Fahrtenbuchvorschrift verfassungsrechtlich ok? Jau!

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 06.04.2019
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht|2578 Aufrufe

Der Antragssteller bekam eine Fahrtenbuchauflage "auf`s Auge gedrückt". Das fand er natürlich nicht so toll. Einstweiliger Rechtsschutz sollte es richten. Die Frage, die das VG beschäftigte: Ist dem verfassungsrechtlichen Zitiergebot genüge getan? Ja - meint das VG!

 

Der Antrag wird abgelehnt.

 Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

 Der Wert des Streitgegenstands wird auf 1.200,- € festgesetzt.

 Gründe: 

 Der Antrag des Antragstellers, die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen eine mit Bescheid vom 18. Februar 2019 verfügte und für sofort vollziehbar erklärte Fahrtenbuchauflage wiederherzustellen, wird abgelehnt. Die mit dem Bescheid geregelte Verpflichtung des Antragstellers, für einen Zeitraum von sechs Monaten gemäß § 31a Abs. 1 der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung - StVZO - ein Fahrtenbuch für sein Fahrzeug mit dem Kennzeichen XX-XX … zu führen und auf Verlangen der zuständigen Behörde auszuhändigen, bleibt bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache sofort vollziehbar.

 Der Antrag ist gemäß § 80 Abs. 5 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - statthaft und auch ansonsten zulässig. Er hat jedoch in der Sache keinen Erfolg, denn insoweit ergibt die im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO allein mögliche summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage, dass der angegriffene Bescheid offensichtlich rechtmäßig ist. Unter diesen Umständen gebührt dem Interesse der Antragsgegnerin an der sofortigen Vollziehung ihrer Verfügung Vorrang vor dem Interesse des Antragstellers an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines gegen den Bescheid eingelegten Widerspruchs (vgl. OVG RP, Beschluss vom 25. März 1986 - 1 B 14/86 -, NVwZ 1987, 240).

 1. Die Antragsgegnerin hat die Anordnung der sofortigen Vollziehung in dem angefochtenen Bescheid hinreichend im Sinne des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO begründet. Sinn der Begründungspflicht ist es, dass sich die Behörde den Ausnahmecharakter der Vollzugsanordnung vor Augen führt und sie veranlasst wird, mit Sorgfalt zu prüfen, ob tatsächlich ein überwiegendes öffentliches Interesse die Anordnung des Sofortvollzugs erfordert (vgl. VGH BW, Beschluss vom 24. Juni 2002 - 10 S 985/02 -, NZV 2002, 580; OVG NW, Beschluss vom 22. Januar 2001 - 19 B 1757/00 -, NZV 2001, 396; VG Mainz, Beschluss vom 9. November 2015 - 3 L 1250/15 - m.w.N.). Dabei verlangt das Gesetz zwar regelmäßig, dass besondere Gründe vorliegen, die über die Gesichtspunkte hinausgehen, die den Verwaltungsakt selbst rechtfertigen. Nicht erforderlich sind aber Gründe, die ausschließlich im konkreten Einzelfall gelten. Insbesondere dann, wenn bei wiederkehrenden Sachverhaltsgestaltungen eine typische Interessenlage zugrunde liegt, reicht es aus, wenn diese dargestellt wird und die Behörde erläutert, dass dies auch im konkreten Fall anzunehmen ist.

 Die Antragsgegnerin hat zur Begründung des Sofortvollzugs unter anderem ausgeführt, dass mit dem Fahrzeug des Antragsstellers ein schwerwiegender Verkehrsverstoß begangen worden sei, für den der Fahrzeugführer nicht verantwortlich gemacht werden könne, weil er nicht bekannt sei. Damit künftige Zuwiderhandlungen gegen Verkehrsvorschriften zum Schutz der Allgemeinheit im Straßenverkehr aufgeklärt werden könnten, sei die Anordnung der sofortigen Vollziehung auch unter Berücksichtigung der privaten Interessen des Antragstellers geboten.

