Die SPD will Übersetzer und Übersetzerinnen vor Hartz IV retten

von Peter Winslow, veröffentlicht am 28.11.2018

Der Generalsekretär der SPD, Herr Lars Klingbeil, meint, »Es werden bald ganze Branchen verschwinden« und nennt als Beispiel die Übersetzungsbranche. Wörtlich sagt er:

Die [Übersetzer und Dolmetscher] wird es in ein paar Jahren als Dienstleister nicht mehr geben, weil technologische Entwicklung das überflüssig macht. Diesen Menschen muss der Staat eine Garantie geben, dass wir uns um sie kümmern, dass sie nicht innerhalb kürzester Zeit ins Arbeitslosengeld II (ALG II) abrutschen, dass sie nicht Hartz-IV beziehen. Da brauchen wir eine große Reform.

Herr Klingbeil hat Ludwig Wittgenstein wohl nie gelesen. Ansonsten wüsste er: »Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen«. Dies gilt sowohl für philosophische als auch für politische Aussagen. Herr Klingbeil kann deswegen nicht über die Übersetzungsbranche sprechen, weil er offensichtlich keine Ahnung davon hat. Ich weiß nicht, ob er deshalb darüber schweigen muss. Aber er sollte sicherlich solange darüber schweigen, bis er nicht mehr der Meinung ist, dass vage Vermutungen im Hinblick auf die technologische Entwicklung die Überflüssigkeit ganzer Branchen begründen können. Die Vernunft und der stets beim Denken zu beachtende Bestimmtheitsgrundsatz machen seine Meinung überflüssig.

Vielleicht ist dieses Urteil zu hart. Vielleicht liegen Herrn Klingbeil nur die Interessen der Übersetzer und Übersetzerinnen am Herzen. Seine eigenen Worte verraten jedoch, dass dies nicht der Fall sein kann: Wes das Herz voll ist, des geht der Mund über.* Und bei ihm quillt der Mund vor lauter Schlagwörtern über. Er deckt die ganze Bandbreite von technologischer Entwicklung über staatliche Garantien bis hin zu Arbeitslosigkeit und Hartz IV ab. Herr Klingbeil sollte schon wissen, dass die Interessen einer Branche nicht in der Abdeckung von Schlagwörtern und Panikmache bestehen können – und dass schon gar keine, geschweige denn eine große, Reform auf dieser Basis zu wünschen ist.

Endnote

* Siehe Lukas 6,45 sowie Karl Kraus F 264–65: 4.

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12 Kommentare

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Warum sollte die Übersetzungsbranche von der Digitalsierung unberührt bleiben? Einige digitale Übersetzungsdienste leisten zwischenzeitlich schon recht vernünftige Dienste. Seien Sie doch froh, dass sich Klingbeil Sorgen um Sie macht! Das schadet doch zumindest nicht...

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Four things.

Erstens: Ich habe nie behauptet, dass die Übersetzungsbranche von der Digitalisierung unberührt bleibt. Ich habe lediglich behauptet, dass sie nicht an der Digitalisierung zugrundegeht.

Zweitens: Ich habe mindestens zweimal hier bei der beck-community über die maschinelle Übersetzung geschrieben. Siehe hier und hier. Dabei habe ich (gut oder schlecht sei dahin gestellt) thematisiert, wie die maschinelle Übersetzung die Übersetzungsbranche berührt.

Drittens: Es ist nicht Undankbarkeit, mir eine in meiner Wahlheimat betriebene Politik zu wünschen, die nicht auf leeren Schlagwörtern und populistischer Panikmache, sondern auf Tatsachen und fundiertem Wissen beruht – ja, mir als Ausländer eine Politik zu wünschen, die sich nicht nur inhaltlich, sondern auch strukturell von der Politik der AfD unterscheidet.

Viertens: In dem Sinne froh zu sein, schadet doch: Das hört sich so an, als sollte ich mich Ihrer Ansicht nach nicht über die Inhalte der von Politikern und Politikerinnen betriebenen Politik, sondern allein über die Seelenzustände der Politiker und Politikerinnen freuen sollte. Von der Politik verlange ich Inhalte, nicht Seelenzustände. Außerdem: Was gehen mich die Seelenzustände anderer an? Ich bin weder Priester noch Therapeut. 

Es ist nicht Undankbarkeit, mir eine in meiner Wahlheimat betriebene Politik zu wünschen, die nicht auf leeren Schlagwörtern und populistischer Panikmache, sondern auf Tatsachen und fundiertem Wissen beruht – ja, mir als Ausländer eine Politik zu wünschen, die sich nicht nur inhaltlich, sondern auch strukturell von der Politik der AfD unterscheidet.

Ganz schön mimosenhaft! Und mit der AfD hat Klingbeil schon überhaupt nichts zu tun. Ich weiß immer noch nicht, was Sie so künstlich erregt...

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Fifth: Marvellous, sir! Especially no. one is a very fine example how to distinguish between what has been said and the false thesis that a wilfull adversary boy puts into discussion as a target which he wants to push. It's a type of argumentation that we find very often in the nowadays open political discussion of intellectual mediocrity. At least in Germany. It's a pity! Only in Germany?

