Enteignung von Wohnungseigentum in Berlin: Art. 15 GG und seine Freunde – alles grundgesetzwidrig?

von Dr. Axel Spies, veröffentlicht am 08.04.2019
Rechtsgebiete: Öffentliches RechtStaatsrechtWirtschaftsrecht69|12388 Aufrufe

Ich möchte hier im Blog den lesenswerten FAZ-Artikel zur Diskussion stellen:

Das sagt das Grundgesetz über Enteignungen" (Von Hendrik Wieduwilt, Berlin)

Hier ein Auszug:

Deutlich einfacher als Enteignen ist aber das Sozialisieren – und das könnte die Initiative „Deutsche Wohnen Enteignen“ auch zum Ziel führen. Im Schatten des in der Rechtsprechung ständig gebrauchten Eigentumsschutzes in Artikel 14 steht Artikel 15, eine Art „sozialistischer Merkposten“ (Badura). „Grund und Boden (...) können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden“, heißt es da. Die Norm wurde bisher nie benutzt (lediglich einen Versuch gab es in Hessen), doch rechtlich unwirksam wird sie dadurch nicht.

Was heißt das nun konkret? Einschlägige Rechtsprechung zu Artikel 15 gibt es bislang nicht. Juristische Kommentatoren gehen überwiegend davon aus, dass die Maßstäbe der Eigentumsgarantie in Artikel 14 nicht völlig unterwandert werden dürfen. Das heißt: Der Wesensgehalt darf nicht ausgehöhlt, die einzelne Maßnahme nicht unverhältnismäßig sein. Manche Juristen – darunter auch der Verfassungsrechtler Ulrich Battis von der Humboldt-Universität in einem Gastbeitrag für die „Berliner Zeitung“ – meinen allerdings, der Gesetzgeber sei im Rahmen der Sozialisierung nicht an das Übermaßverbot gebunden. Jedenfalls braucht es für eine Vergesellschaftung (wie für eine Enteignung) ein formales Gesetz. Dieses muss zudem eine Entschädigung vorsehen, Gemeinwohlzwecke verfolgen und sich auf vergesellschaftungsfähige Güter beziehen, hier also Grund und Boden.

Die heikelste Frage betrifft die Entschädigung der Deutsche Wohnen: Es ist rechtlich nämlich nicht klar ist, ob diese sich – wie im Falle einer Enteignung – am Verkehrswert der Wohnungen orientieren muss. Der Gesetzgeber muss die Höhe wohl vorher genau festlegen. Eine pauschale Regelung („angemessene Entschädigung“) ist zumindest bei Enteignungen nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts unzulässig – allerdings gilt diese unmittelbar nur für Artikel 14. Wertsteigerungen, die sich erst in ferner Zukunft auswirken, beeinflussen den Verkehrswert nicht mehr. Der Rechtswissenschaftler Battis geht davon aus, dass der Spielraum bei der Sozialisierung größer ist. Die Initiative warnt sogar, dass bei Sozialisierungen auch eine „völlige Entschädigungsfreiheit“ vertreten werde

Spontan hätte ich, einmal abgesehen von den Zuständigkeitsproblemen nach dem GG, folgende Fragen:

  • Welche Rolle spielt Art. 15 GG als bloße Konkretisierung des Art. 14 GG?

  • Kann eine Enteignung die Trias Geeignetheit, Erforderlichkeit, Verhältnismäßigkeit überwinden? Oder gilt die nicht (oder nur eingeschränkt) im konkreten Fall?

  • Kann eine Enteignung vor dem Gleichheitsgrundsatz Bestand haben?

Spannendes juristisches Thema. Was meinen Sie?

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69 Kommentare

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Die SPD "zerlegt" sich mit Kevin Kühnert nicht selbst. Die SPD hat bisher noch alle revolutionäre Juso-Vorsitzende überlebt. Die SPD wird derzeit dadurch "zerlegt", dass sie viel zu gut war und dass jede Partei heute sozialdemokratische Positionen vertritt und kein Arbeiter mehr "Proletarier" ist und sich so fühlt.

