BVerfG zum „Streikbrecherparagraphen“ des AÜG

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 18.03.2019
Rechtsgebiete: Bürgerliches RechtArbeitsrecht|4711 Aufrufe

Im Zuge der letzten AÜG-Novelle das Verbot, Leiharbeitnehmer während eines Arbeitskampfes einzusetzen, erheblich ausgeweitet worden. § 11 Abs. 5 Satz 1 AÜG. enthält in seiner neuen Fassung das Verbot, Leiharbeitnehmer einzusetzen, wenn der Entleiherbetrieb unmittelbar durch einen Arbeitskampf betroffen ist. Eine Ausnahme gilt nach Satz 2, wenn Leiharbeitskräfte keine Tätigkeiten übernehmen, die bisher von Streikenden übernommen wurden. Leiharbeitskräfte dürfen also nicht auf mittelbar oder unmittelbar streikbetroffenen Arbeitsplätzen tätig werden, während der Betrieb unmittelbar von einem Arbeitskampf betroffen ist. Der Gesetzgeber will mit der Regelung die Position von Leiharbeitskräften stärken und eine missbräuchliche Einwirkung auf Arbeitskämpfe unterbinden. Große Teile des Schrifttums haben insoweit verfassungsrechtliche Bedenken angemeldet. Auch das BVerfG ist bereits mit der Angelegenheit befasst und sich erstmals mit einer im einstweiligen Rechtsschutz ergangenen Entscheidung zu Wort gemeldet (BVerfG - Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 12.2.2019 - 1 BvR 842/17, BeckRS 2019, 2396). Beschwerdeführerin ist in diesem Verfahren ein Unternehmen der Unterhaltungsindustrie. Es hatte in der Vergangenheit auf streikbetroffenen Arbeitsplätzen Leiharbeitskräfte eingesetzt und sieht sich nun aufgrund der Neuregelung daran gehindert. Sie rügt mit ihrer Verfassungsbeschwerde eine Verletzung von Art. 9 Abs. 3, Art. 12 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG. Das Verbot, auf Arbeitskampfmaßnahmen mit dem Einsatz von Leiharbeitskräften zu reagieren, schränke sie in der Wahl der Kampfmittel und damit in der durch Art. 9 Abs. 3 GG gewährleisteten Betätigungsfreiheit als Koalition in unverhältnismäßiger Weise ein. Es handele sich um einen Eingriff in die Unternehmerfreiheit, der nicht durch das Allgemeinwohl gerechtfertigt sei. 

Das BVerfG hat den auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gerichteten Antrag abgelehnt. Allerdings sei die Verfassungsbeschwerde, soweit sie das sogenannte „Streikbrecherverbot“ in § 11 Abs. 5 Satz 1 und 2 AÜG betreffe, weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet. Eine Verletzung der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Koalitionsfreiheit sowie der durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten beruflichen und wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit der Beschwerdeführerin sei jedenfalls nicht von vornherein offensichtlich ausgeschlossen. Die Frage, ob sich sogenannte „Außenseiter-Arbeitgeber“ in Tarifauseinandersetzungen um Firmentarifverträge auf die durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützte Freiheit in der Wahl der Arbeitskampfmittel berufen können (hierzu BAG 14. August 2018 - 1 AZR 287/17 - NJW 2019, 538), sei verfassungsrechtlich nicht geklärt. Auch die Verfassungsmäßigkeit der angegriffenen Regelungen sei umstritten.

Wegen der meist weittragenden Folgen, die eine einstweilige Anordnung in einem verfassungsrechtlichen Verfahren auslöst, gälte allerdings für die Beurteilung der Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 BVerfGG ein strenger Maßstab. Die vorzunehmende Folgenabwägung ergäbe, dass eine vorläufige Aussetzung des Vollzugs der angegriffenen Vorschrift nicht geboten sei. Es könne nicht festgestellt werden, dass die Gründe, die für den Erlass einer einstweiligen Anordnung sprächen, das Interesse des Gesetzgebers an der Fortgeltung der Norm eindeutig überwögen. Ohne den Erlass einer einstweiligen Anordnung bliebe § 11 Abs. 5 AÜG bis zur abschließenden Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde anwendbar. Der Beschwerdeführerin wäre es dann, falls ihre Verfassungsbeschwerde Erfolg hat, zu Unrecht zeitweilig verwehrt, während eines Streiks Leiharbeitskräfte auf unmittelbar streikbetroffenen Arbeitsplätzen einzusetzen. Erginge hingegen die beantragte einstweilige Anordnung und erwiese sich das angegriffene Gesetz später als verfassungsgemäß, so würde damit im Fall von Arbeitskämpfen bei der Beschwerdeführerin und darüber hinaus für diesen Zeitraum verhindert, dass der vom Gesetzgeber bezweckte Schutz von Leiharbeitskräften und die angestrebte Arbeitskampfparität erreicht würden. Es seien keine Nachteile der Beschwerdeführerin von so großem Gewicht erkennbar, dass sie den Erlass einer einstweiligen Anordnung dennoch rechtfertigen könnten. Es sei nicht dargelegt, dass es nach Beendigung des aktuellen Tarifvertrags mit hinreichend hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Arbeitskampf mit Arbeitsniederlegungen komme. Zudem sei nicht ersichtlich, warum es der Beschwerdeführerin nicht möglich sein sollte, im Falle einer Arbeitsniederlegung den Betrieb ohne den Einsatz von Leiharbeitskräften fortzuführen. Sie habe die Möglichkeit, eigene arbeitswillige Arbeitskräfte oder zu diesem Zweck befristet eingestellte Kräfte oder aber Drittpersonal im Rahmen eines Werkvertrags mit anderen Unternehmen („Outsourcing“) einzusetzen. Selbst wenn dies nicht gelänge, sei nicht erkennbar, dass derart schwere oder gar existenzgefährdende wirtschaftliche Nachteile eintreten würden, die eine Aussetzung eines Gesetzes rechtfertigten. Die Beschwerdeführerin beziehe sich selbst auf unvorhersehbare und nicht zu beziffernde Folgen. Soweit sie vortrage, die wirtschaftlichen Folgen eines Streiks seien nicht mit dem Mittel der Abwehraussperrung oder der suspendierenden Betriebsstilllegung abzumildern, fehlten konkrete Ausführungen zum Ausmaß und zur Irreversibilität der Nachteile des Einsatzes dieser Instrumente im Arbeitskampf. Auch die von der Beschwerdeführerin angeführten Nachteile für die betroffenen Leiharbeitskräfte können eine einstweilige Anordnung nicht tragen. Im Fall der Fortgeltung von § 11 Abs. 5 AÜG wären Einsätze als „Streikbrecher“ verboten. Dies wirke sich jedoch nicht unmittelbar auf das Leiharbeitsverhältnis zwischen Verleiher und Leiharbeitskraft aus. Es sei auch nicht vorgetragen, dass die angegriffene Regelung Arbeitsplätze in der Leiharbeitsbranche ernsthaft gefährden würde. 

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