Nichtanordnung des § 64 StGB: Rechtsmittelbeschränkung ist möglich!
von , veröffentlicht am 10.09.2018So ganz häufig werden Rechtsmittelbeschränkungen gegen tatrichterliche Urteile, in denen es zu einer Nichtanordnung einer Unterbringung nach § 64 StGB gekommen ist von den Revisionsgerichten nicht "durchgewinkt". Hier schon:
Auch die ausdrückliche Ausnahme der Nichtanordnung von § 64 StGB vom Rechtsmitelangriff erweist sich als wirksam.
Der Senat geht insoweit in ständiger, mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Einklang stehender Rechtspraxis davon aus, dass die diesbezügliche Beschränkung eines Rechtsmittels regelmäßig möglich ist, sofern nicht im Einzelfall eine untrennbare Wechselwirkung zum Strafausspruch besteht (SenE v. 20.09.1977 - Ss 362/77 - = NJW 1978, 2350; SenE v.09.10.2001 - Ss 395/01 -; SenE v. 11.10.2005 - 81 Ss 34/05; SenE v. 30.10.2015 – III-1 RVs 181/15). Das ist indessen nur dann der Fall, wenn sich den Urteilsgründen oder der Strafhöhe entnehmen lässt, dass die Strafe von dem Unterbleiben der Anordnung einer Maßregel beeinflusst sein kann. Dass die Tatumstände - wie hier - Anlass zur Prüfung der Maßregel geboten hätten, verbindet die Straffrage mit der Maßregelfrage noch nicht zu einer untrennbaren Einheit (BGHSt 38, 362 = NJW 1993, 477 = NStZ 1993, 97; BGH NStZ 2009, 441 = StraFo 2009, 210; BGHSt 28, 327 [330]). Grundsätzliche Bedenken gegen die Trennbarkeit können danach – wegen der insoweit bestehenden „Zweispurigkeit“ - nicht daraus hergeleitet werden, dass die Strafe bei gleichzeitiger Anordnung der Maßregel in der Praxis gelegentlich niedriger ausfällt (so ausdrücklich BGHSt 38, 362 [365]). Soweit die Generalstaatsanwaltschaft sich in ihrer Zuschrift vom 13. Juni 2018 auf die Entscheidung BGH NStZ-RR 2012, 202f. = StV 2013, 148f. bezieht (vgl. a. BGH NStZ 1994, 449), lag dieser eine Konstellation zugrunde - nämlich diejenige der Beschränkung des Rechtsmittels auf die Bewährungsfrage (s. dazu auch Senat NStZ 1997, 360) -, welche mit der hiesigen nicht vollständig gleichzusetzen ist (vgl. bereits SenE vom 17.12.2015 - III-1RVs 52/16). Die Möglichkeit, über die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung eine isolierte Entscheidung herbeizuführen, wird im Falle suchtmittelabhängiger Angeklagter vor dem Hintergrund versagt, dass die Entscheidung über die Gewährung einer Strafaussetzung hinsichtlich der anzustellenden Sozialprognose im Regelfall auf denselben Gesichtspunkten beruht wie die Prognose über die Anwendung des § 64 StGB (Doppelrelevanz der Feststellungen). Diese Erwägung greift indes in dem Falle, dass der gesamte Strafausspruch angegriffen ist, nicht in gleicher Weise ein. Denn hinsichtlich der Gesichtspunkte, die im Ausgangspunkt der Überprüfung unterliegen - darunter insbesondere die Strafzumessungsgesichtspunkte im engeren Sinne - muss und kann für den „Regelfall“ nicht angenommen werden, dass diese auf denselben Erwägungen beruhen wie die Entscheidung über eine Unterbringung nach § 64 StGB. Hier gleichwohl der Beschränkung die Wirksamkeit grundsätzlich zu versagen - namentlich mit Blick darauf, dass eine (gegebenenfalls) - auch - zur Überprüfung anstehende Bewährungsentscheidung doppelrelevante Erwägungen beinhalten kann (vgl. dazu OLG Zweibrücken, Beschluss vom 16.01.2018 – 1 OLG 2 Ss 74/17) - würde einen weitgehenden Eingriff in die Dispositionsbefugnis des Rechtsmittelführers bedeuten, der aus inhaltlichen Gründen, namentlich zur Vermeidung von Widersprüchen, regelmäßig nicht erforderlich ist. Denn jedenfalls dann, wenn - wie hier - das Erstgericht sich mit den Voraussetzungen des § 64 StGB gar nicht erst befasst und das Berufungsgericht die Frage einer Unterbringung mit Blick auf die Rechtsmittelbeschränkung ausklammert, drohen innere Widersprüche der Gesamtentscheidung nicht. Demgegenüber birgt die Versagung der Wirksamkeit der Beschränkung in diesen Fällen aber - konkret - die Gefahr eines Leerlaufs des Rechtsmittelsystems, da zu besorgen ist, dass ein Angeklagter von der Einlegung eines Rechtsmittels Abstand nimmt und eine fehlerhafte Strafbemessung hinnimmt, weil er die Anordnung einer Unterbringung nach § 64 StGB auf sein Rechtsmittel hin fürchten muss. Dies ist auch nicht etwa im Lichte der Ausnahmevorschrift des § 331 Abs. 2 StPO, nach der das Verschlechterungsverbot für die Maßregeln nach §§ 63, 64 StGB nicht greift, hinzunehmen. Denn die Vorschrift soll ihrem Zweck nach die Dispositionsbefugnis des Rechtsmittelgerichts erweitern, indes nicht die Anfechtungsmöglichkeit beschränken (vgl. dazu bereits Thüringer OLG, Beschluss vom 22.04.2009 – 1 Ss 36/09 – juris - unter Hinweis auf OLG Düsseldorf, Beschluss vom 27.11.2006, 3 Ws 524/06, juris).
Der Senat sieht sich insoweit auch in Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der eine Herausnahme des § 64 StGB (grundsätzlich) offenbar auch in solchen Fällen für möglich erachtet, in denen - wie hier - unter anderem über die - gegebenenfalls doppelrelevante Tatsachen beinhaltende - Bewährungsfrage zu entscheiden ist (BGH, Beschluss vom 03.08.2016 – 4 StR 290/16 = NStZ-RR 2017, 7; Beschluss vom 04.05.2017 – 2 StR 570/16 - = StraFo 2017, 245; BGH NStZ 2018, 206).
Ausgehend von den eingangs dargestellten Grundsätzen, an denen der Senat ausdrücklich festhält, begegnet die Beschränkung hier keinen Bedenken, da nach den Urteilsgründen und aufgrund der festgesetzten Strafhöhe keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Strafe von der unterbliebenen Anordnung der Maßregel beeinflusst worden ist.
OLG Köln, Beschl. v. 3.7.2018 - 1 RVs 139/18
Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
Kommentar schreiben