Diskussionstipp von Alexander Würdinger: Das BVerfG und der Inhalt des Klageerzwingungsantrags

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 02.09.2018
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht1738|100128 Aufrufe

Alexander Würdinger ist ja den Bloglesern schon bekannt. Er ist einer der wenigen Juristen, die sich seit langem und regelmäßig kritisch mit der Rechtsprechung zum Klageerzwingungsverfahren befassen. Er hat mich nun gebeten, doch einmal zu  BVerfG, Beschl. v. 2.7.2018 - 2 BvR 1550/17  eine Diskussion im Blog anzustoßen. Mach ich doch gerne!

Das BVerfG befasst sich in der Entscheidung mit der Frage, ob die Rechtsprechung der OLGe zum Klageerzwingungsverfahren noch verfassungsgemäß ist. Die Verfassungsbeschwerde war zwar erfolglos - das BVerfG lässt aber durchblicken: "Die OLGe sind zuuuuuu streng, was die Antragsprüfung angeht!"

 

Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG, Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 19 Abs. 4 GG. Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor, das Oberlandesgericht Rostock habe seinen Sachvortrag nicht zur Kenntnis genommen und überspitzte Anforderungen an die Voraussetzungen des § 172 Abs. 3 StPO gestellt. Es setze sich nur pauschal mit dem Klageerzwingungsantrag auseinander, der den gesetzlichen Anforderungen an dessen Zulässigkeit genüge. Dieser enthalte insbesondere eine aus sich heraus verständliche Sachverhaltsdarstellung. Dem Antrag könnten auch die erforderlichen Tatsachen und Beweismittel entnommen werden, ohne dass die staatsanwaltlichen Akten hätten beigezogen werden müssen.

III.

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Zwar verletzt der angefochtene Beschluss des Oberlandesgerichts Rostock den Beschwerdeführer in seinem Grundecht aus Art. 19 Abs. 4 GG (1.). Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist jedoch nicht zur Durchsetzung seiner in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG), weil die Tat möglicherweise verjährt ist (2.).

1. Der angefochtene Beschluss des Oberlandesgerichts Rostock verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 19 Abs. 4 GG, weil das Gericht überspannte Anforderungen an den Inhalt des Klageerzwingungsantrags gestellt hat.

a) Nach Art. 19 Abs. 4 GG darf der Zugang zu den Gerichten und den vorgesehenen Instanzen nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden (vgl. BVerfGE 40, 272 <275>; 78, 88 <99>; 88, 118 <124>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 27. Juli 2016 - 2 BvR 2040/15 -, juris, Rn. 13). Dies muss auch der Richter bei der Auslegung prozessualer Normen beachten. Er darf ein von der Rechtsordnung eröffnetes Rechtsmittel nicht durch eine überstrenge Handhabung verfahrensrechtlicher Vorschriften ineffektiv machen und für den Beschwerdeführer leerlaufen lassen (vgl. BVerfGE 77, 275 <284>; 96, 27 <39>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats, a.a.O.). Formerfordernisse dürfen nicht weitergehen, als es durch ihren Zweck geboten ist, da von ihnen die Gewährung des Rechtsschutzes abhängt (vgl. BVerfGE 88, 118 <125>; BVerfGK 14, 211 <214>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats, a.a.O.). Dies gilt auch für die Darlegungsanforderungen nach § 172 Abs. 3 Satz 1 StPO (vgl. BVerfGK 2, 45 <50>; 5, 45 <48>; 14, 211 <214>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats, a.a.O.).

Es begegnet vor diesem Hintergrund keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, § 172 Abs. 3 Satz 1 StPO so auszulegen, dass der Klageerzwingungsantrag in groben Zügen den Gang des Ermittlungsverfahrens, den Inhalt der angegriffenen Bescheide und die Gründe für ihre Unrichtigkeit wiedergeben und eine aus sich selbst heraus verständliche Schilderung des Sachverhalts enthalten muss, der bei Unterstellung des hinreichenden Tatverdachts die Erhebung der öffentlichen Klage in materieller und formeller Hinsicht rechtfertigt. Denn diese Darlegungsanforderungen sollen die Oberlandesgerichte vor einer Überlastung durch unsachgemäße und unsubstantiierte Anträge bewahren und in die Lage versetzen, ohne Rückgriff auf die Ermittlungsakten eine Schlüssigkeitsprüfung vorzunehmen (vgl. BVerfGK 2, 45 <50>; 5, 45 <48>; 14, 211 <214 f.>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats, a.a.O., Rn. 14).

Die Darlegungsanforderungen dürfen allerdings nicht überspannt werden, sondern müssen durch den Gesetzeszweck geboten sein (BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats, a.a.O., Rn. 15). Ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 172 Abs. 3 Satz 1 StPO erfordert zwar nur die Mitteilung des wesentlichen Inhalts der angegriffenen Bescheide sowie der Einlassung des Beschuldigten (vgl. BVerfGK 14, 211 <215>, m.w.N.), soweit diese im Einstellungsbescheid mitgeteilt wird (vgl. BVerfGK 14, 211 <216>). Eine Obliegenheit des Antragstellers, sich durch Akteneinsicht Kenntnis von der vollständigen Einlassung des Beschuldigten zu verschaffen und diese sodann auch vollständig mitzuteilen, besteht grundsätzlich nicht (vgl. BVerfGK 14, 211 <215>). Etwas Anderes gilt aber, wenn der Beschwerdeführer seinen Antrag auf gerichtliche Entscheidung maßgeblich auch mit Inhalten aus den Ermittlungsakten begründet. In diesem Fall ist der Beschwerdeführer gehalten, soll die vom Gesetzgeber implizit vorgesehene und verfassungsrechtlich nicht zu beanstandende Schlüssigkeitsprüfung allein auf der Grundlage des gestellten Antrags (vgl. BVerfGK 14, 211 <215>) nicht unterlaufen werden, zumindest den wesentlichen Inhalt der Beweismittel mitzuteilen, aus denen er auszugsweise vorträgt oder gar zitiert. Denn bei einer nur selektiven, im Einzelfall vielleicht sogar sinnentstellenden Wiedergabe von Teilen der Einlassung des Beschuldigten oder auch der Einvernahme von Zeugen kann ein unzutreffendes Bild vom Ermittlungsergebnis entstehen, das nicht ohne Weiteres wieder berichtigt werden kann. Soweit dies den Antragsteller verpflichtet, gegebenenfalls auch Umstände vorzutragen, welche den Beschuldigten entlasten könnten, ist dies hinzunehmen (BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 19. Mai 2015 - 2 BvR 987/11 -, juris, Rn. 34; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 27. Juli 2016 - 2 BvR 2040/15 -, juris, Rn. 15).

