Europäischer Haftbefehl gegen Carles Puigdemont – Wie geht es jetzt weiter?

von Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg, veröffentlicht am 26.03.2018

Ist er die Falle getappt, als der vor der Neuwahl abgesetzte katalanische Regierungschef Carles Puigdemont am Sonntag um 11:19 Uhr bei der Einreise aus Dänemark und Finnland kommend nahe Schleswig festgenommen wurde? Denn erst am Freitag hatte der Oberste Gerichtshof Spaniens das Strafverfahren gegen Puigdemont und zwölf weitere Regionalpolitiker eröffnet, als er sich bereits in Finnland aufhielt.

Wie geht es nun nach dieser Festnahme aufgrund eines Europäischen Strafbefehls  weiter (Überblick in ZDF heute vom 26.3.2018 19:00 Uhr)?

Zunächst hatte heute der Haftrichter beim AG Neumünster die Identität der Person festzustellen und entschied, dass der Festgenommene weiterhin in Polizeigewahrsam bleibt (Festhalteanordnung). Fluchtgefahr liegt nach der Vorgeschichte nahe.

Das zuständige Oberlandesgericht Schleswig hat als nächstes die in diesem Fall schwierige Frage zu entscheiden, ob die im Europäischen Haftbefehl genannten Straftaten auch nach deutschem Recht strafbar sind. „Rebellion“ und „Aufstand gegen die Staatsgewalt“ (nach spanischem Recht) kennt das deutsche Strafrecht so nicht. Nach der für mich überzeugend begründeten Einschätzung des Experten Rechtsanwalt Dr. Nikolaos Gazeas könnte es sein, dass nur der Vorwurf der Untreue für die deutschen Richter Bestand hat. Damit würden aber – und deshalb lohnt es sich, diese Angelegenheit weiter zu verfolgen – der spanischen Justiz insoweit „Fesseln angelegt“, wie der Experte formulierte, dass Puigdemont nur noch wegen dieses Delikts in Spanien verfolgt werden könnte, aber eben nicht etwa wegen Rebellion, die nach spanischem Recht mit bis zu 30 Jahren Freiheitsstrafe geahndet werden kann.

Jetzt ist erst einmal die Justiz am Zuge, da hat die Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD) sicher recht. Der Fall ist aber auch schon jetzt ein Politikum, das im Moment unmittelbar die Deutschen beunruhigt, die ihren Osternurlaub in Barcelona verbringen wollen. Mit der Festnahme ist der Katalonien-Konflikt allemal auch in Berlin angekommen. Die Bundesrepublik ist nunmehr in diesen sich zuspitzenden Streit direkt involviert. Deshalb aber auch als europäischer Partner sollte sich die Bundesregierung als Vermittler ins Spiel bringen. Denn solange die streitenden Parteien nicht miteinander verhandeln, wird es keine Lösung in dem Konflikt geben, der alle Europäer angeht.

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91 Kommentare

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Die Begründung unter (12) des Rahmenbeschlusses widerlegt zunächst nur die verbreitete Behauptung eines EU-rechtlichen Automatismus durch den EU-Haftbefehl, der eine Festnahme in Deutschland juristisch erzwingen würde, obwohl unklar ist, ob die Taten in Deutschland überhaupt strafbar sind. Diese Unklarheit einer Strafbarkeit bei Bekanntheit bzw. Unsterstellung der Taten steht aber einer Festnahme und Freiheitsberaubung nach deutschem Verfassungs- und Strafrecht entgegen. Wird durch eine unterstellte Tat kein klar benennbares Strafgesetz verletzt, ist eine Festnahme verboten. Oder etwa doch nicht?

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In der Entscheidungsbegründung findet sich auch die Einschätzung des OLG Schleswig zum Einwand der politischen Verfolgung:

"Anhaltspunkte dafür, dass der Verfolgte im Falle seiner Auslieferung der Gefahr politischer Verfolgung im Sinne des § 6 Abs. 2 IRG ausgesetzt sein könnte, seien nicht ersichtlich. Dem Verfolgten werde mit der Veruntreuung öffentlichen Gelder eine konkrete, auch nach deutschem Recht als Untreue strafbare Handlung zur Last gelegt, nicht seine politische Gesinnung."

http://www.schleswig-holstein.de/DE/Justiz/OLG/Presse/PI/201803Puigdemon...

Eine nicht selten dämliche Ablehnungsphrase, die das OLG sich hätte besser sparen können. Die Schwierigkeit im Umgang mit dem Einwand der politischen Verfolgung bei einem europäischen Haftbefehl wird niemand ernsthaft leugnen können. Es ist doch aber ein zulässiger Einwand und im Fall von Puigdemont alles andere als abwegig. Schließlich liegt in Spanien Anklage wegen "Rebellion" (Art. 472 Codigo Penal) vor, die aber schon nach spanischem Recht äußerst fraglich ist. Wenn das kein Anhaltspunkt für politische Verfolgung ist? Ob dies den Anforderungen für das Auslieferungshindernis wegen politischer Verfolgung genügt, das steht auf einem anderen Blatt.

 

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Ich glaube, dass unser Asylgerede uns den Blick verstellt. Es geht nicht darum, dass das spanische Recht irgendwie aus politischen Gruenden rechtsstaatswidrig manipuliert wird, sondern darum, dass eine Rebellion Politik ist.

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6 IRG behandelt sozusagen nicht nur die kleinen Faelle des "alltaeglichen Faschismus", sondern erst Recht die grossen. Es geht nicht nur um den Abs. 2, sondern erst Recht um den Absatz 1: Die Auslieferung ist nicht zulässig wegen einer politischen Tat (...). Wenn 6 IRG ueberhaupt anwendbar ist.

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Es geht aber nur um den Absatz 2. Denn Absatz 1 ist beim Europäischen Haftbefehl nicht anwendbar - warum auch immer. § 82 IRG:

"Die §§ 5, 6 Abs. 1, § 7 und, soweit ein Europäischer Haftbefehl vorliegt, § 11 finden keine Anwendung."

 

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Zur Erläuterung finden Sie hier etwas vom Wissenschaftlichen Dienst des Bundestags  (besonders Seite 9). Der Europäische Haftbefehl gilt auch für Straftatbestände des Politischen Strafrechts, kann aber bei "politischer Verfolgung" (die auch bei Haftbefehlen wegen ganz anderer Vorwürfe vorliegen kann) doch eingeschränkt werden.

Ist es in Deutschland zulässig, jemanden wegen einer Tat oder entsprechenden Tatverdachts der Freiheit zu berauben, wenn rechtliche Unsicherheiten zur grundsätzlichen Strafbarkeit der verdächtigten Tat und dem anwendbaren Gesetz bestehen?

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Aber es gibt doch diese "Unsicherheit", von der Sie sprechen gar nicht. Die verfolgte Tat muss sich aus dem Haftbefehl ergeben, der vorgelegt werden muss.

