Vorsatz bei Geschwindigkeitsverstoß: Allgemeine Vorstellung, zu schnell zu fahren reicht schon! - hier: 40 km/h zu viel!

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 16.10.2018
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht9|4330 Aufrufe

Die Vorsatzannahme bei Geschwindigkeitsverstößen ist schon mehrfach Gegenstand des Blogs gewesen. Hier ist der Betroffene 40 km/h zu schnell gefahren. Das reichte für Vorsatz:

Allerdings ist der Schuldspruch abzuändern, da die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Amtsgerichts eine vorsätzliche Begehung der Verkehrsordnungswidrigkeit ergeben. Nach den Urteilsfeststellungen befuhr der Betroffene einen Bereich, in dem die außerorts zulässige Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h vorgeschrieben war. Grundsätzlich darf der Tatrichter davon ausgehen, dass aufgestellte Verkehrszeichen von Verkehrsteilnehmern wahrgenommen werden; die Möglichkeit, dass ein Kraftfahrer ein Zeichen übersehen hat, braucht nur dann in Rechnung gestellt zu werden, wenn sich hierfür konkrete Anhaltspunkte ergeben oder der Betroffene dies im Verfahren einwendet (vgl. BGH, 4 StR 638/96 vom 11.09.1997 – BGHSt 43, 241 < Rdnr. 34 n. juris >; OLG Koblenz, 2 SsBs 128/12 vom 26.08.2013 – ZfSch 2014, 170 < Rdnr. 15 n. juris>; 2 OWi 6 SsBs 110/17 m.w.N.). Auch die Willenskomponente des Vorsatzes ist gegeben und ergibt sich aus den getroffenen Feststellungen. Bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung ist die Annahme vorsätzlichen Handelns nicht davon abhängig, dass eine genaue Kenntnis der überhöhten Geschwindigkeit besteht; es genügt das Wissen, schneller als erlaubt zu fahren (vgl. OLG Koblenz, 2 SsBs 26/14 vom 16.05.2014; Göhler/Gürtler, OWiG, 17. Aufl., § 10 Rdnr. 15 m.w.N.). Bei einer Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um – wie hier – 40 km/h ergibt sich aus den damit verbundenen sensorischen Eindrücken, hervorgerufen durch Motorgeräusch, Fahrzeugvibration und die Schnelligkeit, mit der sich die Umgebung verändert, ein beweiskräftiges Indiz dafür, dass der Kraftfahrer die erlaubte Geschwindigkeit zumindest mit bedingtem Vorsatz überschreitet (vgl. OLG Koblenz, 2 SsBs 128/12 vom 26.08.2013 – ZfSch 2014, 170 ff. < Rdnr. 15 n. juris >; 2 SsBs 24/10 vom 12.04.2010; OLG Koblenz, 2 SsBs 110/17 vom 03.01.2017). Der festgestellte Sachverhalt gibt keinen Anlass, hiervon ausnahmsweise abzusehen. Das auch im Bußgeldverfahren geltende Verschlechterungsverbot des § 79 Abs. 1 Satz 1 OWiG i.V.m. § 358 Abs. 2 StPO steht einer entsprechenden Änderung des Schuldspruchs nicht entgegen (vgl. BGH, 4 StR 603/11 vom 18.07.2012 – BGHSt 57, 282 < Rdnr. 19 nach juris >; OLG Koblenz 2 SsBs 110/17 vom 03.01.2017; Göhler/Seitz, OWiG, 17. Aufl., § 79 Rdnr. 37 m.w.N.).

