Ist möglich: DrogenOWi ohne Erreichen des analytischen Nachweisgrenzwertes für THC in Höhe von 1 ng/ml

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 30.12.2018
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht|4003 Aufrufe

Für die Drogenfahrt, die nach § 24a StVG eine Ordnungswidrigkeit darstellt, kommt es eigentlich immer darauf an, dass der analytische Grenzwert überschritten ist. Man liest auch immer wieder, dass selbst bei Werten darunter eine Verureilung in Betracht kommt. Als Tatrichter muss man hier sicher mutig sein. Einfacher (und üblich) ist in einer solchen Konstellation ein Freispruch. Der passte aber der StA im vorliegenden Falle nicht. Das OLG hat das AG-Urteil aufgehoben und zurückverwiesen:

 

 

1. Nach § 24a II StVG handelt ordnungswidrig, wer zumindest fahrlässig (vgl. § 24a III StVG) gegen das Verbot zum Führen eines Kfz im Straßenverkehr unter der Wirkung der in der Anlage zu § 24a StVG aufgeführten berauschenden Mittel verstößt (zu den bei Nichterreichen des sog. Nachweisgrenzwertes ggf. gesteigerten Anforderungen an den Fahrlässigkeitsnachweis vgl. BGH, Beschluss vom 14.02.2017 - 4 StR 422/15 = BGHSt 62, 42 = NJW 2017, 1403 = ZfS 2017, 292 = NZV 2017, 227 = BA 54 [2017], 200 = DAR 2017, 331 = NStZ 2017, 480). Die Verwirklichung des objektiven Tatbestandes setzt deshalb grundsätzlich nur die Feststellung voraus, dass das berauschende Mittel zum Zeitpunkt des Führens eines Kfz im Straßenverkehr ‚gewirkt‘ hat. Eine solche Wirkung liegt nach § 24a II 2 StVG vor, wenn festgestellt wird, dass zu diesem Zeitpunkt eine in der Anlage zu § 24a StVG genannte Substanz, darunter THC, im Blut des Betr. nachgewiesen ist, und diese Substanz nicht aus der bestimmungsgemäßen Einnahme eines für einen konkreten Krankheitsfall verschriebenen Arzneimittels herrührt (§ 24a II 3 StVG).

2. Allerdings beruht die Regelung auf der Annahme, dass bei einem solchen Nachweis die Möglichkeit einer Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit und damit die der Bußgeldbewehrung zu Grunde liegende Annahme einer abstrakten Verkehrsgefährdung gegeben ist. Der Gesetzgeber ging insoweit davon aus, dass Wirkungs- und Nachweisdauer bei den einzelnen Mitteln übereinstimmen, weil die Feststellung der in der Anlage zu § 24a StVG genannten Substanzen im Blut im Hinblick darauf, dass sie dort mitunter nur wenige Stunden nachgewiesen werden können, eine Aussage über den erforderlichen engen zeitlichen Zusammenhang zwischen der Einnahme des berauschenden Mittels und der Blutentnahme gestattet (vgl. BT-Dr. 13/3764, S. 4 f.). Diese Annahme ist jedoch nicht stets und uneingeschränkt gerechtfertigt. So hat sich etwa die Nachweisdauer für das Vorhandensein von THC, dem psychoaktiven Hauptwirkstoff von Cannabis, auf Grund von Blutproben wesentlich erhöht. Spuren der Substanz lassen sich über mehrere Tage, unter Umständen sogar Wochen nachweisen. Die Annahme des Gesetzgebers von der Identität der Wirkungs- und Nachweiszeit triff deshalb für Cannabis nicht mehr uneingeschränkt zu mit der Folge, dass ein positiver Drogenbefund bei der Blutuntersuchung auch noch dann festgestellt werden kann, wenn der Konsum des Rauschmittels tatsächlich schon so lange vor der Fahrt erfolgte, dass von der Möglichkeit einer Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit nicht mehr ausgegangen werden kann. Der Vorstellung des Gesetzgebers, die in der Anlage zu § 24a StVG aufgeführten Wirkstoffe seien nur in einem engen zeitlichen Zusammenhang mit dem Genuss des berauschenden Mittels im Blut nachweisbar, ist damit jedenfalls für THC die Grundlage entzogen, weshalb nicht mehr ohne weiteres allein der Nachweis von THC im Blut einen Schuldspruch nach § 24a II StVG (i.V.m. III StVG) rechtfertigen kann (BVerfG [2. Kammer des 1. Senats], stattgebender Kammerbeschl. v. 21.12.2004 - 1 BvR 2652/03 = BVerfGK 4, 323 = NJW 2005, 359 = VD 2005, 49 = DAR 2005, 70 = EuGRZ 2005, 71 = Blutalkohol 42 [2005], 156 = NZV 2005, 270 = StV 2005, 383 = JR 2005, 332).