 Diese Begründung genügt - insbesondere angesichts der hohen Bedeutung der Sicherheit des Straßenverkehrs - in formaler Hinsicht dem Begründungserfordernis des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Ob die Begründung der Anordnung des Sofortvollzugs hingegen in inhaltlicher Hinsicht überzeugt oder nicht, ist keine Frage des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO, sondern des ebenfalls erforderlichen besonderen Vollzugsinteresses (vgl. OVG RP, Beschluss vom 3. April 2012 - 1 B 10136/12 -, juris, Rn. 13; Beschluss vom 9. Februar 2011 - 10 B 11312/10 -, juris, Rn. 3 ff.).

 2. Die angefochtene Fahrtenbuchauflage ist nach dem gegenwärtigen Sachstand aufgrund der im einstweiligen Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage offensichtlich rechtmäßig. Insbesondere ist die in § 31a StVZO geregelte Fahrtenbuchauflage entgegen der Rechtsauffassung des Antragstellers nicht wegen eines Verstoßes gegen das in Art. 80 Abs. 1 Satz 3 Grundgesetz - GG - geregelte Zitiergebot verfassungswidrig.

 Die in Art. 80 Abs. 1 Satz 3 GG verankerte Verpflichtung, in einer Rechtsverordnung deren Rechtsgrundlage anzugeben, bedeutet, dass nicht nur das Gesetzeswerk, in dem sich die Ermächtigungsgrundlage findet, sondern die ermächtigende gesetzliche Einzelvorschrift in der Verordnung genannt wird. Eine Verordnung, die auf mehreren Ermächtigungsgrundlagen beruht, muss diese vollständig zitieren und bei inhaltlicher Überschneidung mehrerer Ermächtigungsgrundlagen diese gemeinsam angeben. Allerdings muss nicht zu jeder Bestimmung der Verordnung im Einzelnen angegeben werden, auf welcher der Ermächtigungen sie beruht. Der Verordnungsgeber wird durch die Pflicht zur Angabe der Ermächtigungsgrundlage angehalten, sich der Reichweite seiner Rechtsetzungsbefugnis zu vergewissern; Normadressaten und Gerichten wird ermöglicht, zu prüfen, ob der Verordnungsgeber bei Erlass der Norm von einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage Gebrauch machen wollte und ob die getroffene Regelung sich im Rahmen der Ermächtigung gehalten hat (vgl. BVerfG, Beschluss vom 1. April 2014 - 2 BvF 1/12 -, BVerfGE 136, 69-119, Rn. 99 m.w.N.).

 Hieran gemessen genügt die Vorschrift des § 31a StVZO über das Fahrtenbuch dem Zitiergebot.

 a) Durch die „Fünfzehnte Verordnung zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften“ vom 23. Juni 1993 wurde die in § 31a StVZO geregelte Fahrtenbuchauflage zuletzt inhaltlich geändert. Die „Fünfzehnte Verordnung zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften“ benennt als Rechtsgrundlage für die Fahrtenbuchauflage § 6 Abs. 1 Nr. 3 a) des Straßenverkehrsgesetzes - StVG -.

 Zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der „Fünfzehnten Verordnung zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften“ galt das Straßenverkehrsgesetz in der Fassung vom 26. November 1986, die bis zum 31. Dezember 1993 gültig war. In dieser Fassung war unter § 6 Abs. 1 Nr. 3 a) StVG geregelt, dass der Bundesminister für Verkehr mit Zustimmung des Bundesrates Rechtsverordnungen und allgemeine Verwaltungsvorschriften über „die sonstigen zur Erhaltung der Ordnung und Sicherheit auf den öffentlichen Wegen oder Plätzen, (…) erforderlichen Maßnahmen über den Straßenverkehr, insbesondere über die Beschaffenheit, die Ausrüstung, die Prüfung und die Kennzeichnung der Fahrzeuge“ erlässt.