OLG Koblenz Beschl. v. 3.8.2018 – 2 OWi 6 SsBs 48/18, BeckRS 2018, 19035

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9 Kommentare

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Ach, wie erinnere ich mich noch: Am letzten Tage, an dem Deutschland noch ein richtig  freies Land war, hatte ich als junger Bursche , wohl noch minderjährig  aber seit mehr als 2 Jahren Führerscheininhaber für Klasse 3, den schweren Audi 100 meines Vaters und fuhr  LEGAL ca 170 km/h auf zweispuriger Bundesstraße B 1 . Es war taghell, es war trocken, es war gerade Strecke, der Verkehr gering genug. - Das Gegestck - nach dem 1. Staatsexamen zum Pflichtwehrdienst einberufen, Eutin, Weinhnachtszeit 1974, selbst immer noch der mitlerweile ältliche Kadett Heckantrieb, Eis schwerster Art, von Eutinbis übeck ca 2 Stunden, Tempo 15 ging schon nicht , weil die Karre bei leichtestem Gas nach rechts in Richtung Graben wegrutschte. - Dazwichen - vorübergehend Tempo 100 auf Autobahnen. Ich hatte mir vom  ADAC den Tachometer eichen lassen - 100 bei Anzeige 112. GENAU die wollte ic natprlich auch fahren. Meine Güte, was habe ich für Perversionenan Hass und Wut von huttragenden und nichthuttragenden Oberehrern erfahrn - von Ausbremsen links, Finger und Handwinken bis zu Hupen und Blinken, wenn sie ihre rechtswidrige Blockade aufhoben auf meine mehr der minder dezenten Hinweise hin und ich vorbeifuhr -LEGAL mit genau 100. - Fazit aus diesen Bröckchen an Lebenserfahrung: Hass, Hetze und Wut giert anscheinend schon im vorideologischen "typisch" deutschen Kraftfahrer, wenn er andere schneller als sich selbst fahren sieht. Mich kratzt es nicht die Bohne, wenn auf freier Autobahn mich ein anderer mit 300 oder mehr überholt. Was mich behindert, sind Verstöße gegen das Rechtsfahrgebot. Haben wir kein Gefühl für Freiheit, wo möglich, und Gehorsam , wo nötig , mehr? 

Haben wir kein Gefühl für Freiheit, wo möglich, und Gehorsam , wo nötig , mehr?

Gesetze und Vorschriften des Strassenverkehrsrechts sind gleichermaßen für alle da, auch für Herrschaften mit schweren Wagen und wg. Geschwindigkeitsbeschränkung angeknackstem Selbstbewußtsein.

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Die Entscheidung hört sich zwar im ersten Moment plausibel an, nimmt dann aber die falsche Wendung. Der Senat wendet im Ergebnis die Rechtsfigur des Aberratio ictus an, kommt dann aber zum falschen Ergebnis. Entweder entnehme ich den senso-motorischen Wahrnehmungen bei einer Fahrt von 140 diejenigen Tatbestandsvoraussetzungen für den bedingten Vorsatz der konkret engrenzbaren Geschwindigkeitsüberschreitung oder eben nicht. Der Vorsatz "zu schnell" zu fahren bedeutet nicht, dass man billigend in Kauf nimmt "viel zu schnell" zu fahren. Im Zweifel muss das Urteil tateinheitliche vorsätzliche Geschwindigkeitsüberschreitung von 20km/h iVm fahrlässiger Geschwindigkeitsüberschreiung von 40km/h lauten. Den Vorsatz zur Verwirklichung des kleineren Deliktes auf den des größeren Deliktes zu übertragen halte ich für nicht überzeugend.

 

@Dr. Peus: Ich kann Ihrem Drang nach allgemeiner Handlungsfreiheit nur beipflichten, weiß aber ehrlich nicht, warum Sie die praktisch zu wenig verfolgten Delikte der Nötigung im Straßenverkehr hier als Aufreger präsentieren. Darum geht es doch hier garnicht. óÒ

Sehr geehrter Herr Gladow, ich muss gestehen, mit diesen Feinheiten des Vorsatzes im OWi-Recht speziell des Tempos habe ich mich bisher nicht befasst. Klingt aber klug. Eventuell liegt es so. 1.) Das Verbot lautet: Verboten ist schneller als 100 km/h zu fahren. 2.) Der Tatbestand ist erfüllt bei 101, 110, 140, 225 wie auch 300.  3.) Bei der Rechtsfolge wird etwa nach § 3 Abs. 4a BKatV u.a. differenziert nach Vorsatz oder Nicht-Vorsatz/Fahrlässigkeit., im übrigen bekanntlicn nach Maß der Überschreitung. . 4.) Die Entscheidung verstehe ich so: Nun, ob man 102 fährt ( was in der Schweiz  bereits seeeeeeeeeeeeeehr untunlich ist!), , 108 oder 110  - wie schnell kommt man im insoweit laxen Deuschland zu schnell fort. Aber  - bei 140 - da glaubt einem das Geicht nicht mehr das "Versehen" - wenn man denn nicht abstreitet, überhaupt ggf. das Schild gesehen zu haben, soweit es vom Schild abhängt. Ich teile Ihre Auffassung insoweit nicht, als Sie wohl davon ausgehen, Vorsatz setze Wissen und Wollen zu irgendeiner bestimmten Geschwindigkeit  (oberhalb des Limits) voraus. - Zu Ihrem PS: Ich hatte mir erlaubt , die Relevanz des Tempos für das rotgrünunchristliche Abendland etwas zu relativieren.  Mit Ihnengehe ich einig - a) FReiheit  b) es stören vor allem Nötigungen - vor allem Blockade linker oder auch mittlerer Spuren durch Langsamfahrer bei Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot. Daneben gibt es selbstredbd weitere Verstöße. 