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Da hören Sie von mir keinen Widerspruch, auch wenn ich den Satzteil über den Arbeiter und den Proletarier nicht beurteilen kann, das ist nicht meine Welt. Wir werden ja sehen, wie die SPD am 26. Mai abschneidet. Ich kann mir jedenfalls nicht vorstellen, dass das Ergebnis für die SPD allzu positiv ausfallen wird. Und auf die Wahlanalyse der SPD bin ich jetzt schon gespannt.  

Hier ein Beispiel dafür, wie wenig sich Arbeiter heute noch als "Proletarier" fühlen und welche Probleme die SPD dadurch hat und haben wird, der Betriebsratsvorsitzende von BMW: "Betriebsratschef Schoch weist Forderung des Juso-Chefs Kühnert nach Kollektivierung des Autobauers scharf zurück... Kaum ein anderes Unternehmen biete so sichere und gut bezahlte Arbeitsplätze und so fortschrittliche Arbeitsbedingungen und Arbeitszeitmodelle wie BMW." Arbeiter sind heute schon fast die besseren Kapitalisten...

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...auch wenn ich den Satzteil über den Arbeiter und den Proletarier nicht beurteilen kann, das ist nicht meine Welt.

Das ist schlecht! Ein Jahrzehnt während der Schul- und Semesterferien als "Werkstudent" am Band haben noch niemand geschadet und dabei das Welt- und Selbstbild und das Gefühl für soziale und sonstige Verantwortung entscheidend beeinflusst...

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Das mag sein, da will ich Ihnen auch gar nicht widersprechen, das führt aber nur vom Thema weg: Die SPD-Parteispitze (Scholz, Nahles) versucht es gegenwärtig mit Ausweichen und Weglächeln, während andere führende SPD-Politiker, wie z.B. mein besonderer intellektueller Liebling Natascha Kohnen, fleißig weitertwittern und damit weiter fleißig Öl ins Feuer kippen. Ich muss auch leider zugestehen, dass mich das intellektuelle Nivenau dieser (Twitter-)Äußerungen derart anwidert, dass ich mich nur darin bestätigt sehe, dass Parteien aller Art wirklich nichts für mich sind. 

Hierbei fragt SPON seine Leser: "Wie bewerten Sie die Forderung von Kevin Kühnert, große Firmen wie z.B. BMW zu „kollektivieren“, also z.B. in ein Gemeinschaftsgut zu überführen?"

In der F.A.S. ist die Causa Kühnert auf der ersten Seite und als Leitartikel des Wirtschaftsteils behandelt. U.a. ist davon die Rede, dass "die Erwachsenen in der Partei" (gemeint ist die SPD) noch kein wirksames Mittel gefunden haben, die Diskussion über die "Kollektivierung von BMW" in irgendeiner Weise zu kanalisieren. Durch die Presse gehen auch die Stellungnahmen verschiedener Betriebsräte verschiedener deutscher Automobilfirmen, die die SPD rundheraus für "nicht wählbar" erklären. Zunehmend wird auch die Frage erörtert, ob eine nach der Wahl zum Europäischen Parlament am 26. Mai marginalisierte SPD noch zum Koalitionspartner in Berlin taugt.   

Interessant an der ganzen Diskussion über "Kollektivierungen" und den Art. 15 GG ist dabei vor allem, was Rainer Hank heute in der F.A.S. auf Seite 18 zu der Initiative zur Ersetzung des Art. 15 GG de lege ferenda schreibt. 

Und wenn Sie schon mal die F.A.S. von heute lesen, müssen Sie unbedingt lesen "Kühnert - Wie der Jungsozialist in Hamburg durchs Abitur fiel" von Patrick Bahners. Der Artikel ist nicht lang, sind nur zwei Spalten im Feuilleton auf Seite 38. 