Die Fahrtenbuchauflage nach § 31a StVZO liegt im Rahmen der Ermächtigung, die § 6 Abs. 1 Nr. 3 a) StVG in der anzuwendenden Fassung vom 26. November 1986 dem Bundesminister für Verkehr erteilt. Dies hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 7. Dezember 1981 (- 2 BvR 1172/81 -, juris, Rn. 4; ebenso BVerwG, Urteil vom 23. April 1971 - VII C66.70 -, juris, Rn. 11 f.) zu einer inhaltsgleichen Fassung der StVG-Norm bestätigt:

 „§ 31a StVZO hält sich im Rahmen der Verordnungsermächtigung des § 6 Abs. 1 Nr. 3 Buchst a StVG. Die Anordnung, ein Fahrtenbuch zu führen, dient der Erhaltung von Ordnung und Sicherheit im Straßenverkehr und damit letztlich auch der Gewährleistung der Bewegungsfreiheit und körperlichen Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 GG) aller Bürger - den Beschwerdeführer nicht ausgenommen. Das Bundesverwaltungsgericht geht mit im einzelnen zutreffenden Erwägungen davon aus, daß diese Anordnung eine notwendige Ergänzung zur Kennzeichnungspflicht bedeutet, wenn zur Ermittlung weiterer Fahrer (neben dem Halter) Anlaß besteht. § 31a StVZO liegt innerhalb des Zwecks der gesetzlichen Ermächtigung (vgl. im einzelnen BVerwGE 18, 107 (108f); BVerwG, Buchholz 442.15, Nr. 7 zu § 7 StVO). Zwischen der in § 31a StVZO vorgesehenen behördlichen Anordnung und dem mit der Verordnungsermächtigung des § 6 Abs. 1 Nr. 3 verfolgten Zweck fehlt es im Hinblick auf die polizeiliche Zielsetzung der Fahrtenbuchauflage auch nicht an einem unmittelbaren Bezug. Es kann nicht davon ausgegangen werden, mit der Regelung des § 31a StVZO verfolge der Verordnungsgeber in erster Linie einen anderen Zweck als die Erhaltung der Ordnung und Sicherheit des Verkehrs.“

 Damit wurde bei der letzten inhaltlichen Neufassung des § 31a StVZO in der „Fünfzehnten Verordnung zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften“ die maßgebliche Ermächtigungsnorm, nämlich § 6 Abs. 1 Nr. 3 a) StVG in der Fassung vom 26. November 1986, auf die sich der Verordnungsgeber stützen wollte und auf die die erlassene Bestimmung sich stützen lässt, hinreichend zitiert (vgl. BVerfG, Beschluss vom 1. April 2014 - 2 BvF 1/12, 2 BvF 3/12 - juris, Rn. 100).

 b) Darüber hinaus wurde auch bei der letzten Änderung der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung durch die „Verordnung zum Neuerlass der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung“ vom 26. April 2012 das Zitiergebot nach Art. 80 Abs. 1 Satz 3 GG beachtet.

 Zunächst ist zu berücksichtigen, dass durch diese Verordnung keine inhaltliche Änderung des § 31a StVZO, der die Fahrtenbuchauflage regelt, erfolgte. Es wurde allein eine redaktionelle, klarstellende Änderung vorgenommen, indem der Begriff „die Verwaltungsbehörde“ durch „die nach Landesrecht zuständige Behörde“ ersetzt wurde. Dass hinsichtlich der erstmals geltenden Fassung des heutigen § 31a StVZO das Zitiergebot eingehalten wurde, ist unter a) bereits dargelegt worden.

 Selbst wenn man davon ausginge, dass die jeweiligen Rechtsgrundlagen für die Fahrtenbuchauflage gleichwohl in der „Verordnung zum Neuerlass der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung“ gemäß Art. 80 Abs. 1 Satz 3 GG genannt werden mussten, so ist diese verfassungsrechtliche Voraussetzung hier jedenfalls erfüllt: In der „Verordnung zum Neuerlass der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung“ wird als Rechtsgrundlage unter anderem § 6 Abs. 1 Nr. 2 c) StVG in der Fassung der Bekanntmachung vom 5. März 2003 angeführt.

 Auf diese Vorschrift lässt sich die Fahrtenbuchauflage stützen. Insofern ist zu berücksichtigen, dass die heutige Regelung in § 6 Abs. 1 Nr. 2 c) StVG der früher in § 6 Abs. 1 Nr. 3 a) StVG geregelten Fassung im Wesentlichen entspricht. Im Rahmen des „Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften (StVRÄndG)“ vom 11. September 2002 wurde § 6 StVG inhaltlich geändert. Dabei ist insbesondere die bis dahin unter Ziffer 3 a) geregelte Verordnungsermächtigung des Bundesverkehrsministers für Regelungen „über die Beschaffenheit, die Ausrüstung, die Prüfung und die Kennzeichnung der Fahrzeuge“ infolge einer systematischen Neuordnung aus der neuen Ziffer 3 weggefallen und wird nun unter Ziffer 2 c) aufgeführt.