 

"Im Zweifel muss das Urteil tateinheitliche vorsätzliche Geschwindigkeitsüberschreitung von 20km/h iVm fahrlässiger Geschwindigkeitsüberschreiung von 40km/h lauten." Herr Gladow, das ist rechtlich richtig - für die Rechtsfolge allerdings belanglos.

Die Freiheit, schnell zu fahren, wird hier auch wieder thematisiert. Nun ist dieses Thema ja hinreichend untersucht: eine allgemeine Geschwindigkeitsbeschränkung, wie sie in der weit überwiegenden Zahl der Staaten existiert, verbessert den Verkehrsfluss und mindert die Zahl der Unfälle. Gäbe es eine gescheite Politik, hätten wir längst eine allgemeine Geschwindigkeitsbeschränkung (die ich lieber etwas höher als bei unseren Nachbarn ansiedeln würde, sp bei 130-140 km/h).

Was die Bußgeldsachden angeht, sehe ich Übereifer. Geschwindigkeitsüberschreitungen sind als solche keineswegs so gefährlich, wie gern behauptet wird, außer vielleicht bei Fahranfängern. Gefährlich sind die Delikte, bei den schneller als erlaubt gefahren wird, vor allem gefährliches Überholen.

Und wenn man die Sanktionen (bei bloßer Geschwindigkeitsüberschreitung) mit anderen vergleicht, dann stellt sich sehr schnell die Frage nach der Verhältnismäßigkeit. de facto werden solche läppischen OWi-Sachen oft mit mehr Energie verfolgt und härter bestraft als Strafsachen. 

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Ich habe mich mal als Beschuldigter in einer ähnlichen Situation mit einem Amtsgericht herumschlagen dürfen. Einziger Unterschied: ich bin die 40 km/h auf einer Autobahn zu schnell gefahren. Es gab ein Schild (Tempo 100 wegen Lärmschutz oder so) auf völlig gerader Autobahn, ich hab es übersehen. Nun gut, vielleicht war ich abgelenkt, unaufmerksam, was auch immer - aber ich hatte ganz bestimmt nicht den Vorsatz, 40 km/h zu schnell zu fahren. Die Tat hatte ich eingeräumt, den Vorsatz bestritten. Und dann erklärt mir die junge Amtsrichterin was von "Bei einer Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um – wie hier – 40 km/h ergibt sich aus den damit verbundenen sensorischen Eindrücken, hervorgerufen durch Motorgeräusch, Fahrzeugvibration und die Schnelligkeit, mit der sich die Umgebung verändert, ein beweiskräftiges Indiz dafür, dass der Kraftfahrer die erlaubte Geschwindigkeit zumindest mit bedingtem Vorsatz überschreitet" - wohl ein Standardspruch, wenn es um Vorsatz bei der Geschwindigkeitsüberschreitung geht. Natürlich hatte ich das Gefühl, recht flott zu fahren (eben 140), doch auf der Autobahn darf man das ja normalerweise auch, oder? Den Prozess, bei dem ich nur den Vorsatz bestritten habe, habe ich wegen dieser "sensomotorischen Eindrücke" verloren.

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Nun, dann haben Sie wohl auch - ob zu Recht oder Unrecht - den Prozess/ das Verfahren zumindest auch dann zu Recht verloren gehabt! Was fahren Sie denn auch noch zu schnell, auch wenn es sich nun um eine Autobahn gehandelt haben dürfte?

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