Verwirkung des Urlaubsabgeltungsanspruchs

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 30.07.2018
Rechtsgebiete: Bürgerliches RechtArbeitsrecht|3477 Aufrufe

Der Urlaubsabgeltungsanspruch ist nach Aufgabe der Surrogatstheorie durch das BAG ein reiner Geldanspruch, der nicht mehr dem Fristenregime des § 7 Abs. 3 BUrlG unterfällt. Wohl aber unterliegt er tarifvertraglichen und arbeitsvertraglichen Ausschlussfristen. Wenn es eine solche vereinbarte zeitliche Begrenzung nicht gibt, kann in besonderen Fällen – noch vor Eintritt der Verjährung – an Verwirkung zu denken sein. Das geht aus einem aktuellen Urteil des ArbG Karlsruhe (vom 16.03.2018 - 7 Ca 214/17, BeckRS 2018, 6848) hervor.

Der Sachverhalt stellt sich wie folgt dar: Der Kläger war bei der Beklagten, die ein Unternehmen mit Personen- und Sachtransporten betrieb und sich nunmehr in Liquidation befindet beschäftigt. Zum 30.06.2015 hat sie ihren Betrieb eingestellt. Sie kündigte dem bei ihr beschäftigten Kläger mit Schreiben vom 26.02.2015 zum 30.04.2015. Das Bruttomonatsentgelt des Klägers belief sich auf € 1.258,00. Er hatte 24 Urlaubstage im Jahr. Der Kläger war vom 1.4.2015 bis zum 14.4.2015 arbeitsunfähig erkrankt. Seit dem 15.5.2015 hat der Kläger eine neue Arbeitsstelle. Deswegen einigten sich die Parteien auf eine vorzeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses zwischen ihnen zum 14.04.2015. Mit Schreiben vom 11.05.2016 forderte der Kläger Entgelt für die Monate März und April 2015. Dieses hatte die Beklagte bereits im Januar 2016 bezahlt. Mit Email vom 09.03.2017 verlangte der Kläger Urlaubsabgeltung. Das lehnte die Beklagte mit Email vom 21.05.2017 ab. Mit seiner am 28.08.2017 eingegangenen, der Beklagten am 30.08.2017 zugestellten Klage verfolgt der Kläger seinen Urlaubsabgeltungsanspruch weiter.

In den Entscheidungsgründen heißt es auszugsweise wie folgt:

„Der Kläger hat einen etwaigen Anspruch auf Urlaubsabgeltung aus § 7 Abs. 4 BurlG verwirkt.

Da der Urlaubsabgeltungsanspruch kein Surrogat des Urlaubsanspruchs ist, sondern ein reiner Entgeltanspruch, kann er verfallen (vgl. BAG 17.10.2017 –9 AZR 80/17 – Rn. 26; 8.4.2014 –9 AZR 550/12 – Rn. 12) und dementsprechend auch verwirken.

Die Verwirkung ist ein Sonderfall der unzulässigen Rechtsausübung und soll dem Bedürfnis nach Rechtsklarheit dienen. Sie hat nicht den Zweck, Schuldner, denen gegenüber Gläubiger ihre Rechte längere Zeit nicht geltend gemacht haben, von ihrer Pflicht zur Leistung vorzeitig zu befreien. Deshalb kann allein der Zeitablauf die Verwirkung eines Rechts nicht rechtfertigen (Zeitmoment). Es müssen vielmehr besondere Umstände sowohl im Verhalten des Gläubigers als auch des Schuldners hinzutreten (Umstandsmoment), die es rechtfertigen, die späte Geltendmachung des Rechts als mit Treu und Glauben unvereinbar und für den Schuldner als unzumutbar anzusehen. Der Gläubiger muss unter Umständen untätig geblieben sein, die den Eindruck erwecken konnten, dass er sein Recht nicht mehr geltend machen wolle, so dass der Schuldner sich darauf einstellen durfte, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden. Durch die Verwirkung wird die illoyal verspätete Geltendmachung von Rechten ausgeschlossen. Die Verwirkung dient dem Vertrauensschutz. Weiterhin muss - als Zumutbarkeitsmoment - das Erfordernis des Vertrauensschutzes das Interesse des Gläubigers an einer sachlichen Prüfung des von ihm behaupteten Anspruchs derart überwiegen, dass dem Schuldner die Erfüllung des Anspruchs oder die Einlassung auf die Klage nicht mehr zuzumuten ist (vgl. BAG, 24.8.2016 –5 AZR 129/16 – Rn. 60; 25.4.2006 –3 AZR 372/05 – Rn. 20).

Gemessen an dem aufgezeigten Maßstab hat der Kläger vorliegend seinen geltend gemachten Urlaubsanspruch verwirkt.

Als er diesen eingeklagt hat, war das Arbeitsverhältnis bereits seit zwei Jahren und vier Monaten beendet. Außergerichtlich hat er seinen Urlaubsabgeltungsanspruch erstmals geltend gemacht, nachdem das Arbeitsverhältnis bereits fast zwei Jahre beendet war. Das Zeitmoment ist mithin gegeben. Daneben liegt auch das Umstandsmoment vor. Denn die Beklagte hatte ihren Geschäftsbetrieb zum Zeitpunkt der Klageerhebung schon seit über zwei Jahren stillgelegt und zwischenzeitlich abgewickelt. Sie befindet sich in Liquidation. Hinzu kommt, dass der Kläger seit über zwei Jahren schon eine neue Arbeitsstelle hat, das Arbeitsverhältnis deswegen einvernehmlich vorzeitig beendet worden und mit der letzten Entgeltzahlung Anfang 2016 abgewickelt war. Soweit der Kläger dennoch mit Schreiben vom 11.5.2016 Entgeltansprüche geltend gemacht hat, waren diese bereits erfüllt. Gerade auch, weil er mit diesem Schreiben außer den Entgeltansprüchen nichts weiter verlangt hat – auch keine Urlaubsabgeltung – hat die Beklagte nicht damit rechnen müssen, dass der Kläger weitere zehn Monate später außergerichtlich und weitere 18 Monate später gerichtlich Urlaubsabgeltung einfordert. Vielmehr hat die Beklagte in Anbetracht des Zeitablaufs und der Umstände darauf vertrauen dürfen, dass aus dem streitgegenständlichen Arbeitsverhältnis keinerlei Ansprüche mehr bestehen. Deswegen ist es ihr nunmehr nicht mehr zuzumuten, den eingeklagten Urlaubsabgeltungsanspruch zu erfüllen – zumal sie ihren Geschäftsbetrieb stillgelegt und abgewickelt hat.“

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