BAG zur gerichtlichen Verwertbarkeit von Aufzeichnungen aus offener Videoüberwachung

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 23.08.2018
Rechtsgebiete: Bürgerliches RechtArbeitsrecht|3603 Aufrufe

Schon mehrfach hatte sich das BAG mit der Frage auseinanderzusetzen, ob und unter welchen Voraussetzungen die bei einer verdeckten Videoüberwachung gewonnen Aufzeichnungen im arbeitsgerichtlichen Verfahren verwertet werden dürfen. Insoweit gilt, dass das Interesse des Arbeitgebers an der Aufklärung von gegen ihn gerichteten Straftaten oder sonstigen schweren Vertragsverletzungen gegenüber dem Schutz des informationellen Selbstbestimmungsrechts des Arbeitnehmers dann ein höheres Gewicht hat, wenn diese Art der Informationsbeschaffung trotz der mit ihr verbundenen Persönlichkeitsbeeinträchtigung als schutzbedürftig zu qualifizieren ist. Das ist nur dann der Fall, wenn es keine andere Möglichkeit zur Aufklärung durch weniger einschneidende Maßnahmen (mehr) gab und die Videoüberwachung insgesamt nicht unverhältnismäßig ist.

Im Urteil vom 23.8.2018 hatte das BAG darüber zu entscheiden, wie lange der Arbeitgeber Aufzeichnungen aus einer offenen Videoüberwachung auswerten darf. Die Klägerin war in einem kleinen Ladengeschäft (Tabakwaren, Zeitschriften, Lottoannahmestelle) tätig, das offen videoüberwacht wurde. Der Beklagte behauptet, im 3. Quartal 2016 einen Fehlbestand an Tabakwaren festgestellt zu haben. Bei einer im August 2016 vorgenommenen Auswertung der Videoaufzeichnungen habe sich gezeigt, dass die Klägerin an zwei Tagen im Februar 2016 vereinnahmte Gelder nicht in die Registrierkasse gelegt habe. Der Beklagte kündigte daraufhin das Arbeitsverhältnis der Parteien außerordentlich fristlos (§ 626 BGB).

Die Kündigungsschutzklage hatte vor dem Arbeitsgericht und dem LAG Hamm Erfolg. Das Landesarbeitsgericht hat gemeint, die Erkenntnisse aus den Videoaufzeichnungen dürften im gerichtlichen Verfahren nicht verwertet werden. Der Beklagte hätte die Bildsequenzen unverzüglich, jedenfalls deutlich vor dem 1.8.2016 löschen müssen.

Die Revision hatte vor dem Zweiten Senat des BAG im Sinne einer Aufhebung des Berufungsurteils und der Zurückverweisung der Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LAG Erfolg:

"Die Speicherung von Bildsequenzen aus einer rechtmäßigen offenen Videoüberwachung, die vorsätzliche Handlungen eines Arbeitnehmers zulasten des Eigentums des Arbeitgebers zeigen, wird nicht durch bloßen Zeitablauf unverhältnismäßig, solange die Ahndung der Pflichtverletzung durch den Arbeitgeber arbeitsrechtlich möglich ist."

Das LAG wird aufklären müssen, ob die offene Videoüberwachung rechtlich zulässig war. Wenn dies zutrifft, hätte die Verarbeitung und Nutzung der einschlägigen Bildsequenzen nach § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG in der bis zum 24.5.2018 geltenden Fassung das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Klägerin nicht verletzt. Insbesondere war der Beklagte zur Überzeugung des BAG nicht verpflichtet, das Bildmaterial sofort auszuwerten. Er durfte hiermit solange warten, bis er dafür einen berechtigten Anlass sah. Der Zweite Senat weist abschließend darauf hin, dass - sollte die Videoüberwachung rechtmäßig gewesen sein - einer gerichtlichen Verwertung der erhobenen personenbezogenen Daten der Klägerin im weiteren Verfahren auch die Vorschriften der seit dem 25.5.2018 geltenden DS-GVO nicht entgegenstehen.

BAG, Urt. vom 23.8.2018 - 2 AZR 133/18, Pressemitteilung hier

Diesen Beitrag per E-Mail weiterempfehlenDruckversion

Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
Kommentar schreiben

Kommentare als Feed abonnieren

Kommentar hinzufügen