Der Zweck des Klageerzwingungsverfahrens darf nicht darauf verkürzt werden, den Oberlandesgerichten eine bloße Aufsicht über die Richtigkeit der staatsanwaltschaftlichen Einstellungsbescheide zu überantworten. Für die gerichtliche Kontrolle im Klageerzwingungsverfahren kommt es vielmehr darauf an, ob zum Zeitpunkt der Entscheidung aus der Sicht des Oberlandesgerichts genügender Anlass zur Erhebung der öffentlichen Klage besteht (BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 27. Juli 2016 - 2 BvR 2040/15 -, juris, Rn. 19).

Das Gericht darf deshalb im Hinblick auf die norminternen Direktiven des Art. 19 Abs. 4 GG einen Klageerzwingungsantrag nicht vorschnell aufgrund der formellen Hürden des § 172 Abs. 3 Satz 1 StPO verwerfen. Es hat insbesondere zu beachten, dass das Bestehen eines genügenden Anlasses zur Erhebung der öffentlichen Klage keine Voraussetzung für den Zugang des Antragstellers zu Gericht ist, sondern für die Anklageerhebung (§§ 170 Abs. 1, 174 Abs. 1 StPO). Die Zulässigkeit des Antrags gemäß § 172 Abs. 2 Satz 1 StPO erfordert nicht das Bestehen eines hinreichenden Tatverdachts (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 27. Juli 2016 - 2 BvR 2040/15 -, juris, Rn. 22). Dessen Vorliegen ist vom Gericht erst im Verfahren gemäß § 173 StPO zu prüfen, wobei es lückenschließende Ermittlungen anordnen kann. Die formalen Anforderungen des § 172 Abs. 3 Satz 1 StPO verlangen lediglich, dass der hinreichende Tatverdacht schlüssig dargelegt wird.

b) Gemessen daran halten die Erwägungen des Oberlandesgerichts Rostock den Anforderungen der Rechtsschutzgarantie nicht stand. Das Gericht hat die an einen Klageerzwingungsantrag zu stellenden Voraussetzungen überspannt.

aa) Der Klageerzwingungsantrag enthält entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts eine Darstellung des wesentlichen Inhalts der mitgeteilten Beweismittel.

Die Verpflichtung zur Wiedergabe des wesentlichen Inhalts eines Beweismittels dient dazu, dem Gericht die Überprüfung der schlüssigen Darlegung des genügenden Anlasses zur Erhebung der öffentlichen Klage zu ermöglichen, nicht jedoch des hinreichenden Tatverdachts an sich. Sie hat ferner den Zweck, eine Irreführung des Gerichts über den Inhalt und den Beweiswert des Beweismittels zu verhindern. Deshalb sind auch die Tatsachen mitzuteilen, die dem Antragsbegehren den Boden entziehen könnten (OLG Koblenz, Beschluss vom 21. Mai 2007 - 2 Ws 272/07 -, juris, Rn. 8). Bei einer nur selektiven, im Einzelfall vielleicht sogar sinnentstellenden Wiedergabe eines Beweismittels kann ein unzutreffendes Bild vom Ermittlungsergebnis entstehen, das nicht ohne Weiteres wieder berichtigt werden kann (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 19. Mai 2015 - 2 BvR 987/11 -, juris, Rn. 34; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 27. Juli 2016 - 2 BvR 2040/15 -, juris, Rn. 15). Die Wiedergabe des wesentlichen Inhalts eines Beweismittels versetzt das Gericht in die Lage, die Schlüssigkeitsprüfung ohne Rückgriff auf die Ermittlungsakten vorzunehmen (vgl. BVerfGK 2, 45 <50>; 5, 45 <48>; 14, 211 <214 f.>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats, a.a.O., Rn. 14).

Es gehört im Hinblick auf ein Sachverständigengutachten dagegen nicht zur Darstellung des wesentlichen Inhalts des mitgeteilten Beweismittels, dass die Ausführungen eines Sachverständigen vollständig wiedergegeben werden (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 22. Mai 2017 - 2 BvR 1107/16 -, juris, Rn. 23). Müsste der Klageerzwingungsantrag den weitgehend vollständigen Inhalt der Beweismittel enthalten, könnte das Gericht schon allein anhand der Antragsschrift das Bestehen eines hinreichenden Tatverdachts prüfen, und nicht nur dessen schlüssige Darstellung. Einer Beiziehung der Ermittlungsakte bräuchte es dann selbst zur Prüfung eines genügenden Anlasses für die Erhebung der öffentlichen Klage nicht mehr. Eine Arbeitserleichterung wäre mit einem derart umfassenden Darlegungserfordernis nicht verbunden, wenn das Gericht die Schlüssigkeit anhand eines Klageerzwingungsantrags prüfen müsste, dessen Inhalt und Umfang sich kaum von dem der beizuziehenden Ermittlungsakte unterscheidet.

