Erzwingungshaft: 15 Euro = 1 Tag kann o.k. sein

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 30.04.2018
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht|7453 Aufrufe

Erzwingungshaft nach § 96 OWiG kann angeordnet werden, wenn der zahlungsfähige Betroffene eine rechtskräftige Geldbuße nicht zahlt. Üblich ist derzeit wohl 1 Tag Haft für so etwa 30 - 50 Euro Geldbuße. Feste Regeln gibt es aber nicht. Sogar 15 Euro können in einen Tag umgerechnet werden, so das LG Berlin, das folgende Leitsätze formuliert hat:

1. Eine schematische Umrechnung von Geldbuße in Tage der anzuordnenden Erzwingungshaft ist vom Gesetzgeber nicht gewollt.

2. Das Gericht darf die Erzwingungshaft nicht als ersatzweises Übel anwenden.

3. In der Regel wird eine Festsetzung, die für jeweils 15 Euro des nicht gezahlten Bußgeldes einen Tag Erzwingungshaft vorsieht, nicht unverhältnismäßig sein.

1. Auf die sofortige Beschwerde des Betroffenen wird der Beschluss des Amtsgerichts Tiergarten vom 2. Februar 2018 dahingehend abgeändert, dass gegen den Betroffenen Erzwingungshaft von 20 Tagen angeordnet wird.  2. Der Betroffene trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.   Gründe:   I. 1.Durch Bußgeldbescheid des Polizeipräsidenten in Berlin vom 12. Januar 2016 ist eine Geldbuße von 160 Euro festgesetzt worden. Der Bescheid wurde dem Betroffenen am 15. Januar 2016 zugestellt. Der Betroffene hat kein Rechtsmittel erhoben. Auf das Bußgeld hat der Betroffene, nachdem er zur Anordnung der Erzwingungshaft angehört worden ist, am 31. Januar 2018 30 Euro gezahlt.    2. Das Amtsgericht Tiergarten hat mit dem angefochtenen Beschluss, ausgehend von einem offenen Betrag von 130 Euro, Erzwingungshaft von 26 Tagen angeordnet. Das Amtsgericht führt insbesondere aus, dass es die seit der Rechtskraft des Bußgeldbescheides vergangenen zwei Jahre für eine zur Bezahlung der Geldbuße ausreichende Zeit erachtet.   Der Betroffene hat gegen den ihm am 7. Februar 2018 zugestellten Beschluss am 12. Februar 2018 sofortige Beschwerde erhoben und am 14. Februar 2018 weitere 30 Euro gezahlt.   3. Im Beitreibungsverfahren ist der Betroffene mit Schreiben vom 7. März 2016 und vom 4. April 2016 gemahnt worden, worauf er nicht reagiert hat. Vollstreckungsmaßnahmen blieben erfolglos, nachdem der Vollziehungsbeamte den Betroffenen, an den zuvor eine Zahlungsaufforderung gesandt worden war, im Oktober 2016 zweimalig nicht angetroffen hatte.   Der Betroffene bezieht Leistungen nach dem ALG II und befindet sich nach seinem Vortrag im Regelinsolvenzverfahren.   II.   Die sofortige Beschwerde ist zulässig, insbesondere rechtzeitig, und sie ist teilweise begründet.   1.a) Die Vorschrift über die Anordnung der Erzwingungshaft, § 96 OWiG, trifft keine konkrete Regelung über die Bemessung der Dauer. Hierbei handelt es sich um eine Entscheidung des Gesetzgebers, der diese Frage der Rechtsprechung überlassen hat (BT-Drs. V/1269, S. 119).    Mit dem Wort „bemessen“ bezweckte der Gesetzgeber, dass nicht stets die in § 96 Abs. 3 Satz 1 OWiG vorgesehene Höchstdauer von sechs Wochen = 42 Tagen anzuordnen, sondern im Einzelfall zu entscheiden ist (vgl. BT-Drs. a.a.O, s. a. LG Berlin, NZV 2004, S. 656).   b) Bei der Bemessung der Dauer der Erzwingungshaft ist nach dem Wortlaut des § 96 Abs. 3 Satz 2 OWiG „auch“ der zu zahlende Betrag der Geldbuße zu berücksichtigen.    