3. Die in Art. 2 I GG gewährleistete allgemeine Handlungsfreiheit, die im Rahmen ihres Schutzbereichs auch das Führen von Kfz im öffentlichen Straßenverkehr umfasst, gebietet vor diesem Hintergrund, den über § 24a II StVG grundsätzlich verfassungskonform eingegrenzten Eingriff in die Handlungsfreiheit von der - über den Gesetzeswortlaut hinausgehenden - Einschränkung abhängig zu machen, dass nicht jedweder Nachweis eines der in der Anlage zu § 24a II StVG genannten berauschenden Mittel im Blut für eine Verurteilung nach § 24a II StVG allein als ausreichend angesehen werden darf. § 24a II StVG ist vielmehr verfassungskonform dahin auszulegen, dass eine Konzentration des berauschenden Mittels im Blut festgestellt werden muss, die es entsprechend dem Charakter der Vorschrift als abstraktem Gefährdungsdelikt zumindest als möglich erscheinen lässt, dass der untersuchte Kraftfahrzeugführer am Straßenverkehr teilgenommen hat, obwohl seine Fahrtüchtigkeit eingeschränkt war. Denn nur in diesem Fall ist die in § 24a II 2 StVG aufgestellte gesetzliche Vermutung auch weiterhin gerechtfertigt (BVerfG a.a.O.; vgl. ferner für Amphetamin OLG München NJW 2006, 1606 = DAR 2006, 287 = ZfSch 2006, 290 = VRS 110, 296 = StV 2006, 531; jeweils für Cannabis [THC] OLG Bremen NZV 2006, 276 und OLG Schleswig, Beschluss vom 18.09.2006 - 1 Ss OWi 119/06; für Amphetamin OLG Zweibrücken NJW 2005, 2168 = VRS 108, 441 = DAR 2005, 408 = StV 2005, 443 und für Cannabis [THC] bzw. Heroin [Morphin] auch OLG Köln NStZ-RR 2005, 385 = VRS 109, 193 = DAR 2005, 646 = BA 43, 236 u. Beschluss vom 18.08.2005 - 81 Ss OWi 31/05 = DAR 2005, 699).

4. Demgegenüber verlangt eine Verurteilung nach § 24a II und III StVG (auch weiterhin) nicht, dass eine tatsächliche Wirkung des Rauschmittels im Sinne einer konkreten Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit bei dem Betr. im Einzelfall festgestellt und nachgewiesen wird. Vielmehr erfordert das objektive Tatbestandsmerkmal des § 24a II StVG „unter der Wirkung eines […] berauschenden Mittels“ gerade keine tatsächliche Beeinträchtigung der Fahrsicherheit, mithin auch keine Feststellungen zu den konkreten Auswirkungen des Betäubungsmittelkonsums im Sinne einer konkreten Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit. Ebenso wenig lässt sich aus Art. 2 I GG noch aus sonstigem Verfassungsrecht die Notwendigkeit einer weiterreichenden einschränkenden Auslegung und Anwendung von § 24a II StVG des Inhalts herleiten, dass ausnahmslos erst ab Erreichen einer ganz bestimmten Wirkstoffkonzentration im Sinne eines analytischen, einen Qualitätsstandard beschreibenden Grenzwertes, ab dem die untersuchenden medizinisch-wissenschaftlichen Fachinstitute einen sicheren Nachweis der Substanz im Blut gewährleisten können, eine Ahndung nach § 24a II StVG in Betracht kommt. Die absolute Verbindlichkeit eines rein analytischen Grenzwertes oder eines anderen Mindest-Grenzwertes für die Anwendung des § 24a II StVG kann insbesondere nicht dem Beschluss der 2. Kammer des 1. Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 21.12.2004 (a.a.O.) entnommen werden. Aus diesem ergibt sich vielmehr nur, dass nicht jedweder Nachweis eines berauschenden Mittels im Blut für eine Verurteilung ausreicht.

5. Dieses Normverständnis entspricht der Rechtsprechung des OLG Bamberg bereits seit dem Jahre 2007 (vgl. OLG Bamberg, Beschluss vom 27.02.2007 - 3 Ss OWi 688/05 = DAR 2007, 272 = ZfSch 2007, 287 = VRS 112 [2007], 262 = BA 44, 255 = OLGSt StVG § 24a Nr 10 = VM 2007 Nr 73 = VRR 2007, 270 m.w.N.; a.A. und durch die spätere Rspr. als überholt anzusehen noch die vereinzelt gebliebene Entscheidung OLG Bamberg, Beschluss vom 08.08.2005 - 2 Ss OWi 551/05 = Blutalkohol 43 [2006], 238 = BeckRS 2006, 502).