Der Klageerzwingungsantrag gibt den wesentlichen Inhalt auch der Gutachten wieder, die gegen das Bestehen eines hinreichenden Tatverdachts sprechen. Dabei handelt es sich um die Auszüge aus dem vorläufigen Sektionsgutachten des Instituts für Rechtsmedizin der Universitätsmedizin G. vom 16. August 2010, aus dem toxikologisch-chemischen Gutachten des Arbeitsbereiches Forensische Toxikologie und Alkoholanalytik des Universitätsklinikums G. vom 6. Januar 2011, aus dem Sachverständigengutachten des Instituts für Rechtsmedizin der Universitätsmedizin G. vom 6. Dezember 2012, dem Onkologischen Gutachten der Klinik für Hämatologie und Medizinische Onkologie der Universitätsmedizin Gö. vom 10. Februar 2014 sowie der ergänzenden Stellungnahme des Instituts für Rechtsmedizin der Universitätsmedizin G. vom 18. Dezember 2016. Diese Gutachten werden in ihrem Kerngehalt und ihren Schlussfolgerungen dargestellt. Ein unzutreffendes oder entstellendes Bild des Ermittlungsergebnisses wird dem Gericht hierdurch nicht präsentiert und es werden auch keine Umstände verheimlicht, die dem Antragsbegehren den Boden entziehen könnten. Hinzu kommt, dass sich der Antragsteller in seinem Klageerzwingungsantrag detailliert und argumentativ mit diesen Gutachten auseinandersetzt und versucht, deren Unrichtigkeit darzulegen. Zwar betont der Beschwerdeführer die für einen hinreichenden Tatverdacht sprechenden Umstände stärker und widmet diesen mehr Raum als Umständen, die gegen dessen Vorliegen sprechen. Das macht den Antrag jedoch noch nicht unzulässig. Die Würdigung der im Ermittlungsverfahren hervorgebrachten Beweise ist vielmehr eine Frage der Begründetheit des Antrags.

bb) Die Antragsschrift widerspricht im vorliegenden Einzelfall auch nicht deswegen den Anforderungen des § 172 Abs. 3 Satz 1 StPO, weil sie Scans von und Direktzitate aus Sachverständigengutachten enthält oder auf Anlagen Bezug nimmt.

(1) Ein Klageerzwingungsantrag ist grundsätzlich unzulässig, wenn in Bezug genommene Bestandteile in die Antragsschrift hineinkopiert werden (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 30. Januar 2017 - 2 BvR 225/16 -, juris, Rn. 7; VerfGH Berlin, Beschluss vom 30. April 2004 - VerfGH 128/03 -, NJW 2004, 2728; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 18. Mai 1983 - 1 Ws 335/83 -, StV 1983, 498; OLG Celle, NStZ 1997, 406; vgl. auch OLG Hamm, Beschluss vom 16. Dezember 2014 - III-1 Ws 521/14, 1 Ws 521/14 -, juris, Rn. 11; Graalmann-Scheerer, in: Löwe-Rosenberg, Strafprozessordnung, 26. Aufl. 2007, § 172, Rn. 156; Kölbel, in: Münchener Kommentar zur StPO, 1. Aufl. 2016, § 172 Rn. 70; Moldenhauer, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 7. Aufl. 2013; § 172 Rn. 37). Es ist nicht Aufgabe des Gerichts, sich den entscheidungserheblichen Sachverhalt selbst aus Anlagen zusammenzustellen (OLG Stuttgart, Beschluss vom 8. September 2003 - 1 Ws 242/03 -, NStZ-RR 2003, 331; Moldenhauer, a.a.O.), insbesondere wenn durch das Einkopieren von Strafanzeigen oder Beschwerdeschriften die Sachdarstellung verunklart wird. Ausnahmen hiervon werden jedoch für zulässig erachtet, wenn es auf den Wortlaut der eingefügten Unterlagen ankommt und das Hineinkopieren lediglich das - anderenfalls notwendige - vollständige Abschreiben dieser Unterlagen ersetzt. Entscheidend ist, dass das Gericht nicht gezwungen wird, sich den relevanten Verfahrensstoff aus einer Vielzahl (möglicherweise unsystematisierter) Kopien selbst zusammenzustellen (OLG Hamm, a.a.O., Leitsatz und Rn. 11; Kölbel, a.a.O., Rn. 71). Anderenfalls läuft der Antragsteller Gefahr, zu wenig aus dem Gutachten eines Sachverständigen oder der Aussage eines Zeugen wiederzugeben, so dass sein Antrag an der Hürde zur Wiedergabe des wesentlichen Inhalts eines Beweismittels (vgl. aa) scheitern würde.

(2) Vor dem Hintergrund der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG kann es keinen Unterschied machen, ob der Antragsteller in einem Klageerzwingungsantrag entscheidende Passagen aus dem Gutachten eines Sachverständigen in indirekter Rede im Fließtext wiedergibt oder sich der Einfügung von Scans oder Direktzitaten bedient. Die in die Antragsschrift eingefügten Auszüge aus Sachverständigengutachten haben lediglich erläuternden Charakter. Sie dienen dazu, den wesentlichen Inhalt der Beweismittel darzustellen, die Argumentation der dem Antrag zugrunde gelegten Beweiswürdigung zu unterstreichen und die den Beschuldigten zur Last liegenden Pflichtverletzungen zu konkretisieren. Sie haben - gemessen am Gesamtumfang der Antragsschrift - einen nicht übermäßig ins Gewicht fallenden Umfang. Das Gericht musste sich aus den eingefügten Scans und Direktzitaten nicht erst selbst den entscheidungserheblichen Sachverhalt oder den wesentlichen Inhalt der Beweismittel heraussuchen.

cc) Der Klageerzwingungsantrag widerspricht auch nicht deshalb den Anforderungen des § 172 Abs. 3 Satz 1 StPO, weil er angeblich auf weitere Anlagen mit einem Umfang von insgesamt 136 oder 196 Seiten Bezug nimmt, die das Oberlandesgericht hätte lesen müssen, um sich ein eigenes Bild vom Krankheitsverlauf und den durchgeführten Behandlungsmaßnahmen zu verschaffen. Der Strafsenat übersieht hierbei, dass die Anlagen nicht derart in Bezug genommen werden, dass die Kenntnis ihres Inhalts den im Klageerzwingungsantrag erforderlichen Sachvortrag ersetzen soll. Der wesentliche Inhalt der in Bezug genommenen Anlagen war bereits in einer § 172 Abs. 3 Satz 1 StPO genügenden Art und Weise im Antrag selbst enthalten. Die an sich überflüssige Bezugnahme auf Anlagen kann einen zulässigen Klageerzwingungsantrag nicht unzulässig machen. Sie hatten offensichtlich nur den Zweck, die Übereinstimmung der Angaben des Antragstellers mit dem Akteninhalt zu belegen.

dd) Aus diesem Grund ist es auch unbeachtlich, dass die Anlagen erst nach Ablauf der Frist des § 172 Abs. 3 Satz 2 StPO beim Oberlandesgericht Rostock eingegangen sind. Nach Fristablauf ist eine inhaltliche Nachbesserung des Antrags nur dann nicht mehr möglich, wenn die Ausgangsfassung des Antrags nicht ausreichend und deshalb unzulässig war (vgl. OLG Nürnberg, Beschluss vom 11. November 1997 - Ws 1078/97 -, juris, Rn. 15; OLG Hamm, Beschluss vom 4. Juli 2002 - 2 Ws 213/02 -, juris, Rn. 4; Kölbel, a.a.O., Rn. 58; Graalmann-Scheerer, a.a.O., Rn. 128). Der hier zur Beurteilung stehende Antrag war jedoch bereits vor Fristablauf in einer den Anforderungen des § 172 Abs. 3 Satz 1 StPO genügenden Weise beim Oberlandesgericht Rostock eingegangen.

2. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist jedoch nicht zur Durchsetzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 19 Abs. 4 GG angezeigt, weil deutlich abzusehen ist, dass sein Klageerzwingungsantrag auch im Falle einer Zurückverweisung an das Ausgangsgericht im Ergebnis keinen Erfolg haben würde (vgl. BVerfGE 90, 22 <25 f.>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 5. April 2012 - 2 BvR 211/12 -, juris, Rn. 16; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 29. Juli 2016 - 1 BvR 1225/15 -, juris, Rn. 19; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 4. Juli 2017 - 2 BvR 2157/15 -, juris, Rn. 32). Soweit sich aus dem Klageerzwingungsantrag schlüssig dargelegte Anhaltspunkte für eine fahrlässige Tötung ergeben könnten, wäre die Tat unter Zugrundelegung der im Antrag enthaltenen Darstellung des Gangs des Ermittlungsverfahrens verjährt.

 

a) Fahrlässige Tötung ist mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bedroht (§ 222 StGB). Die Verfolgung der Tat verjährt somit gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB in fünf Jahren. Die Verjährungsfrist beginnt gemäß § 78a Satz 1 StGB mit der Beendigung der Tat, vorliegend mit dem Tod der Ehefrau des Beschwerdeführers am 1. Juni 2010.

b) Als verjährungsunterbrechende Maßnahmen lassen sich dem Klageerzwingungsantrag lediglich die richterlichen Durchsuchungsanordnungen des Amtsgerichts Neubrandenburg vom 3. Juni 2010, 9. August 2010 und 29. September 2010 entnehmen (§ 78c Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB).

Die eingeholten rechtsmedizinischen Gutachten haben den Lauf der Verfolgungsverjährung dagegen nicht unterbrochen. Aus dem Klageerzwingungsantrag ergibt sich nicht, dass die Beauftragung der Sachverständigen erfolgte, nachdem die Beschuldigten vernommen oder ihnen die Einleitung des Ermittlungsverfahrens bekannt gegeben wurden (§ 78 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StGB). Die Erfassung eines oder mehrerer Beschuldigter in einem staatsanwaltlichen Verfahren oder die Umschreibung eines UJs-Verfahrens in ein Js-Verfahren am 22. Oktober 2013 (vgl. Bl. 38 d. A.) stellen interne Akte innerhalb der Strafverfolgungsbehörde dar und stehen nach dem klaren Wortlaut von § 78 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StGB einer Bekanntgabe der Einleitung des Ermittlungsverfahrens an die Beschuldigten nicht gleich.

Damit konnte die angezeigte Tat nach Ablauf des 28. September 2015 nicht mehr verfolgt werden.

3. Dass die Strafverfolgungsorgane keine Maßnahmen getroffen haben, die Verjährung zu unterbrechen, begegnet für sich genommen noch keinen Bedenken.

Zwar verpflichten Art. 2 Abs. 2 Sätze 1 und 2 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG den Staat, sich dort schützend und fördernd vor das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die Freiheit und die sexuelle Selbstbestimmung des Einzelnen zu stellen und sie vor rechtswidrigen Eingriffen von Seiten Dritter zu bewahren (vgl. BVerfGE 39, 1 <42>; 46, 160 <164>; 121, 317 <356>; BVerfGK 17, 1 <5>), wo die Grundrechtsberechtigten selbst nicht dazu in der Lage sind. Die wirksame Verfolgung von Gewaltverbrechen und vergleichbaren Straftaten stellt allerdings eine Konkretisierung der staatlichen Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 Sätze 1 und 2 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG dar (vgl. BVerfGK 17, 1 <5>), die Grundlage subjektiver öffentlicher Rechte sein kann. Insoweit besteht ein Anspruch auf eine effektive Strafverfolgung dort, wo der Einzelne nicht in der Lage ist, erhebliche Straftaten gegen seine höchstpersönlichen Rechtsgüter - Leben, körperliche Unversehrtheit, sexuelle Selbstbestimmung und Freiheit der Person - abzuwehren und ein Verzicht auf die effektive Verfolgung solcher Taten zu einer Erschütterung des Vertrauens in das Gewaltmonopol des Staates und einem allgemeinen Klima der Rechtsunsicherheit und Gewalt führen kann. In solchen Fällen kann ein Tätigwerden des Staates und seiner Organe auch mit den Mitteln des Strafrechts verlangt werden (vgl. BVerfGE 39, 1 <36 ff.>; 49, 89 <141 f.>; 53, 30 <57 f.>; 77, 170 <214>; 88, 203 <251>; 90, 145 <195>; 92, 26 <46>; 97, 169 <176 f.>; 109, 190 <236>). Bei Kapitaldelikten kann ein solcher Anspruch auf der Grundlage von Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 GG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und Art. 1 Abs. 1 GG auch nahen Angehörigen zustehen (BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 19. Mai 2015, a.a.O., Rn. 19 f.).

Die Landesjustizverwaltungen haben daher zum Schutz des Anspruchs auf effektive Strafverfolgung durch geeignete organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, dass Ermittlungsverfahren zeitnah abgeschlossen werden, so dass es dem Antragsberechtigten grundsätzlich noch innerhalb der Verjährungsfristen möglich ist, rechtzeitig einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 172 Abs. 2 und Abs. 3 StPO zu stellen. Dass sie diese Pflicht verletzt haben, ist vorliegend jedoch nicht dargelegt.

