Die Hose und die Kneifzange: Flucht vor der Polizei bei Trunkenheitsfahrt bedeutet nicht Vorsatz!

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 22.11.2018
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht1|19696 Aufrufe

Im Laufe des juristischen Berufslebens hört man immer wieder die Formulierung, man mache sich doch nicht "die Hose mit der Kneifzange zu". Andere sagen, man entscheide einfach "hemdsärmelig". Jeder Blogleser mag für sich entscheiden, ob eine der beiden Formulierungen auf den nachfolgenden Fall passt. Da hatte der Betroffene getrunken und wollte sich von der Polizei nicht kontrollieren lassen. Manch einer würde denken: Oh! Schlechtes Gewissen! Vorsatz!" Das AG machte das genau so. Das OLG Bamberg sah das anders:

 

 

Das AG verurteilte den bisher unbelasteten Betr. wegen vorsätzlichen Führens eines Kfz im Straßenverkehr mit einer Alkoholmenge im Körper, die zu einer Atemalkoholkonzentration (AAK) von mehr als 0,25 mg/l geführt hat, zu einer Geldbuße von 1.000 EUR und ordnete gegen ihn ein einmonatiges Fahrverbot an. Der in der Hauptverhandlung abwesende, jedoch von seinem Verteidiger vertretene Betr. hatte die Fahrereigenschaft eingeräumt, darüber hinaus keine Angaben zur Sache gemacht. Nach den Urteilsfeststellungen befuhr der Betr. am 02.04.2017 um 00.15 Uhr einen Pkw auf der Hauptstraße in H., obwohl er vor Fahrtantritt, wie er wusste, Alkohol konsumiert hatte. Eine mit dem Gerät ‚Dräger Alcotest 7110 Evidential‘ erfolgte Messung ergab eine Tatzeit-AAK von 0,51 mg/l im Mittelwert. Das AG ist davon ausgegangen, dass der Betr. mit einer AAK in dieser Höhe gerechnet und sie billigend in Kauf genommen habe. Wie der als Zeuge vernommene polizeiliche Messbeamte bekundet habe, sollte der Betr. im Rahmen einer allgemeinen Verkehrskontrolle angehalten werden. Der Betr. sei mit dem Pkw aus dem Parkplatz eines Fitnessstudios auf die T.-Straße heraus und zunächst dem Streifenwagen entgegen gefahren, woraufhin der Zeuge den Streifenwagen gewendet und das Anhaltesignal ‚Stopp Polizei‘ aktiviert habe. Hierauf habe der Betr. sofort beschleunigt, weshalb der Zeuge das Blaulicht eingeschaltet habe und dem Betr. weiter gefolgt sei. Als dieser weiterhin keine Anstalten gemacht habe, anzuhalten, sei das Martinshorn zugeschaltet worden. Gleichwohl sei der Betr. über die Kreisstraße aus dem Ortsgebiet heraus- und dann nach links in die C.-Straße abgebogen und wieder nach H. hineingefahren. Dort habe der Betr. auf Höhe des Anwesens Hauptstraße 88 abrupt abgebremst, wo sich der Zeuge mit dem Streifenwagen derart neben ihn habe stellen können, dass dem Betr. eine Weiterfahrt nicht mehr möglich gewesen sei. Der Betr. sei mit einer Höchstgeschwindigkeit von ca. 90 km/h innerorts gefahren. Bei der Kontrolle habe der Zeuge bemerkt, dass die Aussprache des Betr. verwaschen gewesen sei. Vor dem Hintergrund des von dem Zeugen geschilderten Verhaltens des Betr. bestanden nach Auffassung des AG keine Zweifel daran, dass dem Betr. als Berufskraftfahrer bewusst war, dass er eine für das Vorliegen einer Ordnungswidrigkeit nach § 24a StVG relevante AAK aufwies und deshalb im Falle einer Kontrolle mit Konsequenzen einschließlich eines Fahrverbots würde rechnen müssen, weshalb er sich durch eine riskante Flucht mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit über eine Strecke von 2 km der Kontrolle entzogen habe. Mit der gegen die Verurteilung gerichteten Rechtsbeschwerde rügt der Betr. die Verletzung formellen und materiellen Rechts.

