Bagatellstraftaten eines Drogensüchtigen: Kurze Freiheitsstrafe nur ausnahmsweise....trotzdem bitte Unterbringung prüfen

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 08.05.2018
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht|3000 Aufrufe

Nur scheinbar ein Widerspruch. Der Angeklagte hatte mehrere Bagatellstraftaten begangen. Die verhängte kurze Freiheitsstrafe hatte der Tatrichter aber nicht richtig begründet. Das beanstandete auch das OLG. Angedeutet wird vom OLG wohl: "Bitte keine Freiheitsstrafe hier!"

Aber: Das AG hatte wohl wegen der Geringwertigkeit der Delikte von einer Prüfung der Unterbringung nach § 64 StGB abgesehen. Das fand das OLG auch nicht gut. Es komme nämlich nicht auf die Anlasstat an, sondern auf drohende Straftaten...und da brachte der Angeklagte als Vorstrafen schon Erhebliches mit!

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Lüdenscheid hat den Angeklagten am 04.07.2017 wegen Diebstahls in drei Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit Hausfriedensbruch, wegen Hausfriedensbruchs in zwei weiteren Fällen und wegen Erschleichens von Leistungen in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt.

Zur Strafzumessung hat das Amtsgericht ausgeführt:

„Die jeweiligen Strafrahmen, die anzuwenden sind, ergeben sich aus den §§ 123, 242, 265 Buchst. a StGB und reichen grundsätzlich im Falle des Hausfriedensbruchs von einer Geldstrafe bis zu einer einjährigen Freiheitsstrafe, im Fall des Diebstahls von einer Geldstrafe bis zu einer fünfjährigen Freiheitsstrafe und im Fall des Erschleichens von Leistungen von einer Geldstrafe bis zu einer einjährigen Freiheitsstrafe.

Das Gericht hat die jeweiligen Strafrahmen allerdings aufgrund der Vorschriften der §§ 21, 49 StGB gemildert und in den sodann gefundenen konkreten Strafrahmen die in der Betäubungsmittelabhängigkeit zu findende Triebfeder des Angeklagten für die inkriminierten Taten erheblich strafmildernd berücksichtigt.

Des Weiteren konnte strafmildernd berücksichtigt werden, dass der Angeklagte sich vollumfänglich geständig, reuig und einsichtig zu den von ihm begangenen Taten eingelassen hat.

Schlussendlich ist insgesamt kein hoher materieller Schaden eingetreten. Insbesondere bei den Diebstahlstaten war zu berücksichtigen, dass die Ware, die in zwei Fällen die Geringwertigkeitsgrenze nicht überschritten hat, zudem von den Berechtigten jeweils einbehalten werden konnte.

Auf der anderen Seite ist der Angeklagte in der Vergangenheit bereits erheblich strafrechtlich in Erscheinung getreten und stand zu den Tatzeitpunkten unter laufender Bewährungsaufsicht in gleich mehreren Verfahren, was strafschärfend zu werten gewesen ist.

Unter Abwägung sämtlicher, insbesondere der vorgenannten strafzumessungsrelevanten Kriterien hat das Gericht für den Diebstahl der Federhalter in Tateinheit mit dem von dem Angeklagten begangenen Hausfriedensbruch auf eine kurzzeitige Freiheitsstrafe von vier Monaten und wegen aller übrigen Straftaten jeweils auf kurzzeitige Freiheitsstrafen von je einem Monat erkannt.

Der Verhängung kurzzeitiger Freiheitsstrafen bedurfte es vor dem Hintergrund des Vorlebens des Angeklagten, der die Taten während einer Lebensphase bestehender Betäubungsmittelabhängigkeit begangen hat, trotz des geringen Erfolgsunwertes jedenfalls eines Teils der von ihm begangenen Taten (§ 47 StGB), wobei die Verhängung der kurzzeitigen Freiheitstrafen nicht zuletzt auch aus generalpräventiven Gründen unerlässlich war.

