Eigentlich nichts für Weihnachten: „Halts Maul, schrei nicht so und verpiss Dich!“ und HandyOWi => Rechtskraft der Strafverurteilung hilft bei OWi-Verteidigung!

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 24.12.2018
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht|5639 Aufrufe

Das Problem ist altbekannt: Bei der Polizei werden Verfahren, in denen Verkehrsordnungswidrigkeiten im Rahmen eines Tatgeschehens auch von Straftatbeständen begleitet werden immer wieder abgetrennt. Bei Drogendelikten ist das ein echter Klassiker. Grund hier ist die Spezialzuständigkeit bestimmter Abteilungen für Drogendelikte und das Wissen der anderen Abteilungen, dass die drogenabteilungen allgemeine Verkehrssachen nicht mitbearbeiten wollen.  Das Problem dabei: Werden die Verfahren weiterhin getrennt geführt, führt eine Entscheidung in einem Verfahrensteil in der Regel zu einem Verfahrenshindernis auch im anderen Verfahren. Gute Verteidiger etwa legen dann Wert darauf, das OWi-Verfahren schnell durch Sachurteil entscheiden zu lassen, um dem Mandanten später die BtM-Verurteilung zu ersparen. Hier lief es mit dem Verfahrenshindernis andersherum: Die Beleiigung des Polizisten war schnell abgeschlossen - die OWi konnte nicht mehr verfolgt werden!

 

Auf den Antrag des Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 23. Juli 2018 wird das Verfahren eingestellt.

Die Kosten des Verfahrens und die dem Betroffenen hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Landeskasse Berlin.

Gründe: 

Das Amtsgericht Tiergarten hat am 23. Juli 2018 gegen den Betroffenen eine Geldbuße von 160 Euro wegen verbotswidriger Benutzung eines Mobiltelefons gemäß §§ 17, 19 OWiG, §§ 23 Abs. 1a, 49 (zu ergänzen: Abs. 1 Nr. 22 StVO, § 1 BKatV i.V.m. Anlage zu § 1 Abs. 1 BKatV Abschnitt II Lfd. Nr. 246.1 BKatV), § 24 (zu ergänzen: Abs. 1) StVG festgesetzt. Auf den form- und fristgerechten Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen dieses Urteil stellt der Senat das Verfahren nach §§ 46 Abs. 1 OWiG, 206a Abs. 1 StPO ein, denn zwischenzeitlich ist das Verfahrenshindernis des Strafklageverbrauchs eingetreten.

1. Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist der Vorwurf, der Betroffene habe entgegen § 23 Abs. 1a StVO als Führer eines Kraftfahrzeugs während einer Fahrt auf der R. Straße/J. Chaussee am 16. November 2017 um 23.40 Uhr wissentlich auf ein in seiner rechten Hand gehaltenes, eingeschaltetes Mobiltelefon geschaut.

Der Betroffene wurde in der Folge durch Polizeibeamte, die den vorgeworfenen Verkehrsverstoß beobachtet haben wollen, wegen des Verdachts einer Ordnungswidrigkeit angehalten. Während dieser polizeilichen Überprüfung in der R. Straße, Höhe Hausnummer 135, äußerte der Betroffene um 23.45 Uhr zu dem Polizeibeamten POM X in ehrverletzender Absicht die Worte „Halts Maul, schrei nicht so und verpiss Dich!“ Insoweit hat die Strafverfolgungsbehörde ein gesondertes Verfahren wegen des Vorwurfs der Beleidigung (§ 185 StGB) eingeleitet, in dem der Betroffene durch Strafbefehl des Amtsgerichts Tiergarten vom 16. August 2018, rechtskräftig seit 6. September 2018, zu einer Geldstrafe von 25 Tagessätzen verurteilt wurde.

2. Dem weiteren Verfahren steht ein Verfahrenshindernis entgegen, weil durch den Strafbefehl des Amtsgerichts Tiergarten, der in seinen Wirkungen einem rechtskräftigen Urteil gleichsteht (§ 410 Abs. 3 StPO), die Sperrwirkung des § 84 Abs. 1 OWiG eingetreten ist. Der Strafbefehl betrifft dieselbe Tat wie das vorliegende Verfahren.

a) Nach § 84 Abs. 1, Abs. 2 OWiG schließt die gerichtliche Entscheidung über die Tat deren erneute Verfolgung unter allen rechtlichen Gesichtspunkten als Ordnungswidrigkeit wie auch als Straftat aus. Der Begriff der Tat ist dabei im verfahrensrechtlichen Sinne des § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 264 StPO zu bestimmen; auf die materiell-rechtliche Einordnung als Tateinheit nach § 52 StGB oder Tatmehrheit nach § 53 StGB kommt es nicht an (st. Rspr.; vgl. nur BGH NStZ 2008, 411). Eine Tat in diesem Sinne liegt demnach vor, wenn die einzelnen Handlungen nicht nur äußerlich ineinander übergehen, sondern wegen der ihnen zugrunde liegenden Vorkommnisse unter Berücksichtigung ihrer strafrechtlichen Bedeutung auch innerlich derart miteinander verknüpft sind, dass der Unrechts- und Schuldgehalt der einen Handlung nicht ohne die Umstände, die zu der anderen Handlung geführt haben, richtig gewürdigt werden kann, und ihre getrennte Würdigung und Aburteilung als unnatürliche Aufspaltung eines einheitlichen Lebensvorgangs empfunden würde (BGH NStZ 2014, 102 KG, Beschluss vom 28.8.2014 - 3 Ws (B) 452/14 -, BeckRS 2014, 19167).