"Die Auslieferung ist nur zulässig, wenn wegen der Tat ein Haftbefehl [...] und eine Darstellung der anwendbaren gesetzlichen Bestimmungen vorgelegt worden sind." (10 I 1 IRG)

"Nach intensiver Prüfung des Europäischen Haftbefehls des Tribunal Suprema in Madrid vom 23. März 2018 [...]

Mit dem Europäischen Haftbefehl begehren die spanischen Behörden die Auslieferung des Verfolgten wegen zweier Straftaten. Benannt werden die Tatbestände der Rebellion gemäß Art. 472 Abs. 5 und 7 sowie der Veruntreuung öffentlicher Gelder gemäß Art. 432, 252 des spanischen Strafgesetzbuches." (Aus der PM der Generalstaatsanwaltschaft mit weiteren Angaben zum Sachverhalt)

http://www.schleswig-holstein.de/DE/Landesregierung/STA/Staatsanwaltscha...

 

 

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Tatsächlich ist es so, dass die Meldung der GStA formal keine Unsicherheit in der rechtlichen Wertung erkennen lässt. Die Frage stellt sich daher, ob dieser Ausschluss von Unsicherheit in der Bewertung den Tatsachen entspricht bzw. ob diese Sicherheit aus einer angemessenen, pflichtgemäßen juristischen Prüfung der Rechtslage resultiert. Sie können dem sicher besser als ich nachgehen. Zu prüfen wären die von Ihnen schon verlinkten Aussagen aus der Medieninformation der GStA Schleswig vom 3.April 2018, die ich hier mal in die Punkte 1 - 5 gegliedert habe.

1. "Der Vorwurf der Rebellion beinhaltet im Kern den Vorwurf der Durchführung eines verfassungswidrigen Referendums trotz zu erwartender gewaltsamer Ausschreitungen." 

2. "Dies findet eine vergleichbare Entsprechung im Deutschen Strafrecht in den §§ 81, 82 Strafgesetzbuch (Hochverrat)." 

3. "Eine wortgleiche Übereinstimmung der deutschen und spanischen Vorschriften ist insoweit gesetzlich nicht gefordert."

4. "Soweit der Verfolgte der Veruntreuung öffentlicher Gelder und – nach dem Verständnis
der spanischen Behörden – der Korruption beschuldigt wird, beinhaltet dies den Vorwurf
der Verwendung öffentlicher Gelder für die Durchführung eines verfassungswidrigen Referendums,
was einer Strafbarkeit nach § 266 des deutschen Strafgesetzbuches (Untreue)
entspricht."

5. Es besteht der Haftgrund der Fluchtgefahr.
Weniger einschneidende Maßnahmen als der Vollzug der Auslieferungshaft bieten keine
Gewähr dafür, dass deren Zweck auch durch sie erreicht werden könnte.

Deutlich hatte jedenfalls das Amtsgericht rechtliche Zweifel angezeigt, wie der Medien-Info der Präsidentin des Landgerichts Kiel vom 26. März 2018 zur gerichtlichen Festhalteanordnung zu entnehmen ist. An dem Termin nahm auch die GStA teil und erfuhr spätestens jetzt, dass es rechtliche Anhaltspunkte für eine Unzulässigkeit gibt.

"Ohne Frage bietet der Inhalt des Europäischen Haftbefehls Anhaltspunkte dafür, dass die Auslieferung des Verfolgten bei umfassender Prüfung unter Abwägung der betroffenen Rechtsfragen im Ergebnis als unzulässig bewertet werden könnte."

Aus Sicht der Ermittlungsrichterin bestanden also ohne Frage Anhaltspunkte für eine Unzulässigkeit. Diese Anhaltspunkte konnten nur darin liegen, dass die dargestellte "Sicherheit" der GStA zu einer vergleichbaren Strafbarkeit tatsächlich nicht zutrifft. Das beweist, dass der Freiheitsentzug ohne Klärung der entscheidenden Voraussetzung, nämlich die Strafbarkeit der verdächtigten Tat in Deutschland, angeordnet und beibehalten wurde.

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Konkrete Fragen zu den im obigen Kommentar als Punkte 1 -5 gegliederten Feststellungen der GStA:

Fragen zu 1.:

a) Woraus resultierte nach Ansicht der GStA bei der Durchführung eines verfassungswidrigen Referendums konkret die Erwartung gewaltsamer Ausschreitungen?

Anmerkung: Ein zuvor gerichtlich als verfassungswidrig festgestelltes Referendum ist zunächst nur eine gerichtlich nicht legalisierte Abstimmung. Ein befürwortendes Abstimmungsergebnis hätte somit nach spanischem Recht keine Rechtskraft.

b) Wurde von Puigedemont die gewaltsame Umsetzung eines positiven Referendumsergebnisses angekündigt oder wissentlich befördert?

c) Von welchen zu erwartenden gewaltsamen Ausschreitungen schreibt die GStA und wodurch und von wem sollte diese Gewalt unmittelbar ausgelöst werden und gegen wen gerichtet sein?

Fragen zu 2.:

d) Wäre eine vergleichbare Handlung in Deutschland mit bis zu 30 Jahren Haft bedroht?

e) Wer entscheidet in Deutschland auf welcher Grundlage über das Recht auf Abstimmungen und deren Gültigkeit?

f) Ist im deutschen Recht die Feststellung der Verfassungswidrigkeit eines beabsichtigten Referendums vorgesehen?

g) Falls f zutrifft und ein Referendum in Deutschland als verfassungswidrig festgestellt wäre: Wäre die Absicht der Durchführung des Referendums ab Feststellung der Verfassungswidrigkeit als Hochverrat strafbar?

h) Würden deutsche Staatsanwaltschaften in vergleichbaren Fällen Verdächtigte verhaften, in der Sache ermitteln und dazu auch gesetzlich verpflichtet sein?

Fragen zu 4.

i) Wer hatte die Hoheit über die öffentlichen Gelder, die veruntreut worden sein sollen?

j) Wurde die Verwendung dieser öffentlichen Gelder von Puigdemont gegen den Willen des Haushaltsverantwortlichen bestimmt?

k) Würde eine vergleichbare Handlung in Deutschland nach Klärung der Fragen i und j den Straftatbestand der Untreue tatsächlich erfüllen, verfolgt werden und zur Inhaftierung führen?

l) Welche rechtliche Aussage der GStA steckt hinter: "... und – nach dem Verständnis der spanischen Behörden – der Korruption beschuldigt wird, beinhaltet dies ..."?

Fragen zu 5.

m) Welche weniger einschneidenden Maßnahmen konnte die GStA geprüft und als zweckwidrig verworfen haben können?

n) Hätte die GStA nach Kenntnisnahme der Bedenken der Ermittlungsrichterin seine Einschätzungen erneut überprüfen und mit den gesetzlichen Vorgaben in Übereinstimmung bringen müssen?   

