Kostenproblem: "Fiktiver Teilfreispruch"

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 04.01.2019
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht|2838 Aufrufe

Der Begriff des fiktiven Freispruchs ist natürlich Quark. Aber irgendwie doch ein wenig passend. Es geht um die nicht seltenen Fälle, in denen ein Strafverfahren geführt wird, aber nur mit einer OWi-Verurteilung endet. Die Angeklagten sagen hier regelmäßig: "Die OWi-Ahndung hätte ich sofort akzeptiert. Warum soll ich nun nach Verurteilung wegen dieser OWi die Kostenentscheidung nach § 465 Abs. 1 StPO in voller Konsequenz ertragen müssen?" Das OLG Karlsruhe meint: "Kann man alles über § 465 Abs. 2 StPO lösen." Das OLG hat dann auch ganz eigenwillig tenoriert...aber konsequent:

 

1. Auf die sofortige Beschwerde des Angeklagten wird die Kostenentscheidung im Urteil des Landgerichts - 15. Kleine Strafkammer - Mannheim vom 13. September 2018 aufgehoben und wie folgt neu gefasst:

Der Angeklagte trägt die Kosten (Gebühren und Auslagen) des erstinstanzlichen Verfahrens in der Höhe, die im Bußgeldverfahren (ohne Einspruchseinlegung) entstanden wären. Im Übrigen trägt die Staatskasse die Gerichtskosten sowie die notwendigen erst- und zweitinstanzlichen Auslagen des Angeklagten.

2. Die Staatskasse trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Angeklagten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen.

Gründe: 

I.

Das Amtsgericht Mannheim erließ am 13.3.2018 gegen den Angeklagten einen Strafbefehl wegen des Vorwurfs des vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis, weil er am 12.12.2017 (unter dem Einfluss von 8,5 ng/ml THC) ein Kleinkraftrad geführt hatte, ohne im Besitz einer Fahrerlaubnis zu sein. Hierbei wurde übersehen, dass dem Angeklagten zwar durch Strafbefehl des Amtsgerichts Mannheim vom 6.12.2017 die Fahrerlaubnis entzogen worden war, der Strafbefehl aber erst am 3.1.2018 rechtskräftig wurde, so dass sich der Angeklagte am 12.12.2017 im Besitz einer Fahrerlaubnis befunden hatte.

Nach Einspruchseinlegung hat das Amtsgericht Mannheim den Angeklagten durch Urteil vom 28.5.2018 deshalb (zutreffend) vom Vorwurf des vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis, jedoch (rechtsfehlerhaft wegen vermeintlich eingetretener Verfolgungsverjährung) auch vom (bußgeldbewehrten) Vorwurf des fahrlässigen Führens eines Kraftfahrzeugs unter dem Einfluss berauschender Mittel gem. § 24 a Abs. 2 StVG freigesprochen.

Auf die seitens der Staatsanwaltschaft Mannheim (bezüglich der unterbliebenen Verurteilung gemäß § 24 a StVG) eingelegte Berufung wurde der Angeklagte durch Urteil des Landgerichts Mannheim vom 13.9.2018, rechtskräftig mit Ausnahme der Kostenentscheidung seit 21.9.2018, wegen der genannten Ordnungswidrigkeit unter Anordnung eines einmonatigen Fahrverbots zu einer Geldbuße in Höhe von 500 € verurteilt. Außerdem hat das Berufungsgericht dem Angeklagten die Kosten des Verfahrens und seine notwendigen Auslagen auferlegt. In den Urteilsgründen wies die Kammer darauf hin, dass dem Umstand, dass die Berufung der Staatsanwaltschaft allein aufgrund der fehlerhaften Annahme der Verjährung der Ordnungswidrigkeit durch das erstinstanzliche Gericht beruht habe, hinsichtlich der Kosten des Berufungsverfahrens durch die Anwendung von § 21 Abs. 1 Satz 1 GKG Rechnung getragen werden könne.

Mit Telefax vom 17.9.2018 legte der Angeklagte, vertreten durch seinen Verteidiger, Beschwerde gegen die Kostenentscheidung ein und begründete diese mit Schriftsatz vom 25.10.2018.

Die Generalstaatsanwaltschaft trägt auf Verwerfung der sofortigen Beschwerde an.

II.

Die sofortige Beschwerde ist zulässig und überwiegend begründet.

1. Die Kostenentscheidung des Landgerichts entspricht zwar der gesetzlichen Regelung des § 465 Abs. 1 StPO, weil der Angeklagte in der Berufungshauptverhandlung (wenngleich „nur“ wegen einer Ordnungswidrigkeit) verurteilt wurde. Allerdings hat die Kammer nicht bedacht, dass ein Ausnahmefall des § 465 Abs. 2 StPO vorliegt, wonach aus Billigkeitsgründen besondere Auslagen der Staatskasse und besondere notwendige Auslagen des Angeklagten ganz oder teilweise der Staatskasse auferlegt werden können, wenn Untersuchungen zugunsten des Angeklagten ausgegangen sind. Die Möglichkeit, eine von § 465 Abs. 1 StPO abweichende Billigkeitsentscheidung zu treffen, besteht vor allem in den Fällen des sog. fiktiven Teilfreispruchs, d.h. bei der Nichtverurteilung wegen einzelner abtrennbarer Teile einer Tat (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl., Rdn. 7 zu § 465; BeckOK-Niesler, StPO, Stand 1.6.2018, Rdn. 8 zu § 465; OLG Düsseldorf, B. v. 18.7.1988 - 1 Ws 420/188 - bei juris). Dann können die Mehrauslagen, die bei einer von vornherein erfolgten Begrenzung des Schuldvorwurfs auf den Umfang der späteren Verurteilung nicht entstanden wären, nach Billigkeit ganz oder teilweise der Staatskasse auferlegt werden (OLG Stuttgart, Die Justiz 1974, 136). Ist anzunehmen, dass der Angeklagte einen Bußgeldbescheid hingenommen hätte, so können seine gesamten notwendigen Auslagen der Staatskasse auferlegt werden (Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O.; BeckOK-Niesler, a.a.O.; BGHSt 25, 109; OLG Stuttgart, Die Justiz 1987, 160).

2. Im vorliegenden Fall ergibt sich hieraus folgendes:

Hätte die Staatsanwaltschaft bereits zutreffend erkannt, dass sich der Angeklagte am Tattag, dem 12.12.2017, im Besitz einer Fahrerlaubnis befunden hat, hätte sie keinen Strafbefehlsantrag wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis gestellt, sondern die Sache an die Bußgeldbehörde abgegeben. Angesichts des Umstandes, dass der Angeklagte die zweitinstanzliche Verurteilung zu einer Geldbuße und einmonatigem Fahrverbot akzeptiert hat, ist davon auszugehen, dass ein im Umfang der landgerichtlichen Verurteilung erlassener Bußgeldbescheid rechtskräftig geworden wäre. Es wären daher lediglich Gebühren und Auslagen im Verwaltungsverfahren (u.a. Gebühr für den Erlass des Bußgeldbescheids, Kosten für Zustellungsurkunde, Entnahme und Untersuchung der Blutprobe etc.) entstanden, die der Angeklagte zu tragen hat. Die übrigen Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) sowie seine gesamten notwendigen Auslagen hat die Staatskasse zu tragen.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 Abs. 1 StPO analog.

OLG Karlsruhe Beschl. v. 30.11.2018 – 3 Ws 576/18, BeckRS 2018, 31409

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