OLG Köln: Wohnen wie ein Obdachloser!

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 14.07.2018
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht2|2271 Aufrufe

Die sog. „Wärmestube“ bietet als Anlaufstelle für ansonsten obdachlose Männer und Frauen vormittags Aufenthaltsmöglichkeiten, die Möglichkeit der Nahrungsaufnahme, Gesundheitsvorsorge, die Verwahrung von Wertsachen und namentlich auch die Erreichbarkeit durch Einrichtung einer Postadresse anbietet. Ein tolles Hilfsangebot für die Ärmsten in unserer Gesellschaft. Ist das dann aber schon eine Gemeinschaftsunterkunft in der man wohnt? Ich wage mal ganz leise zu behaupten, dass es unter Bloglesern Menschen gibt, die hieran zweifeln. Das OLG Köln meint jedenfalls: "Ein Obdachloser wohnt da!" 

Aha.

Unter diesen Umständen kann der Zustellung der Terminsladung die Wirksamkeit nicht versagt werden:

Gemäß § 37 Abs. 1 StPO gelten für das Verfahren bei Zustellungen die Vorschriften der Zivilprozessordnung entsprechend. Gemäß § 178 Abs. 1 Ziff. 3 ZPO kann in dem Falle, dass der Zustellungsempfänger in einer Gemeinschaftseinrichtung wohnt, dort aber nicht angetroffen wird, dem Leiter der Einrichtung oder einem dazu ermächtigten Vertreter zugestellt werden. Ist die Zustellung auf diesem Wege nicht ausführbar, kann das zuzustellende Schriftstück bei einer von der Post dafür bestimmten Stelle niedergelegt und über die Tatsache der Niederlegung eine schriftliche Mitteilung in der bei gewöhnlichen Briefen üblichen Weise abgegeben werden (§ 181 Abs. 1 ZPO). Die Zustellung gilt dann mit der Abgabe der schriftlichen Mitteilung als bewirkt (§ 181 Abs.1 S. 4 ZPO).

aa)

Bei der Wärmestube der X e.V. handelt es sich zunächst um eine vom Gesetz gemeinte Gemeinschaftseinrichtung, hierzu zählen grundsätzlich auch Obdachlosenunterkünfte (MüKo-StPO-Valerius, § 37 Rz. 27; SSW-StPO-Mosbacher/Claus, 3. Auflage 2018, § 37 Rz. 35).

Der Angeklagte hat unter der Anschrift der Wärmestube auch im Zeitpunkt der Zustellung im Sinne der Zustellungsvorschriften „gewohnt“.

Der Begriff der Wohnung im Sinne des Zustellungsrechts ist geprägt durch das Interesse des Zustellungsveranlassers an zeitnaher Kenntnisnahme des Inhalts des zuzustellenden Schriftstücks durch den Zustellungsempfänger bei gleichzeitiger Wahrung der Belage des Adressaten. Diese gebieten es, im Ausgangspunkt auf die tatsächlichen Verhältnisse, d. h. dessen räumlichen Lebensmittelpunkt abzustellen. Nicht maßgebend ist daher der Wohnsitzbegriff des § 7 BGBoder die polizeiliche Meldung. Anknüpfungspunkt ist vielmehr die tatsächliche Benutzung einer Wohnung, weil damit grundsätzlich auch die Möglichkeit einhergeht, in zumutbarer Weise von zugestellten Sendungen Kenntnis zu nehmen (so insgesamt MüKo-ZPO-Häublein, 5. Auflage 2016, § 178 Rz. 5 m N.; Wieczorek/Schütze-Rohe, ZPO, 4. Auflage 2013, § 178 Rz. 22). Für die Erfüllung des Begriffs „Wohnen“ ist es zwar typisch, nicht aber unabdingbar, dass der Zustellungsempfänger an der angegebenen Anschrift auch übernachtet (Stein/Jonas-Roth, ZPO, 23. Auflage 2016, § 178 Rz. 6; MüKo-ZPO-Häublein a.a.O.). Sieht – wie hier - die Gemeinschaftseinrichtung eine Übernachtungsmöglichkeit nicht vor, kann der Zustellungsadressat nach Auffassung des Senats daher dort gleichwohl seinen Lebensmittelpunkt im vorstehend gekennzeichneten Sinne haben.

Ausgehend von diesen Grundsätzen ist hier zunächst von Bedeutung, dass die Wärmestube postalische Erreichbarkeit als eine ihrer Leistungen anbietet. Der Angeklagte selbst hatte - über seinen Verteidiger - ohne jegliche Einschränkung seine „neue Anschrift“ mit der aus dem Rubrum ersichtlichen Adresse mitgeteilt (vgl. a. SSW-StPO-Mosbacher/Claus, a.a.O., § 37 Rz. 29). Dabei war umso mehr von einem „Wohnen“ auszugehen, als die entsprechende gerichtliche Anfrage auch ausdrücklich auf die auf die Wohnsitznahme abstellende Auflage aus dem Verschonungsbeschluss Bezug nahm. Entsprechend war denn auch die postalische Erreichbarkeit des Angeklagten bis Ende Juli 2017 – also auch im Zustellungszeitpunkt – unter dieser Anschrift gegeben, eine anderweitige Erreichbarkeit hingegen – namentlich auch angesichts der Obdachlosigkeit vor seiner Festnahme - nicht bekannt.