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Wenn ich Sie vielleicht richtig verstanden habe, dann stoßen Sie sich daran, dass die Amtsrichterin eine Festhalteanordnung erlassen hatte, obwohl sie ausdrücklich Anhaltspunkte für die Unzulässigkeit der Auslieferung erkannt hatte, mithin also in das Freiheitsgrundrecht des Verfolgten durch ihre Entscheidung eingegriffen hatte trotz begründeter Zweifel, dass das mit der Festhalteanordnung verfolgte Ziel (Auslieferung) erreicht werden konnte. Diese Kritik ist berechtigt. Denn die Frage stellt sich, wie eine solche Entscheidung noch verhältnismäßig und mit dem Richtervorbehalt vereinbar sein kann.

Zumal verfassungsrechtliche Bedenken schon bezüglich der gesetzlichen Grundlage der Festhalteanordnung bestehen. Denn § 22 III 2 IRG gewährleistet dem Verfolgten seinem Wortlaut nach nicht mehr als nur den Schutz vor einer Personenverwechslung. Zureichende richterliche Sachaufklärung ist anders und in einem rechtsstaatlichen Verfahren unverzichtbar. Gleichwohl kann die Verfassungswidrigkeit dieses Gesetzes dadurch verhindert werden, dass das Amtsgericht den Wortlaut des § 22 IRG und die Sachaufklärung verfassungskonform erweitert. Das ergibt sich u.a. auch aus einer Entscheidung des BVerfG, in der die Verfassungsmäßigkeit des § 22 IRG Gegenstand war. Das Amtsgericht hatte seine Entscheidung ausdrücklich auf diese Entscheidung ("BVerfG StV 2011, S. 170-172") gestützt.

"Um derartige verfassungsrechtlich bedenkliche Ergebnisse zu vermeiden, bedarf es einer verfassungskonformen Auslegung der Regelung des § 22 Abs. 3 Satz 2 IRG (vgl. [...]). Das Amtsgericht ist zumindest in Evidenzfällen verpflichtet, bevor es seine Freilassungs- oder Festhalteanordnung trifft, auf der (schmalen) ihm zu diesem Zeitpunkt zugänglichen Erkenntnisgrundlage und daher notwendig in summarischer Weise auch die Haftvoraussetzungen der §§ 15, 16 IRG in seine Prüfung einzubeziehen." (BVerfG 2 BvR 1608/07, Rn.26 ff.)

Das Amtsgericht sah sich in Anlehnung an das BVerfG nicht bloß auf die Prüfung des § 22 IRG beschränkt, gleichwohl aber auf die Evidenz- oder Schlüssigkeitskontrolle ("Ohne Frage bietet der Inhalt des Europäischen Haftbefehls Anhaltspunkte dafür, dass die Auslieferung des Verfolgten bei umfassender Prüfung unter Abwägung der betroffenen Rechtsfragen im Ergebnis als unzulässig bewertet werden könnte." ... "ist jedoch zum jetzigen Zeitpunkt nicht offensichtlich im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts"). Dies Evidenzprüfung entspricht dem Kontrollmaßstab für das Willkürverbot. Auf der Kontrollskala kommt der Evidenzkontrolle die kleinste Intensität und der Verhältnismäßigkeitskontrolle die größte zu. Die mit dem Eingriff in das Freiheitsgrundrecht verbundene Verhältnismäßigkeitsprüfung wird mit der Herabsetzung der Kontrollintensität umgangen. Die Amtsrichterin hat zwar einen schweren Brocken vom Tal (des § 22 IRG) zum Gipfel (§§ 15, 16 IRG) gestemmt, um ihn dann aber wieder ins Tal zurückrollen zu lassen. Das macht genau soviel Sinn wie ihre Entscheidungsbegründung.

Im übrigen, der verfassungsrechtliche Schutz vor politischer Verfolgung ist seiner historischen Entwicklung und nach dem, was den Vätern des Grundgesetzes dazu vorschwebte, dem Carles Puigdemont wie auf dem Leib geschneidert. Man kann es gar nicht mit ansehen, wie verkommen dieses Grundrecht in seiner Anwendung ist. Zigtausendfach wird davon Jahr für Jahr in Fällen Gebrauch gemacht, die im Sekundärbereich seines Kerns liegen, diejenigen, für die er wie gemacht ist, die gehen wie Carles Puigdemont dabei leer aus.

"Dass [...] die Auslieferung gemäß § 6 Abs. 2 IRG nicht zulässig ist, ist jedoch zum jetzigen Zeitpunkt nicht offensichtlich im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts", so das Amtsgericht. Dabei ist nicht viel so offensichtlich wie das - gerade im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG. Und das OLG Schleswig will nicht einmal Anhaltspunkte für den Schutzanspruch erkennen (Anhaltspunkte dafür, dass der Verfolgte im Falle seiner Auslieferung der Gefahr politischer Verfolgung im Sinne des § 6 Abs. 2 IRG ausgesetzt sein könnte, seien nicht ersichtlich.). Der Experte für das Auslieferungsverfahren Nikolaos Gazeas behandelt die politische Verfolgung in seinen zahlreichen Interviews nur rudimentär, aber immerhin noch mit dem Hinweis, dass die Auslieferung insoweit zwar unzulässig sein könnte, aber kein deutscher Richter sich trauen würde, von diesem Auslieferungshindernis Gebrauch zu machen und Spanien damit politische Verfolgung vorzuwerfen. Schließlich noch der uns im Blog so gut bekannte und geschätzte Oliver Garcia schweigt sich in seinem viel gelobten Beitrag gänzlich über den Auslieferungsschutz wegen politischer Verfolgung aus.

 

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Vielen Dank Herr Kolos, Sie haben das richtig aufgefasst. Die Entscheidung des BVerfG zu § 22 IRG wird vermutlich diese sein 2 BvR 1608/07. Der Fall Puigdemont ist in diesem Kontext ein Beispiel, an dem sich grundlegende Fragen zur Verfassheit der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Deutschland festmachen lassen.

Dazu 2 Anmerkungen:

1. Das Amtsgericht nimmt zwar eine summarische Schlüssigkeitsprüfung vor (die ja Zweifel zum Ergebnis hat), erklärt aber unter Bezug auf das BVerfG zugleich, dass der Fall kein Evidenzfall wäre, der zu einer amtsgerichtlichen Sachaufklärung abweichend vom Wortlaut des § 22 IRG ermächtigen würde. Tatsächlich ist es jedoch so, dass das BVerfG eine solche Pflicht zur Sachaufklärung mit "zumindest in Evidenzfällen" (Rn.29) nicht auf diese Evidenzfälle beschränkt. Mit Bezug auf das BVerfG hätte also das Amtsgericht eine Sachaufklärung vornehmen können oder sogar müssen, insbesondere zur rechtlichen Frage: "Kann die GStA belegen, dass die unterstellte Tat in Deutschland strafbar wäre.".

