Ablösung individualrechtlicher Ansprüche durch Betriebsvereinbarung

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 02.10.2018
Rechtsgebiete: Bürgerliches RechtArbeitsrecht|5567 Aufrufe

Bahnt sich da ein Konflikt zwischen dem 1. und dem 4. Senat des BAG an? Oder ist der schon wieder vorbei, bevor er richtig begonnen hat?

Seit dem Beschluss des Großen Senats vom 16.9.1986 (GS 1/82, NZA 1987, 168) entsprach es ständiger Rechtsprechung des BAG, dass individualrechtliche Ansprüche mit kollektivem Bezug (Gesamtzusage, betriebliche Übung und vertragliche Einheitsregelung bzw. seit 2002 Allgemeine Geschäftsbedingungen) durch eine nachfolgende Betriebsvereinbarung nur abgelöst werden konnten, wenn diese bei kollektiver Betrachtung günstiger war ("kollektiver Günstigkeitsvergleich") oder die individualrechtliche Rechtsgrundlage betriebsvereinbarungsoffen ausgestaltet war. Durch mehrere Entscheidungen des 1. und später auch des 3. Senats wurde die letztgenannte Ausnahme zur Regel gemacht und damit der Günstigkeitsvergleich praktisch ausgehebelt: Individualrechtliche Regelungen mit kollektivem Bezug sollen in der Regel zumindest "konkludent betriebsvereinbarungsoffen" sein. Damit ist ihre Ablösung durch eine nachfolgende Betriebsvereinbarung auch ohne Beachtung des Günstigkeitsvergleichs möglich (BAG 5.3.2013 - 1 AZR 417/12, NZA 2013, 916 für Allgemeine Geschäftsbedingungen; BAG 10.3.2015 - 3 AZR 56/14, NZA-RR 2015, 371 und BAG 23.2.2016 - 3 AZR 960/13, NZA 2016, 642 für Gesamtzusagen; BAG 23.2.2016 - 3 AZR 44/14, NZA 2016, 961 für eine betriebliche Übung).

Dieser Auffassung hat der 4. Senat in einem neuen Urteil nun deutlich widersprochen:

In einem vom Arbeitgeber vorformulierten Arbeitsvertrag geregelte Arbeitsbedingungen sind schon dann nicht - konkludent - „betriebsvereinbarungsoffen" ausgestaltet, wenn und soweit die Arbeitsvertragsparteien ausdrücklich Vertragsbedingungen vereinbart haben, die unabhängig von einer für den Betrieb geltenden normativen Regelung Anwendung finden sollen. Das ist bei einer einzelvertraglich vereinbarten - dynamischen -Verweisung auf einen Tarifvertrag stets der Fall. (BAG, Urteil vom 11.4.2018 - 4 AZR 119/17, BeckRS 2018, 8443)

Sehr grundsätzliche Kritik an der Konzeption des 1. und 3. Senats äußert zudem Malte Creutzfeldt, Mitglied des 4. Senats, in NZA 2018, 1111 ff.; zugleich begründet er dort noch einmal ausführlicher die abweichende Auffassung "seines" Senats.

Ob daraus nun ein veritabler Konflikt entstehen kann, der möglicherweise bis zum Großen Senat führt, steht allerdings keinesfalls fest: Mit dem 30.9.2018 ist Herr Creutzfeldt in den Ruhestand getreten (PM 48/18 des BAG), seit dem 1.10.2018 hat der 4. Senat mit Prof. Dr. Jürgen Treber einen neuen Vorsitzenden (PM 49/18 des BAG).

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