Keine Verfassungsbeschwerde im Chefarzt-Fall

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 06.07.2019
Rechtsgebiete: Bürgerliches RechtArbeitsrecht1|5000 Aufrufe

Ein Verfahren, das zehn Jahre lang Gerichte aller Instanzen einschließlich des Bundesverfassungsgerichtes (BVerfG) - Beschluss vom 22.10.2014 - 2 BvR 661/12, NZA 2014, 1387 -  und des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) - Urteil vom 11.9.2018 - C-68/17, NZA 2018, 1187 - beschäftigt hat, ist zu seinem endgültigen Ende gekommen. Lange war darüber spekuliert worden, ob die katholische Kirche gegen das für sie ungünstige Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) - Urteil vom 20.2.2019 - 2 AZR 746/14, BeckRS 2019, 10529 - vor das BVerfG ziehen wird. Eine solche Verfassungsbeschwerde hätte durchaus Erfolgsaussichten gehabt, standen doch die Entscheidungen des EuGH und ihm folgend des BAG in einem deutlichen Widerspruch zur Position des BVerfG. Nunmehr hat das Erzbistum Köln folgende Pressemitteilung (PM vom 2.7.2019) herausgegeben:

„Das Erzbistum Köln hat die jetzt vorliegenden schriftlichen Urteilsgründe des BAG zu dessen Urteil vom 20. Februar 2019 zum kirchlichen Arbeitsrecht eingehend geprüft und ist nach rechtlicher Bewertung der Urteilsbegründung und einer Abwägung aller für und gegen die Einlegung einer Verfassungsbeschwerde sprechenden Gründe zum Schluss gekommen, dass eine erneute Überprüfung des zugrunde liegenden konkreten Sachverhalts durch das BVerfG nicht angestrebt werden soll. Maßgeblich hierfür ist insbesondere der Umstand, dass der in Rede stehende Fall aktuell keine arbeitsrechtliche Relevanz mehr hat, da er nach heute geltendem kirchlichen Arbeitsrecht anders zu beurteilen wäre. Die katholische Kirche wird allerdings möglicherweise vom BVerfG Gelegenheit erhalten, ihre Rechtsauffassung zu den auch aus ihrer Sicht klärungsbedürftigen Grundsatzfragen des Verhältnisses von Religionsverfassungsrecht und Unionsrecht durch eine Stellungnahme in das Verfahren „Egenberger“ der evangelischen Kirche einzubringen, das zurzeit beim BVerfG anhängig ist.

Ausgangspunkt des vorliegenden Falles war die im Jahr 2009 ausgesprochene Kündigung eines Chefarztes in einem katholischen Krankenhaus wegen Wiederheirat, welche nach dem damals geltenden kirchlichen Arbeitsrecht einen Loyalitätsverstoß darstellte. Dagegen hatte der Arzt geklagt. Das BVerfG hatte 2014 bestätigt, dass die Kirchen auf der Grundlage ihres verfassungsrechtlich verbürgten Selbstbestimmungsrechts zu einer solchen Kündigung berechtigt sind. In der Folge legte das BAG dem EuGH die Frage vor, ob die Auferlegung von nach der Religionszugehörigkeit unterschiedlichen Loyalitätsobliegenheiten bei leitenden Angestellten eines katholischen Krankenhauses unionsrechtsgemäß ist. Im September letzten Jahres urteilte dann der EuGH, dass dies nur unter bestimmten Bedingungen der Fall ist. Das BAG kam vor diesem Hintergrund zu dem Ergebnis, dass diese Bedingungen im Fall des Chefarztes nicht vorlagen und die Kündigung somit rechtswidrig war. Diesem Fall lag allerdings eine kirchengesetzliche Kündigungsregelung aus dem Jahr 1993 zugrunde, die im Jahr 2015 ohnehin grundlegend geändert wurde. Der Kündigungssachverhalt wäre daher nach heute geltendem Kirchenarbeitsrecht anders zu beurteilen.“

Der Anwalt des Mediziners, Norbert H. Müller, zeigte sich „hoch erfreut“ über den Verzicht auf die Verfassungsbeschwerde. „Die extrem belastende Odyssee hat nun ein Ende“, sagte er dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Es sei zu begrüßen, „dass auch das Erzbistum Köln höchstrichterliche Entscheidungen irgendwann einmal akzeptiert“.

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Die katholische Kirche wird allerdings möglicherweise vom BVerfG Gelegenheit erhalten, ihre Rechtsauffassung zu den auch aus ihrer Sicht klärungsbedürftigen Grundsatzfragen des Verhältnisses von Religionsverfassungsrecht und Unionsrecht durch eine Stellungnahme in das Verfahren „Egenberger“ der evangelischen Kirche einzubringen, das zurzeit beim BVerfG anhängig ist.

Prof. Christian Walter, München, sagte kürzlich am 4.7.2019 in der FAZ: "Wo aber der unionsrechtliche Rahmen genau verläuft, muss vor dem EuGH in zukünftigen Fällen ausgelotet werden. Das Bundesverfassungsgericht ist dafür nicht der richtige Ort". Oder generell gesagt: Für grundlegende Entscheidungen zum Antidiskriminierungsrecht sind deutsche Gerichte nicht der richtige Ort.

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