Protokollurteil in OWi-Sache zugestellt? Kein Problem bei Rechtsbeschwerde der StA! Einfach nachbegründen!

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 08.09.2018
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht|2480 Aufrufe

Mal eine ganz andere OWi-Entscheidung. Es geht um die Rechtsbeschwerdeeinlegung der Staatsanwaltschaft und die Frage, ob ein Urteil trotz Zustellung an die StA noch nachbegründet werden kann. "Ja", meint das OLG Bamberg:

1. Zwar ist das angefochtene Urteil nicht schon deshalb aufzuheben, weil – wie die GStA meint – ein Protokollurteil vorliege, bei dem die nachträgliche Urteilsbegründung gemäß § 77b II OWiG unzulässig sei.

                    a) Allerdings trifft die Ansicht der GStA zur Frage der unzulässigen Begründung eines zunächst ohne Gründe zugestellten Protokollurteils im Ausgangspunkt zu. Die Anfertigung der Urteilsgründe ist, wenn das Gericht ein sog. Protokollurteil aus dem inneren Dienstbereich herausgegeben hat, grundsätzlich unzulässig, es sei denn, es liegen die Voraussetzungen für eine nachträgliche Urteilsbegründung nach § 77b II OWiG vor (st.Rspr., vgl. nur BGH, Beschluss vom 08.05.2013 – 4 StR 336/12 = BGHSt 58, 243 = DAR 2013, 477 = NJW 2013, 2837 = NZV 2013, 557 = NStZ 2013, 730; OLG Bamberg, Beschluss vom 06.06.2016 – 3 Ss OWi 646/16 = StraFo 2016, 385; 30.08.2016 – 2 Ss OWi 1105/16 = DAR 2017, 384, jew. m.w.N.). Mit der gerichtlichen Anordnung (§ 36 I 1 StPO) der Übersendung der Akten einschließlich eines ohne Gründe in das Hauptverhandlungsprotokoll aufgenommenen bzw. als Anlage zum Hauptverhandlungsprotokoll genommenen Urteils an die StA „gemäß § 41“ [StPO] hat sich der Tatrichter für die Hinausgabe einer nicht mit Gründen versehenen Urteilsfassung endgültig entschieden. Damit hat ein „Protokollurteil ohne Gründe“ den inneren Dienstbereich des Gerichts verlassen und ist mit der Zustellung an die StA nach außen in Erscheinung getreten. Da der Tatrichter in diesem Fall das Urteil der StA in Urschrift und eindeutig erkennbar im Wege der förmlichen Bekanntmachung einer Entscheidung zugeleitet hat, muss er sich an dieser Erklärung festhalten lassen (BGH a.a.O. m.w.N.).

                    b) Indes sind die Voraussetzungen der hier allein in Betracht kommenden Bestimmung des § 77b II Alt. 2 OWiG für eine nachträgliche Anfertigung der Urteilsgründe erfüllt (BGH, Beschluss vom 13.03.1997 – 4 StR 455/96 = BGHSt 43, 22 = VkBl. 1997, 498 = EBE/BGH 1997, 154 = NJW 1997, 1862 = MDR 1997, 682 = NZV 1997, 315 = ZfS 1997, 274 = VersR 1997, 984 = DAR 1997, 316 = BGHR OWiG § 77b Nachholen der Urteilsbegründung 1 = VRS 93 [1997], 309 = VM 1998, Nr 2 = JR 1998, 74 = NStZ 1998, 454). Hiernach ist bei Einlegung der Rechtsbeschwerde durch die StA, die nicht an der Hauptverhandlung teilgenommen hat, eine Nachholung der Urteilsbegründung innerhalb der Frist des § 275 I 2 StPO gestattet.

                    c) Etwas anderes gilt auch nicht etwa deshalb, weil die StA vor der Hauptverhandlung eine Urteilsbegründung verlangt hatte. Zwar ist in diesem Fall § 77b I 2 Halbs. 2 OWiG eine schriftliche Urteilsbegründung - in Abweichung von § 77b I S. 1 und 2 Halbs. 1 OWiG - erforderlich. Damit ist aber keineswegs die in § 77b II Alt. 2 OWiG vorgesehene nachträgliche Anfertigung der Urteilsgründe untersagt. Vielmehr kann (und muss) der Tatrichter, der zunächst ein Urteil ohne Gründe zugestellt hat, die Anfertigung der Urteilsgründe auch dann nachholen, wenn die StA vor der Hauptverhandlung die Urteilsbegründung beantragt hatte. Die gesetzliche Regelung ist insoweit eindeutig. Die Bestimmung des § 77b II Alt. 2 OWiG, durch welche die nachträgliche Anfertigung der Urteilsgründe ausdrücklich gestattet wird, nimmt ausschließlich auf § 77b I S. 2 Halbs. 1 OWiG Bezug. Mit der Verweisung fordert das Gesetz allein, dass die StA nicht an der Hauptverhandlung teilgenommen hat. Die Frage, ob die StA vorher einen Antrag auf Urteilsbegründung nach § 77b I 2 Halbs. 2 OWiG gestellt hat, ist mithin völlig irrelevant (im Ergebnis ebenso BGH a.a.O. Rn. 20, der darauf hinweist, dass nach dem Wortlaut des § 77b II OWiG die Zulässigkeit der nachträglichen Urteilsbegründung nicht dadurch ausgeschlossen wird, dass die StA vor der Hauptverhandlung eine schriftliche Urteilsbegründung verlangt hat). Eine entgegen dem klaren Gesetzeswortlaut einschränkende Interpretation des § 77b II OWiG auf den Fall, dass die StA keinen Antrag auf schriftliche Urteilsbegründung gestellt hat (so etwa OLG Celle, Beschluss vom 19.07.1988 – 3 Ss [OWi] 156/88 = VRS 76 [1989], 33) ist auch nicht durch den Normzweck geboten. Vielmehr würde dies der Ratio des § 77b OWiG, der auf Prozesswirtschaftlichkeit angelegt ist, zuwiderlaufen (BGH a.a.O.).

                    d) Es bedurfte auch keiner Ermittlungen, weshalb die Tatrichterin das Protokollurteil an die StA zugestellt hatte, insbesondere ob sie den vorher gestellten Antrag der StA auf schriftliche Urteilsbegründung „übersehen“ hat oder ob andere Gründe hierfür ausschlaggebend waren. Auch wenn der zitierten Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 13.03.1997 (a.a.O.) die Konstellation zugrunde lag, dass das AG den Begründungsantrag der StA „übersehen“ hatte, ist dies nicht etwa als zusätzliche, vom Gesetz nicht vorgesehene Prämisse für die nachträgliche Begründung des Urteils zu verstehen, sondern ist Ausfluss der insoweit vom vorlegenden OLG gestellten Vorlagefrage. Denn wenn der Bundesgerichtshof – wie bereits dargelegt – eine nachträgliche Begründung des Urteils auch dann mit Wortlaut und Normzweck für vereinbar hält, wenn vor der Hauptverhandlung ein Begründungsantrag gestellt worden war, kann es auf ein „Übersehen“ eines solchen Antrags für die Zulässigkeit der nachträglichen Anfertigung der Urteilsgründe von vornherein nicht ankommen.

OLG Bamberg Beschl. v. 2.5.2018 – 3 Ss OWi 490/18, BeckRS 1997, 126727

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