Dieser Befund wird nicht durch die weiteren mit der Revisionsbegründung vorgetragenen Umstände infrage gestellt. Dass der Angeklagte um den Zustellungszeitpunkt herum den Kontakt mit seiner Bewährungshelferin abbrach und auch der polizeilichen Meldeauflage nicht mehr nachkam, nötigt angesichts der noch bis Ende Juli 2017 bestehenden Postadresse nicht zu der Schlussfolgerung, dass er ab diesem Zeitpunkt auch seinen - im obigen Sinne gekennzeichneten – Lebensmittelpunkt nicht mehr unter der im Rubrum angegebenen Anschrift hatte. Zutreffend weist nämlich die Generalstaatsanwaltschaft darauf hin, dass dann mit einer früheren Auflösung der Postanschrift zu rechnen gewesen wäre.

Wollte man in dieser Frage anders entscheiden und davon ausgehen, der Angeklagte habe unter der Anschrift „H 1 – 3“ nicht im Sinne der Zustellungsvorschriften gewohnt, wäre zu bedenken, dass er in diesem Falle – das Vorliegen der Voraussetzungen Übrigen unterstellt – durch öffentliche Zustellung zur Berufungshauptverhandlung hätte geladen werden können und müssen. Den oben erwähnten Belangen des Zustellungsadressaten wird in höherem Maße Rechnung getragen, nimmt man demgegenüber an, der Angeklagte habe unter der angegebenen Anschrift gewohnt, bietet die Zustellung durch Niederlegung doch jedenfalls die Chance, dass ihn das zuzustellende Schriftstück auch tatsächlich erreicht.

cc)

Die Benachrichtigung über die Niederlegung ist alsdann gemäß § 181 Abs. 1 S. 3 ZPO in der bei gewöhnlichen Briefen üblichen Weise, nämlich durch Einlegung in den Briefkasten der Gemeinschaftseinrichtung, erfolgt. Dass die Zustellung gemäß § 178 Abs. 1 Ziff. 3 ZPO nicht ausführbar war, hat der Zusteller in der Urkunde attestiert, § 182 Abs. 2 Ziff. 4 ZPO.

Danach ist die Zustellung durch Niederlegung der zuzustellenden Terminsladung und Benachrichtigung hierüber wirksam erfolgt. Die von dem Verteidiger favorisierte Form der Zustellung durch Einlegen des Schriftstücks selbst in den Briefkasten der Wärmestube ist von § 180 Abs. 1 S. 1 ZPO nicht vorgesehen, da diese Vorschrift nur auf § 178 Abs. 1 Ziff. 1 und 2, nicht aber auf § 178 Abs. 1 Ziff. 3 ZPO Bezug nimmt.

Oberlandesgericht Köln, Beschl. v. 12.6.2018 -  III-1 RVs 107/18

Diesen Beitrag per E-Mail weiterempfehlenDruckversion

Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
Kommentar schreiben

2 Kommentare

Kommentare als Feed abonnieren

...ist es zwar typisch, nicht aber unabdingbar, dass der Zustellungsempfänger an der angegebenen Anschrift auch übernachtet (Stein/Jonas-Roth, ZPO, 23. Auflage 2016, § 178 Rz. 6; MüKo-ZPO-Häublein a.a.O.).

Da ist Zöller/Stöber, ZPO, 31. A., § 178, Rdnr. 20, aber ganz anderer Meinung: "Wohnen" erfordert, dass der Adressat in den Räumen der Einrichtung lebt und insbes. schläft... Alles andere ist auch nach meiner eigenen unmaßgeblichen Auffassung kein "Wohnen", sondern eben nur ein Aufwärmen oder ein Abtreten oder Durchatmen.

5

Auch das OLG Köln selbst war sogar für den Fall eines Frauenhauses schon einmal anderer Ansicht: "Die Wohnsitzbegründung geschieht vielmehr durch die tatsächliche Niederlassung verbunden mit dem Willen, den Ort zum ständigen Schwerpunkt der Lebensverhältnisse zu machen (BayObLG 85, 161)... Daß die Antragstellerin sich ständig an dem Ort, an dem das Frauenhaus sich befindet, niederlassen will, kann jedenfalls solange sie ihren Aufenthalt im Frauenhaus hat, dessen Einrichtung für eine tatsächliche ständige Niederlassung nicht geeignet ist, nicht angenommen werden" (OLG Köln, B. v. 3.1.1992 - 26 WF 236/91). Dass ein Frauenhaus mit Betten und Übernachtungsmöglichkeit keine Wohnung, eine Wärmestube ohne Betten und Übernachtungsmöglichkeit eine Wohnung sein soll, ist schlechterdings nicht nachvollziehbar. In Köln regiert offenbar eine Art von rechtsstaatlicher Volatilität, die eigentlich gegen eine tatsächliche ständige Niederlassung dort sprechen sollte...

0

Kommentar hinzufügen