OLG Bamberg zum Fahrverbot: Nicht zuuuu schnell vom Fahrverbot absehen!

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 10.09.2018
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht|2174 Aufrufe

Die Fahrverbotsrechtsprechung ist sehr streng. Ab und zu werden die Tatrichter von den über die Fahrverbotsrechtsprechung wachenden OLGe hieran mit klaren Worten erinnert. So etwa hier:

Die Begründung, mit der das AG von der Verhängung des Regelfahrverbots gegen den Betr. abgesehen hat, hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

                    aa) Zwar folgt aus § 4 I 1 BKatV nicht, dass ausnahmslos ein Fahrverbot zu verhängen wäre. Vielmehr steht dem Tatrichter ein Ermessensspielraum zu, um Verstößen im Straßenverkehr mit der im Einzelfall angemessenen Sanktion zu begegnen (BVerfG [2. Kammer des 2. Senats], Beschluss vom 24.03.1996 – 2 BvR 616/91 = DAR 1996, 196 = ZfS 1996, 193 = NJW 1996, 1809 = NZV 1996, 284 = VD 1996, 177 = NStZ 1996, 391 = VM 1996, Nr 79 = DVBl. 1996, 1421). Die Frage, ob die Würdigung der Tat und der Persönlichkeit des Täters besondere Umstände ergibt, nach denen es ausnahmsweise der Warn- und Denkzettelfunktion eines Fahrverbots im Einzelfall nicht bedarf, liegt grundsätzlich in seinem Verantwortungsbereich. Der Tatrichter hat innerhalb des ihm eingeräumten Beurteilungsspielraums die Wertungen nach eigenem pflichtgemäßen Ermessen zu treffen. Seine Entscheidung kann vom Rechtsbeschwerdegericht deshalb nur daraufhin überprüft werden, ob er sein Ermessen fehlerhaft ausgeübt hat, weil er die anzuwendenden Rechtsbegriffe verkannt, die Grenzen des Ermessens durch unzulässige Erwägungen überschritten und sich nicht nach den Grundsätzen und Wertmaßstäben des Gesetzes gerichtet hat. In Zweifelsfällen hat das Rechtsbeschwerdegericht die Bewertung des Tatrichters zu respektieren, und zwar auch dann, wenn es selbst hinsichtlich der Frage des Fahrverbots zu einem abweichenden Ergebnis gelangte.

