Fahren ohne Fahrerlaubnis als "Zufallsfund" einer BtM-Observation

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 06.03.2019
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht|3627 Aufrufe

Der Betroffene hat keine "Fleppe". Und er hatte offensichtlich seine Finger im BTM-Geschäft. Deshalb gab es eine Observation, bei der sich Erkenntnisse auch zum Fahren ohne Fahrerlaubnis ergaben. Frage: Verwertbar für die FoFE-Verurteilung (bzw. für einen Haftbefehl)? Nö - meint das Kammergericht.

 

 

Auf die weitere Beschwerde des Angeschuldigten werden die Beschlüsse des Landgerichts Berlin vom 10. Oktober 2018 - 510 Qs 75/18 - und des Amtsgerichts Tiergarten vom 29. August 2018 - (216 Ls) 265 Js 1214/16 (26/17) - sowie in Bezug auf die Fälle 1 bis 20 der Haftbefehl des Amtsgerichts Tiergarten vom 15. Mai 2017 - (349 Gs) 265 Js 1214/16 (1359/17) -aufgehoben.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Angeschuldigten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Landeskasse Berlin zur Last.

Gründe: 

Mit zum Schöffengericht erhobener Anklage vom 4. Juli 2017 legt die Staatsanwaltschaft Berlin dem Angeschuldigten zur Last, zwischen dem 28. Juni 2016 und dem 7. September 2016 insgesamt 22 Vergehen des vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis, ein Vergehen der falschen Verdächtigung sowie einen Versuch des (Einbruchs-) Diebstahl begangen zu haben. Nach den dem Senat vorliegenden Akten ist über die Zulassung der Anklage noch nicht entschieden worden.

Der Beschwerdeführer ist aufgrund des diese Taten bezeichnenden Haftbefehls des Amtsgerichts Tiergarten vom 15. Mai 2017 - (349 Gs) 265 Js 1214/16 (1359/17) - am 24. Mai 2017 festgenommen worden. Noch am Tage der Festnahme hat der Ermittlungsrichter den Haftbefehl in Bezug auf 20 Taten des Fahrens ohne Fahrerlaubnis, die er wegen eines nach § 477 Abs. 2 Satz 2 StPO bestehenden Beweisverwertungsverbots nicht für nachweisbar hielt, aufgehoben. Für die weiteren Taten ist der Haftbefehl aufrechterhalten geblieben, der Angeschuldigte aber von der Vollstreckung der Untersuchungshaft verschont worden. Auf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft hat das Landgericht den Beschluss des Ermittlungsrichters über die Teilaufhebung des Haftbefehls aufgehoben, es aber bei der Außervollzugsetzung belassen, weil der Beschuldigte der Meldeauflage nachgekommen sei. Am 24. August 2018 hat der Verteidiger des Angeschuldigten beantragt, den Haftbefehl in Bezug auf dessen Fälle 1 bis 20 aufzuheben, um die „Rechtsfrage höchstrichterlicher Klärung zuzuführen“. Wie vom Verteidiger beabsichtigt, hat das Amtsgericht den Antrag mit Beschluss vom 29. August 2018 abgelehnt. Die hiergegen eingelegte Beschwerde, mit der die Aufhebung des Haftbefehls in Bezug auf die Fälle 1-20 erstrebt worden ist, hat das Landgericht Berlin durch die angefochtene Entscheidung verworfen. Das hiergegen gerichtete Rechtsmittel der weiteren Beschwerde hat mit dem wiederholten Beschwerdeantrag Erfolg.

1. Die weitere Beschwerde ist nach § 310 Abs. 1 Nr. 1 StPO statthaft. Zwar könnte man in Erwägung ziehen, dass es dem Angeschuldigten am Rechtsschutzbedürfnis fehlt. Denn der Verteidiger macht deutlich, dass es ihm gar nicht um die Aufhebung des außer Vollzug gesetzten Haftbefehls geht, er vielmehr die Klärung einer für das Hauptverfahren vorgreiflichen Rechtsfrage durch den Senat erstrebt. So bekennt sich der Verteidiger ausdrücklich zu dem Ziel, „im Vorfeld der Hauptverhandlung die im Gerichtsbezirk des Kammergerichts streitige Rechtsfrage der Anwendbarkeit des § 477 Abs. 2 Satz 2 StPO … zu klären“. Folgerichtig erstrebt er auch weder die Aufhebung des gesamten Haftbefehls noch den Wegfall der Meldeauflage, und er zieht auch nicht das Bestehen eines Haftgrunds in Frage.