Nach nochmaliger Abwägung sämtlicher strafzumessungsrelevanten Kriterien hat das Gericht sodann bei angemessener Erhöhung der Einsatzstrafe gegen den Angeklagten auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten erkannt, welche tat- und schuldangemessen ist.“

Gegen dieses Urteil richtet sich die rechtzeitig eingelegte Sprungrevision, die nach der Zustellung des Urteils auch form- und fristgerecht mit der allgemeinen Sachrüge begründet worden ist. Der Angeklagte rügt insbesondere die Verhängung von Freiheitsstrafen: die Voraussetzungen des § 47 StGB lägen weder vor noch seien diese hinreichend in dem Urteil dargelegt.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat – u.a. wegen fehlerhafter Nichtprüfung der Voraussetzungen des § 64 StGB – beantragt wie erkannt.

Der Angeklagte hat mit Zuschrift vom 11.10.2017 daraufhin die Revision dahingehend beschränkt, dass die Nichtanwendung des § 64 StGB ausdrücklich von dem Revisionsangriff ausgenommen werde.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte und begründete Revision ist zulässig und hat in der Sache im tenorierten Umfang - zumindest vorläufig - Erfolg.

1.)

Die auf die erhobene Sachrüge gebotene Überprüfung des angefochtenen Urteils in materiell-rechtlicher Hinsicht lässt hinsichtlich des Schuldspruchs keine Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten erkennen.

Auf die Sachrüge hin ist nur zu überprüfen, ob die Urteilsgründe rechtlich einwandfrei, d.h. frei von Widersprüchen, Lücken, Unklarheiten und Verstößen gegen die Denkgesetze oder die gesicherte Lebenserfahrung sind (zu vgl. BGH, Beschlussv. 07.06.1979 - 4 StR 441/78 - NJW 1979, 2318, zitiert nach beck-online). Dabei hat das Revisionsgericht nicht zu prüfen, ob die Erwägungen und Schlüsse des Tatrichters zwingend oder überzeugend sind. Es genügt, dass sie denkgesetzlich möglich sind und von der subjektiven Gewissheit des Tatrichters getragen werden (zu vgl. BGH, Urteil v. 09.02.1957, 2 StR 508/56, BGHSt 10, 208, zitiert nach juris). Diesen Grund-sätzen wird das angefochtene Urteil gerecht. Das Amtsgericht hat im Urteil die Umstände nachvollziehbar dargelegt, aus denen es die sichere Überzeugung gewonnen hat, dass sich der Angeklagte wegen Diebstahls in drei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Hausfriedensbruch, wegen Hausfriedensbruchs in zwei weiteren Fällen und wegen Erschleichens von Leistungen in vier Fällen strafbar gemacht hat. Die jeweils getroffenen Feststellungen tragen auch den Schuldspruch.

2.)

Keinen Bestand hat dagegen der Rechtsfolgenausspruch des angefochtenen Urteils.

Die Strafzumessung ist allein Sache des Tatrichters. Das Revisionsgericht kann in der Regel nur dann eingreifen, wenn die Erwägungen, mit denen der Tatrichter das Strafmaß begründet hat, in sich rechtsfehlerhaft sind, wenn das Tatgericht gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstößt oder wenn sich die verhängte Strafe nach oben oder nach unten von ihrer Bestimmung löst, gerechter Schuldausgleich zu sein. Auch die Bewertung der Strafzwecke ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. Das Revisionsgericht ist allerdings ausnahmsweise dann zum Eingreifen berechtigt - und verpflichtet -, wenn die Strafe in einem groben Missverhältnis zum Tatunrecht und Tatschuld steht und gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstößt (vgl. OLG Hamm, Beschluss v. 18.11.2002 - 2 Ss 768/02 - zitiert nach juris). Dagegen ist eine ins Einzelne gehende Richtigkeitskontrolle ausgeschlossen (st. Rspr.; BGHSt 34, 345, 349).

