BAG: Mindestlohn und arbeitsvertragliche Ausschlussfrist

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 19.09.2018
Rechtsgebiete: Bürgerliches RechtArbeitsrecht3|7347 Aufrufe

Die lange erwartete klärende Entscheidung des BAG (Urteil vom 18. September 2018 - 9 AZR 162/18) zum Schicksal von Ausschlussfristen nach Inkrafttreten des Mindestlohngesetzes am 1. Januar 2015 liegt jetzt vor (zunächst in Gestalt einer Pressemitteilung, Nr. 43/18). Klärungsbedürftig und sehr umstritten war, welche Konsequenzen sich aus dem Mindestlohngesetz für solche arbeitsvertraglichen Ausschlussfristen ergeben, die den Mindestlohnanspruch nicht explizit ausnehmen. Letzteres könnte geboten sein, da § 3 MiLoG die Unabdingbarkeit des Mindestlohns statuiert. Die Folge könnte in der totalen Unwirksamkeit der Ausschlussfristenregelung bestehen. Das würde dann sämtliche Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis betreffen, wie der der Entscheidung des BAG zugrunde liegende Sachverhalt zeigt:

Der Kläger war beim Beklagten als Fußbodenleger beschäftigt. Im Arbeitsvertrag vom 1. September 2015 ist ua. geregelt, dass alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis verfallen, wenn sie nicht innerhalb von drei Monaten nach Fälligkeit gegenüber der anderen Vertragspartei schriftlich geltend gemacht worden sind. Nachdem der Beklagte das Arbeitsverhältnis gekündigt hatte, schlossen die Parteien im Kündigungsrechtsstreit einen Vergleich, dem zufolge das Arbeitsverhältnis mit Ablauf des 15. August 2016 endete und in dem sich der Beklagte ua. verpflichtete, das Arbeitsverhältnis bis zum 15. September 2016 ordnungsgemäß abzurechnen. Die vom Beklagten erstellte und dem Kläger am 6. Oktober 2016 zugegangene Abrechnung für August 2016 wies keine Urlaubsabgeltung aus. In dem vom Kläger am 17. Januar 2017 anhängig gemachten Verfahren hat sich der Beklagte darauf berufen, der Anspruch auf Urlaubsabgeltung sei verfallen, weil der Kläger ihn nicht rechtzeitig innerhalb der Ausschlussfrist geltend gemacht habe.

Streitentscheidend ist hier die Wirksamkeit der Ausschlussfristenregelung. Man könnte hier mit gutem Grund auf § 3 Satz 1 MiLoG hinweisen, der immerhin besagt, dass Vereinbarungen, die den Anspruch auf Mindestlohn unterschreiten oder seine Geltendmachung beschränken oder ausschließen, (nur) insoweit unwirksam sind. Das könnte die teilweise Aufrechterhaltung uneingeschränkter Ausschlussfristen rechtfertigen. Dieser verbreiteten Sichtweise hatte sich vor kurzem auch das (LAG Nürnberg 9.5.2017 - 7 Sa 560/16, BeckRS 2017, 114537) angeschlossen.

Das BAG sieht dies anders: Die Ausschlussklausel verstoße gegen § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB. Sie sei nicht klar und verständlich, weil sie entgegen § 3 Satz 1 MiLoG den ab dem 1. Januar 2015 zu zahlenden gesetzlichen Mindestlohn nicht ausnehme. Die Klausel könne deshalb auch nicht für den Anspruch auf Urlaubsabgeltung aufrechterhalten werden (§ 306 BGB). § 3 Satz 1 MiLoG schränke weder seinem Wortlaut noch seinem Sinn und Zweck nach die Anwendung der §§ 306, 307 Abs. 1 Satz 2 BGB ein.

Die Entscheidung des BAG hat große praktische Bedeutung, da die wenigsten seit dem 1.1.2015 abgeschlossenen Arbeitsverträge schon entsprechend geänderte Ausschlussfristenregelungen enthalten dürften. Es bleiben allerdings noch wichtige Fragen offen:

- Wie steht es um die Altfälle, also die vor dem 1.1.2015 abgeschlossenen Verträge? In der Pressemitteilung heißt dazu wörtlich: „…ist - jedenfalls dann - insgesamt unwirksam, wenn der Arbeitsvertrag nach dem 31. Dezember 2014 geschlossen wurde. Es könnte einiges dafür sprechen, insoweit Vertrauensschutz zu gewähren und ausnahmsweise von einer teilweisen Aufrechterhaltung auszugehen. Die Parteien konnten ja bei Vertragsschluss mit der Einführung eines unabdingbaren Mindestlohnes nicht rechnen.

- Was gilt hinsichtlich sonstiger, nicht abdingbarer oder nicht verzichtbarer Ansprüche? Müsste hier nicht dasselbe gelten?

- Sind tarifvertragliche Ausschlussfristen ebenfalls betroffen oder bleiben diese – wofür sich gute Gründe anführen ließen – verschont?

- Kann sich auch der Arbeitgeber auf die Unwirksamkeit der Ausschlussfristenregelung berufen, wenn es um Ansprüche gegen den Arbeitnehmer geht? Wohl nicht: vgl. BAG NZA 2006, 257.

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3 Kommentare

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Zu Ihrer Frage bzgl. tariflicher Ausschlussfristen gab es im Juni des Jahres ja schon Hinweise: BAG Urteil v. 20.6.2018, 5 AZR 377/17

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Ich konnte mich mit der gegenteiligen Auffassung nicht anfreunden, weil ich sie schlicht und einfach nicht verstand. Ich bin froh, dass sie sich nicht auch noch beim BAG durchgesetzt hat.

Die entscheidende Frage lautet doch: Erlaubt abweichend von den §§ 305 ff. BGB das MiLoG die geltungserhaltende Reduktion?

Das nahmen die Nürnberger Richter in der Voristanz an. Ihre Begründung lautete: Weil im MiLoG steht: "insoweit"! - Es gibt ja selten in der Jurisprudenz "richtig" oder "falsch", sondern am unteren Ende der Skala meistens nur ein "nicht vertretbar". Wenn aber mal etwas wirklich "falsch" ist, dann, so würde ich bei allem Respekt sagen, diese Begründung. Die Nürnberger Richter haben nach meinem Dafürhalten hier den Umfang des gesetzlichen Verbots (keine AGB-Kontrolle bei zwingendem Recht) mit AGB-rechtlichen Vorgaben verwechselt. Das MiLoG mit dem gesetzlichen Verbot des rechtsgeschäftlichen Unterschreitens des Mindestlohns trifft keinerlei Aussage über AGB-Recht, insbesondere nicht aufgrund des Worts "insoweit". "Insoweit" bedeutet im Rahmen des gesetzlichen Verbots (zwingendes Recht, keine AGB-Kontrolle): Es ist bei Unterschreiten des Mindestlohns nicht der ganze Arbeitsvertrag unwirksam oder sonst die Regelung über die Lohnhöhe, sondern halt die Unwirksamkeit tritt nur insoweit ein, als der Mindestlohn betroffen ist.

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