2. Das BverfG erkannte in seiner Entscheidung ganz eindeutig, dass der Wortlaut des § 22 Abs.3 Satz 2 IRG verfassungswidrig ist (Rn 26 - 28). Nun könnte man denken (ich tue das), dass es eine der wesentlichsten Pflichten des BVerfG ist, verfassungswidrige Gesetze dem Gesetzgeber zur dringenden Bearbeitung vorzulegen und deren Anwendung vorläufig verfassungskonform zu regeln oder auszusetzen. Das passiert ja auch hin und wieder. Warum das BVerfG in diesem Fall mit Wortspielen wie "zumindest in Evidenzfällen" gegen den Wortlaut des Gesetzes eine partielle Pflicht des Amtsgerichts zur Sachaufklärung feststellt und damit die explizite Beschwerde wegen Verfassungswidrigkeit des Gesetzes als erfolglos zurückweist, verstehe ich überhaupt nicht. Dazu gibt das BVerfG auch keine Erklärung ab. Möglicherweise kann man aber aus einer Anmerkung an anderer Stelle die zugrundeliegende Denkweise erahnen. Unter Rn 23 erklärt das BVerfG:

Für die Freiheitsentziehung fügt Art. 104 Abs. 2 GG dem Vorbehalt des (förmlichen) Gesetzes den weiteren, verfahrensrechtlichen Vorbehalt einer richterlichen Entscheidung hinzu, der nicht zur Disposition des Gesetzgebers steht (vgl. BVerfGE 10, 302 <323>).       

Mit "nicht zur Disposition des Gesetzgebers" könnte man eine Annahme des BVerfG verbinden, dass der Gesetzgeber nicht nur der richterlichen Kontrolle durch das BVerfG ausgesetzt ist, sondern das BVerfG Herrin des Grundgesetzes ist und der Gesetzgeber damit immer unter dem Regelungsvorbehalt des BVerfG als Normalfall steht.

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Das BVerfG legt verfassungswidrige Gesetze dem Gesetzgeber nicht vor, sondern erklärt sie für nichtig (95 III 1 BVerfGG). Es gibt aber einen Rechtsgrundsatz, der besagt, dass man alles Mögliche zur Rettung einer Norm prüfen muss, bevor man sie für nichtig erklärt. Gilt übrigens auch für Verträge. Im konkreten Fall des § 22 Abs. 3 Satz 2 IRG soll die verfassungskonforme Auslegung Abhilfe schaffen. Demnach soll der Richter nicht auf Überprüfung der Personalien beschränkt sein. Mit "nicht zur Disposition des Gesetzgebers" will lediglich gesagt sein, dass der Gesetzgeber den Richtervorbehalt nicht einschränken darf.

Unter Evidenzfällen verstehe ich Sachverhalte, deren rechtliche Würdigung keine zwei Meinungen hat. Jedenfalls ist damit ein Kontrollmaßstab für die Rechtskontrolle gemeint. Dagegen bezieht sich "summarisch" auf Würdigung des Sachverhalts (mangels formeller Beweiserhebung). Wenn das BVerfG von Evidenzfällen spricht, dann liegt darin wohl nur ein rhetorisches Beispiel z.B. dafür, wenn sich herausstellen sollte, dass der Verfolgte (auch) Deutscher ist. Dann muss das Amtsgericht die Freilassung anordnen und darf nicht beschränkt auf die Überprüfung der Person zunächst die Festhalteanordnung erlassen und die Freilassungsanordnung dem OLG überlassen. Selbstverständlich ist die Freilassungsanordnung des Amtsgerichts aber nicht nur auf diese Evidenzfälle beschränkt. Das wäre mit Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 bis 3 GG nicht vereinbar. Aber auch dann, wenn Evidenz der Kontrollmaßstab wäre, dann darf sich das Gericht nicht mit dem bloßen Hinweis begnügen:  "ist jedoch zum jetzigen Zeitpunkt nicht offensichtlich im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts". Denn damit wird die Evidenz nicht begründet, sondern nur behauptet.

Nicht weit von dem Auslieferungsverbot für Deutsche liegt das für politisch Verfolgte. Ob und wie offensichtlich das Auslieferungsverbot politisch Verfolgter für Carles Puigdemont gilt, kann jeder selbständig an der Entscheidung des Bundesverfassungsberichts vom 10. Juli 1989 zum Begriff der politischen Verfolgung bemessen. Dazu schon mal ein Zitat vorab (BVerfGE 80, 315 [336]):

" 3. a) Auch Maßnahmen der staatlichen Selbstverteidigung können asylrechtsbegründend sein. Es ist mit der Asylgewährleistung des Grundgesetzes nicht vereinbar, generell demjenigen Asyl zu versagen, der sich gegen seinen Staat politisch betätigt hat und von diesem Staat deswegen verfolgt wird. Wird der Schutzbereich des Asylgrundrechts unter Verweis auf die Flüchtlingsmerkmale der Genfer Konvention umschrieben, so umfaßt das Merkmal "wegen ihrer politischen Überzeugung" nicht nur die politische Gesinnung als solche und ihre Bekundung, sondern grundsätzlich auch ihre Betätigung.

Dies ergibt sich aus der Regelungstradition des Asylrechts und der Entstehungsgeschichte des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG. Traditionell bildeten die Auslieferungsverbote den Kernbestand des Asylrechts; sie aber galten seit dem 19. Jahrhundert zugunsten der BVerfGE 80, 315 (336)BVerfGE 80, 315 (337)"politischen Straftäter", also solcher Ausländer, die ihre oppositionelle politische Überzeugung betätigt und hierbei gegen Strafgesetze verstoßen hatten, mit denen ihr Heimatstaat seine politische Grundordnung und seine territoriale Integrität verteidigte. Nach dem Deutschen Auslieferungsgesetz vom 23. Dezember 1929 durften Ausländer nicht ausgeliefert werden, die wegen einer politischen Straftat verfolgt wurden, es sei denn, sie hatten sich hierbei außerhalb eines offenen Kampfes eines vorsätzlichen Verbrechens gegen das Leben schuldig gemacht (§ 3 DAG, RGBl. 1929 I S. 239; vgl. § 6 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen vom 23. Dezember 1982, BGBl. I S. 2071). Vor dem Hintergrund dieses Auslieferungsverbots, das der seit dem 19. Jahrhundert allgemein geübten Asylpraxis entsprach, hat der Parlamentarische Rat das Asylgrundrecht diskutiert. Er hat dabei ganz selbstverständlich angenommen, daß politische Straftäter, soweit ihnen Auslieferungsschutz zu gewähren war, grundsätzlich auch asylberechtigt seien (JöR 1, 1951, S. 165 ff.; Parl. Rat, 18. und 44. Sitzung des Hauptausschusses, Sten. Ber. S. 217 f., 582 ff.). Mag auch das traditionelle Verbot der Auslieferung politischer Straftäter sich heute nach Zweck, Voraussetzung und Rechtsfolge grundsätzlich vom Asyl für politisch Verfolgte unterscheiden (vgl. BVerfGE 60, 348 [359]; 64, 46 [62 f.]), so bleibt doch der sachliche Zusammenhang zwischen Asylrecht und Nichtauslieferung des politischen Straftäters weiterhin wirksam.

b) Liegt mithin die betätigte politische Überzeugung im Schutzbereich des Asylgrundrechts, so kann eine staatliche Verfolgung von Taten, die aus sich heraus eine Umsetzung politischer Überzeugung darstellen - insbesondere separatistische und politisch-revolutionäre Aktivitäten -, grundsätzlich politische Verfolgung sein, und zwar auch dann, wenn der Staat hierdurch das Rechtsgut des eigenen Bestandes oder seiner politischen Identität verteidigt. Es bedarf einer besonderen Begründung, die sich an bestimmten Abgrenzungskriterien orientiert, um sie gleichwohl aus dem Bereich politischer Verfolgung herausfallen zu lassen. "

http://www.servat.unibe.ch/dfr/bv080315.html

 

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Ok, das BVerfG erklärt eine verfassungswidriges Gesetz für nichtig.

