Generalanwalt plädiert für Abgeltung des Urlaubs bei Tod des Arbeitnehmers

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 01.06.2018
Rechtsgebiete: Bürgerliches RechtArbeitsrecht1|4261 Aufrufe

Der Generalanwalt beim EuGH, Yves Bot, hat seine Schlussanträge in zwei Verfahren um die Abgeltung noch offener Urlaubsansprüche bei Tod des Arbeitnehmers im laufenden Arbeitsverhältnis vorgelegt (vom 29.5.2018, C-569/16 und C-570/16). Vorangegangen war bereits die bekannte Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Bollacke (NZA 2014, 651), die in Deutschland weitgehend auf Unverständnis gestoßen war und das BAG sogar zu einem neuerlichen Vorabentscheidungsersuchen veranlasst hat.

In seinen Schlussanträgen kommt Generalanwalt Bot zu dem Ergebnis, dass es keinen Grund gebe, die Lösung, für die sich der Gerichtshof im Urteil Bollacke entschieden habe, in Frage zu stellen. Er weist insbesondere darauf hin, dass der Gerichtshof in diesem Urteil die erbrechtlichen Aspekte seiner Entscheidung berücksichtigt habe. Er schlägt daher vor, zu bestätigen, dass die Richtlinie einzelstaatlichen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten wie den hier fraglichen entgegenstehe, wonach bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch den Tod des Arbeitnehmers der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub ohne Begründung eines Anspruchs auf eine finanzielle Vergütung für nicht genommenen Urlaub untergehe und die Zahlung einer solchen Vergütung an die Erben des verstorbenen Arbeitnehmers somit ausgeschlossen sei.

Hinsichtlich der Konsequenzen, die das BAG aus dieser Feststellung der Unvereinbarkeit des deutschen Rechts mit der Richtlinie zu ziehen hat, weist der Generalanwalt darauf hin, dass nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs die Verpflichtung des nationalen Richters, das nationale Recht im Einklang mit dem Unionsrecht auszulegen, keine Auslegung entgegen den Vorschriften des nationalen Rechts vorschreibe. Gleichwohl stelle der bloße Umstand, dass ein nationales Gericht eine nationale Vorschrift in ständiger Rechtsprechung in einem nicht mit dem Unionsrecht vereinbaren Sinne ausgelegt habe, kein Hindernis für eine unionsrechtskonforme Auslegung dar.

Für den Fall, dass das BAG weiterhin der Ansicht sein sollte, dass es das nationale Recht nicht unionsrechtskonform auslegen könne, unterscheidet der Generalanwalt zwischen den beiden vorliegenden Fällen.

In dem Verfahren, in dem der Ehemann der Klägerin (Frau Bauer) bei einer Körperschaft des öffentlichen Rechts, der Stadt Wuppertal, beschäftigt gewesen sei, stehe der Klägerin der geltend gemachte auf eine finanzielle Vergütung unmittelbar kraft der Richtlinie zu. Das BAG habe dann von der Anwendung jeder entgegenstehenden nationalen Vorschrift abzusehen.

Im zweiten Fall (Frau Broßonn) stand der verstorbene Ehemann in den Diensten eines privaten Arbeitgebers. Aber auch in diesem Fall plädiert der Generalanwalt im Ergebnis für die unmittelbare Anwendbarkeit der Regel, dass den Erben ein finanzieller Ausgleich zustehe. Der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub, wie er nunmehr in Art. 31 Abs. 2 der Charta niedergelegt sei, sei nämlich nicht nur ein besonders bedeutsamer Grundsatz des Sozialrechts der Union, sondern auch als vollwertiges soziales Grundrecht anzuerkennen. Dieser Artikel der Charta weise die notwendigen Merkmale dafür auf, dass er in einem Rechtsstreit zwischen Privatpersonen unmittelbar geltend gemacht werden könne, um die Anwendung nationaler Rechtsvorschriften auszuschließen, aufgrund deren ein Arbeitnehmer seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub verliere. Dieser Artikel habe nämlich zwingenden Charakter und sei in dem Sinne eigenständig, dass er keine ergänzende Maßnahme benötige, um Wirkungen unmittelbar gegenüber den Einzelnen zu entfalten. Wegen dieser Normenverflechtung sei auch das vom Gerichtshof anerkannte und verdeutlichte Recht auf eine finanzielle Vergütung, die einem Arbeitnehmer nach der Richtlinie zustehe, der aus von seinem Willen unabhängigen Gründen nicht in der Lage gewesen sei, seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub vor dem Ende des Arbeitsverhältnisses auszuüben, als ein durch Art. 31 Abs. 2 der Charta geschütztes Recht anzusehen.

Fazit: Sollte der EuGH den Schlussanträgen folgen, wäre die Ausgleichsverpflichtung zugunsten der Erben – jedenfalls soweit es um den gesetzlichen Mindesturlaub geht – unabweisbar. Diese Ausweitung überzeugt weder in der Sache, noch erscheint die Ableitung aus dem europäischen Recht zwingend begründet. Weit problematischer ist hingegen die sich immer stärker abzeichnende Tendenz, dem europäischen Richtlinienrecht zur unmittelbaren Anwendbarkeit in den Mitgliedstaaten zu verhelfen.

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Die Deutschen haben anscheinend ein ständiges Problem mit ihrem Urlaubsrecht oder, schürft man etwas tiefer, ein ganz merkwürdiges Verständnis von ihrem Arbeitsrechtsethos. Es wäre so einfach, wenn man auch mal auf deutscher Seite auf das alte Grundprinzip eines justiziellen Systems zurückgreifen würde: ‚Der Ober sticht den Unter‘, was so viel bedeutet wie: Europarecht geht vor nationales Recht. Die hier zur Diskussion gestellte abgekündigte Entscheidung war zu erwarten, wenn man die vergangenen Entscheidungen des EuGHs zum Urlaubsrecht sieht. Der EuGH versteht den Urlaub grundsätzlich als verkommerzialisierten Anspruch, mehr oder weniger ist er auch nicht. Die Deutschen eiern da immer rum und bemühen sich ständig damit, dass der Urlaub etwas ganz ‚Heiliges‘ sei, was man nur erhalten könnte, wenn man auch den Erholungswert etc noch genießen könne usw. Warum soll eigentlich ein solcher ‚Vermögenswert‘ am Ende beispielsweise im nächsten Jahr verfallen sein, während andere Ansprüche nach drei Jahren verjähren? Irgendwie macht sich Deutschland auch ständig zur Lachnummer, wenn es dauernd Fragen zum EuGH schickt, die dort schon längst beantwortet wurden. Wendet einfach Europarecht an und akzeptiert einfach, dass Eure ( deutsche) Vorstellung von Recht nicht die einzige vertretbare Vorstellung innerhalb einer Union sein muss und auch nicht sein soll.  

 

Gerade deutsche Juristen scheinen mit diesem Wandel ein besonderes Problem zu haben. Selbst

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