Dort wird wunderschön das "Making of" des Kühnert-Interviews in der ZEIT beschrieben. Wie die versierten Journalisten den (ein bisschen naiven) jungen Mann aufs Glatteis geführt haben. Es stellt sich heraus, dass das ZEIT-Interview letzten Endes derselben Logik folgt wie seinerzeit die Frage von Beckmann an Altkanzler Gerhard Schröder: "Ist Putin ein lupenreiner Demokrat?" Die Formulierung "lupenreiner Demokrat" war aber bitteschön die Formulierung von Beckmann, nicht die von Schröder. Was hätte Schröder - damals im Amt - darauf antworten sollen? Also sagte Schröder brav "Ja" mit der Folge, dass alle Zeitungen schrieben (und so wird es bis in alle Ewigkeit kolportiert werden): "Schröder bezeichnet Putin als lupenreinen Demokraten".   

Übrigens ist der Artikel in der F.A.S. über das Making of des ZEIT-Artikels gleichzeitig ein wunderschönes Beispiel für die Frage, die sich sehr oft stellt, nämlich die Frage, "wer fährt und wer gefahren wird". Ein kleines Beispiel für das, was ich damit meine: Ein Politiker redet im Bierzelt. Der Politiker argumentiert sachlich, das Publikum zieht nicht. Der Politiker macht deswegen Bierzelt-adäquate Sprüche. Auf einmal ist Stimmung im Bierzelt. Der Politiker macht also, nach dieser Resonanz, weiter im Bierzelt-Duktus. So, jetzt meine Frage: Wer ist jetzt mit wem gefahren? Ist der Politiker mit dem Publikum gefahren oder ist das Publikum mit dem Politiker gefahren? 

Die LTO-Presseschau:

Grundgesetz und Marktwirtschaft: In der FAZ spricht sich der ehemalige Bundesverfassungsrichter Dieter Grimm gegen die Forderung einiger Wirtschaftswissenschaftler aus, die soziale Marktwirtschaft im Grundgesetz zu verankern. Hierdurch würde die soziale Marktwirtschaft zum Rechtsbegriff, welcher vom Verfassungsgericht konkretisiert werden müsse. Dies hätte zur Folge, dass die deutsche Wirtschaftspolitik von Karlsruher Vorgaben gelenkt würde: Denn wer Verfassungsrecht säe, werde Verfassungsrechtsprechung ernten.  

Die LTO-Presseschau:

Abschaffung Art. 15 GG: In einem Interview mit lto.de (Christian Rath) eruiert Marco Buschmann, Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Fraktion im Bundestag, die Bedeutung und die Auslegung von Art. 15  Grundgesetz. Zudem legt er die Gründe für die Bestrebungen seiner Partei zur Streichung des Art. 15 aus dem Grundgesetz dar. Ein solcher Antrag soll noch in diesem Jahr gestellt werden und wäre damit der dritte dieser Art, den die FDP seit 2001 im Bundestag stellt.

Die LTO-Presseschau:

Enteignungen: Die FAZ (Hendrik Wieduwilt/Heike Göbel) befragt in ihrem Wirtschafts-Teil Rechtsprofessor Frank Schorkopf zu verfassungsrechtlichen Aspekten von Enteignungen bzw. Vergesellschaftungen. Der Verfassungsrechtler plädiert für eine gegenwartsbezogene Auslegung der Formel der wirtschaftspolitischen Neutralität des Grundgesetzes und macht geltend, dass die Wirtschaftsordnung der EU "unstreitig" am Wettbewerb ausgerichtet sei.

Die LTO-Presseschau:

Sozialisierung von Wohnungsunternehmen: "Eine Vergesellschaftung des Wohnungsbestandes von Immobilienunternehmen in Berlin mit mindestens 3.000 Wohnungen wäre auf der Grundlage von Art. 15 GG möglich." Zu diesem Schluss kommt ein Gutachten des Wissenschaftlichen Diensts des Berliner Abgeordnetenhauses, über das die taz-Berlin (Erik Peter) berichtet. Trotz gewisser Bedenken könne die Verhältnismäßigkeit des Vergesellschaftungsgesetzes, für das ein Volksentscheid angestrebt wird, bejaht werden. Eine Entschädigung "deutlich unter dem Verkehrswert" sei aber nicht angemessen.

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