.10.2013 - 2-21/12 (REV) -1 Ss 44/12 -, juris; OLG Hamm NStZ 2001, 220; OLG Stuttgart Justiz 1995, 228; BayObLG NJW 1981, 1795; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl. 2017, § 273 Rn. 12; KK-StPO/Greger, 7. Aufl. 2013, § 273 Rn. 14; LR-StPO/Stuckenberg, 12. Aufl. 2012, § 273 Rn. 27; MüKoStPO/Valerius, 1. Aufl. 2016, § 273 Rn. 31; SK-StPO/Frister, 5. Aufl. 2016, § 273 Rn. 14; SSW-StPO/Güntge, 2. Aufl. 2016, § 273 Rn. 11; HK-StPO/Julius, 5. Aufl. 2012, § 273 Rn. 8; Radtke/Hohmann/Pauly, StPO, 1. Aufl. 2011, § 273 Rn. 18).
 
2. Die Fertigstellung eines Protokolls wird zwar nicht durch jede sachliche oder formelle Fehlerhaftigkeit oder das Aufweisen von Lücken in Frage gestellt (BGHSt 51, 298 [Rn. 64] betr. nachträgliche Protokollberichtigung; BGH NStZ 1984, 89; Meyer-Goßner/Schmitt, aaO, § 271 Rn. 19; KK-StPO/Greger, § 271 Rn. 8). Nach Auffassung des Senats ist insoweit eine Differenzierung geboten. Bei der Urteilsformel handelt es sich um einen - von der absoluten Beweiskraft des § 274 Abs. 1 StPO umfassten - entscheidenden Teil eines Hauptverhandlungsprotokolls, bei dem unter Umständen nicht einmal der Nachweis der Verkündung des Urteils möglich ist und bei entsprechender Rüge zur Zurückweisung führen kann (LR-StPO/Stuckenberg, aaO, § 273 Rn. 28). Angesichts einer derart schwerwiegenden Lücke ist das Hauptverhandlungsprotokoll als nicht fertig gestellt anzusehen (ebenso Brandenburgisches OLG, BeckRS aaO; OLG Hamm aaO; HansOLG Hamburg aaO [Aufhebung]; SaarlOLG aaO [bei fehlender Anlage]; OLG Stuttgart aaO [Kurzfassung der Urteilsformel]; aA BayObLG aaO).
 
3. Die vom Senat vertretene Rechtsauffassung führt letztlich zu keiner Mehrbelastung der Amtsgerichte, etwa durch eine zusätzlichen Übernahme der Urteilsformel der Anlage in das Hauptverhandlungsprotokoll. Es ist lediglich erforderlich, dass die vorliegend als „Anlage“ bezeichnete Urteilsformel dadurch zum integralen Bestandteil des Protokolls gemacht wird, dass danach die Rechtsmittelbelehrung beurkundet wird und sodann der Fertigstellungsvermerk sowie die richterliche Unterschrift angebracht werden.
 
OLG Karlsruhe Beschl. v. 5.2.2018 – 2 Rb 9 Ss 18/18, BeckRS 2018, 1137

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1 Kommentar

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Naja, das kann man auch mit guten Gründen anders sehen (wie z.B.: OLG Zweibrücken, Beschluss vom 24.11.2017, Az.: 1 OWi 2 Ss Bs 87/17).

Das Urteil als Anlage zum Protokoll zu nehmen hat nämlich den Vorteil, dass der Originalzettel, von dem die Urteilsformel verlesen wurde (§ 268 Abs. 2 S. 1 StPO) Teil des Protokolls ist. Das war in einem Fall den wir als Beschwerdekammer zu entscheiden hatten mal von ausschlaggebender Bedeutung, weil vorgetragen wurde, es sei mündlich ein anderer Tenor verkündet worden als im Protokoll stünde. Mit dem in der Hauptverhandlung dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle als Anlage zum Protokoll überreichten Zettel mit dem Tenor besteht da kein Zweifel mehr, was verlesen wurde. Das Problem scheint auch das OLG Karlsruhe zu sehen, wenn es schreibt: "Bei der Urteilsformel handelt es sich um einen - von der absoluten Beweiskraft des § 274 Abs. 1 StPO umfassten - entscheidenden Teil eines Hauptverhandlungsprotokolls, bei dem unter Umständen nicht einmal der Nachweis der Verkündung des Urteils möglich ist und bei entsprechender Rüge zur Zurückweisung führen kann."

Mich erinnert in dieser Entscheidung ein bisschen an das Vorgehen einiger Beschwerdegerichte Beschwerden und sofortiger Beschwerden ans Ausgangsgericht zurückzugeben wenn die Abhilfebescheidung nur aus: „Vfg. | Ich helfe nicht ab | U.m.A dem Beschwerdegericht" besteht.

Da die angefochtene Entscheidung und die Nichtabhilfeentscheidung eine prozessuale Einheit bilden, bedarf die Nichtabhilfeentscheidung derselben Form wie die angefochtene Entscheidung (Satzger/Schluckebier/Widmaier-Hoch, StPO, § 306, Rn. 13; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 306, Rn. 8), also der Beschlussform. Dieser Beschluss ist als eine ablehnende Entscheidung nach § 34 StPO mit Gründen zu versehen und den Verfahrensbeteiligten bekannt zu machen (§ 35 Abs. 2 StPO). Eine Zurückverweisung zur Nachholung des Abhilfeverfahrens kommt jedoch nur in Betracht, wenn dadurch das Verfahren beschleunigt wird (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 306, Rn. 10). Daran hätte man sich gut orientieren können.

 

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