Auch unter Zugrundelegung dieses eingeschränkten Prüfungsmaßstabes hält der Rechtsfolgenausspruch des angefochtenen Urteils der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

Aus der Entscheidung des Gesetzgebers für eine Beschränkung der kurzen Freiheitsstrafe auf Ausnahmefälle ergeben sich besondere Anforderungen an die Begründung der Sanktionsentscheidung im tatgerichtlichen Urteil (vgl. KG StV 2004, 383). Die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe bedarf einer Begründung, die sich gesondert und eingehend mit den gesetzlichen Voraussetzungen in § 47 Abs. 1 StGB auseinandersetzen muss. Sie muss auch erkennen lassen, dass das Gericht sich der Bedeutung des verfassungsrechtlichen Übermaßverbotes bewusst gewesen ist und die besondere Härte der kurzen Freiheitsstrafe im Vergleich zur Geldstrafe in seine Erwägungen einbezogen hat.

Die Verhängung einer Freiheitsstrafe unter sechs Monaten hat danach regelmäßig nur dann Bestand, wenn sie sich auf Grund einer Gesamtwürdigung aller die Tat und den Täter kennzeichnenden Umstände als unverzichtbar erweist (OLG Hamm, aaO, m.w.N.; BGH StV 1994, 370). Damit die Anwendung des § 47 StGB auf Rechtsfehler geprüft werden kann, bedarf es einer eingehenden und nachprüfbaren Begründung (OlG Köln NJW 1981, 411; vgl. auch Dahs/Dahs, Die Revision im Strafrecht, 7. Aufl., Rdn. 446). Das Urteil muss dazu eine auf den Einzelfall bezogene, die Würdigung von Tat und Täterpersönlichkeit umfassende Begründung dafür enthalten, warum eine kurzzeitige Freiheitsstrafe unerlässlich ist. Formelhafte Wendungen genügen nicht (LR-Hanack, StPO, 25. Aufl., § 337 Rdn. 225). Der Tatrichter hat vielmehr für das Revisionsgericht nachvollziehbar darzulegen, welche besonderen Umstände in der Tat oder in der Persönlichkeit des Angeklagten die Verhängung der kurzzeitigen Freiheitsstrafe zur Einwirkung auf den Angeklagten oder zur Verteidigung der Rechtsordnung unerlässlich gemacht haben.

Daran fehlt es vorliegend.

Es begegnet bereits rechtlichen Bedenken, dass das angefochtene Urteil die Verhängung sämtlicher kurzzeitiger Freiheitsstrafen mit generalpräventiven Erwägungen begründet hat. Generalpräventive Erwägungen sind innerhalb des Bereichs der Bestimmung der schuldangemessenen Strafe zwar grundsätzlich zulässig (vgl. Fischer, StGB, 65. Aufl., § 46 Rdnr. 12 m.w.N.), dürfen aber jedenfalls bei der Prüfung der Unerlässlichkeit im Sinne des § 47 StGB nicht einseitig in den Vordergrund geschoben werden (Fischer, a.a.O., § 47 Rdz. 12 m.w.N.). Bereits Letzteres lassen die Strafzumessungserwägungen des angefochtenen Urteils besorgen, da darin der Gesichtspunkt der Generalprävention besonders hervorgehoben und betont worden ist.

Darüber hinaus ist zudem zu berücksichtigen, dass generalpräventive Gesichtspunkte nur dann Bedeutung bei der Strafzumessung gewinnen dürfen, wenn die Gefahr der Nachahmung zur Begründung geeignet oder wenn unabhängig davon eine Zunahme derartiger Taten zu verzeichnen ist (vgl. BGH, Beschluss v. 14.05.1986 - 2 StR 156/86 - beck-online). Voraussetzung für die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe aus generalpräventiven Aspekten ist daher neben der umfassenden Gesamtabwägung - die die angefochtenen Urteilsgründe bereits vermissen lassen -, dass die Urteilsgründe bei Anordnung einer Freiheitsstrafe aus generalpräventiven Erwägungen die Kriminalitätsentwicklung anhand statistischen Materials erörtern (vgl. Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Beschluss v. 04.02.2000, 2 Ss 181/99, juris). Den angefochtenen Urteilsgründen ist insoweit nicht zu entnehmen, weshalb die allgemeine Kriminalitätsentwicklung gerade angesichts des geringen Erfolgsunwertes in den oben genannten Taten die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe zur Verteidigung der Rechtsordnung gebietet.