Die Rechtsbeschwerde führte zur Abänderung der Schuldform von Vorsatz in Fahrlässigkeit und zur einer Herabsetzung der verwirkten Geldbuße auf 500 EUR durch das in der Sache selbst entscheidende OLG; im Übrigen erwies sich das Rechtsmittel als unbegründet i.S.v. § 349 II StPO i.V.m. § 79 III1 OWiG.

Gründe: 

1. Soweit das AG […] von einer (bedingt) vorsätzlichen Verwirklichung des Verstoßes gegen § 24a I StVG ausgeht und dies allein mit dem Versuch des Betr. begründet, sich der Polizeikontrolle zu entziehen, kann der Schuldspruch des angefochtenen Urteils keinen Bestand haben.

a) Zutreffend hat das AG zwar erkannt, dass Bezugspunkt der Schuld bei § 24a I StVG das bloße Erreichen der darin genannten Grenzwerte ist und Vorsatz voraussetzt, dass der Betr. zumindest mit einer Atem- bzw. Blutalkoholkonzentration in der in § 24a I StVG genannten Höhe rechnet und diese, für den Fall, dass sie vorliegt, billigend in Kauf nimmt (OLG Zweibrücken, Beschluss vom 04.01.1989 - 1 Ss 275/88 = VRS 76 [1989], 453 = DAR 1989, 310; Hentschel/König/Dauer Straßenverkehrsrecht 44. Aufl. § 24a Rn. 25, 25a und 26). Auch ist das AG zutreffend davon ausgegangen, dass allein aus der Höhe der festgestellten AAK nicht auf Vorsatz geschlossen werden kann; insoweit gelten dieselben Grundsätze wie für eine Verurteilung wegen eines vorsätzlichen Verstoßes gegen § 316 StGB (Burhoff [Hrsg.]/Burhoff, Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren 5. Aufl. Rn. 3595 f. unter Hinweis insbesondere auf BGHSt 60, 227 sowie die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte; vgl. zuletzt etwa OLG Düsseldorf, Beschluss vom 08.06.2018 - 1 RVs 18/17 = ZfS 2017, 590 = BA 54 [2017], 382 = StV 2018, 445). Danach hat die Vorsatzbeurteilung, wenn es an einem Geständnis fehlt, auf der Grundlage einer Feststellung und Gesamtwürdigung aller indiziell relevanten objektiven und subjektiven Umstände des Einzelfalles, insbesondere der Täterpersönlichkeit, des Trinkverlaufs wie auch dessen Zusammenhang mit dem Fahrtantritt sowie des Verhaltens des Täters vor, während und nach der Fahrt zu erfolgen. Von Bedeutung können hier etwa einschlägige Vorverurteilungen sein, desgleichen dem Täter bewusst gewordene Ausfallerscheinungen während der Fahrt bzw. grobe Fahrfehler, die Flucht vor einer Polizeikontrolle sowie Verschleierungsversuche wie beispielsweise das Nutzen von „Schleichwegen“ (Freymann/Wellner/Görlinger jurisPK-Straßenverkehrsrecht [2016] § 316 StGB Rn. 49; König a.a.O. Rn. 26 mit krit. Hinweis auf OLG Celle NZV 1997, 320; umfassend zu möglichen Beweisanzeichen und deren Gewichtung LK/König StGB 12. Aufl. § 316 Rn. 190 ff.; Hentschel DAR 1993, 449 ff.; vgl. auch OLG Hamm ZfS 1999, 217; BA 37 [2000], 116; BA 41 [2004], 538).

