EuGH: Wer ist Verantwortlicher für die Datenverarbeitung (DSGVO)? Urteil "Zeugen Jehovas"

von Dr. Axel Spies, veröffentlicht am 11.07.2018

Der EuGH hat heute nach der kürzlich ergangenen Entscheidung Wirtschaftsakademie Schleswig-Holstein (Rechtssache C-210/16 , siehe Raab, MMR Aktuell 2018, 406931) ein weiteres Urteil gefällt, in dem unter anderem erläutert wird, was ein (gemeinsamer) Datenverantwortlicher (Controller) ist (Rechtssache C-25/17). Das Urteil bezieht sich auf die "alte" EU-Datenschutzrichtlinie 95/46 / EG, die entsprechenden Bestimmungen der DSGVO (Art. 4 und 26) sind jedoch sehr ähnlich.
 
1) Hintergrund:

 
In diesem Fall geht es um die Gemeinschaft der Zeugen Jehovas, und ob die Notizen im Rahmen ihrer Haus-zu-Haus-Predigt unter die DSGVO fallen. Der EuGH stellt fest, dass (a) ihre Tätigkeiten nicht unter die Ausnahmen für Religionsgemeinschaften fallen und dass (b) die Gemeinschaft gemeinsam mit ihren Mitgliedern, die sich an dieser Predigttätigkeit beteiligen, Daten kontrolliert.
 
2) Zitate aus dem Urteil:

67   Insoweit kann weder aus dem Wortlaut von Art. 2 Buchst. d noch aus irgendeiner anderen Bestimmung der Richtlinie 95/46 geschlossen werden, dass die Entscheidung über die Zwecke und Mittel der Verarbeitung mittels schriftlicher Anleitungen oder Anweisungen seitens des für die Verarbeitung Verantwortlichen erfolgen muss.

68      Hingegen kann eine natürliche oder juristische Person, die aus Eigeninteresse auf die Verarbeitung personenbezogener Daten Einfluss nimmt und damit an der Entscheidung über die Zwecke und Mittel dieser Verarbeitung mitwirkt, als für die Verarbeitung Verantwortlicher im Sinne von Art. 2 Buchst. d der Richtlinie 95/46 angesehen werden.

69      Im Übrigen setzt die gemeinsame Verantwortlichkeit mehrerer Akteure für dieselbe Verarbeitung nach dieser Bestimmung nicht voraus, dass jeder von ihnen Zugang zu den betreffenden personenbezogenen Daten hat (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 5. Juni 2018, Wirtschaftsakademie Schleswig-Holstein, C-210/16, EU:C:2018:388, Rn. 38).

70      Im vorliegenden Fall ist es der Vorlageentscheidung zufolge zwar Sache der verkündigenden Mitglieder der Gemeinschaft der Zeugen Jehovas, zu entscheiden, unter welchen konkreten Umständen sie personenbezogene Daten über aufgesuchte Personen erheben, welche Daten sie genau erheben und auf welche Weise sie sie anschließend verarbeiten. Allerdings erfolgt die Erhebung personenbezogener Daten, wie oben in den Rn. 43 und 44 dargelegt, im Rahmen der Ausübung der Verkündigungstätigkeit von Tür zu Tür, mit der die verkündigenden Mitglieder der Gemeinschaft der Zeugen Jehovas den Glauben ihrer Gemeinschaft verbreiten. Wie sich aus der Vorlageentscheidung ergibt, stellt diese Verkündigungstätigkeit eine wesentliche Betätigungsform dieser Gemeinschaft dar, die von ihr organisiert und koordiniert wird und zu der sie ermuntert. In diesem Rahmen werden die Daten als Gedächtnisstütze zum Zweck der späteren Verwendung und für den Fall eines erneuten Besuchs erhoben. Schließlich führen die Gemeinden der Gemeinschaft der Zeugen Jehovas auf der Grundlage der Daten, die sie von den verkündigenden Mitgliedern erhalten, Listen von Personen, die nicht mehr von diesen Mitgliedern aufgesucht werden möchten.

71      Somit scheint die Erhebung personenbezogener Daten über aufgesuchte Personen und die anschließende Verarbeitung dieser Daten zur Umsetzung des Ziels der Gemeinschaft der Zeugen Jehovas – nämlich die Verbreitung ihres Glaubens – zu dienen und folglich von ihren verkündigenden Mitgliedern im Interesse der Gemeinschaft vorgenommen zu werden. Überdies ist der Gemeinschaft der Zeugen Jehovas nicht nur allgemein bekannt, dass solche Datenverarbeitungen zum Zweck der Verbreitung ihres Glaubens erfolgen, sondern sie organisiert und koordiniert die Verkündigungstätigkeit ihrer Mitglieder insbesondere dadurch, dass sie die Tätigkeitsbezirke der verschiedenen Verkündiger einteilt.

72      Daraus lässt sich schließen, dass die Gemeinschaft der Zeugen Jehovas ihre verkündigenden Mitglieder dazu ermuntert, im Rahmen ihrer Verkündigungstätigkeit personenbezogene Daten zu verarbeiten.

73      Auf der Grundlage der dem Gerichtshof vorgelegten Akten ist somit davon auszugehen, dass die Gemeinschaft der Zeugen Jehovas dadurch, dass sie die Verkündigungstätigkeit ihrer Mitglieder, mit der ihr Glaube verbreitet werden soll, organisiert und koordiniert und zu ihr ermuntert, gemeinsam mit ihren verkündigenden Mitgliedern an der Entscheidung über den Zweck und die Mittel der Verarbeitungen personenbezogener Daten der aufgesuchten Personen mitwirkt, was jedoch das vorlegende Gericht anhand sämtlicher Umstände des vorliegenden Falles zu beurteilen hat.

3) Praktische Konsequenzen:

  • Der Status eines (gemeinsamen) Verantwortlichen erfordert nicht, dass der Verantwortliche Datenzugriff hat.
  • Schriftliche Richtlinien oder Anweisungen des Verantwortlichen zu Zweck und Mitteln der Verarbeitung sind nicht erforderlich.
  • Manuelle Aufzeichnungen / Notizen sind ebenfalls von der DSGVO abgedseckt.
  • Der Grad der Kontrolle des Verantwortlichen "bei der Festlegung der Zwecke und Mittel zur Verarbeitung personenbezogener Daten" ist der entscheidende Faktor.
  • Das Urteil wird wahrscheinlich zu einer intensiveren Diskussion im Gesundheitsbereich darüber führen, wer ein (gemeinsamer) Verantwortlicher ist.
  • Ein entscheidender Faktor wird sein, zu bestimmen, wer die Datenverarbeitung organisiert, koordiniert und gefördert hat.

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