Allerdings ist ohnehin zweifelhaft, ob es im Strafprozessrecht eines über die Beschwer hinausgehenden besonderen Rechtsschutzbedürfnisses bedarf (vgl. zum Streitstand Meyer-Goßner/Schmidt, StPO 61. Aufl., Vor § 296 Rn. 8 ff.), an dem es hier wegen einer gezielten Zweckentfremdung des Beschwerdeverfahrens fehlen könnte. Daneben steht auch außer Frage, dass der Haftbefehl den Angeschuldigten in Bezug auf den Beschwerdegegenstand - dringender Tatverdacht für die Taten 1 bis 20 - formell beschwert, so dass im Falle einer Behandlung der weiteren Beschwerde als unzulässig sofort ein Rechtsmittel mit angepasster Begründung nachgeschoben werden könnte.

2. Die damit statthafte und als zulässig zu behandelnde weitere Beschwerde ist auch begründet. In Bezug auf die im Haftbefehl mit den Nummern 1 bis 20 bezeichneten Taten, die allein Beschwerdegegenstand sind, besteht kein dringender Tatverdacht. Dieser entfällt, weil die polizeilichen Zeugen ihre Erkenntnisse in einem (anderen) Ermittlungsverfahren gewonnen haben, als sie den Angeschuldigten längerfristig observierten (§ 163f StPO). Damit besteht ein Beweisverwertungsverbot nach § 477 Abs. 2 Satz 2 StPO für das hiesige Verfahren wegen der bezeichneten Vorwürfe vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis. Denn diese hätten für sich betrachtet die verdeckte Ermittlungsmaßnahme nicht gerechtfertigt.

a) Die auf § 163f StPO gestützte Ermittlungsmaßnahme der längerfristigen Observation unterfällt dem Grunde nach der Verwendungsbeschränkung des § 477 Abs. 2 Satz 2 StPO. Nach dieser Vorschrift dürfen Daten, die aufgrund einer Maßnahme gewonnenen wurden, die „nach diesem Gesetz nur bei Verdacht bestimmter Straftaten zulässig“ ist, „zu Beweiszwecken in anderen Strafverfahren nur zur Aufklärung solcher Straftaten verwendet werden, zu deren Aufklärung eine solche Maßnahme nach diesem Gesetz hätte angeordnet werden dürfen“.

Die längerfristige Observation erfordert als Anlasstat eine „Straftat von erheblicher Bedeutung“ (§ 163f Abs. 1 StPO). Sie ist damit im Sinne des § 477 Abs. 2 Satz 2 StPO eine Maßnahme, die „nur bei Verdacht bestimmter Straftaten zulässig“ ist.