Sehr geehrter Herr Winslow, wenn wir schin sprachlich und logisch exakt sind: Wenn Sie bei der AfD sowohl Inhalte wie auch Struktur wahrnehmen - die muss es ja geben, wenneie Unterscheidung gewünscht wird - so sind Sie bedeutend weiter in der Erkenntnis als jene Laberköfe des intellektuellen Nichts, die andauernd davon reden, jene Partei habe keinen Inhalt, und sei nur "dagegen". Die Wahrheit ist: sie hat in vielen Bereichen sehr klare und präzise fassbare Begehren - nur die passen vielen nicht,  die aber entweder keine Argumente haben dagegen oder ahnen, dass sie mit ihren intellektuellen Mäßgkeiten niemanden überzeugen. Unter Juristen ist die Lage eigentlich seit Papier NJW 2016, 2391-2396 klar. Seltsam freilich dass die AfD-isten nicht schlcht und einfach darauf erweisen, auch im Bundestag, immer wieder. Schwächer ist die Position zur EU. Inhaltlich - wollen wir wieder Ged wechseln wie vor 1870 - oder vor 1793 - von Bochum (Grafschaft Mark) nach Essen (Fürstentum in weiblicher Hand ), dann Köln, Jülich, oder auch Herzogtum Kleve; oder nach Norden: Vest Recklinghausen, nördlich davon Bistum Münster usw. Die gedankliche Anstrengung, zu präzisieren, inwieweit die (auch mE) notwendige scharfe Beschränkung der EU auf das Wesentliche umgesetzt werden soll, fehlt da. Und seltsam leise ist es bei jener Partei über "Abstimmungen", seit nunmehr wiederholt in der Schweiz ihnen Unpässliches vom Volk beschlossen worden ist, bzw. abgelehnt. Aber die Dünnbrettbohrer von SPD angefangen (Klingbeil) und bis weit weiter kommen ja nur mit Mätzchen des Blabla der Zeitungsschlagzeilen. Wer sorgsam differenziert, kriegt den Anwurf, er missachte jede "Berührung". Wer das Volksschauermärchen von der Diesel-Verpestung nicht in seiner Totalität gläubig weitertrompetet, kriegt das Wörtlein "Klimaleugner" um die Ohren geworfen. Bronchialfachlundiger: 950 mg wären nicht erkennbar schädlich? Ä bäh! 40 müssen's sein. "Argument": steht in uraltem Papier von Stubenhockern der "UNO". 

Wenn Winslow diesen unzusammenhängenden Buchstaben- und Gedankensalat verstehen kann, ist er als Übersetzer wirklich Spitze!

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Ehrlich gesagt, ich bin immer für die Kommentare von Herrn Dr. Peus dankbar. Ich denke sofort an einen meiner Lieblingsaphorimsen von Georg Christoph Lichtenberg, der lautet:

Die Wahrheit hat tausend Hindernisse zu überwinden, um unbeschädigt zu Papier zu kommen, und von Papier wieder zu Kopf. Die Lügner sind ihre schwächsten Feinde. Der enthusiastische Schriftsteller, der von allen Dingen spricht und alle Dinge ansieht, wie andere ehrliche Leute, wenn sie einen Hieb haben, ferner der superfeine erkünstelte Menschenkenner, der in jeder Handlung eines Mannes, wie Engel in einer Monade, sein ganzes Leben sich abspiegeln sieht, und sehen will, der gute fromme Mann, der überall aus Respekt glaubt, nichts untersucht, was er vor dem 15. Jahr gelernt hat, und sein bißgen Untersuchtes auf [ununtersuchten Grund baut, dieses sind Feinde der Wahrheit.

Ich meine das nicht böse, aber man muss schon zugeben, dass Herr Dr. Peus von so manchen Dingen spricht, wie andere Leute, wenn sie einen Hieb haben. Herr Dr. machen Sie ruhig weiter so. Ich denke gerne an Lichtenberg. 

Sir, I shouldn't like to be seen as an enemy of truth. It may be that my words sometimes don't give anything but blood, toil, tears and sweat ( and Tippfehler), but I do my best to say nothing but truth concerning facts. Yours sincerely Egon Peus.

I tried not to insinuate that you were an enemy of truth. I wanted only to establish a similarity between your writing style and Lichtenberg's description, which I find amusing. Best, Peter Winslow

Naja, der Spruch von Klingbeil ist schon etwas ulkig - und klingt, als wäre er unüberlegt dahingesagt.

Stellen wir uns einmal vor, Herr Scheuer würde erklären, die deutsche Autobranche sei praktisch schon Geschichte, und man müsse dringend Umschulungsmaßnahmen für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vorbereiten. Oder Frau Barley erklärt, die Deutsche Bank werde bald zerschlagen, und die Arbeitsämter sollten sich auf die Vermittlung tausender arbeitsloser Bänker vorbereiten. Die Aktienkurse würden taumeln, und in ein paar Jahren hätte die interessierte Juristenschaft hätte nach Jugendsekten, Glykolwein und Kirchpleite eine interessante neue Entscheidung zum Äußerungsrecht.

Nun ist die Übersetzerbranche anders aufgestellt und wahrscheinlich weniger vom Aktienmarkt betroffen. Dass der private Hauskredit für den freiberuflichen Übersetzer wegen einer Erklärung von Herrn Klingbeil abgelehnt wird, vermute ich eher nicht. Aber dass die Äußerung auch abseits rein wirtschaftlicher Faktoren ähnlich irritiert aufgenommen wird, ist m. E. nachvollziehbar.

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