Zumindest erklärte das BVerfG, dass der Rechtssatz § 22 Abs.3 Satz 2 IRG in seinem Wortlaut verfassungswidrig ist (2 BvR 1608/07). Das BVerfG hatte aber im Verfahren 2 BvR 1608/07 der Beschwerde gegen § 22 Abs.3 Satz 2 IRG (Rn 15) trotzdem keinen Erfolg eingeräumt (Rn 25). Also die Beschwerde blieb zum Gesetz erfolglos, obwohl sie zulässig und absolut begründet war.

Missachtete das BVerfG damit nicht schon den rechtsstaatlichen Grundsatz, dass "eine zulässige und begründete Beschwerde nicht erfolglos bleiben kann"?

Ich halte das Vorgehen jedenfalls für äußerst bedenklich. Die Begründetheit der Rüge bestätigte das BverfG in vollem Umfang. Der Wortlaut von § 22 Abs.3 Satz 2 IRG gewährleistet nach der Feststellung des BVerfG ausschließlich einen Schutz vor Personenverwechselung (Rn 26). "Dies steht nicht ohne weiteres im Einklang mit der aufgezeigten freiheitssichernden Funktion des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG und dem sich aus Art. 104 GG ergebenden Verfassungsgebot ..." und "Die Regelung des § 22 Abs. 3 Satz 2 IRG lässt jedoch eine solche Sachaufklärung von vornherein nicht zu.
Eine derartige Reduzierung der (amts-) richterlichen Überprüfung und Entscheidungskompetenz „auf Null“ (vgl. Wilkitzki, a.a.O., § 22 IRG Rn. 12) lässt sich unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten schwerlich rechtfertigen." (Rn 28)

Das BVerfG umging mit der Nichtstattgabe der Beschwerde gegen das Gesetz offenbar auch § 95 Abs. 3 Satz 2.
Denn dessen Vorausetzung im 2. Teilsatzes war erfüllt, so dass auch der 1. Teilsatz "Das gleiche gilt, wenn ..." erfüllt wurde.
Das Gleiche ist der 2. Teilsatz von Satz 1: "so ist das Gesetz für nichtig zu erklären."

§ 22 Abs.3 Satz 2 IRG hätte nach allem was ich sehen kann, vom BVerfG aus gesetzlichen Gründen für nichtig erklärt werden müssen.

Zur Wirkung einer Entscheidung heißt es auf der Webseite des BVerfG:
"Ein verfassungswidriges Gesetz erklärt das Bundesverfassungsgericht im Regelfall für nichtig."

Das steht allerdings im Widerspruch zu "ihrem Rechtsgrundsatz" Herr Kolos, der besagen soll: "...dass man alles Mögliche zur Rettung einer Norm prüfen muss, bevor man sie für nichtig erklärt."
Die gesetzliche Regelung dazu erscheint mir allerdings eindeutig. Zwischen Stattgabe und Nichtigkeit besteht ein direkter Zusammenhang, der keine "Rettungsaktionen" zulässt. Jedenfalls nicht dadurch, dass man mit der wahrheitswidrigen Behauptung der Erfolglosigkeit eine rechtlich begründete Stattgabe verweigert, um damit die Nichtigkeit des Gesetzes zu vermeiden. Vielleicht übersehe ich aber an 2-3 oder sogar noch mehr Stellen, wieder einmal was wirklich Recht und Gesetz ist und Sie können wieder einmal den richtigen Weg leuchten.

In der Sache selbst erklärte das BVerfG ja, dass es einer verfassungskonformen Auslegung gegen den Wortlaut des Gesetzes bedarf (Rn 29). Dem folgen bestimmte "unbestimmte Formulierungen" zur Erläuterung dieser verfassungskonformen Auslegung, die typisch in jeder schwurbeligen Auslegungsposse zu finden sind.
Zum Beispiel die Phrasen "Um verfassungsrechtlich bedenkliche Ergebnisse zu vermeiden", "bleiben jedoch nach Auffassung des Amtsgerichts durchgreifende Bedenken bestehen" legen faktisch die Garantie der Grundrechte in eine beliebige Vermeidungs- und Phrasenkunst des jeweiligen Amtsrichters. Da wird einem schon beim Lesen der BverfG-Anleitung für die Praxis schlecht.

Konkret schien mir das Amtsgericht im Fall P. zu zaghaft, aber angesichts der Eierei des BVerfG und der Brisanz des Falls ist das aus menschlicher Sicht kein Wunder. Es gibt ja noch das OLG, könnte der verfassungsbedenkliche Seufzer gewesen sein.

Ihre weiteren Hinweise zur politischen Verfolgung sind wohl das Fundierteste, was ich bisher zum Fall P. zu lesen bekam.

Sehr intensiv befasst sich offenbar auch Telepolis mit der Sache.
So wird eine Entlastung zum Vorwurf der Untreue/Korruption durch den spanischen Finanzminister thematisiert
Ebenso befasst man sich bei Telepolis mit den politischen Hintergründen der Strafverfolgung unter dem Label "Repressionspolitik".

Neu ist mir noch die Idee eines Kommentators (aus der spanischen Justiz) im Handelsblatt, dass P. sich nach deutschem Recht nicht wegen Hochverrats, sondern wegen "Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte" strafbar gemacht hätte. Das ist ja auch ein "heißes Eisen" in Deutschland, wenn man an die letzten Änderungen dazu denkt und vor allem an das PAG in Bayern.

Angesichts dieser Auseinandersetzungen und Entwicklungen täte das BVerfG gut daran, nachzuweisen, dass es "staatstragend" nicht schon grundsätzlich mit Robentragen verwechselt. Bei einem wachsamen BVerfG wäre dem OLG Schleswig die Zuweisung der Verantwortung für Gewalteinsatz in Spanien nicht so leichtfertig herausgerutscht und die Generalstaatsanwälte hätten genug wegen Strafvereitelung im Amt und Rechtsbeugung zu schaffen, statt sich auswärts zum gegenseitigen Wundenlecken mit den Spaniern zu treffen.