aa) Allerdings ist nach dem Wortlaut des § 477 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht offensichtlich, dass die Vorschrift nicht nur ausdrücklich bezeichnete so genannte Katalogtaten erfasst, sondern auch generalklauselartig umschriebene Delikte wie etwa Straftaten „von erheblicher Bedeutung“ (§ 163f Abs. 1StPO). So könnte der in § 477 Abs. 2 Satz 2 StPO gewählte Terminus der „bestimmten Straftaten“ so gedeutet werden, dass damit nur bestimmte, also konkret und gegebenenfalls enumerativ bezeichnete Straftatbestände gemeint sein sollen. Tatsächlich wird in der Kommentarliteratur, ohne dies zu problematisieren oder gar in Frage zu stellen, der Terminus „bestimmte Straftaten“ mit dem Begriff „Katalogtaten“ gleichgesetzt. So heißt es bei Schmidt (in Meyer-Goßner/Schmidt, StPO 61. Aufl., § 477 Rn. 5a) im präzisen Stil einer Legaldefinition: „… Katalogtaten (bestimmte Straftaten iS des II S. 2) …“. Auch Hilger (in Löwe-Rosenberg, StPO 26. Auflage, § 477 Rn. 8-8b) verwendet in seiner Kommentierung nicht den gesetzlichen Terminus der „bestimmten Straftaten“, sondern den Begriff „Katalogtat“: „Als Ermittlungsansatz …dürfen die Daten … verwendet werden, die nicht eine solche Katalogtat betreffen.“ Ebenso formuliert Gieg (in Karlsruher Kommentar, StPO 7. Aufl., § 477 Rn. 3). Mit der Gleichsetzung der beiden Begriffe vermitteln die Kommentatoren, dass sie unter „bestimmte Straftaten“ genau bezeichnete Straftaten verstehen. Dass dies bewusst geschieht und sie damit wirklich zum Ausdruck bringen wollen, dass „bestimmte Straftaten“ nicht solche sein sollen, die gesetzestechnisch einer Generalklausel unterfallen, darf allerdings bezweifelt werden.

Diesem gleichwohl naheliegenden, aber nicht zwingenden Wortverständnis folgt der Senat nicht. Dass das Adjektiv „bestimmt“ eine Vielzahl von Bedeutungen und Verwendungszusammenhänge hat, liegt auf der Hand. Der Duden etwa weist dem Wort neben „genau umrissen“, „klar“ und „deutlich“ auch die Bedeutung „inhaltlich festgelegt“ zu (www.duden.de/rechtschreibung/bestimmt_Adjektiv). Ohne Zweifel sind mit Paragraph und Zahl bezeichnete Straftatbestände „bestimmte Straftaten“ im Sinne des § 477 Abs. 2 Satz 2 StPO. Eine nach dem Duden erforderte „inhaltliche Festlegung“ kann sich aber auch terminologisch aus dem Gesetz (zB § 12 Abs. 1 StGB: „Verbrechen“) oder im Falle einer Generalklausel vermittelt über einen Subsumtionsvorgang ergeben. Mit der in § 477 Abs. 2 Satz 2 StPO verwendeten Formulierung ist zwar ein neuartiger Oberbegriff gewählt worden, der in der StPO bisher nicht vorkam (vgl. SK-StPO/Weßlau, StPO 4. Aufl., § 477 Rn. 23). Er ist aber einer Subsumtion ohne weiteres zugänglich, so dass der Senat dem Terminus „Verdacht bestimmter Straftaten“ die Bedeutung eines „Verdachts auf einen in irgendeiner Form eingeschränkten Kreis von Taten“ (so formuliert Singelnstein, ZStW 120, 854 [879]) beimessen kann.

Dies ergänzend weist der Verteidiger in seiner auf Aufhebung des Haftbefehls gerichteten Antragsschrift auf den bedenkenswerten Umstand hin, dass der Gesetzgeber davon abgesehen hat, den Begriff „Katalogtat“ zu verwenden. Tatsächlich deutet die allgemeiner gewählte Formulierung „bestimmte Straftaten“ darauf hin, dass der Gesetzgeber die gesetzliche Verwendungsbeschränkung des § 477 Abs. 2 Satz 2 StPO gerade nicht auf nach Paragraphen bezeichnete Straftatbestände beschränken, sondern bewusst weiter fassen wollte.

bb) Jedenfalls die systematische, die historische und die teleologische Auslegung führen zum Ergebnis, dass sich § 477 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht nur auf Eingriffsnormen mit genau bezeichneten Katalogtaten, sondern auch auf solche mit generalklauselartig bezeichneten Voraussetzungen bezieht.

Dies ergibt sich bereits aus den Materialien, namentlich dem Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 27. Juni 2007 zur „Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG“ (BT-Drucksache 16/5846 - im Folgenden: BT-Drucks.).

