BGH: Schockschaden - Schadensersatz für seelisches Leid auch bei Arztfehler

von Dr. Michaela Hermes, LL.M., veröffentlicht am 03.07.2019
Rechtsgebiete: Bürgerliches RechtWeitere ThemenMedizinrecht2|5518 Aufrufe

Bei einem Behandlungsfehler kann einem Angehörigen des Patienten ein Anspruch auf Schadensersatz wegen seelischer Leiden zustehen. Die Klinik haftet dann nicht nur für den Arztfehler, sondern auch für den sogenannten "Schockschaden", den ein naher Angehöriger erleidet. So entschieden vom BGH mit Urteil vom 21.05.2019 – VI ZR 299/17

Die Situation sei vergleichbar mit den bei einem Unfall anerkannten "Schockschäden", argumentierten die Bundesrichter. Danach können Menschen, die nicht direkt an einem Unfall beteiligt waren, sondern durch den Tod eines Angehörigen mit seelischen Belastungen konfrontiert wurden, einen Anspruch auf Schadensersatz haben. Damit weitet der BGH seine bisherige Rechtsprechung auf die Fälle aus, bei denen das haftungsbegründende Ereignis kein Unfallereignis im eigentlichen Sinne, sondern eine fehlerhafte ärztliche Behandlung gewesen ist.

Der Fall

Geklagt hatte eine Ehefrau, deren Mann in einer Klinik zur Darmspiegelung war. Dabei wurde der Darm perforiert. Das allein werteten die zwei Gutachter noch als schicksalshafte Komplikation. In der darauf folgenden ärztlichen Behandlung der durch die Perforation hervorgerufenen Bauchfellentzündung, erst konservativ, dann -mehrere Tage später- mittels einer Laparotomie, sahen die Gutachter aber einen (groben) Behandlungsfehler. Nach Bekunden der Ehefrau schwebte ihr Mann mehrere Wochen in akuter Lebensgefahr. Mit dem Haftpflichtversicherer des Krankenhauses einigte sich der Patient in der Zwischenzeit auf eine Abfindungszahlung von 90.000€. Nun machte auch die Ehefrau gegen das Krankenhaus Schadensersatzansprüche geltend. Sie argumentierte, durch die lebensbedrohliche Situation ihres Mannes habe sie massive psychische Beeinträchtigungen in Form eines depressiven Syndroms mit psychosomatischen Beschwerden und Angstzuständen erlitten.

Die Entscheidung

Das Oberlandesgericht Köln (OLG), 12. Juli 2017, 5 U 144/16, lehnte den Anspruch der Ehefrau ab. Denn in der psychischen Erkrankung der Klägerin verwirkliche sich nur ein, dem Schädiger nicht zurechenbares, allgemeines Lebensrisiko.

Der BGH schloss sich dem nicht an. Die Bundesrichter sahen hier die gleichen Maßstäbe wie in der Schockschadensrechtsprechung verwirklicht. Insbesondere bestehe zwischen dem Patienten und der Klägerin als seiner Ehefrau die dafür erforderliche persönliche Nähe.

Abschließend klären konnte der BGH den Fall jedoch nicht. Das OLG muss nun erneut prüfen, ob der  lebensbedrohliche Gesundheitszustand des Ehemanns tatsächlich die Ursache der psychischen Erkrankung war.

Praxishinweise

Der Fall ist überaus relevant für das Examen. Konsequent wäre der BGH, wenn die Richter die Schockschadensrechtsprechung für den Todesfall eines Patienten angewendet hätten. Hier aber hatte der Patient überlebt. Eine solche Ausweitung des Schadensersatzanspruchs für die seelische Erschütterung (Schockschaden) eines nahen Angehörigen könnte Schule machen.

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2 Kommentare

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Sie schreiben: "Konsequent wäre der BGH, wenn die Richter die Schockschadensrechtsprechung für den Todesfall eines Patienten angewendet hätten. Hier aber hatte der Patient überlebt."

Diese Aussage geht fehl. Die Schockschadensrechtsprechung galt schon immer auch für die schwere (Unfall-)Verletzung des Angehörigen und nicht lediglich für dessen Tod.

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In der Tat wirft der Schockschaden viele heikle Rechtsfragen auf. Die häufigste Ursache für einen ersatzfähigen Schockschaden liegt im Erleben des Todes eines Menschen. Auch eine schwere Verletzung kann, ebenso wie der Tod eines Angehörigen, einen Schock auslösen. Daher werden  zumindest schwerwiegende Körperverletzungen ebenso als ausreichender Anlass gesehen, um den Ersatz eines Schockschadens zu rechtfertigt. Denn oft ist in diesen Fällen noch nicht abzusehen, ob der Verletzte überlebt. (Vgl.  BGH, Urt. v. 5. Februar 1985 – VI ZR 198/83).

Bei einem Schockschaden handelt es sich um eine Einwirkung auf die Psyche eines Menschen. Hier ergibt sich die Schwierigkeit, dass die Schädigung, im Gegensatz zu physischen Beeinträchtigungen, nicht für jedermann objektiv erkennbar ist. Der BGH griff in seiner Grundsatzentscheidung  (BGHZ 56, 163) vom 11. Mai 1971 die von vielen Instanzgerichten schon behandelte Problematik auf und schränkte die Haftung auf besondere Anforderung an die Gesundheitsbeeinträchtigung bei Schockschäden ein. Dabei handelte es sich damals ausschließlich um Fälle infolge des Verlusts eines Angehörigen.

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