Des Weiteren begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken, in welcher Form das Amtsgericht die Verhängung kurzer Freiheitsstrafen begründet hat. Denn gem. § 47 Abs. 1 StGB verhängt das Gericht eine Freiheitsstrafe unter sechs Monaten nur, wenn dies entweder zur Einwirkung auf den Täter oder zur Verteidigung der Rechtsordnung unerlässlich ist. Gemessen an diesen Grundsätzen begegnet die Verurteilung im Fall Nr. 2 und Nr. 3 und Fall Nr. 5 zu Freiheitsstrafen schon prinzipiellen Bedenken, denn bei absoluten Bagatelldelikten - im Fall Nr. 2 einem Diebstahl von Batterien im Wert von 4,00 Euro, im Fall Nr. 5 einem versuchten Diebstahl einer Sache zu einem Preis von 2,29 Euro und im Fall Nr. 3 eines Hausfriedensbruchs in zwei Fällen - kann die Verhängung einer Freiheitsstrafe gegen das Übermaßverbot verstoßen. Dies gilt selbst dann, wenn der Täter einschlägig vielfach vorbestraft ist.

Die Anwendung des § 47 Abs. 1 StGB ist zwar nach der ganz überwiegenden höchst- und obergerichtlichen Rechtsprechung bei der Ahndung von Bagatellstraftaten nicht ausgeschlossen (vgl. BGH NJW 2008, 672, 673; Urteil des erkennenden Senats vom 10.02.2015 – III 5 RVs 76/14; OLG Hamm VRS 106, 189, 190; OLG Düsseldorf NStZ 1986, 512; OLG Braunschweig NStZ-RR 2002, 75; BayObLG NJW 2003, 2926; OLG Celle NStZ-RR 2004, 142; OLG Hamburg NStZ-RR 2004, 72; OLG Stuttgart NStZ 2007, 37; a.A. wohl bei Diebstahl äußerst geringwertiger Sachen ["Milchschnitte" im Wert von 0,26 EUR]: OLG Stuttgart NJW 2002, 3188, 3189; vgl. auch: OLG Karlsruhe NJW 2003, 1825). Es verstößt insbesondere nicht gegen das verfassungsrechtliche Prinzip schuldangemessenen Strafens, dass das Gesetz - wie etwa in § 265a Abs. 1 StGB oder § 242 Abs. 1 StGB - die Begehung von Straftaten, die sich auf eine geringwertige Sache oder Leistung (vgl. §§ 265 a Abs. 3, 248 a Abs. 3 StGB) beziehen, wahlweise mit Freiheitsstrafe oder Geldstrafe bedroht (vgl. BVerfG NJW 1979, 1039, 1040). Aus dem Gebot schuldangemessenen Strafens ergibt sich auch nicht, dass die Verhängung einer Freiheitsstrafe erst ab einer bestimmten Schadenshöhe in Betracht kommt (BVerfG Beschl. v. 9.6.1994 - 2 BvR 710/94).

In einer solchen Fallkonstellation bedarf es aber umfassender Ausführungen zur Begründung einer kurzen Freiheitsstrafe, um ausschließen zu können, dass ein Verstoß gegen das Übermaßverbot vorliegt (vgl. OLG Hamm, Beschluss v. 18.11.2002 - 2 Ss 768/02 - juris).

Diesem Maßstab werden die recht kurz gehaltenen Ausführungen des angefochtenen Urteils zur Begründung der kurzen Freiheitsstrafe nicht gerecht. Den Urteilsgründen lässt sich bereits nicht entnehmen, dass sich das Amtsgericht der Problematik des Übermaßverbotes bewusst gewesen ist.