                    bb) Im vorliegenden Fall hat das AG jedoch mit rechtsfehlerhaften Erwägungen von der Anordnung des Regelfahrverbots Abstand genommen. Aufgrund der auch von den Gerichten zu beachtenden Vorbewertung des Verordnungsgebers in § 4 I BKatV ist das Vorliegen einer groben Pflichtverletzung i.S.d. § 25 I 1 [1. Alt.] StVG indiziert, so dass es regelmäßig der Anordnung eines Fahrverbotes als Denkzettel und Besinnungsmaßnahme bedarf (BGH, Beschluss vom 28.11.1991 – 4 StR 366/91 = BGHSt 38, 125 = ZfS 1992, 30 = NJW 1992, 446 = VM 1992, Nr 11 = NStZ 1992, 135 = DAR 1992, 69 = ZAP Fach 9 R, 13 = NZV 1992, 117 = MDR 1992, 275 = BGHR StVG § 25 Fahrverbot 1 = NJ 1992, 174 = VRS 82 [1992], 216; 17.03.1992 – 4 StR 367/91 = BGHSt 38, 231 = NJW 1992, 1397 = ZfS 1992, 214 = NZV 1992, 286 = MDR 1992, 703 = DAR 1992, 265 = BGHR StVG § 25 Fahrverbot 2 = VM 1992, Nr 68 = VRS 83 [1992], 212; st.Rspr. des Senats, vgl. zuletzt nur OLG Bamberg, Beschluss vom 04.05.2017 – 3 Ss OWi 550/17 = BA 54, 383; 27.01.2017 – 3 Ss OWi 50/17 = VM 2017, Nr 25 = OLGSt OWiG § 11 Nr. 6). Diese Bindung der Sanktionspraxis dient nicht zuletzt der Gleichbehandlung der Verkehrsteilnehmer und der Vorhersehbarkeit und Berechenbarkeit der durch bestimmte Verkehrsverstöße ausgelösten Rechtsfolgen (BVerfG a.a.O.; OLG Bamberg a.a.O.). Demgemäß entspricht es gefestigter höchstrichterlicher und obergerichtlicher Rechtsprechung, dass ein Absehen vom Regelfahrverbot auf Ausnahmefälle, wie etwa eines Augenblicksversagens (vgl. hierzu nur BGH, Beschluss vom 11.09.1997 – 4 StR 638/96 = BGHSt 43, 241 = NJW 1997, 3252 = MDR 1997, 1024 = ZfS 1997, 432 = DAR 1997, 450 = NZV 1997, 525 = BGHR StVG § 25 Fahrverbot 4 = VersR 1998, 204 = VRS 94 [1998], 221 = VM 1998, Nr 30; OLG Bamberg, Beschl. vom 04.01.2016 - 3 Ss OWi 1490/15 = OLGSt StVG § 25 Nr 65; 22.12.2015 - 3 Ss OWi 1326/15 [bei juris], jew. m.w.N.) oder eines sonstigen Härtefalls, wie etwa der Bedrohung der wirtschaftlichen Existenzgrundlage durch die Vollstreckung des Fahrverbots (st.Rspr., vgl. hierzu nur OLG Bamberg, Beschluss vom 09.11.2017 – 3 Ss OWi 1556/17 = DAR 2018, 91 = StraFo 2018, 84 = VM 2018, Nr 18; 07.08.2017 – 3 Ss OWi 996/17 = BA 55 [2018], 78; 04.05.2017 – 3 Ss OWi 550/17 = BA 54 [2017], 383; 17.01.2017 - 3 Ss OWi 1620/16 = ZfS 2017, 233), beschränkt sein muss.

                    c) Ein derartiger Ausnahmefall liegt indes nicht vor.

                    aa) Soweit das AG ohne weiteres und deshalb per se fragwürdig allein aufgrund des Umstandes, dass es sich um einen „kurzfristigen Überholvorgang“ gehandelt habe, ein Augenblicksversagen angenommen hat, ist dies schon deswegen rechtsfehlerhaft, weil der Betr., wovon aufgrund des rechtskräftigen Schuldspruchs ausgegangen werden muss, vorsätzlich gehandelt hat. Ein Augenblicksversagen ist nur im Falle einer momentanen Unaufmerksamkeit bzw. eines kurzzeitiges Fehlverhaltens gegeben (BGH, Urt. v. 29.01.2003 - IV ZR 173/01 = NJW 2003, 1118 = VersR 2003, 364 = ZfS 2003, 242 = DAR 2003, 217 = VRS 105 [2003], 118 = BGHR VVG § 61 Fahrlässigkeit, grobe 9 = Schaden-Praxis 2003, 173 = MDR 2003, 505), wie es auch dem sorgfältigen und pflichtbewussten Kraftfahrer unterlaufen kann (BGH, Beschluss vom 11.09.1997 – 4 StR 638/96 a.a.O.; Urt. v. 29.01.2003 - IV ZR 173/01 = NJW 2003, 1118 = VersR 2003, 364 = ZfS 2003, 242 = DAR 2003, 217 = VRS 105 [2003], 118 = BGHR VVG § 61 Fahrlässigkeit, grobe 9 = Schaden-Praxis 2003, 173 = MDR 2003, 505; OLG Bamberg, Beschluss vom 27.01.2017 – 3 Ss OWi 50/17 = VM 2017, Nr 25 = OLGSt OWiG § 11 Nr 6; 04.01.2016 - 3 Ss OWi 1490/15 [bei juris]). Es ist mithin dadurch gekennzeichnet, dass der Handelnde für eine kurze Zeit die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt (BGH, Urt. v. 10.05.2011 – VI ZR 196/10 = VersR 2011, 916 = RuS 2011, 290 = MDR 2011, 848 = Grundeigentum 2011, 950 = NJW-RR 2011, 1055 = ZfS 2011, 571 = WuM 2011, 575 = NZM 2011, 894; OLG Bamberg, Beschluss vom 22.12.2015 – 3 Ss OWi 1326/15 = OLGSt StVG § 25 Nr 64 jew. m.w.N.), kommt also von vornherein nur bei einfacher Fahrlässigkeit in Betracht (vgl. BGH, Beschluss vom 11.09.1997 – 4 StR 638/96 [a.a.O.]; OLG Bamberg, Beschluss vom 01.12.2015 – 3 Ss OWi 834/15 = StraFo 2016, 116 = OLGSt OWiG § 11 Nr 5) und scheidet deshalb aus, wenn der Betr. - wie hier - vorsätzlich gehandelt und sich damit bewusst über das Recht hinweggesetzt hat.

