Anonymität, Klarnamenpflicht und Meinungsvielfalt im Internet – alles eine Frage der Vertragsfreiheit

von Dr. Sylvia Kaufhold, veröffentlicht am 30.07.2019

Auch hier im Beck-Blog wird immer wieder über den richtigen Umgang mit frucht- und sinnlosen bis hin zu beleidigenden, hetzerischen oder in sonstiger Weise strafrechtsrelevanten Kommentaren diskutiert. Jenseits des NetzDG könnte eines der Mittel der Wahl darin bestehen, den Nutzer zur Nennung seines „richtigen“ Namens bei der Teilnahme an Internetdiskussionen zu verpflichten. Gegen eine solche Klarnamenpflicht wiederum wird eingewandt, „dass der Diskurs im Netz auch und gerade von denjenigen lebt, die unter Pseudonym schreiben. Die anonyme Kommunikation ist ein wesentlicher Aspekt einer freiheitlichen Ordnung, der nicht hilflosen Schnellschüssen geopfert werden darf“ (Buermeyer, NJW-aktuell 26/2019, S. 15).

Die Diskussion verkennt mE den zivilgesellschaftlichen – oder genauer gesagt den vertragsrechtlichen – Charakter des Problems. Sie ist durch eine in ihren hehren Zielen typisch deutsche, im Kern jedoch verfehlte Vorschrift (§ 13 Abs. 6 TMG), in die Irre geleitet. Und zwar zulasten einer für die liberale Gesellschaft grundlegenden Vertragsfreiheit, die faktisch – nicht erst durch das Internet – bis zur Unkenntlichkeit verkümmert ist und kaum noch Fürsprecher zu haben scheint. Die Zurückdrängung des (Standard-)Vertrags als vorrangiges Regelungsinstrument der freiheitlichen Gesellschaft geht bei uns schon so weit, dass wir nicht einmal mehr sein Potential zur Klärung neuer Phänomene zu erkennen scheinen. Das war früher noch anders, wie z.B. das bis heute in Deutschland gesetzlich ungeregelte Franchising und Leasing zeigen. Aber da gab es auch noch kein so starkes Datenschutzrecht, das man aus dem Bereich des öffentlichen Rechts schlicht auf den Privatrechtsverkehr übertragen hat. Kein Wunder, dass dies die Entwicklung eines europäischen Digitalrechts – i.S. eines liberalen Internet- und Datenvertragsrechts – behindert.

Aber zurück zur Klarnamenpflicht. Aus meiner Sicht müssen wir uns zunächst klarmachen, dass „das Internet“ kein Raum ist, der vom Staat (welchem?) beliebig reguliert werden könnte. Die Inhalte, um deren Duldung oder Löschung es bei der Diskussion um eine Klarnamenpflicht geht, werden von Privatunternehmen generiert, verwaltet und verbreitet. Es geht um Plattformen wie Facebook, Twitter oder aber, wie z.B. im Fall des Beck-Blogs, um Verlage und private Blogger, die ihr Verhältnis zu den Nutzern ausschließlich per Vertrag bzw. AGB regeln können, solange der (insbes. europ.) Gesetzgeber kein gesetzliches Vertragsrecht für diesen Bereich vorhält. Somit entscheiden auch die AGB der jeweiligen Plattform, ob für die Einstellung von Inhalten eine Klarnamenpflicht herrscht (so z.B. bei FAZ.net) oder nicht. Ganz einfach.

§ 13 Abs. 6 TMG, der den ominösen Grundsatz der Anonymität im Internet mit erheblichen Folgen auch auf europäischer Ebene normiert, ist in diesem Zusammenhang mE entweder gar nicht einschlägig oder aber ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Vertragsfreiheit. Erst dieser Grundsatz hat im Übrigen die Haftung für Rechtsverletzungen im Internet faktisch vom Täter auf die Plattformen selbst verschoben und zu einer überbordenden Störerhaftung geführt, der wir nicht nur das NetzDG zu verdanken haben, sondern letztlich auch die Diskussion um Uploadfilter beim Urheberrecht. Zu Recht weist außerdem Pille in seinem grundlegenden Beitrag zum Grundsatz der Eigenverantwortlichkeit im Internet (NJW 2018, 3545, 3550) darauf hin, „dass das Recht zur anonymen Nutzung des Internets eine nicht gebotene Privilegierung des Online-Bereichs begründet, da „offline“ gerade kein Anspruch darauf besteht, Handlungen anonym vornehmen zu können.“