Ausgangspunkt und Grundlage der Strafzumessung ist die in der Tat zum Ausdruck gekommene Schuld (§ 46 Abs. 1 S. 1 StGB).

Maßgebend für die Bemessung einer schuldangemessenen Strafe sind in erster Linie die Schwere der Tat und ihre Bedeutung für die verletzte Rechtsordnung sowie der Grad der persönlichen Schuld des Täters (BGHSt 20, 265, 266; 24, 132, 133). Beide Elemente sind miteinander verknüpft. Einerseits darf das Unrecht einer Tat nur in dem Umfang für die Strafzumessung Bedeutung erlangen, in dem es aus schuldhaftem Verhalten des Täters erwachsen ist, und andererseits kann die strafrechtlich relevante Schuld allein in einem bestimmten tatbestandsmäßigen Geschehen und seinen Auswirkungen erfasst werden (BGHR StGB § 46 Abs. 1 Begründung 2). Das Schuldmaß kann nur in enger Relation zum Gewicht des Tatunrechts angemessen bewertet werden. Die Tatschuldquantifizierung hat sich mithin vornehmlich am Unrechtsgehalt der Tat, der maßgeblich durch ihren Handlungs- und Erfolgsunwert bestimmt wird, zu orientieren (vgl. Schäfer, Praxis der Strafzumessung 3. Aufl. Rdn. 310 ff). Das Tatgericht hat die Handlungs- und Erfolgskomponente einer Gesamtwürdigung zu unterziehen; die gefundene Strafe muss in einem gerechten Verhältnis zur Schwere der Tat und zum Verschulden des Täters stehen und darf nicht schlechthin unangemessen sein. Hierin liegt eine absolute Grenze, die auch aus spezial- oder generalpräventiven Gründen nicht überschritten werden darf; die verhängte Strafe darf auch zur Erreichung der gesetzlich anerkannten Strafzwecke die Schuld des Täters nicht übersteigen (Franke in MünchKomm StGB § 46 Rdn. 7, 11).

Das Amtsgericht hätte insoweit unter Abwägung aller für die Strafzumessung bestimmenden Umstände – insbesondere auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der Angeklagte nach den Urteilsfeststellungen bei Tatbegehung nicht ausschließbar vermindert schuldfähig gewesen ist - eingehend prüfen und darlegen müssen, ob die Verhängung von Freiheitsstrafen in jedem einzelnen der abgeurteilten Fälle gerechtfertigt ist, um ausschließen zu können, dass ein Verstoß gegen das Übermaßverbot vorliegt.

Dies hat es jedoch nicht in ausreichender Weise getan.

Da es bereits an einer ausreichenden Begründung der Einzelfreiheitsstrafen fehlt, kann auch der Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe keinen Bestand haben.

Das angefochtene Urteil war daher im Umfang der Anfechtung im Rechtsfolgenausspruch insgesamt – einschließlich der Bewährungsentscheidung - aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Lüdenscheid zurückzuverweisen.

III.

Der Angeklagte hat mit Verteidigerschriftsatz vom 11.10.2017 nachträglich erklärt, er nehme die Nichtanordnung der Maßregel nach § 64 StGB vom Rechtsmittelangriff aus. Eine solche Revisionsbeschränkung ist grundsätzlich möglich und im vorliegenden Fall wirksam, weil sich hier weder den Urteilsgründen noch der Strafhöhe entnehmen lässt, dass die Strafe von dem Unterbleiben der Anordnung einer Maßnahme nach § 64 StGB beeinflusst worden ist (vgl. BGHSt 38, 362 ff; Fischer, StGB 65. Aufl. § 64 Rn. 29 mwN). Die Entscheidungen des BGH vom 15. Juni 2011 - 2 StR 140/11 und vom 22. Juni 2011 - 2 StR 139/11 (jeweils juris) stehen dem nicht entgegen. Soweit die Begründungen jener Einzelfallentscheidungen als zu weitgehend interpretiert werden könnten, hat der BGH klargestellt, dass eine Ausnahme der Nichtanordnung der Maßregel gemäß § 64 StGB vom Revisionsangriff nur dann unwirksam ist, wenn sich im Einzelfall aus den Urteilsgründen eine unlösbare Verbindung von Straf- und Maßregelausspruch ergibt (BGH, Urteil vom 02. November 2011 – 2 StR 251/11 –, Rn. 3, juris). Dies ist hier indes nicht der Fall.