b) Gemäß diesen Grundsätzen hat die Rechtsprechung beispielsweise die Tatidentität zwischen einer Verkehrsordnungswidrigkeit und der Weigerung des Betroffenen zur vollständigen Personalangabe beim sich anschließenden Erstzugriff der Polizei angenommen (OLG Düsseldorf VRS 40, 273 zum aufgehobenen § 360 Abs. 1 Nr. 8 StGB; OLG Koblenz VRS 68, 216; BayObLG NJW 1994, 63 für den Fall der Unterbindung einer Ordnungswidrigkeit durch einen Polizeibeamten und der unmittelbar in diesem Zusammenhang anschließenden Weigerung der Angabe der Personalien durch den Betroffenen; a.A. OLG Düsseldorf VRS 69, 235.). Ebenso wurde Tatidentität angenommen zwischen der schuldhaften Herbeiführung eines Verkehrsunfalls und der anschließenden Beleidigung des anderen Unfallbeteiligten (BayObLG VRS 41, 382), zwischen einem Verkehrsverstoß und einer alsdann begangenen Unfallflucht (BGHSt 23, 141; KG VRS 35, 347) sowie zwischen der Weigerung des Betroffenen, seine Personalien mit dem Ziel, nicht wegen einer vorherigen Trunkenheitsfahrt belangt zu werden, anzugeben und der Widerstandsleistung bei Verbringung zur Polizeidienststelle (OLG Naumburg, Beschluss vom 26.1.2016 - 2 Rv 10/16 -, BeckRS 2016, 7559).

c) Vorliegend ist gleichfalls Tatidentität anzunehmen, da das im Strafbefehlsverfahren geahndete Vergehen dieselbe Tat im prozessualen Sinne wie die im angegriffenen Urteil betrifft. Der motivische Anlass der Beleidigung des Polizeibeamten war das Anhalten und die Überprüfung des Betroffenen unter Eröffnung des Verdachts einer Ordnungswidrigkeit. Der vorgeworfene Verkehrsverstoß und das Vergehen sind mithin nicht nur sachlich eng verknüpft. Da der Betroffene unmittelbar - wie sich aus den jeweiligen Tatzeiten und Örtlichkeiten ergibt - nach dem Verdacht einer Ordnungswidrigkeit angehalten wurde, besteht zudem ein unmittelbarer zeitlicher Zusammenhang. Es kann folglich auch nicht darauf ankommen, dass der vom Amtsgericht festgestellten Ordnungswidrigkeit und der anschließenden Straftat verschiedene innere Vorgänge des Betroffenen zu Grunde lagen. Denn diese inneren Vorgänge traten in einem so engen zeitlichen Zusammenhang auf, dass diese sich nach der gebotenen natürlichen Betrachtungsweise nicht trennen lassen, sondern einen einheitlichen geschichtlichen Vorgang darstellen. Es ist daher auch ohne Bedeutung, dass materiell-rechtlich die Ordnungswidrigkeit bereits beendet war, als die Beleidigung geäußert wurde.

d) Nachdem mit dem Strafbefehl des Amtsgerichts Tiergarten vom 16. August 2018 über die Tat des Betroffenen als Straftat rechtskräftig entschieden worden ist, kann sie wegen der in § 84 OWiG normierten Sperrwirkung folglich nicht mehr als Ordnungswidrigkeit verfolgt werden.

3. Da das Verfahrenshindernis erst nach Erlass des angefochtenen Urteils eingetreten ist, steht seiner Berücksichtigung gemäß § 80 Abs. 5 OWiG auch nicht die Zulassungsbedürftigkeit der Rechtsbeschwerde entgegen.

4. Das Verfahren ist gemäß §§ 46 Abs. 1 OWiG, 206a Abs. 1 StPO einzustellen, ohne dass es einer Aufhebung des Urteils bedarf. Denn insoweit handelt es sich lediglich um die Berücksichtigung eines nach dessen Erlass eingetretenen Ereignisses, das eine neue Verfahrenslage geschaffen hat (BGHSt 22, 213 zu § 206a StPO).

 

  KG Beschl. v. 12.10.2018 – 3 Ws (B) 250/18 - 122 Ss 109/18, BeckRS 2018, 30420

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