Lässt die Plattform anonyme/pseudonyme Postings zu, wofür es auch bei Streichung von § 13 Abs. 6 TMG sehr gute Gründe geben kann, ist die nächste Frage, ob sie denselben „Bestandsschutz“ genießen sollten wie namentliche. Auch das ist vorrangig durch Vertrag/AGB zu regeln und mE zu verneinen. Auch wenn man hier die mittelbare Drittwirkung der Meinungsäußerungsfreiheit (insbes. bei der Auslegung einer entsprechenden AGB-Klausel oder ihrer Angemessenheitskontrolle gem. § 307 BGB) berücksichtigt, dürfte man nicht zu einem anderen Ergebnis kommen (s. z.B. OLG Dresden, IWRZ 2019, 37 m. Anm. Kaufhold; NJW-RR 2020, 429; MMR 2020, 626; NJW-RR 2020, 1370; OLG Karlsruhe, MMR 2020, 52). Genau genommen kann eine anonyme öffentliche Aussage, so wichtig sie im Einzelfall sein mag, überhaupt keine Meinungsäußerung sein, jedenfalls keine dauerhaft schützenswerte. Nur wer – nach Beanstandung – zu seiner Meinung steht, kann sie notfalls auch über den Rechtsweg verteidigen. Denn spätestens, wenn er Klage gegen die Löschung einreichen will, muss er zumindest der Plattform gegenüber offenlegen, wer er ist. Alles andere ist eine Frage des Whistleblower-Schutzes.

Nach meiner Meinung wird nur ein vertragsrechtliches Verständnis der Klarnamenpflicht – sowie der Plattformregulierung insgesamt – dem Grundsatz der Eigenverantwortlichkeit gerecht, der auch im Internet dringend wieder herzustellen ist. Dem steht aber ein Verzicht auf das anerkannte „Know-Your-Customer“-Prinzip (KYC) ausgerechnet im Internet, wie er aus § 13 Abs. 6 TMG folgt, diametral entgegen. Wird den Plattformen die Identifizierung ihrer Kunden (oder zumindest die Auferlegung einer Wahrheitspflicht bei der Registrierung/Namensnennung) umgekehrt zur Pflicht gemacht, dürfte das die Strafverfolgung ganz erheblich erleichtern. Das aber schließt, wie gesagt, die Zulassung einer zunächst anonymen Beteiligung an Internetdiskussionen überhaupt nicht aus, im Gegenteil. Solange der Autor eines anonymen Posts zumindest bei der Plattform mit E-Mail und Klarnamen registriert ist, bleibt er kontrollierbar – auch für die Staatsanwaltschaft. Einen solchen Fall der anonymen Beteiligung durch einen registrierten Nutzer betraf auch das Urteil des BGH vom 23.6.2009 zur Zulässigkeit von Lehrerbewertungen im Internet (NJW 2009, 2888) aus dessen Rn. 38 daher zu Unrecht abgeleitet wird, dass die Internetnutzung in jedem Fall absolut anonym ermöglicht werden müsse.

Jedenfalls ist es ärgerlich, wenn die Politik schon wieder aufgeregt über eine Erhöhung des Verfolgungsdrucks (insbesondere) auf Rechtsextreme, neue Auskunftsansprüche und sonstige Scheinlösungen diskutiert, ohne das eigentliche Hindernis überhaupt zu erkennen oder klar zu benennen: Der angeblich so fundamentale Anonymitätsgrundsatz im Internet, der nicht nur falsche Signale setzt, sondern auch jede vertragsrechtliche Lösung konterkariert. Ohne eine Streichung von § 13 Abs. 6 TMG, dessen Regelungsziel in der Offline-Welt absolut indiskutabel wäre und der technisch sowie durch die DSGVO nach wohl h.M. ohnehin überholt ist, werden zusätzliche Polizeibefugnisse, Schwerpunktstaatsanwaltschaften und Auskunftsansprüche auch dann keinen besseren Schutz der Persönlichkeitsrechte bringen, wenn – wie jetzt wieder von der FDP gefordert – auch datenschutzrechtliche Hindernisse zweifelsfrei beseitigt sein sollten (vgl. BGH vom 1.7.2014, NJW 2014, 2651 Rn. 8; s. aber bereits §§ 14 Abs. 3 und 4 TMG, 24 Abs. 1 Nr. 2 BDSG).

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206 Kommentare

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Num denn Gast 12-10 00:22 UHR, das lassen wir doch  in Ruhe andere Leser beurteilen! 

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Kompetente Lesende sind ja nie ein Problem.

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Kompetente Lesende sind ja nie ein Problem.

Die mit der Logik auf dem Kriegsfuss stehen, aber schon.

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Ja, gewiss, Gast 12-10   00:40, aber alle können ja den Herrn AssessorMaas hören, bei youtube. Auch voran die Kommilitonin, mit ihrer klugen Frage.

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Habe ich behauptet, der Jurist Maas wäre ein Logiker ?

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