Somit hat der Angeklagte wirksam seine Revision beschränkt mit der Folge, dass  dem Senat die Überprüfung, ob der Tatrichter die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gem. § 64 StGB rechtsfehlerhaft nicht geprüft hat, grundsätzlich für das Revisionsverfahren entzogen ist.

Der Senat weist für die neue Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht jedoch darauf hin, dass das Amtsgericht gleichwohl zu prüfen haben wird, ob die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gem. § 64 StGB in Betracht kommt. Dass der Angeklagte die Nichtanwendung des § 64 StGB vom Revisionsangriff ausgenommen hat, bindet lediglich das Revisionsgericht im Revisionsverfahren, nicht aber den neu entscheidenden Tatrichter, § 358 Abs. 2 Satz 3 StPO (vgl. auch Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl., § 358 Rdz. 12 m.w.N.).

Nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils – die infolge der Aufhebung des angefochtenen Urteils nur im Rechtsfolgenausspruch insoweit weiterhin Bestand haben -  liegt die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gem. § 64 StGB jedenfalls nahe.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat insoweit zutreffend ausgeführt:

„Nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils hat der Angeklagte die Tat vor dem Hintergrund einer seit Jahren bestehenden Betäubungsmittelabhängigkeit begangen, wobei der Angeklagte ausweislich seiner Angaben im Hauptverhandlungsprotokoll auch durchaus therapiemotiviert ist. Zur Person des Angeklagten hat das angefochtene Urteil ferner ausgeführt, „ ein Großteil“ der von dem Angeklagten begangenen Straftaten seien aufgrund von Betäubungsmittelabhängigkeit verübt worden (UA S. 2). Nachdem er von November 2014 bis November 2015 eine Therapie in Bethel - erfolgreich - absolviert habe, habe er im April 2016 einen Rückfall erlitten und dann die hier gegenständlichen Taten begangen.

Diese Feststellungen legen die Annahme nahe, dass bei dem Angeklagten die Gefahr besteht, dass er infolge eines Hanges, Betäubungsmittel zu sich zu nehmen, erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Eine entsprechende Maßregel soll zwar nicht ergehen, wenn nur die Gefahr der Begehung von Bagatelltaten besteht. Dies ist gleichwohl vorliegend nicht zu besorgen.

[…] Auch der Umstand, dass im vorliegenden Verfahren weitgehend Straftaten aus dem unteren Bereich der Kriminalität begangen worden sind, hindert die Prüfung der Anordnung einer Maßregel nach § 64 StGB nicht. Denn nicht die Anlasstat muss von erheblichem Gewicht sein, sondern die zu erwartenden Straftaten (zu vgl. Fischer, a.a.O., § 64 Rdnr. 16 m.w.N.). Alleine der Umstand, dass das angefochtene Urteil insoweit festgestellt hat, der Angeklagte sei in der Vergangenheit wegen gewerbsmäßigen Diebstahls verurteilt worden und auch im Übrigen im Falle des Diebstahls zu Nr. 1 vom 01.06.2016 die Annahme von Gewerbsmäßigkeit jedenfalls nicht fern gelegen hat, begründet die Sorge, dass der Angeklagte auch in Zukunft weitere Straftaten begehen wird, die mindestens dem mittleren Kriminalitätsbereich zuzuordnen sind.“

Oberlandesgericht Hamm, Beschl. v. 1.3.2018 - 5 RVs 129/17

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