BGH: Zur Ad-hoc-Mitteilungspflicht bei Geltendmachung von Organhaftungsansprüchen

von Dr. Cornelius Wilk, veröffentlicht am 23.11.2018

Der BGH hat mit Beschluss vom 10. Juli 2018 (II ZB 24/14) zur Ad-hoc-Publizität in Bezug auf verschiedene Schritte und Ereignisse im Zusammenhang mit der Geltendmachung von Organhaftungsansprüchen Stellung genommen. Der Beschluss beruht in weiten Teilen auf zwischenzeitlich außer Kraft getretenen bzw. durch die MAR ersetzten Vorschriften, enthält jedoch auch in Bezug auf die heutige Rechtslage relevante Aussagen.

Bank erleidet Verluste aus Zinsderivategeschäften 

Die Entscheidung betrifft eine Bank, die sich u. a. durch die Begebung von börsennotierten Genussscheinen finanzierte. Um den Eigenkapitalanforderungen nach § 10 Abs. 5 KWG a. F. zu genügen, legten die Genussscheinbedingungen eine Teilnahme des Genusskapitals an Bilanzverlusten der Gesellschaft fest. Während der Laufzeit der Genussscheine geriet die Gesellschaft aufgrund der negativen Entwicklung von Zinsderivategeschäften in erhebliche finanzielle Schwierigkeiten. Der Aufsichtsrat gab daraufhin ein Gutachten zu möglichen Pflichtverletzungen der für die Geschäfte verantwortlichen (und zwischenzeitlich ausgeschiedenen) Vorstandsmitglieder in Auftrag und beschloss auf dessen Basis die Geltendmachung von Organhaftungsansprüchen. Wenig später erhob die Gesellschaft Klage, u. a. auf Feststellung einer Schadensersatzpflicht für Verluste aus laufenden Derivategeschäften. Das Verlustrisiko gab die Gesellschaft mit über EUR 1 Mrd. an.

Ad-hoc-Mitteilungspflicht in Bezug auf Ermittlungen und Anspruchsverfolgung?

Öffentlich bekannt wurde das gerichtliche Vorgehen erstmals durch einen Pressebericht; eine Ad-hoc-Mitteilung erfolgte zunächst nicht. Erst die bevorstehende erstmalige Teilnahme des Genusskapitals an einem Bilanzverlust gab die Gesellschaft durch Ad-hoc-Mitteilung bekannt. Mehrere Genussrechteinhaber nahmen die Gesellschaft daraufhin auf Schadensersatz aus § 37b WpHG a. F. (ähnlich nunmehr § 97 WpHG n. F.) wegen unterlassener Ad-hoc-Mitteilung zu verschiedenen Tatsachen im Vorfeld der erfolgten Ad-hoc-Mitteilung in Anspruch. Über die Frage, ob diese Tatsachen als „neue Tatsachen“ gemäß § 37b WpHG i. d. F. bis 29. Oktober 2004 bzw. als Insiderinformationen gemäß § 37b i. V. m. § 13 WpHG a. F. (ähnlich nunmehr § 97 WpHG n. F., Art. 17 MAR) zu qualifizieren waren, entschied das OLG Frankfurt am Main mit Musterentscheid vom 20. August 2014 (23 Kap 1/08).

In seinem Beschluss hält der Senat, der als Beschwerdeinstanz über den Musterbescheid zu entscheiden hatte, eine Mitteilungspflicht für weitgehend nicht gerechtfertigt, verweist die Sache jedoch zu weiterer Sachverhaltsaufklärung an das OLG zurück.

Kursrelevanz des Aufsichtsratsbeschlusses über die Anspruchsgeltendmachung?

Nicht ohne weiteres gerechtfertigt sei zunächst die Annahme, der Aufsichtsratsbeschluss über die Geltendmachung der Organhaftungsansprüche sei geeignet gewesen, den Börsenpreis der Genussscheine erheblich zu beeinflussen. Bei einer Verletzung von Organpflichten könne die Kursrelevanz entweder aus dem Ergebnis folgen, das durch das in Rede stehende Organhandeln geschaffen worden sei, oder aus Einschätzung über die Qualität des Managements, die sich aus diesem Ergebnis ableite. Vorliegend sei die Mitteilung des Aufsichtsratsbeschlusses für sich nicht geeignet gewesen, hinreichend über das Ergebnis der mutmaßlichen Pflichtverletzungen, insbesondere künftige Verlustrisiken, zu informieren.

Kursrelevanz der Klageerhebung? 

Ebenso wenig zu bejahen sei die Kursrelevanz einer Information über die Klageerhebung. Aus dem Feststellungsantrag zu noch laufenden Geschäften und der Behauptung des Schadenspotentials lasse sich nicht mit hinreichender Gewissheit ein Kursbeeinflussungspotential ableiten. Beides weise zwar darauf hin, dass die Gesellschaft mit erheblichen künftigen Schäden rechne. Aus der pauschalen Angabe lasse sich aber nicht ableiten, welche möglichen Auswirkungen sich für die Bewertung der Genussscheine ergäben. Die Information über die Klageerhebung dürfe nicht mit der Information über mutmaßlich existenzgefährdende Risiken aus den zugrunde liegenden Schäden gleichgesetzt werden. Dies sei nur dann gerechtfertigt, wenn unter Berücksichtigung weiterer bekannter Tatsachen zu erwarten sei, dass ein verständiger Anleger aus der Information über die Klageerhebung auf den Eintritt existenzgefährdender Risiken schließe.

Kein Anspruchsausschluss durch aufsichtsrechtlichen Kapitalschutz

Ein Schadensersatzanspruch gegen die Gesellschaft wegen unterlassener Ad-hoc-Mitteilung sei allerdings nicht generell durch die bankaufsichtsrechtlichen Kapitalschutzregeln in § 10 Abs. 5 KWG a. F. und der damaligen Bankenrichtlinie 2006/48/EG ausgeschlossen. Durch die Belastung mit einer Schadensersatzpflicht wegen Verletzung kapitalmarktrechtlicher Publizitätspflichten werde das Gesellschaftsvermögen nicht anders als bei sonstigen Deliktsansprüchen in Anspruch genommen. Ein so begründeter Anspruch auf Rückzahlung des für die Genussscheine entrichteten Erwerbspreises stelle die Eignung des Genusskapitals zum Verlustausgleich und den Nachrang der Forderungen aus dem Genussrechtsverhältnis nicht in Frage. Dasselbe sei höchstrichterlich bereits für das Verhältnis zum aktienrechtlichen Kapitalschutz entschieden; die dortigen Erwägungen seien erst recht für das hier in Rede stehende Verhältnis zum aufsichtsrechtlichen Kapitalschutz gültig.

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