Der Gesetzentwurf macht es sich zum Ziel, „ein harmonisches Gesamtsystem der strafprozessualen heimlichen Ermittlungsmethoden zu schaffen“ (BT-Drucks. S. 1). Er soll „die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen und grundrechtssichernden Ausgestaltungen der verdeckten strafprozessualen Ermittlungsmaßnahmen harmonisieren und … dadurch insgesamt übersichtlicher … gestalten“ (BT-Drucks. S. 2). Die hier in Rede stehende längerfristige Observation nennt der Regierungsentwurf in einem Atemzug u.a. mit der Wohnraum- und der Telekommunikationsüberwachung, die er allesamt als „eingriffsintensive verdeckte Ermittlungsmaßnahmen“ bewertet (BT-Drucks. S. 2 u.).

Es erschiene bereits für sich folgewidrig und als systematischer Bruch, wenn der Gesetzgeber diese Ermittlungsmaßnahmen für den in § 477 Abs. 2 Satz 2 StPO geregelten Fall der Zweckumwidmung trotz ihrer einheitlichen Qualifizierung als eingriffsintensiv - zumal in einem „harmonischer“ und „übersichtlicher“ gestalteten Gesamtsystem - unterschiedlich behandelt wissen wollte. Hinzu kommt, dass der Gesetzentwurf ausdrücklich sicherstellen will, dass die für diese „eingriffsintensive(n) verdeckte(n) Ermittlungsmaßnahmen geltenden beschränkenden Verwendungsregelungen (vgl. auch § 161 Abs. 2, § 477 Abs. 2 StPO-E) Beachtung finden können“ (BT-Drucks. S. 3 o., Unterstreichung hier.). Mit dieser Formulierung macht der Gesetzgeber deutlich, dass er die Verwendungsregelung des § 477 Abs. 2 StPO auf § 163f StPO bezogen wissen will.

Nichts anderes ergibt sich aus den Erläuterungen zu § 101 Abs. 3 StPO. Hier heißt es in der Gesetzesvorlage, dass die in Abs. 1 aufgeführten Maßnahmen - hierzu zählt die längerfristige Observation (§ 163f StPO) - „vom Verdacht bestimmter, in den jeweiligen Regelungen näher umschriebener Straftaten abhängig“ sind und „damit das Eingreifen der Verwendungsbeschränkungen in § 477 Abs. 2 StPO-E“ auslösen (BT-Drucks. S. 58). Auch diese Formulierung zeigt, dass der Gesetzgeber die sog. Umwidmung von bei längerfristiger Observation erlangten Daten zur Verwendung als Beweismittel in anderen Strafverfahren den Bedingungen des § 477 Abs. 2 Satz 2 StPO unterwerfen wollte.

Im Hinblick auf die Regelungsziele der Harmonisierung und Systematisierung, der „grundrechtssichernden Ausgestaltung“ (BT-Drucks. S. 2) sowie dem „datenschutzrechtlichen Zweckbindungsgrundsatz“ (BT-Drucks. S. 64) wird deutlich, dass § 477 Abs. 2 Satz 2 StPO alle Erhebungsmaßnahmen erfassen soll, bei denen sich der Verdacht auf einen in irgendeiner Form eingeschränkten Kreis von Taten bezieht (so i. E. auch Singelnstein, ZStW 120, 854 [879]). In der Kommentarliteratur folgen dieser Auffassung ausdrücklich Weßlau (in SK-StPO 4. Aufl., § 477 Rn. 23) und Temming (in Gercke/Julius/Temming, StPO 5. Aufl., § 477 Rn. 6).

An seiner im Beschluss vom 6. März 2014 (3 Ws 42/14) knapp geäußerten gegenteiligen Auffassung hält der Senat nicht fest.

b) Die bei der längerfristigen Observation gewonnenen Erkenntnisse dürfen in das hiesige Verfahren nicht zweckumwidmend „importiert“ (vgl. Singelnstein, ZStW 120, 854 [880]) werden. Sie unterliegen einem Beweisverwertungsverbot, weil es sich bei den hier angeklagten Taten des Fahrens ohne Fahrerlaubnis (§ 21 Abs. 1 StVG) nicht um Straftaten handelt, zu deren Aufdeckung die längerfristige Observation zulässig gewesen wäre (sog. hypothetischer Ersatzeingriff - vgl. zB BT-Drucks. S. 64, 66). Denn die längerfristige Observation ist nach § 163f Abs. 1 StPO nur zulässig, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für eine „Straftat von erheblicher Bedeutung“ vorliegen.