 

BVerfG, Beschl. v. 2.7.2018 - 2 BvR 1550/17

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1738 Kommentare

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Da gibt es nichts auszulegen. §§ 172 ff. StPO sind klar. Richtig ausgelegt bedeutet das: Eine mündliche Verhandlung ist im Verfahren nach § 172 Abs. 2 StPO nicht vorgeschrieben. Die im Klageerzwingungsverfahren erst- und letztinstanzlich zuständigen Oberlandesgerichte bestimmen ihr Verfahren dabei nach pflichtgemäßem Ermessen (vgl. BVerfG, B. v. 10.8.2006 - 2 BvR 2324/04).

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Da Art. 6 EMRK Klageerzwingungsverfahren in Deutschland nicht erfasst (anders könnte es in Ländern sein, in denen der Zivilverfahrensausgang zwingend vom Strafverfahrensausgang abhängt) , gibt es keinen Anspruch des Verletzten auf eine mündliche Verhandlung.

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Was gehört zum Recht auf ein faires Verfahren? Z.B. das Konfrontationsrecht und der Grundsatz der Waffengleichheit. Vor allem aber der Anspruch auf eine Mündliche Verhandlung. 

Was gehört zum Recht auf ein faires Verfahren?

vgl. hierzu Art. 6 EMRK und BGH, B. v. 16.1.2018 - VIII ZB 61/17 = NJW 2018, 1022 (Leitsatz)

Vor allem aber der Anspruch auf eine Mündliche Verhandlung.

Für das Klageerzwingungsverfahren gilt das eindeutig nicht: Eine mündliche Verhandlung ist im Verfahren nach § 172 Abs. 2 StPO nicht vorgeschrieben. Die im Klageerzwingungsverfahren erst- und letztinstanzlich zuständigen Oberlandesgerichte bestimmen ihr Verfahren dabei nach pflichtgemäßem Ermessen (vgl. BVerfG, B. v. 10.8.2006 - 2 BvR 2324/04).

Auch die EMRK schreibt zum Thema "Faires Verfahren" speziell eine mündliche Verhandlung nur für ganz bestimmte Verfahrensarten vor, zu denen beispielsweise das Klageerzwingungsverfahren eben gerade nicht gehört (Art. 6 Abs. 1 EMRK).

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Die EMRK schreibt zum Thema "Faires Verfahren" speziell eine mündliche Verhandlung für alle Verfahrensarten vor, zu denen beispielsweise auch das Klageerzwingungsverfahren und das Ermittlungserzwingungsverfahren gehört (Art. 6 Abs. 1 EMRK).

Dass die EMRK für alle Verfahrensarten ein faires Verfahren vorschreibt, ist schlichtweg falsch. Der Anwendungsbereich des Art. 6 erstreckt sich auf "civil rights" und auf das Strafrecht, soweit es ein Verfahren gegen eine bestimmte Person betrifft.

Art. 6 gilt zB nicht für weite Bereiche des öffentlichen Rechts, zB  Asylverfahren. Mal ein Zitat aus Grabenwarter/Pabel EMRK

"Nicht zu den zivilrechtlichen Verfahren im Sinne von Art. 6 zählen solche, die in den Rechtssystemen der Mitgliedstaaten typischerweise dem Kernbereich des öffentlichen Rechts zuzuordnen sind. Zu diesem Bereich gehören das Strafrecht (einschließlich der vermögensrechtlich relevanten Verhängung von Geldstrafen) sowie Verfahren über Freiheitsentziehungen, sofern diese ausschließlich im öffentlichen Interesse verhängt werden und mit keinen weitergehenden Entscheidungen verbunden sind....Verfahren über „übliche“ Rechte und Pflichten der Bürger sind hingegen dem Kernbereich des öffentlichen Rechts zuzuordnen.Dazu zählen Verfahren über das Steuerschuldverhältnis,  Verfahren betreffend die Wehrpflicht oder den Wehrersatzdienst und betreffend Rechte aus dem politischen Bereich, wie Entscheidungen über das aktive oder passive Wahlrecht oder die Untersagung oder Auflösung einer Versammlung."

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Sie haben die Kommentarstelle missverstanden: Die Kommentarstelle handelt von Verwaltungsverfahren, also von Verfahren vor Verwaltungsbehörden. Das KlEV und das EEV sind aber Gerichtsverfahren, also Verfahren vor staatlichen Gerichten

Die Kommentarstelle handelt von Verwaltungsverfahren...

Sie brauchen wirklich eine (starke) Brille: Da steht doch ausdrücklich: "Nicht zu den zivilrechtlichen Verfahren im Sinne von Art. 6...", also Gerichtsverfahren und nicht Verwaltungsverfahren.

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Dass Verwaltungsverfahren nicht zu den zivilrechtlichen Verfahren im Sinne von Art. 6 I 1 EMRK rechnen, ist richtig. Ich kann aber Ihr Argument noch nicht erkennen. 

Wenn es für zivilrechtliche, verwaltungsrechtliche und strafrechtliche Verfahren eigene verfahrensrechtliche Regelungen und Ordnungen gibt, so wie in der BRD, dann sind die doch auch anzuwenden.

Erst wenn der Gesetzgeber der BRD daran etwas verändert hat, ändert sich die (Gesetzes-)Lage.

So hat sich mir das Argument erschlossen.

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Aber das Gesetz, das die Mündliche Verhandlung für alle Gerichtsverfahren vorschreibt, gibt es doch schon, nämlich den Art. 6 I 1 EMRK. Die einzelnen Verfahrensordnungen, die Sie ansprechen, setzen dieses Gebot des Art. 6 I 1 EMRK um, das ist der grundsätzliche Mechanismus. Warum dieser Mechanismus für das KlEV und das EEV nicht gelten sollte, erschließt sich mir nicht. 

Aber das Gesetz, das die Mündliche Verhandlung für alle Gerichtsverfahren vorschreibt, gibt es doch schon, nämlich den Art. 6 I 1 EMRK.

