AG Daun: Großzügige Akteneinsicht bei Poliscan

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 22.04.2018
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht|3631 Aufrufe

Das Akteneinsichtsrecht ist ein wahrer OWi-Dauerbrenner. Beim AG Daun ging es um Poliscan-Unterlagen. Das AG hat dem Antrag der Verteidigung voll stattgegeben:

1. Das Polizeipräsidium Rheinpfalz - Zentrale Bußgeldstelle - wird auf den Antrag des Betroffenen vom 27.02.2018 angewiesen, der Verteidigung des Betroffenen die Instandsetzung-, Wartungs- sowie Reparaturnachweise für das Geschwindigkeitsmessgerät seit der letzten Eichung, das Aufbau- und Einrichtungsprotokoll des Herstellers Vitronic für das verwendete Geschwindigkeitsmessgerät sowie die Konformitätserklärung und -bescheinigung für das verwendete Geschwindigkeitsmessgerät zur Verfügung zu stellen.
 
2. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Betroffenen fallen der Staatskasse zur Last.
 
3. Angewandte Vorschriften: §§ 62, 68 OWiG; 46 OWiG iVm 467 StPO
 
 
Gründe: 
 
1. Dem Betroffenen wird mit Bußgeldbescheid des Polizeipräsidiums Rheinpfalz vom 23.01.2018 - Aktenzeichen 500.04329390.0 - vorgeworfen, am 31.10.2017 fahrlässig die zulässige Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 24 km/h überschritten zu haben. Mit Schreiben vom 22.12.2017 hat der Verteidiger des Betroffenen Akteneinsicht beantragt, unter anderem insbesondere in die Instandsetzung-, Wartungssowie Reparaturnachweise für das Geschwindigkeitsmessgerät seit der letzten Eichung, das Aufbau- und Einrichtungsprotokoll des Herstellers Vitronic für das verwendete Geschwindigkeitsmessgerät sowie die Konformitätserklärung und -bescheinigung für das verwendete Geschwindigkeitsmessgerät, verneinendenfalls hat er Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 62 OWiG gestellt. Die Zentrale Bußgeldstelle Speyer ist diesem Antrag nur teilweise nachgekommen, indem sie dem Betroffenen alle gewünschten mit Ausnahme der oben aufgeführten Dokumente übermittelt hat.
 
2. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist gemäß §§ 62, 68 OWiG zulässig und das AG Daun zur Entscheidung berufen, er ist begründet.
 
Die Zentrale Bußgeldstelle Speyer war antragsgemäß zu verpflichten, dem Betroffenen Einsicht in die Instandsetzung-, Wartungssowie Reparaturnachweise für das Geschwindigkeitsmessgerät seit der letzten Eichung, das Aufbau- und Einrichtungsprotokoll des Herstellers Vitronic für das verwendete Geschwindigkeitsmessgerät sowie die Konformitätserklärung und -bescheinigung für das verwendete Geschwindigkeitsmessgerät zu verschaffen.
 
Offen bleiben kann dabei, ob sich der Anspruch des Betroffenen schon aus dem Akteneinsichtsrecht gemäß §§ 46 OWiG, 147 StPO ergibt. Selbst wenn man die Auffassung vertritt, dass die begehrten Unterlagen (noch) nicht Aktenbestandteil ist, ergibt sich ein derartiges Einsichtsrecht zumindest aus dem Grundsatz des fairen Verfahrens, welcher allgemein im Verfahrens recht bzw. Prozessrecht gilt.
 
Auszugehen ist dabei davon, dass ein Betroffener oder ein Verteidiger bei Ordnungswidrigkeiten im Rahmen einer Geschwindigkeitsmessung nicht pauschal behaupten kann, die Richtigkeit der Messung werde angezweifelt. Er muss vielmehrda es sich bei dem Geschwindigkeitsmessverfahren mittels Vitronic Poliscan Speed um ein sogenanntes standardisiertes Geschwindigkeitsmessverfahren handelt, bei dem durch die PTB im Wege antizipierten Sachverständigengutachtens die grundsätzliche Zuverlässigkeit der Messung festgestellt wurde - in jedem einzelnen Verfahren konkrete Anhaltspunkte dafür darlegen, die für eine Unrichtigkeit der Messung sprechen könnten. Erst wenn ihm das gelingt, bedarf es einer gerichtlichen Beweisaufnahme gegebenenfalls durch Einholung eines Sachverständigengutachtens darüber, ob im konkreten Fall tatsächlich eine richtige Messung stattgefunden hat, die den Bußgeldvorwurf begründet.
 