Der Gesetzgeber wollte damit zum Ausdruck bringen, dass die Höhe der Geldbuße einer der Bezugspunkte für das Maß der Erzwingungshaft ist und auch das Vorverhalten des Betroffenen, beispielsweise eine besondere Hartnäckigkeit, eine planmäßige Vereitelung der Vollstreckung und der Grad seiner Freiheitsempfindlichkeit wie etwa schwerwiegende persönliche oder berufliche Auswirkungen von Bedeutung sind.    Eine bloß schematische Umrechnung von Geldbuße in Tage der anzuordnenden Erzwingungshaft ist daher vom Gesetzgeber nicht gewollt. Insgesamt muss die Dauer verhältnismäßig sein.   c) Die Anordnung der Erzwingungshaft ist nach dem Gesetz („kann“, § 96 Abs. 1 Satz 1 OWiG) eine Opportunitätsentscheidung des Gerichts, das bei der Ausübung seines Ermessens jedoch nur vollstreckungsrechtliche Erwägungen anstellen darf. Das Gericht darf daher die Erzwingungshaft nicht als ersatzweises Übel anwenden, weil die Erzwingungshaft lediglich ein Beugemittel zur Durchsetzung der dem Betroffenen obliegenden Pflichten ist (zum Vorstehenden insbesondere BT-Drs. V/1269, S. 117, 119; s.a. KK-OWiG/Mitsch, 5. Aufl. 2018, § 96, Rn. 32; Göhler-OWiG/Seitz, § 96, Rn. 17; vgl. auch BVerfG NJW 1977, S. 293 ff.).    d) Soweit in der Literatur teilweise die Ansicht vertreten wird, dass sich aus §§ 17, 56 OWiG Ermessensgrenzen für die Bemessung der Dauer der Erzwingungshaft ergäben und daher die maximale Dauer von 42 Tagen nur bei Geldbußen von mehr als 1.000 Euro in Betracht komme und bei Geldbußen bis zu 55 Euro höchstens ein Tag zu verhängen sei (Blum/Gassner/Seith-OWiG, 1. Aufl. 2016, § 96, Rn. 21), so stellt diese Ansicht einseitig lediglich auf die Höhe der Geldbuße ab. Der Gesetzgeber hat nach dem zuvor Gesagten gerade keine nur an der Geldbuße orientierten Ermessensgrenzen vorgesehen, sondern ausdrücklich weitere Gesichtspunkte zugelassen.   e) Auch die veröffentlichte Rechtsprechung ist am Einzelfall orientiert: Wegen 10755 DM Geldbuße sind 88 Tage festgesetzt worden (zum Verfahren VerfGH Berlin NStZ-RR 2001, S. 211); wegen einer Geldbuße von 275 Euro sind sechs Tage und für eine Geldbuße von 375 Euro sind acht Tage festgesetzt worden (LG Duisburg, Beschl., vom 8. Januar 2013, 69 Qs 2/13, juris – zustimmend Bohnert/Krenberger/Krumm-OWiG, 4. Aufl. 2016, § 96, Rn. 13); wegen einer Geldbuße von 255,65 Euro sind 10 Tage festgesetzt worden (LG Berlin NZV 2004, S. 656); wegen einer Geldbuße von 50 Euro sind fünf Tage festgesetzt worden (LG Berlin NJW 2007, S. 1541 f.); wegen einer Geldbuße von 40 Euro sind zehn Tage festgesetzt worden (LG Berlin NZV 2007, S. 373 f.); wegen einer Geldbuße von 30 Euro sind zwei Tage verhängt worden (LG Berlin NZV 2007, S. 324, nachdem das Amtsgericht sechs Tage festgesetzt hatte); wegen Geldbußen von 15 Euro sind jeweils zwei Tage festgesetzt worden (LG Arnsberg NZV 2006, S. 446; der Betroffene befand sich indes in Strafhaft, daher ablehnend Eisenberg NZV 2007, S. 102); und wegen einer Geldbuße von fünf Euro ist Erzwingungshaft abgelehnt worden (AG Lüdinghausen NZV 2005, S. 600).   