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Wenn eine Norm noch auslegungsfähig ist, und zwar so, dass sie mit den Grundrechten bzw. mit dem gerügten Grundrecht vereinbar ist, dann kann sie nicht nichtig sein. So eine Norm kann und darf das BVerfG nicht für nichtig erklären. Auch ist es nicht Aufgabe des BVerfG den Gerichten zu erklären, wie Auslegung geht.

Das BVerfG schreibt in  2 BvR 1608/07: "Um derartige verfassungsrechtlich bedenkliche Ergebnisse zu vermeiden, bedarf es einer verfassungskonformen Auslegung der Regelung des § 22 Abs. 3 Satz 2 IRG (vgl. Wilkitzki, a.a.O., § 22 Rn. 26; Schomburg/Lagodny/Hackner, a.a.O., Vor §§ 21, 22 IRG Rn. 13, 26 ff.)" und "[...] bleiben jedoch nach Auffassung des Amtsgerichts durchgreifende Bedenken gegen die Zulässigkeit der Haft bestehen, [...], so muss es in erweiternder, verfassungskonformer Auslegung des § 22 Abs. 3 IRG eine Freilassungsanordnung erlassen (vgl. Wilkitzki, a.a.O., § 22 Rn. 26 f.; Schomburg/Lagodny/Hackner, a.a.O., Vor §§ 21, 22 IRG Rn. 25 ff.). Das sind keine Phrasen. Dem Rechtsanwender wird dadurch klar: eine verfassungskonforme Auslegung des § 22 Abs. 3 IRG ist noch möglich und geboten. Wenn die Haftrichterin also feststellt; "Ohne Frage bietet der Inhalt des Europäischen Haftbefehls Anhaltspunkte dafür, dass die Auslieferung des Verfolgten bei umfassender Prüfung unter Abwägung der betroffenen Rechtsfragen im Ergebnis als unzulässig bewertet werden könnte." Dann ist Ihre Arbeit damit nicht beendet. Sie fängt erst an.

Die Rechtsprechung des BVerfG kennt zwei Maßstäbe für Auslegungsgrenzen: den Gesetzeswortlaut und den Gesetzeszweck. Ich gebe zu, dass es leicht verwirrend erscheint, wenn man sich mit der Methodenlehre abstrakt beschäftigt und auf diese Rechtsprechung stößt. Aber in einem konkreten Fall wie z.B. dem zu 22 IRG wird deutlich, dass es durchaus Sinn macht, die Auslegungsgrenze ausnahmsweise im Gesetzeszweck zu sehen. Denn 22 IRG regelt mitunter den Richtervorbehalt. Welche Folgen hätte es dann, wenn das BVerfG diese Norm kassiert hätte?

 

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Ergänzend, um den Bezug zum Blog-Beitrag von Professor von Heintschel-Heinegg nicht ganz aus den Augen zu verlieren, können wir in diesem Zusammenhang festhalten, dass der folgende Satz von ihm so nicht ganz richtig ist:

"Zunächst hatte heute der Haftrichter beim AG Neumünster die Identität der Person festzustellen und entschied, dass der Festgenommene weiterhin in Polizeigewahrsam bleibt (Festhalteanordnung)."

 

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Um mit der Diskussion zum Umgang des BVerfG mit dem § 22 IRG bzw. allgemein mit verfassungswidrigen Gesetzen hier nicht das Thema zu sprengen, bietet sich für eine Fortsetzung der Artikel "Die heimliche Revolution vom des Rechtsstaat zum Richterstaat" an.

Ein weiterer wichtiger Diskussionspunkt war und ist die Frage, ob Puigdemont in Deutschland verhaftet werden musste oder gegenteilig, ob er überhaupt verhaftet werden durfte. Im Artikel ist ein Interview mit dem Rechtsexperten Gazeas verlinkt, der die Frage: "Musste die deutsche Polizei Puigdemont verhaften?" so beantwortete:

"Sie musste Puigdemont verhaften, weil er in Deutschland zur Festnahme ausgeschrieben gewesen ist. Diese Ausschreibung zur Festnahme, darüber hat man sich allerdings irgendwann Gedanken gemacht in der Bundesregierung und hat positiv entschieden, dass man Puigdemont ausschreibt, und dementsprechend, dass er in Deutschland festgenommen wird, wenn er die Grenze überschreitet." [Hervorhebungen durch mich]

Leider ist diese deutsche politische Zwischenetappe: EU-Haftbefehl -> Ausschreibung zur Festnahme so gut wie gar nicht in der Diskussion. In diesem Stadium bewegte sich der Fall noch in einem gemischt politisch-juristischen Entscheidungsraum.

Spätestens nach der Festnahme musste aber die StA bzw. GStA den juristisch begründeten Antrag für eine Festhalteanordnung liefern und dafür die Strafbarkeit der verdächtigten Tat darlegen. Also gerade nicht "die Tat ist in D vermutlich strafbar". Denn das rechtfertigt schon grundsätzlich keinen Freiheitsentzug. Sondern die Erklärung hätte sinngemäß lauten müssen: Die vermutliche Tat ist in D strafbar. Die Medien-Info der Präsidentin des Landgerichts Kiel vom 26. März 2018 zur gerichtlichen Festhalteanordnung des Amtsgerichts zitiert das Gericht so:

"Dass vorliegend eine unter Berücksichtigung des spanischen Strafgesetzes schlüssige Darstellung des vorgeworfenen strafbaren Handelns nicht vorliegt, dass es an einer die Auslieferung rechtfertigenden Straftat im Hinblick auf § 3 Abs. 1 IRG gänzlich fehlt oder dass die Auslieferung gemäß § 6 Abs. 2 IRG nicht zulässig ist, ist jedoch zum jetzigen Zeitpunkt nicht offensichtlich im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts."

Nun standen allerdings weniger die Taten selbst und spanische Strafgesetze im Zweifel, sondern die Strafbarkeit der benannten Taten in Deutschland. Die im Tatbestand korrigierte Begründung müsste vielleicht sinngemäß lauten:

Dass vorliegend ein unter Berücksichtigung des deutschen Strafgesetzes strafbares Handeln, ein die Auslieferung rechtfertigenden Straftat im Hinblick auf § 3 Abs. 1 IRG vorliegt oder dass die Auslieferung gemäß § 6 Abs. 2 IRG zulässig sein könnte, ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht erkennbar.

Die GStA hätte also schon zu diesem Zeitpunkt am erheblichen Zweifel scheitern müssen, ob die bekannten Taten in D strafbar sind. Es wurde also nicht ein Verdächtiger einer Straftat festgehalten, sondern ein Täter, für dessen Taten man noch nach einem anwendbaren Strafgesetz sucht und diese Suche mit viel Krampf als aussichtsreich behauptet.

Ist der Fall damit ein Paradebeispiel dafür, dass sich die Justiz zielorientiert dadurch politisch instrumentalisieren lässt, in dem Tatsachen umgeschrieben und juristische Denkweisen und Methoden einfach ausgeblendet werden?    