                    bb) Die weiteren Erwägungen, mit denen das AG von der Anordnung des Regelfahrverbots abgesehen hat, halten rechtlicher Nachprüfung ebenfalls nicht stand. Es wird zwar von beruflichen Schwierigkeiten gesprochen, freilich ohne insoweit auch nur annähernd eine Beweiswürdigung vorzunehmen. Ein besonderer Härtefall, etwa in Form einer Existenzgefährdung durch den drohenden Verlust des Arbeitsplatzes oder dergleichen, wodurch es gerechtfertigt sein könnte, von der Verhängung des Regelfahrverbots abzusehen, ist gerade nicht festgestellt. Berufliche Schwierigkeiten, denen überdies durch entsprechende Maßnahmen wie etwa zumindest teilweise Überbrückung durch Urlaub, Inanspruchnahme von öffentlichen Verkehrsmitteln, Taxis, Fahrdienste von Angehörigen oder notfalls vorübergehende Einstellung eines Fahrers begegnet werden kann, sind vom Betr. hinzunehmen (vgl. nur OLG Bamberg, Beschluss vom 22.02.2017 – 3 Ss OWi 178/17 = DAR 2017, 384 = VM 2017, Nr 38) und rechtfertigen schon wegen des Gebots der Gleichbehandlung eine Ausnahme vom verwirkten Regelfahrverbot nicht.

                    3. Der Senat sieht, nachdem keine weiteren Feststellungen erforderlich sind, davon ab, die Sache an das AG zurückzuverweisen, sondern macht von der Möglichkeit zur eigenen Sachentscheidung (§ 79 Abs. 6 OWiG) Gebrauch.

                    a) Für den vorsätzlich verwirklichten Verstoß ist die vorgesehene Regelgeldbuße in Höhe von 480 € (§ 4 I Nr. 1 BKatV i.V.m. Nr. 11.3.8 der Anlage zu § 1 I BKatV i.V.m. § 3 IVa BKatV), von der abzuweichen kein Anlass besteht, angemessen.

                    b) Außerdem wird das Regelfahrverbot wegen grober Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers (§ 25 I 1 [1. Alt.] StVG i.V.m. § 4 I Nr. 1 BKatV i.V.m. Nr. 11.3.8 der Anlage zu § 1 I BKatV) verhängt. Einen Härtefall in Form einer Existenzgefährdung kann der Senat aufgrund der vom AG getroffenen Feststellungen ausschließen. Auch sonst sind keine Besonderheiten gegeben, die Anlass für ein Absehen von der Anordnung des Regelfahrverbots sein könnten.

                    b) Die Anordnung des beschränkten Vollstreckungsaufschubs hinsichtlich des Fahrverbots hat in § 25 IIa 1 StVG ihre Grundlage.

OLG Bamberg Beschl. v. 2.5.2018 – 3 Ss OWi 490/18, BeckRS 1997, 126727

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