Falsch! Eine mündliche Verhandlung ist im Verfahren nach § 172 Abs. 2 StPO nicht vorgeschrieben. Die im Klageerzwingungsverfahren erst- und letztinstanzlich zuständigen Oberlandesgerichte bestimmen ihr Verfahren dabei nach pflichtgemäßem Ermessen (vgl. BVerfG, B. v. 10.8.2006 - 2 BvR 2324/04).

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Jetzt geht da copo wieder alles von vorne an, wie wir es vor einigen Tagen schon erörtert hatten, vgl. hier. Mit Würdinger auf einen grünen Zweig zu kommen ist ähnlich aussichtslos, wie sich wieder aus Treibsand zu befreien. Keine Chance!

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Und was haben Sie in der Sache auf meine Argumentation zu erwidern?

Herr Würdinger, die Allgemeine Menschenrechterklärung der Vereinten Nationen steht über europäischem Recht und das über deutschem Recht nach Ihrer Logik.

Und nun schauen Sie sich einmal den Art. 16 genau bis zum Ende an:

https://www.menschenrechtserklaerung.de/ehe-und-familie-3633/

Da ist das deutsche Recht inzwischen anders geworden.

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Und der Rang ist nun kein Argument mehr?

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Die ganze Rechtsprechung des BVerfG hatte sich da aber nicht verändert, Herr Kolos wird es Ihnen bestätigen können.

Der Gesetzgeber hatte etwas  einfachgesetzlich geändert.

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Sie machten doch selber Analogieschlüsse, Herr Würdinger, und ich machte die auch.

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Ich muss gestehen, dass ich Ihren Gedankengang nicht nachvollziehen kann. 

Aber Sie können auch das nehmen: https://www.menschenrechtserklaerung.de/recht-auf-faires-strafverfahren-3609/

Zitat:

das Recht auf eine Verteidigung: Jeder Beschuldigte muss die Möglichkeit erhalten, sich gegen einen Strafvorwurf effektiv zu verteidigen. Hierzu hat auch jeder Beschuldigte das Recht auf einen Anwalt.

Wo ist da das KlEV und EEV???

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Weiter:

https://www.zivilpakt.de/faires-strafverfahren-3292/

d: ein Recht auf Anwesenheit in der Hauptverhandlung sowie

  ein Recht auf einen Verteidiger.

e: Der Angeklagte darf Fragen an die Belastungszeugen stellen oder stellen lassen und das Erscheinen und die Vernehmung der Entlastungszeugen unter den für die Belastungszeugen geltenden Bedingungen er wirken.

Wo ist da das KlEV und EEV???

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Weiter: https://www.zivilpakt.de/anwesenheit-in-der-hauptverhandlung-3293/

Fazit: Nationale Eigenheiten sind also auch weiterhin möglich!

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Sie schreiben: "Nationale Eigenheiten sind also auch weiterhin möglich!" Das stimmt. Ich sehe aber keinen Zusammenhang zu dem Streitpunkt, dass Art. 6 I 1 EMRK auf das KlEV und das EEV angewendet werden muss. Da geht es nämlich nur um die nationale Normenpyramide. Da geht es nämlich nur daraum, dass die EMRK gegenüber der StPO nach nationalem Recht Vorrang genießt.  

Falsch! Es gibt keinen "Vorrang" der EMRK! Die EMRK steht, wie alle völkerrechtlichen Verträge, auf der Ebene des einfachen Gesetzes, also auf der gleichen Ebene, wie die StPO etc.

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Aus Art. 103 Abs. 1 GG folgt nicht unmittelbar ein Anspruch auf eine mündliche Verhandlung. Es ist vielmehr Sache des Gesetzgebers, zu entscheiden, in welcher Weise das rechtliche Gehör gewährt werden soll (BVerfG Beschl. v. 13.2.2019 – 2 BvR 633/16, BeckRS 2019, 2004, beck-online).

Weder die StPO noch die EMRK schreiben für Klageerzwingungsverfahren eine mündliche Verhandlung vor, jedenfalls soweit nicht eine Anhörung des Beschuldigten geboten ist. In der Regel wird es dafür auch schon deshalb keine Veranlassung geben können, weil der Beschwerdeführer seine Argumente ja bereits schriftlich vortragen konnte.

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Ein zusätzlicher Argumentationsstrang kam noch gar nicht zur Sprache: Beim KlEV und beim EEV wird darüber verhandelt, ob gegen den Beschuldigten Anklage erhoben werden soll (KlEV) bzw. Ermittlungen eingeleitet oder fortgeführt werden sollen (EEV). Deswegen fordere ich ohnehin schon seit Langem, dass der Beschuldigte gem. § 65 VwGO beigeladen werden muss, damit er Gelegenheit erhält, sich gegen die Schuldvorwürfe verteidigen zu können. Auch aus diesem Gesichtspunkt heraus muss also eine Mündliche Verhandlung im KlEV und im EEV stattfinden, allein schon weil auch der beigeladene Beschuldigte Gelegenheit erhalten muss, sich in einer Mündlichen Verhandlung gegen die Schuldvorwürfe zur Wehr setzen zu können. 

Nach § 175 StPO ist der Beschuldigte anzuhören. Dafür bedarf es also keiner VwGO!

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Es geht darum, in welcher Form der Beschuldigte angehört werden muss. Gerade Art. 6 I 1 EMRK schreibt vor, dass dies in einer Mündlichen Verhandlung zu geschehen habe. 

Art. 6 EMRK gilt ausweislich des ausdrücklichen Wortlauts nur in Verfahren über "zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen oder über eine ... erhobene strafrechtliche Anklage", also nicht für ein Klageerzwingungsverfahren.

Eine mündliche Verhandlung ist im Verfahren nach § 172 Abs. 2 StPO nicht vorgeschrieben. Die im Klageerzwingungsverfahren erst- und letztinstanzlich zuständigen Oberlandesgerichte bestimmen ihr Verfahren dabei nach pflichtgemäßem Ermessen (vgl. BVerfG, B. v. 10.8.2006 - 2 BvR 2324/04).

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Ein zusätzlicher Argumentationsstrang kam noch gar nicht zur Sprache...