 

 

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Zu dem Beitrag der Tagesschau schreibt ein Kommentator mit dem Alias "Das weite Meer":

"Vor seiner Festname wurde Puigdemont von katalonischen Beamten, die sich dafür Urlaub genommen hatten, begleitet und beschützt. Als die deutsche Polizei Puigdemont fest nahm, wurden seine Begleiter zwar frei gelassen, aber ihre Daten wurden an die Spanier weiter gegeben. Und diese dann bei ihrer Ankunft in Katalonien sofot von den Spaniern verhaftet.

Frage: wieso haben unsere Beamten die Namen von Personen, die sich bei uns nicht strafbar gemacht haben, an Spanien weitergegeben? Dürfen die das? Oder war das Amtsmißbrauch? Sollten wir das nicht untersuchen?

Sollte unser Dienst nicht besser ab sofort die fremden Agenten auf unserem Boden überwachen? Damit die nicht noch auf dumme Gedanken kommen."

Im Wesentlichen wird dies durch Zeitungsmeldungen, z.B. in der Berliner Zeitung bestätigt. 

Mir scheint es so, als würden sich die Probleme für die Ermittlungsbehörden hier in Deutschland erst noch richtig auftürmen, die man sich mit den wenig bedachten Freundschaftsdiensten für die spanische Justiz und Regierung eingehandelt hat.

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Die LTO schreibt heute in ihrer Presseschau:

OLG Schleswig  Puigdemont: Die Entscheidung, den Auslieferungshaftbefehl gegen den katalanischen Separatistenführer Carles Puigdemont unter Auflagen auszusetzen, hat zwischen der Bundesregierung und der spanischen Zentralregierung in Madrid diplomatische Verstimmungen verursacht. Dies berichten die Montags-SZ (Mike Szymanski/Thomas Urban) und die Montags-FAZ (Hans-Christian Rößler/Majid Sattar). Der Richterspruch des Oberlandesgerichts Schleswig, den die Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD) laut Medienberichten gutgeheißen hatte, sorgte bei einigen Mitgliedern der spanischen Regierung und am Obersten Gerichtshof in Madrid für Ärger und Enttäuschung. Der Oberste Gerichtshof in Madrid, der den Europäischen Haftbefehl gegen Puigdemont erlassen hatte, erwägt nun, den Europäischen Gerichtshof im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens anzurufen. Die Samstags-taz (Christian Rath), die Samstags-SZ (Ronen Steinke) und die Samstags-FAZ (Helene Bubrowski/Matthias Wyssuwa) gehen vertieft auf die Argumentation der Schleswiger Richter ein. So hätten sie den Straftatbestand des Hochverrats im deutschen Recht nach Übertragung der Grundsätze der Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur "Startbahn West" von 1983 abgelehnt. Die Gewalttätigkeiten seien im Präzedenzfall wie auch bei der Durchführung des Referendums am 1. Oktober nicht geeignet gewesen, die Regierung derart unter Druck zu setzen, dass sie sich "zur Kapitulation vor der Forderung der Gewalttäter" gezwungen gesehen hätte. Hinsichtlich des Vorwurfs der Veruntreuung öffentlicher Gelder verlangten die Richter von den spanischen Behörden, dass sie die Entstehung eines Schadens für den spanischen Staat belegen. 

Reinhard Müller (Montags-FAZ) sieht nun Spanien in der Pflicht, nicht nur den Vorwurf der Untreue gegen Puigdemont zu konkretisieren, sondern auch "die verfassungsmäßigen und europäischen Rechte Kataloniens und der Katalanen zu schützen". Dietmar Hipp (Spiegel), dem der europäische Haftbefehl gegen Carles Puigdemont vorliegt, kritisiert die fehlenden Belege für den Korruptions- und Rebellionsvorwurf gegen den katalanischen Separatistenführer und kommentiert, dass "die Schleswiger Richter mit ihrer Entscheidung Rückgrat gezeigt hätten". Rechtsprofessor Michael Kubiciel spricht auf lto.de von einer souveränen Entscheidung des OLG Schleswig und äußert sich kritisch zu den Stimmen, die nach einer politischen Entscheidung rufen. Gudula Geuther (deutschlandfunk.de) hält die Entscheidung für richtig, denn es gehe um politisches Strafrecht, wobei äußerste Zurückhaltung geboten sei. Die Politik, so auch die Bundesregierung, sei in der Verantwortung, im Katalonien-Konflikt zu vermitteln.  

In den Kommentaren zu dem Beitrag von Herrn Prof.Dr.Kubiciel auf LTO findet eine interessante Diskussion zu der Frage des Zusammenspiels des Spezialitätsgrundsatzes und des Erfordernisses der beiderseitigen Strafbarkeit statt. Das OLG hat ja nunmehr bereits wissen lassen, dass es hinsichtlich des Vorwurfes der Rebellion keine entsprechende Strafbarkeit im deutschen Recht sieht und deshalb nur wegen der Untreue eine Auslieferung bzw. Übergabe in Betracht kommen könnte. Deshalb stellt sich die Frage, ob daneben von deutscher Seite der Spezialitätsgrundsatz geltend gemacht werden kann oder muss.

Mir drängt sich da die folgende Frage auf:

Grundsätzlich ist es so, dass der Ausstellungsmitgliedstaat (Spanien) für die Beachtung dieses Grundsatzes verantwortlich ist (Art. 27 Abs. 2 RbEuHb). Der Ausstellungsmitgliedstaat kann aber um die Zustimmung des Vollstreckungsmitgliedstaates (Deutschland) zur Verfolgung anderer Handlungen ersuchen (Art. 27 Abs. 3 lit. g, Abs. 4 RbEuHb). Deutschland wäre rein dem Wortlaut nach dabei aber zur Zustimmung verpflichtet, da die Voraussetzungen der gem. Abs. 4 erlaubten Verweigerungsgründe ersichtlich nicht vorliegen. Andererseits sieht der Rahmenbeschluss aber selbst die Berechtigung vor, die Übergabe vom Vorliegen der beiderseitigen Strafbarkeit "abhängig zu machen" (Art. 2 Abs. 4 RbEuHb). Die letztgenannte Norm ist aber nicht Bestandteil der Gründe, auf Grund derer die Zustimmung zur Abweichung vom Spezialitätsgrundsatz (Art. 27 Abs. 4 RbEuHb) verweigert werden kann. Könnte es sein, dass der Rahmenbeschluss-Geber die hier vorliegende Konstellation, nämlich dass sich die Spezialitätsfrage und die Frage der beiderseitigen Strafbarkeit gleichzeitig stellen können, schlichtweg nicht bedacht hat?