Dabei ergibt sich insbesondere aus der Entscheidung des AG Meißen vom 29. Mai 2015-13 OWi 703 Js 21114/14 - nichts Anderes. Denn das AG Meißen den dortigen Betroffenen nicht deshalb freigesprochen, weil die Messung unverwertbar gewesen wäre, sondern deswegen, weil der Betroffene aufgrund der schlechten Qualität des Lichtbildes als Fahrer nicht zu identifizieren gewesen ist. („…verbleibt festzustellen, dass letztlich das Fahrerfoto, auf das ebenfalls gemäß § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO verwiesen wird, nicht geeignet ist, den Betroffenen oder überhaupt einen Fahrer zu identifizieren. Es zeigt nur ein einziges erkennbares Identitätsmerkmal, ein verschwommenes Gesichtsprofil. Hieran kann lediglich mit einer gewissen Sicherheit festgestellt werden, dass am Steuer ein Mann saß. Ein dermaßen verschwommenes Profilbild kann nicht Grundlage einer Fahreridentifizierung sein.“). Es erschließt sich zumindest dem erkennenden Gericht nicht unmittelbar, warum trotz dieser einfachen Erkenntnis zuvor auf über 100 Seiten des Urteils auf mögliche Fehlerquellen der Messung eingegangen wird. Dies kann jedoch vorliegend dahinstehen.
 
Da aber jedenfalls die obergerichtliche und höchstrichterliche Rechtsprechung vom Betroffenen einen detaillierten Vortrag im Hinblick auf etwaige konkrete Mängel des Messverfahrens verlangt, muss der Betroffene bzw. sein Verteidiger in der Lage sein, konkrete, die Amtsaufklärungspflicht auslösende Anhaltspunkte für Messfehler vorzutragen. Hierfür aber wiederum benötigt er zwangsläufig den Zugang zu den Instandsetzung-, Wartungssowie Reparaturnachweisen für das Geschwindigkeitsmessgerät seit der letzten Eichung, dem Aufbau- und Einrichtungsprotokoll des Herstellers Vitronic für das verwendete Geschwindigkeitsmessgerät sowie der Konformitätserklärung und -bescheinigung für das verwendete Geschwindigkeitsmessgerät. Erst die Auswertung dieser Unterlagen - gegebenenfalls unter Hinzuziehung eines privaten Sachverständigen - versetzt den Betroffenen in die Lage zu entsprechendem Sachvortrag.
 
Datenschutzrechtliche Bedenken stehen dem zur Überzeugung des Gerichtes nicht entgegen. Dies wird - soweit erkennbar und bereits veröffentlicht - in der Rechtsprechung ebenso beurteilt (Beschluss des OLG Koblenz vom 23.10.2013 - 2 SsRs90/13; Beschluss des AG Landstuhl vom 06.11.2015 - 2 OWi 4286 Js 2298/15 -; Beschluss des AG Heidelberg vom 14.06.2013 - 16 OWi 447/13; Beschluss des AG Schleiden vom 23.10.2012 - 13 OWi 140/12 (b); Beschluss des AG Kassel vom 27.02.2015 - 381 OWi -9673 Js 32833/14 -; Beschluss des AG Königs Wusterhausen vom 17.03.2015-2.4 OWi 282/14-; Beschluss des LG Trier vom 14.09.2017 - 1 Qs 46/17-). Die Bußgeldstelle war also antragsgemäß zur Herausgabe des Aufbau- und Einrichtungsprotokoll des Herstellers Vitronic für das verwendete Geschwindigkeitsmessgerät sowie der Konformitätserklärung und -bescheinigung für das verwendete Geschwindigkeitsmessgerät zu verpflichten.
 
3. Auch hinsichtlich des Antrages auf Übermittlung der Wartungs- und Instandsetzungsnachweise seit der letzten Eichung besteht ein entsprechender Anspruch der Verteidigung. Eine Aufbewahrungspflicht für Nachweise über erfolgte Wartungen, Reparaturen und sonstige Eingriffe am Messgerät ergibt sich bereits aus § 31 Abs. 2 Nr. 4 MessEG zumindest für die zwischen den Eichungen durchgeführten Wartungen, Reparaturen und sonstigen Eingriffen. Hierdurch sollen die Eichämter anlässlich der Vorstellung des Messgerätes zur Eichung einen Überblick über die Reparatur- und Wartungsmaßnahmen seit der letzten Eichung erhalten. Werden dem Betroffenen solche Unterlagen nicht zugänglich gemacht, hat er keine Möglichkeit, konkrete Anhaltspunkte für eine der Gültigkeit der letzten Eichung entgegenstehende Reparatur oder einen sonstigen Eingriff in das Messgerät aufzufinden. Auf den Beschluss des Landgerichts Trier vom 14.09.2017 - 1 Qs 46/17 - wird Bezug genommen. Die Bußgeldstelle war daher antragsgemäß zur Herausgabe zu verpflichten.

 
AG Daun Beschl. v. 6.3.2018 – 4 OWi 14/18, BeckRS 2018, 3980

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