Dieser "Argumentationsstrang" wurde schon hunderttausendmal besprochen! Nur Würdinger verdrängt das alles und fängt immer wieder da acpo von vorne an, wie ein perpetuum mobile. Die VwGO und das Verwaltungsrecht haben im Klageerzwingungsverfahren nach einhelliger Meinung nichts zu suchen, vgl.:

"Für solche Verstöße sind keinerlei Anhaltspunkte erkennbar. Dies gilt insbesondere für die im Einzelnen begründete Auffassung des Oberlandesgerichts, wonach die für das Verfahren vor den Verwaltungsgerichten geltende Hinweispflicht nach § 86 Abs. 3 VwGO auf das strafprozessuale Klageerzwingungsverfahren weder unmittelbar noch analog anzuwenden ist... Es ist angemessen, dem Beschwerdeführer eine Gebühr von 1.000 € aufzuerlegen (Art. 27 Abs. 1 Satz 2 VfGHG)" (VerfGH München, Entscheidung v. 22.09.2015 - Vf. 107-VI/14).

"Einen Untätigkeitsantrag oder eine Untätigkeitsklage sieht das Gesetz im Rahmen des Klageerzwingungsverfahrens nicht vor. Die VwGO ist nicht anwendbar" (OLG München, Beschluss v. 05.10.2017 - 2 Ws 1235/17 KL, 2 Ws 1238/17 KL). Vgl. neuerdings auch: OLG München, B. v. 15.2.2019 - 2 Ws 100/19 KL.

"Eine solche Vorschaltbeschwerde hat der Beschwerdeführer nicht erhoben, sondern - trotz Hinweises des Oberlandesgerichts - auf seiner unzutreffenden Rechtsauffassung einer entsprechenden Anwendbarkeit von § 75 VwGO im Rahmen des Klageerzwingungsverfahrens beharrt... Es ist angemessen, dem Beschwerdeführer eine Gebühr von 1.500 € aufzuerlegen (Art. 27 Abs. 1 Satz 2 VfGHG)" (VerfGH München, Entscheidung v. 22.10.2018 - Vf. 74-VI-17).

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Herr Würdinger, ich vermeide es, selber gesetzgeberisch oder alleingültig interpretierend von Gesetzen tätig  werden zu wollen, weil mir diese Hybris fehlt.

Wer aber meint,  die EU-Regelungen würden alle nationalen Regelungen zwingend majorisieren, der giesst viel Wasser auf die Mühlräder der EU-Skeptiker / EU-Gegner m/w/d.

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Sehen Sie, ich vermeide es nicht, selbst interpretierend von Gesetzen tätig zu werden, denn dies ist u.a. Gegenstand einer juristischen Ausbildung.

Sie haben das "alleingültig" entweder mit Absicht oder aus Versehen unterschlagen, Herr Würdinger, weil Sie so schnell reagierten.

Es gibt aber viele andere mit juristischer Ausbildung neben Ihnen, die Gesetze interpetieren.

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Hält das OLG den Antrag für zulässig und begründet, beschließt es die Anklageerhebung. Zuvor muss eine Anhörung des Beschuldigten mit dem Hinweis stattfinden, dass das OLG erwägt, dem Klageerzwingungsantrag stattzugeben; die Mitteilung an den Verteidiger genügt (Dölling/Duttge/König/Rössner, Gesamtes Strafrecht, StPO § 175 Rn. 1, beck-online; vgl. dazu auch BVerfG NJW 1964, 1412).

Das Klageerzwingungsverfahren erfordert rechtliches Gehör für den Beschuldigten, der angeklagt werden soll, aber keine mündliche Verhandlung. Gleichwohl könnte es im Einzelfall dann, wenn das OLG den Antrag für zulässig und begründet hält, im Rahmen des pflichtgemäßen Ermessens angebracht sein, den Beschuldigten anzuhören.

In anderen Fällen (Ermittlungserzwingung, Antrag unzulässig oder unbegründet) gibt es für eine mündliche Verhandlung überhaupt keinen Grund.

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Ob der Antrag im KlEV  oder im EEV begründet war, weiß man doch erst nach Abschluß des Verfahrens. Aber der Beschuldigte muss doch die Möglichkeit erhalten, sich von Anfang an gegen die Schuldvorwürfe zur Wehr setzen zu können. Und es kann auch nicht sein, dass die zentralen Regeln des Verfahrens alle nur im "pflichtgemäßen Ermessen" des Gerichts liegen. Die Rechtsstaatlichkeit eines Gerichtsverfahrens gebietet es doch m.E. vielmehr, dass der Beschuldigte - eben auch im Rahmen eines KlEV oder eines EEV -  echte Verfahrensrechte hat und nicht auf das Wohlwollen des OLG-Strafsenats angewiesen ist. 

Jetzt spielen Sie doch nicht als Rächer der Enterbten auf! Ihnen geht es doch gar nicht um den Beschuldigten, Ihnen geht es einzig und alleine um Sie selbst als das angebliche Opfer immerwährender Rechtsbeugungen, was Ihnen seit Jahren noch niemand abgenommen hat. § 175 iVm 33 Abs. 3 StPO reichen für das rechtliche Gehör des Beschuldigten völlig aus.

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Nein, diese Vorschriften reichen eben nicht aus, weil auf diese Weise im KlEV und im EEV buchstäblich über den Kopf des Beschuldigten hinweg verhandelt werden würde, ohne dass der Beschuldigte auch nur die Gelegenheit erhielte, sich in einer öffentlichen mündlichen Verhandlung gegen die Schuldvorwürfe zur Wehr setzen zu können. 

Die öffentliche mündliche Verhandlung kommt in der öffentlichen mündlichen Verhandlung. Dafür ist sie da. Bis dahin gelten §§ 175 iVm 33 Abs. 3 StPO. Sie sollten wirklich einmal wieder einen Blick in Ihre juristsiche Anfängerliteratur werfen!

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Nein, diese Vorschriften reichen eben nicht aus, weil auf diese Weise im KlEV und im EEV buchstäblich über den Kopf des Beschuldigten hinweg verhandelt werden würde, ohne dass der Beschuldigte auch nur die Gelegenheit erhielte, sich in einer öffentlichen mündlichen Verhandlung gegen die Schuldvorwürfe zur Wehr setzen zu können.

Welche "Schuldvorwürfe" werden denn dem Verletzten (!) gemacht, Herr Würdinger ???