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Dem Handelsblatt ist zu entnehmen, dass der Entscheidung des OLG Schleswig möglicherweise weitere juristische und politische Verwicklungen folgen werden. Politik hat das Privileg, nicht unbedingt regelbasiert funktionieren zu müssen. Willkür ist als Methode also nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Letztlich verjagt die Mehrheit hoffentlich irgendwann überall Willkürherrscher und deren Helfer. Das Recht basiert aber auf Regeln. Willkür ist keine Regel. Spanische Juristen behaupten, dass das OLG Schleswig willkürlich und rechtswidrig entschieden hat. Deutsche Juristen der Staatsanwaltschaft treffen sich mit spanischen Juristen, um den Fall zu erörtern und für das OLG Sachverhalte aufzuklären. Ist das Untreue, wenn das OLG gar nicht für die Bewertung dieser Sachverhalte zuständig ist? Wie können Juristen in einen solchen Salat geraten? Liegt es an den Regeln, die Politiker (oft Juristen) willkürlich aber mit parlamentarischer Mehrheit, Fraktionszwang und Handnahme durch Juristen als Spin-Doktoren verabschieden? Also auch hier wieder vor allem Juristen am Werk.

http://www.handelsblatt.com/politik/international/katalonien-konflikt-la...

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Ich finde es immer wieder erstaunlich, wie kürzliche "Top"-Themen ohne inhaltliche Klärung bzw. Durchdringung in der Versenkung verschwinden. Fast alle juristischen Fragen sind ungeklärt und scheinbar wird auch hier auf die "herrschende Meinung" gewartet. Sollten Heidi oder Dieter ihre Joker-Veto-Karten zücken for the next top/super "h.M."?

 

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Süffisant aber zutreffend beschrieben! Oder doch nicht so ganz?

​Es ist, glaube ich, weniger Zufall, wenn man bei Dieter vielleicht auch nicht unbedingt von Zufall reden kann. Aber sodann macht Dein Vergleich dann wieder Sinn. Die Exekutive (vgl. Heidi, Dieter ;)) hat m.E. ein bestimmtes Ziel in der Sache. Ich gehe eher davon aus, dass Mama Angela beim Kollegen in Spanien im Wort steht. Wenn schon schon der Klassenprimus Deutschland in ökonomischen Fragen den mediterranen Klassenkameraden mit absoluter Härte zeigen muss, wo es lang geht, kann man sich ja in einer für Spanien existienzellen Identifikationsfrage weniger konsequent zeigen. Es geht ja nur um ein paar Grundrechte wie das Selbstbestimmungsrecht von Völkern. Es gilt aber schon und ist ja quasi ein Muss, die Fassade aufrecht zu halten. Wie die OStA den Landfriedensbruch im besonders schweren Fall aus dem Hut gezaubert hat, alle Achtung! Wie lange haben sie dafür gebraucht?

Womit wir wieder beim Thema wären. "1 plus 1 gleich 3" wird dann zu richtigen Gleichung wenn 3 das gewünschte Ergebnis ist. Ob die "2" die Unabhängikeit von Katalonien ist, ist noch gar nicht ausgemacht, aber das ist auch nicht die Frage. Aber die Verbissenheit des spanischen Ministerpräsidenten spricht Bände. Alles andere als die Kerkerhaft des "Staatsfeindes" Puigdemont wäre ein nicht hinzunehmender Gesichtsverlust.

Wo kommen wir denn hin, wenn ...

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Der Beschluss des OLG vom 22.5. http://www.schleswig-holstein.de/DE/Justiz/OLG/Presse/PI/201804VollstaendigerBeschlussDownload.pdf?__blob=publicationFile&v=3

erteilt den Juristen der GStA sowohl materiell-rechtlich wie formal-rechtlich eine grundsätzliche Abfuhr. Hochverrat ist so gut wie ausgeschlossen. Für Landfriedensbruch fehlt es an einer Zurechenbarkeit der Taten und Vergleichbarkeit mit der span. Rebellion.

 

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Man könnte lange darüber diskutieren, wo die Staatsanwaltschaften in der Gewaltenteilung anzusiedeln sind - vermutlich ohne Ergebnis. Vieles spricht für die Exekutive, einiges für die Judikative. Ich denke, es kommt wie so häufig auf den Einzelfall an, für welche Seite und Mitteln sich die Staatsanwaltschaft entscheidet und für welche Interessen sie eintritt.

Im Auslieferungsverfahren gegen Carles Puigdemont schlägt sich die Generalstaatsanwaltschaft eindeutig auf Seiten der Politik und Verwaltung und gegen das Recht. "Politisch Verfolgte genießen Asylrecht" (Art. 16a Abs. 1 GG). Im Kern bedeutet das ein Auslieferungsverbot für politisch Verfolgte. Ein Asylantrag ist dazu nicht erforderlich. Selbstverständlich weiß die Generalstaatsanwaltschaft das. Gleichwohl lässt sie nichts unversucht und scheut keinen Aufwand, um dem Verfolgten zum Wohlgefallen der spanischen Regierung und zur Stärkung außenpolitischer Beziehung beider Länder irgendeine auslieferungsrelevante Straftat anzulasten, und sei sie noch so fern wie die Vermutung, der Kantinenwirt der Generalstaatsanwaltschaft wird wohl Haschisch-Kekse ausgegeben haben. Alles nur, damit die Verfolgung nicht so erscheint wie sie in Wirklichkeit und offensichtlich ist: politisch!

 

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Und wie geht es dann jetzt weiter?

Bittet man wohl Herrn Puigdemont, sich freiwillig den spanischen Behörden zu stellen? Ohne Verhaftung ist eine Auslieferung ja wohl kaum durchzusetzen.



Naja, das sieht doch nach einer praktikablen Lösung aus: Puigdemont wird ausgeliefert, aber er darf dort nur nach dem spanischen Pendant des § 266 StGB verfolgt werden."

Spanien zieht internationalen Haftbefehl gegen Puigdemont zurück

Die spanische Justiz verzichtet auf eine Auslieferung des katalanischen Separatistenführers Carles Puigdemont. Der Ermittlungsrichter am Obersten Gericht hat den europäischen Haftbefehl zurückgezogen.

http://www.spiegel.de/politik/ausland/carles-puigdemont-spanien-zieht-internationalen-haftbefehl-zurueck-a-1219232.html

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Auf zis-online meint Sascha Holznagel heute als Fazit eines längeren Aufsatzes:

"Es ist nicht Gegenstand dieses Aufsatzes darüber zu urteilen, inwieweit ein Strafverfahren sinnvoll sein kann, einen politischen Konflikt zu lösen. Das ist auch nicht Aufgabe deutscher PolitikerInnen und schon gar nicht deutscher RichterInnen. Beantwortet ein Mitgliedsstaat der Europäischen Union diese Frage für sich positiv und hält sich dabei an die nationalen und europäischen rechtlichen Vorgaben, dann ist seine Entscheidung zu respektieren und ihm Rechtshilfe zu erweisen, sollen die Grundsätze der gegenseitigen Anerkennung und des gegenseitigen Vertrauens nicht zu leeren Versprechen verkommen. Der Beschluss des OLG Schleswig ist insoweit kein Ruhmesblatt deutscher Justizgeschichte"

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