b) Soweit jedoch das AG die Annahme vorsätzlicher Tatbegehung allein darauf gestützt hat, dass sich der Betr. bei zunächst unauffälligem Fahrverhalten innerorts auf einer Strecke von etwa 2 km zwischen dem ersten polizeilichen Anhalteversuch und der letztendlich erfolgreichen Anhaltung mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit der polizeilichen Kontrolle zu entziehen versuchte, tragen diese Feststellungen nicht hinreichend den vom AG gezogenen Schluss, dass der Betr. zumindest billigend in Kauf genommen hat, dass er nach dem Alkoholkonsum den in § 24a I StVG genannten Grenzwert überschreiten würde, und daher eine mögliche Überprüfung der Blut- oder Atemalkoholkonzentration im Rahmen einer polizeilichen Kontrolle gefürchtet hat. Denn auch in Fällen bewusster Fahrlässigkeit hat der Täter die Möglichkeit der Überschreitung des gesetzlichen Grenzwertes erkannt, aber zu Unrecht darauf vertraut, einen solchen Zustand noch nicht erreicht zu haben. Dass ihm bei einer unmittelbar bevorstehenden polizeilichen Verkehrskontrolle insoweit erneut Zweifel kommen, die ihn zu einem Fluchtversuch veranlassen, erscheint jedenfalls nicht fernliegend (Hentschel a.a.O. S. 452). Mag ein solches Verhalten damit auch von schlechtem Gewissen zeugen und dahinter die Befürchtung stehen, den gesetzlichen Grenzwert überschritten zu haben, so genügt dies aber für die Annahme von Vorsatz bei Fahrtantritt oder während der Fahrt in der Regel noch nicht. Der von dem AG festgestellte Fluchtversuch lässt damit für sich allein noch keinen tragfähigen Rückschluss auf den Vorsatz des Betr. zu.

c) Dass noch weitere erhebliche Feststellungen zur subjektiven Tatseite getroffen werden können, welche die Annahme einer vorsätzlichen Begehungsweise hinreichend rechtfertigen könnten, ist nicht ersichtlich. Insbesondere bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass der Betr. in einer neuen Hauptverhandlung dazu erstmals (für ihn rechtlich nachteilige) Angaben machen könnte. Der Senat kann daher in der Sache […] selbst entscheiden, sodass es einer Zurückverweisung an das AG nicht mehr bedarf (§ 79 VI OWiG).

2. Auch wegen des Rechtsfolgenausspruchs ist eine Zurückverweisung an das AG entbehrlich. Hinsichtlich der Höhe der festzusetzenden Geldbuße für die nunmehr (nur noch) fahrlässige Verwirklichung des Bußgeldtatbestandes des § 24a I StVG rechtfertigen die im Übrigen rechtsfehlerfreien Zumessungserwägungen des AG neben dem verwirkten einmonatigen und überdies mit der Vollstreckungserleichterung des § 25 IIa StVG versehenen Regelfahrverbot entsprechend dem Bußgeldbescheid vom 09.12.2014 ohne Weiteres die Verhängung der gemäß §§ 1 I 1, II, 3 I BKatV i.V.m. Nr. 241 BKat vorgesehenen Regelgeldbuße von 500 EUR. Anhaltspunkte für die Annahme, der Zweck des Fahrverbotes könne allein mit einer erhöhten Geldbuße erreicht werden, sind nicht ersichtlich. […]

OLG Bamberg Beschl. v. 23.10.2018 – 2 Ss OWi 1379/18, BeckRS 2018, 28060

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1 Kommentar

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Wenn man schon in den dogmatischen Elfenbeinturm will, dann müsste man aber auch konsequenterweise überlegen, ob die "erneuten Zweifel" im Rahmen der unmittelbar bevorstehenden polizeilichen Verkehrskontrolle nicht einen bedingten Vorsatz für eine neue Tat deshalb begründen, weil der Angeklagte weitergefahren ist. Man müsste dann überlegen, ob die polizeiliche Kontrolle nicht eine Zäsur darstellt. Bis zur Kontrolle würde der Täter vorsatzlos handeln, die Tatsache, dass er dann aber weitergefahren ist, könnte einen neuen, diesmal bedingt vorsätzlichen, Verstoß gegen § 24a StVG begründen. Die Annahme eines schlechten Gewissens würde für eine Zäsur sprechen.
„Hemdsärmelig“ wäre demnach nicht nur das AG, sondern auch das OLG vorgegangen, in dem sie einfach wegen einer Fahrlässigkeit Tat verurteilt haben.

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