 Zwar wurde die Verordnungsermächtigung für die Kennzeichnung von Fahrzeugen - worunter auch die Fahrtenbuchauflage zu fassen ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. Dezember 1981, - 2 BvR 1172/81 -, juris, Rn. 4; ebenso BVerwG, Urteil vom 23. April 1971 - VII C66.70 -, juris, Rn. 11 f.; s.o.) - unter einen neuen Einleitungssatz gestellt. In diesem werden nicht mehr ausdrücklich - wie unter Ziffer 3 - die „zur Erhaltung der Sicherheit und Ordnung auf den öffentlichen Straßen erforderlichen Maßnahmen“ erwähnt.

 Auch ohne einen Verweis auf § 6 Abs. 1 Nr. 3 StVG ist dem Zitiergebot hier aber hinreichend Rechnung getragen worden, obwohl die Fahrtenbuchauflage der Erhaltung von Ordnung und Sicherheit im Straßenverkehr dient (vgl. BVerfG, Dreierausschussbeschluss vom 7. Dezember 1981, - 2 BvR 1172/81 -, juris, Rn. 4; ebenso BVerwG, Urteil vom 23. April 1971 - VII C66.70 -, juris, Rn. 11 f.). Schließlich handelt es sich auch bei den Regelungen unter § 6 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 StVG nach ihrem Regelungszweck um Ermächtigungsnormen, die der Erhaltung der Sicherheit und Ordnung auf den öffentlichen Straßen dienen. Dies bestätigt auch der Wortlaut des § 6 Abs. 1 Nr. 3 StVG, wonach Rechtsverordnungen für „die sonstigen zur Erhaltung der Sicherheit und Ordnung auf den öffentlichen Straßen (…) erforderlichen Maßnahmen über den Straßenverkehr“ erlassen werden dürfen. Damit nimmt § 6 Abs. 1 Nr. 3 StVG implizit Bezug auf die Ziffern 1 und 2 und bringt zum Ausdruck, dass auch diese Ziffern der Erhaltung der Sicherheit und Ordnung im Straßenverkehr dienen. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass die verschiedenen, wenngleich nicht abschließenden Aufzählungen unter der aktuell geltenden Fassung des § 6 Abs. 1 Nr. 3 c) bis i) StVG nach dem Wegfall der früheren Nr. 3 a) und Nr. 3 b), die nun in Nr. 2 integriert wurden, nicht mehr für die Fahrtenbuchauflage passen und mit ihr auch hinsichtlich der Regelungszwecke nicht vergleichbar sind. Vielmehr ist die unter § 6 Abs. 1 Nr. 2 c) StVG geregelte Ermächtigungsnorm für die Fahrtenbuchauflage heute jedenfalls die speziellere Rechtsgrundlage.

 c) Auch eines Verweises auf § 6 Abs. 1 Nr. 17 StVG bedurfte es nicht, da diese Generalklausel bei einer spezielleren und damit vorrangigen Ermächtigungsnorm keine Anwendung findet. Für die Fahrtenbuchauflage ist § 6 Abs. 1 Nr. 2 c) StVG die vorrangige Rechtsgrundlage.

 Im Übrigen hat sich der Antragsteller nicht zu der Fahrtenbuchauflage und ihren tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen geäußert. Die Kammer hat nach der im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO allein möglichen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage und nach Durchsicht der Verwaltungsakte keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit der hier angeordneten Fahrtenbuchauflage.

 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

 Die Festsetzung des Verfahrensgegenstandswerts beruht auf § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG. i.V.m. Nr. 1.5 und 46.11 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NVwZ-Beilage 2/2013, S. 57 ff.).

VG Mainz Beschl. v. 26.3.2019 – 3 L 138/19, BeckRS 2019, 4900

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