a) Danach ist regelmäßig dann ohne weiteres von einer tatbestandsmäßigen Drogenfahrt i.S.d. § 24a II StVG auszugehen, wenn mit der im Blut des Betr. festgestellten Wirkstoffkonzentration der für die jeweilige Substanz in der Rspr. allgemein anerkannte analytische Nachweisgrenzwert (für THC von 1 ng/ml) erreicht wird.

b) Andererseits bleibt auch bei Nichterreichen des Nachweisgrenzwertes eine Ahndung nach § 24a II, III StVG grundsätzlich möglich, sofern neben der konkreten, den Nachweisgrenzwert nicht erreichenden Konzentration des berauschenden Mittels im Blut des Betr. weitere Umstände, namentlich drogenbedingte Verhaltensauffälligkeiten oder rauschmitteltypische Ausfallerscheinungen festgestellt werden, die es als möglich erscheinen lassen, d.h. die den Schluss zulassen, dass der untersuchte Kraftfahrzeugführer am Straßenverkehr teilgenommen hat, obwohl seine Fahrtüchtigkeit durch die Wirkung des berauschenden Mittels eingeschränkt war, was gegebenenfalls mit sachverständiger Hilfe durch das Tatgericht festzustellen ist (vgl. neben OLG Bamberg a.a.O. in diesem Sinne [für Amphetamin] schon OLG München, Beschluss vom 13.03.2006 - 4 St RR 199/05 = NJW 2006, 1606 = DAR 2006, 287 = ZfSch 2006, 290 = NZV 2006, 277 = VRS 110 [2006], 296 = Blutalkohol 43 [2006], 239 = StV 2006, 531; ferner OLG Celle, Beschluss vom 30.03.2009 - 322 SsBs 57/09 = Blutalkohol 46 [2009], 222 = NZV 2009, 300 = VRS 117 [2009], 369 = SVR 2009, 316 = NStZ 2009, 711; vgl. auch König, in: Hentschel/König/Dauer, StVR, 44. Aufl. [2017], § 24a StVG Rn. 21b [mit der treffenden Anm., dass die Lage insoweit „stark der Situation bei der ‚relativen Fahrunsicherheit‘ im Rahmen der §§ 315c, 316 StGB“ ähnele; Hühnermann, in: Burmann/Heß/Hühnermann/Janke/Janker, StVR, 25. Aufl. [2018], § 24a StVG Rn. 5a; Burhoff[Hrsg.]/Burhoff, Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 5. Aufl. [2018], Rn. 798 ff., insbesondere Rn. 801 ff.; BeckOK-OWiG/Euler [Edit. 20, Stand: 01.10.2018] § 24a StVG Rn. 7; Fromm, Verteidigung in Straßenverkehrs-OWi-Verfahren, 2. Aufl. [2014], Kap. 3 M. I. und MüKo-StVR/Funke [2016] § 24a StVG Rn. 50 f., mit der - nicht überzeugendenEinschränkung [a.a.O. Rn. 51], dass dann die Feststellung der bloßen Möglichkeit einer Fahrsicherheitsbeeinträchtigung nicht ausreichend sei, die Verurteilung vielmehr voraussetze, dass die Beeinträchtigung aufgrund drogenbedingter Ausfallerscheinungen sicher feststehe; a.A. aus der Rspr. - soweit ersichtlich - nur noch [mit nichttragenden Gründen] OLG Jena, Beschluss vom 23.02.2012 - 1 Ss Bs 92/11 = StraFo 2012, 336 = VRS 123 [2012], 231 = Blutalkohol 49 [2012], 268 = NStZ 2013, 114 = NZV 2014, 138: „Entscheidung nach dem Prinzip des ‚Entwederoder‘ in Bezug auf das Erreichen der analytischen Grenzwerte“]; dem zustimmend wohl auch noch Freymann/Wellner/Niehaus jurisPK-Straßenverkehrsrecht [Stand: 17.10.2017] § 24a StVG, Rn. 26 f.).

II.

Nach alledem durfte der Freispruch des Betr. weder aus rechtlichen noch aus tatsächlichen Gründen allein auf das Nichterreichen der den analytischen Grenzwert für THC von 1 ng/ml Blut liegende THC-Konzentration gestützt werden. Vielmehr wird das AG nunmehr Feststellungen und Wertungen zu der Frage zu treffen haben, ob es neben der THC-Konzentration etwaige weitere Umstände, insbesondere bestimmte drogenbedingte Verhaltensauffälligkeiten, rauschmitteltypische Ausfallerscheinungen oder sonstige Besonderheiten zumindest als möglich erscheinen lassen, dass der Betr. am Straßenverkehr teilgenommen hat, obwohl seine Fahrtüchtigkeit durch die Wirkung des berauschenden Mittels eingeschränkt war.

 

OLG Bamberg Beschl. v. 11.12.2018 – 3 Ss OWi 1526/18, BeckRS 2018, 33057

 

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