Mag auch im Einzelnen umstritten sein, welche Straftatbestände diesem unbestimmten Rechtsbegriff unterfallen, so ist doch deutlich, dass das Vergehen des vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis auch dann nicht dazu gehört, wenn es seriell begangen wird. Im Regierungsentwurf heißt es hierzu: „Der Begriff der ‚Straftat von erheblicher Bedeutung‘ ist inzwischen von Literatur und Rechtsprechung weitgehend präzise erfasst worden [vgl. Rieß, GA 2004, Drucksache 16/5846 Deutscher Bundestag - 16. Wahlperiode 623 ff. m. w. N.] und vom Bundesverfassungsgericht mit diesem Verständnis anerkannt [BVerfGE 103, 21, 33 f.; 107, 299, 321 f.; 110, 33, 65; BVerfG, 2 BvR 1841/00 vom 15. März 2001, NJW 2001, 2320, 2321; BVerfG, 2 BvR 483/01 vom 20. Dezember 2001, StV 2003, 1 f.]. Eine Straftat von erheblicher Bedeutung muss mindestens dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzurechnen sein, den Rechtsfrieden empfindlich stören und dazu geeignet sein, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen (Schäfer, a. a. O., § 100g, Rn. 13 m. w. N.)“ (vgl. BT-Drucks. S. 39 f.). Dieses zutreffende Verständnis ist insbesondere in der zitierten Publikation von Rieß weiter ausdifferenziert worden. Danach sind Vergehen „in keinem Fall Straftaten von erheblicher Bedeutung, wenn die Strafrahmenobergrenze gering ist“. Für gering hält der Autor jedenfalls eine Strafrahmenobergrenze von bis zu zwei Jahren (vgl. Rieß, GA 2004, 623 [637, 642]).

In eine ähnliche Richtung weist eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs, der formuliert, eine Straftat habe im Gesetzessinn „‘erhebliche Bedeutung‘, wenn sie mindestens dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzurechnen ist, den Rechtsfrieden empfindlich stört und geeignet ist, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen“ (vgl. BGH NStZ 2014, 281). Dies setze voraus, „dass der Gesetzgeber der Straftat allgemein ein besonderes Gewicht beimisst und sie im konkreten Fall erhebliche Bedeutung hat“. Im Einzelfall könne auch eine im Höchstmaß mit (nur) drei Jahren Freiheitsstrafe bedrohte Straftat diese Voraussetzungen erfüllen, wenn der Tat „aufgrund der besonderen Bedeutung des geschützten Rechtsguts oder des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung erhebliche Bedeutung“ zukommt (vgl. BGH NStZ 2014, 281). Im konkreten Fall ist dies bejaht worden, weil der öffentlichkeitswirksame Verdacht bestand, ein Bürgermeister habe im Zusammenhang mit seinem Amt vorgetäuscht, Opfer eines Brandanschlags im Rathaus geworden zu sein.

Daneben wird diskutiert, ob Straftaten mit Seriencharakter dem unbestimmten Rechtsbegriff der „erheblichen Bedeutung“ unterfallen, dies allerdings nur im Zusammenhang mit Eigentums- und Vermögensdelikten mit „entsprechend erheblichem (Gesamt-) Schaden für die Allgemeinheit“ (vgl. Rieß, aaO 627 unter Bezugnahme auf einen nicht Gesetz gewordenen Referentenentwurf eines StVAG 1988/89).