f) In der Regel wird jedoch eine Festsetzung, die für jeweils 15 Euro des nicht gezahlten Bußgeldes einen Tag Erzwingungshaft vorsieht, nicht unverhältnismäßig sein. Denn bei hohen Bußgeldern wird die Höchstdauer der Freiheitsentziehung bereits durch das Gesetz (§ 96 Abs. 3 Satz 1 OWiG) begrenzt. Andererseits muss die Erzwingungshaft auch bei niedrigeren Bußgeldern ihren Zweck erfüllen können, ein wirksames Mittel dafür zu sein, dass die Pflicht zur Zahlung der Geldbuße gebührend beachtet wird (vgl. BT-Drs. a.a.O., S. 117). Daher ist es auch nicht ausgeschlossen, dass im Einzelfall ein niedrigerer oder höherer Wert zur Grundlage der Bemessung der Erzwingungshaft herangezogen wird.   2. a) So liegt es hier. Zwar hat das Amtsgericht rechnerisch für jeweils fünf Euro des nicht gezahlten Bußgeldes einen Tag Erzwingungshaft verhängt. Das Amtsgericht hat in dem angefochtenen Beschluss aber zugleich dargelegt, weshalb ihm dieser Maßstab im Einzelfall angemessen erschien, denn die Beschlussgründe heben insbesondere darauf ab, dass der Betroffene seine Zahlungspflicht seit zwei Jahren kennt und sich daher auf die Zahlung hätte einstellen können.   Der Betroffene hat in seinem Telefax, mit dem er auf das der Anordnung der Erzwingungshaft vorausgegangene amtsgerichtliche Anhörungsschreiben reagiert hat, eine Ratenzahlung von 10 Euro monatlich in Aussicht gestellt, aber die Zahlung nach einmaligen 30 Euro zunächst eingestellt. Auch in seiner Begründung der sofortigen Beschwerde hat der Betroffene „regelmäßige Teilzahlungen“ in Aussicht gestellt, aber kurz danach lediglich 30 Euro gezahlt. Weitere Zahlungen sind nicht erfolgt. Es ist daher nicht ersichtlich, dass sich der Betroffene anders als durch die Anordnung der Erzwingungshaft zu seiner Pflicht zur Zahlung der Geldbußeanhalten ließe.   b) Der Umstand, dass der Betroffene sich im Regelinsolvenzverfahren befindet, belegt seine Zahlungsunfähigkeit nicht (Göhler-OWiG/Seitz, § 96, Rn. 13 m.w.N.), zumal der Betroffene dies auch nicht weiter belegt hat. Vielmehr bezieht er regelmäßige Leistungen nach dem ALG II, so dass ihm jedenfalls die Zahlung in Raten – die er zwar angekündigt, aber nicht regelmäßig getätigt hat – zumutbar ist und ihn nicht auf ein Existenzminimum zurückführt (vgl. Seitz a.a.O.)   c) Dass der Betroffene durch die Erzwingungshaft in unzumutbarer Weise beschwert wäre, hat er nicht dargetan. Die von ihm vorgetragenen Umstände, welche die Kammer zur Kenntnis genommen und bei ihrer Entscheidung berücksichtigt hat, begründen keinen Härtefall und auch keinen Anlass, die Vollziehung der Geldbuße gemäß § 97 Abs. 3 Satz 2 OWiG auszusetzen.   3. Daher hat die Kammer den Beschluss des Amtsgerichts Tiergarten nur insoweit abgeändert, als die letzte Zahlung des Betroffenen unter Berücksichtigung der in dem angefochtenen Beschluss dargelegten Gründe, gegen die in diesem Einzelfall nichts zu Erinnern ist, die Dauer der Erzwingungshaft mindert, weil insoweit noch 100 Euro Geldbuße offen sind.   4. Der Betroffene kann die Vollstreckung der Erzwingungshaft jederzeit dadurch abwenden, dass er den zu zahlenden Betrag der Geldbuße entrichtet (§ 97 Abs. 2 OWiG).   III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 und Abs. 4 StPO, denn der teilweise Erfolg des Rechtsmittels ist nur darauf zurückzuführen, dass der Betroffene eine rechtliche Pflicht erfüllt hat, so dass es nicht unbillig ist, ihn mit den vollen Kosten und seinen Auslagen zu belasten.

     LG Berlin, Beschl. v. 04.04.2018 - 502 Qs 16/18, BeckRS 2018, 4895

Diesen Beitrag per E-Mail weiterempfehlenDruckversion

Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
Kommentar schreiben

Kommentare als Feed abonnieren

Kommentar hinzufügen