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Die Schuldvorwürfe werden im Rahmen des KlEV und des EEV dem Beschuldigten gemacht, gegen den sich die Strafanzeige des Verletzten richtet. 

Nach Würdinger muss doch ein Verletzter Ermittlungen oder Anklagen der Staatsanwaltschaft gegen Dritte durch ein EEV oder ein KlEV erzwingen. Darum geht es doch seit 1663 Kommentaren, alleine nur in diesem Thread.

Es wird immer toller, wie Würdinger jetzt aus dem Verletzten auch noch einen Beschuldigten macht.

Respekt für soviel Zauberei.

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Die VwGO und das Verwaltungsrecht haben im Klageerzwingungsverfahren nach einhelliger Meinung nichts zu suchen, vgl.:

"Für solche Verstöße sind keinerlei Anhaltspunkte erkennbar. Dies gilt insbesondere für die im Einzelnen begründete Auffassung des Oberlandesgerichts, wonach die für das Verfahren vor den Verwaltungsgerichten geltende Hinweispflicht nach § 86 Abs. 3 VwGO auf das strafprozessuale Klageerzwingungsverfahren weder unmittelbar noch analog anzuwenden ist... Es ist angemessen, dem Beschwerdeführer eine Gebühr von 1.000 € aufzuerlegen (Art. 27 Abs. 1 Satz 2 VfGHG)" (VerfGH München, Entscheidung v. 22.09.2015 - Vf. 107-VI/14).

"Einen Untätigkeitsantrag oder eine Untätigkeitsklage sieht das Gesetz im Rahmen des Klageerzwingungsverfahrens nicht vor. Die VwGO ist nicht anwendbar" (OLG München, Beschluss v. 05.10.2017 - 2 Ws 1235/17 KL, 2 Ws 1238/17 KL). Vgl. neuerdings auch: OLG München, B. v. 15.2.2019 - 2 Ws 100/19 KL.

"Eine solche Vorschaltbeschwerde hat der Beschwerdeführer nicht erhoben, sondern - trotz Hinweises des Oberlandesgerichts - auf seiner unzutreffenden Rechtsauffassung einer entsprechenden Anwendbarkeit von § 75 VwGO im Rahmen des Klageerzwingungsverfahrens beharrt... Es ist angemessen, dem Beschwerdeführer eine Gebühr von 1.500 € aufzuerlegen (Art. 27 Abs. 1 Satz 2 VfGHG)" (VerfGH München, Entscheidung v. 22.10.2018 - Vf. 74-VI-17).

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Wird ein von einem Verletzten Beschuldigter doch infolge eines erfolgreichen KLEV von der Staatsanwaltschaft angeklagt, bekommte der Beschuldigte doch noch ein öffentliches Verfahren.

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Das ist aber dann, im Nachgang, ein separates Verfahren, nämlich ein ganz normales Strafverfahren. Das hat aber nichts damit zu tun, dass zunächst ein KlEV oder ein EEV stattfindet und im Rahmen dieses Verfahrens gem. Art. 6 I 1 EMRK eine Mündliche Verhandlung stattfinden muss.  

Im EEV hat eine mündliche Verhandlung keinen Sinn. Beim KlEV macht sie auch keinen Sinn, wenn der Antrag schon unzulässig ist. Ist er zulässig, muss sich das OLG inhaltlich mit ihm befassen. Und da ist erst dann eine Anhörung (nicht unbedingt eine mündliche) angezeigt, wenn überhaupt ernstlich in Betracht kommt, dass das OLG den Antrag für begründet hält, d.h., dem Beschuldigten entgegen der angefochtenen staatsanwaltlichen Entscheidung ins Haus stehen kann, dass er angeklagt wird. Auch dann wird die Anhörung meist nicht mündlich erfolgen müssen (und die meisten Beschuldigten werden eine mündliche Anhörung auch nicht wollen). Aber die Anwendung des pflichtgemäßen Ermessens schließt es m.E. auch nicht aus, dass zur Anhörung des Beschuldigten im Einzelfall ein Termin zur mündlichen Anhörung angesetzt wird. Ohne das nachgeprüft zu haben, würde ich für einen solchen Anhörungstermin mit Beschuidigtem und Verteidiger auf Nichtöffentlichkeit tippen (d.h. auch unter Ausschluss des Verletzten, der keinerlei Anspruch auf eine mündliche Verhandlung hat).

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Naja, auf eine landläufige Formel gebracht, ist das so, wie die Antwort von Sepp Herberger, warum die Leute ins Stadion gehen, seine Antwort war: "Weil sie nicht wissen, wie das Spiel ausgeht." So fällt jetzt auch, im Prinzip, meine Antwort aus, warum eine Mündliche Verhandlung im KlEV und im EEV eben doch sehr viel Sinn macht: Weil eben zu Beginn eines Prozesses es für gewöhnlich alles andere als eine ausgemachte Sache ist, wie der Prozess zu Ende gehen wird. Deshalb muss es eben auch in jedem Prozess - das ist nämlich der tiefere Sinn des Art. 6 I 1 EMRK - eine Mündliche Verhandlung geben. Und mit Ihrem Einwurf "und die meisten Beschuldigten werden eine mündliche Anhörung auch nicht wollen" haben Sie natürlich vollkommen Recht: Deswegen ist ja auch kein Beschuldigter verpflichtet, an einer Mündlichen Verhandlung im Rahmen eines KlEV oder eines EEV  teilzunehmen. Vielmehr hat der Beschuldigte die Gelegenheit, Stellung zu nehmen, wenn er das für tunlich hält. 

Dem Verletzten jedoch wollen Sie immer die öffentliche Bühne für seine Anschuldigungen vor einem Gericht gewähren, auch wenn die Staatsanwaltschaft ihn bereits nichtöffentlich angehört / vernommen hatte und eine öffentliche Anklage deswegen nicht erhoben hatte?

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Dem Beschuldigten, der gem. § 65 VwGO beigeladen wird, steht es ja frei, sich in der Mündlichen Verhandlung im Rahmen des KlEV oder des EEV zu den Schuldvorwürfen zu äußern. Das gehört ganz einfach zu der Transparenz, die der Rechtsstaat für jedes gerichtliche Verfahren gebietet. 

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