Ob das wiederholt begangene Fahren ohne Fahrerlaubnis der Bagatellkriminalität unterfällt, muss der Senat nicht entscheiden. Jedenfalls stellt es mit der Strafrahmenobergrenze von einem Jahr Freiheitsstrafe, die nach § 54 Abs. 1 Satz 2 StGB als gegebenenfalls höchstmögliche Einsatzstrafe im hier gegebenen Fall der vielfachen Tatbegehung (nur) zu „erhöhen“ ist, und einem hier durchschnittlichen Tatbild keine Straftat von erheblicher Bedeutung im Sinne des § 163f Abs. 1 StPO dar.

c) Das durch § 477 Abs. 2 Satz 2 StPO kodifizierte Verwendungsverbot gilt nach gesicherter Rechtsprechung zwar auch dann nicht, wenn die zufälligen Erkenntnisse, die bei einer zulässig angeordneten Überwachung gewonnen wurden (sog. Zufallsfunde), eine Straftat betreffen und belegen, die im Zusammenhang mit der in der Anordnung bezeichneten „Katalogtat“ steht (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Juli 2018 - 2 StR 497/17 [bei juris]; Meyer-Goßner/Schmidt, aaO, § 477 Rn. 6 mwN). Entsprechend ist entschieden worden, dass Erkenntnisse, die bei einer wegen des Verdachts eines Vergehens nach § 129 StGB angeordneten Telefonüberwachung gewonnen wurden, auch zum Nachweis der Taten verwendet werden dürfen, von denen bei der Anordnung der Maßnahme angenommen wurde, sie seien ein Zweck der kriminellen Vereinigung, und zwar unabhängig davon, ob ein Vergehen nach § 129 StGB nachgewiesen werden kann (vgl. BGHSt 26, 298; 28, 122). Daher ist etwa der Schuldspruch eines Rauschgiftdelikts bestätigt worden, das - nach Einschätzung in Anklage und Eröffnungsbeschluss - im Rahmen einer kriminellen Vereinigung begangen worden sein soll (vgl. BGHSt 28, 122).

Ein solch enger innerer Zusammenhang zwischen der Tat (hier: § 29a BtMG), wegen der die Maßnahme (hier: längerfristige Observation) angeordnet wurde, und der tatsächlich festgestellten Tat (hier: § 21 StVG) besteht jedoch offensichtlich nicht; von einer Zweckbestimmung kann erst recht keine Rede sein. Die Observation ist nach dem Beschluss des Ermittlungsrichters beim Amtsgericht Tiergarten angeordnet worden, weil der Angeschuldigte verdächtig war, „Betäubungsmittel (…) anzukaufen und es … entgeltlich an die gesondert verfolgten … weiterzugeben, die es wiederum an Dritte verkaufen“. Damit zielte die Anordnung nicht darauf ab, Transportwege aufzuklären. Die Tat nach § 29a BtMG fällt auch nicht typischerweise mit einem Vergehen nach § 21 StVG zusammen. Die nur theoretische Möglichkeit, dass eine Straftat nach § 29a BtMG einmal mit einer solchen nach § 21 StVG sachlich-rechtlich (§ 52 StGB) oder prozessual (§ 264 StPO) zusammentrifft, reicht für einen solchen inneren Zusammenhang nicht aus. Dies gilt erst recht bei der hier gegebenen Konstellation, bei der die Tat, aus deren Anlass die Überwachungsmaßnahme angeordnet wurde, nicht nachweisbar war. Überlegungen dazu, ob die aufgedeckte Tat (§ 21 StVG) der Begehung der nicht nachgewiesenen (Begehungs-) Tat (§ 29a BtMG) diente, verbieten sich.

Damit sind die bei der längerfristigen Observation des Angeschuldigten gewonnenen Erkenntnisse über das vorsätzliche Fahren ohne Fahrerlaubnis im hiesigen Verfahren jedenfalls dann nicht verwertbar, wenn dieser nicht einwilligt. Hiervon ist auszugehen, so dass in Bezug auf den Beschwerdegegenstand - 20 Taten des Fahrens ohne Fahrerlaubnis - die Verurteilung nicht wahrscheinlich ist. Mangels dringenden Tatverdachts ist der Haftbefehl insoweit aufzuheben.

3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Landeskasse Berlin, weil kein anderer für sie aufkommt. Die Entscheidung über die notwendigen Auslagen beruht auf entsprechender Anwendung des § 467 Abs. 1 StPO.

KG Beschl. v. 20.12.2018 – 3 Ws 309/18 – 161 AR 262/18, BeckRS 2018, 35802

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