Augenblicksversagen bei Rotlichtverstößen: Irgendwie tot!

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 04.08.2019
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht|3211 Aufrufe

Früher fand man in der Rechtsprechung recht häufig die erfolgreiche Verteidigung mit Augenblicksversagen bei Rotlichtverstößen. Gemeint ist hier die nicht weiter vorwerfbare momentane Unaufmerksamkeit, die lediglich eine einfache Fahrlässigkeit darstellt und damit nicht die Merkmale "grob" oder "beharrlich" des § 25 StVG erfüllt. In den letzten Jahren jedoch werden Urteile von Tatrichtern, die in diese Richtung gehen, regelmäßig auf Rechtsbeschwerde der StA hin kassiert. So auch hier:

 

 

Auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Potsdam wird das Urteil des Amtsgerichts Potsdam vom 26. März 2019 im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben.

 Die Sache wird im Umfang ihrer Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Potsdam zurückverwiesen.

 Gründe: 

 I.

 Der Oberbürgermeister der Stadt …, Fachbereich Ordnung und Sicherheit, Bußgeldstelle, hat unter dem Datum des 28. August 2018 gegen den Betroffenen wegen Missachtung des Rotlichtes der Lichtzeichenanlage, wobei die Rotphase länger als 1 Sekunde dauerte, gemäß §§ 37 Abs. 2, 49 StVO, 24, 25 StVG, 4 Abs. 1 BKatV, Ziff. 132.3 BKat ein Bußgeld in Höhe von 200,00 Euro festgesetzt sowie ein Fahrverbot von einem Monat angeordnet. Nachdem der Betroffene gegen diesen Bußgeldbescheid form- und fristgerecht Einspruch eingelegt hatte, hat das Amtsgericht Potsdam Hauptverhandlung anberaumt, zuletzt mit Verfügung vom 14. März 2019 auf den 26. März 2019.

 Mit Urteil vom 26. März 2019 hat das Bußgeldgericht auf eine Geldbuße von 90,00 Euro erkannt und - anders als im Bußgeldbescheid vom 28. August 2018 - von der Anordnung eines Fahrverbotes abgesehen und dies mit einem „einmaligen Augenblickversagen“ begründet (Bl. 3 UA).

 Das Amtsgericht hat in den Urteilsgründen festgestellt, dass der Betroffene am 22. Juni 2018 gegen 17:06 Uhr mit dem Pkw … die N… in P… stadteinwärts befahren habe. An der Kreuzung B… Richtung Be… habe der Betroffene nach einer 3,0 Sekunden dauernde Gelbphase das Rotlicht nach 1,1 Sekunden Dauer missachtet, die Haltelinie überfahren und sei in den geschützten Kreuzungsbereich eingefahren.

 Nach der gem. § 41 StPO iVm. § 71 OWiG am 3. April 2019 erfolgen Übersendung der Akten an die Staatsanwaltschaft Potsdam, die an der Hauptverhandlung nicht teilgenommen hatte, hat diese am 8. April 2019 bei Gericht Rechtsbeschwerde eingelegt und diese unter dem Datum des 30. April 2019 begründet, dabei das Rechtsmittel auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt. Die Staatsanwaltschaft Potsdam ist der Auffassung, dass die Urteilsgründe ein Absehen von dem indizierten Fahrverbot nicht tragen.

 Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg ist mit Stellungnahme vom 12. Juni 2019 der Rechtsbeschwerde beigetreten und hat beantragt, das Urteil des Amtsgerichts Potsdam vom 26. März 2019 im Rechtsfolgenausspruch aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Potsdam zurückzuverweisen. Dem Betroffenen wurde über seinen Verteidiger rechtliches Gehör gewährt.

 II.

 Der Senat folgt dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg. Die gem. § 79 Abs. 1 Nr. 3 OWiG statthafte und gem. § 79 Abs. 3 OWiG i. V. m. § 341, 344, 345 StPO form- und fristgerecht angebrachte Rechtsbeschwerde hat in der Sache Erfolg und führt zur Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs.

 1. Die Staatsanwaltschaft Potsdam hat das Rechtsmittel rechtswirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt. Wegen der Wechselwirkung von Geldbuße und Fahrverbot scheidet eine (weitere) Beschränkung der Rechtsbeschwerde auf die Nebenfolge des Fahrverbotes aus.

 Die Beschränkung der Rechtsbeschwerde auf den Rechtsfolgenausspruch insgesamt greift durch. Beschränkungen des Rechtsmittels auf bestimmte Beschwerdepunkte gem. § 344 Abs. 1 StPO iVm. § 79 Abs. 3 OWiG sind nach der so genannten Trennbarkeitsformel insoweit wirksam, als sie dem Rechtsmittelgericht die Möglichkeit eröffnet, den angefochtenen Teil des Urteils losgelöst vom nicht angegriffenen Teil der Entscheidung nach dem inneren Zusammenhang rechtlich und tatsächlich zu beurteilen, ohne die Prüfung des übrigen Urteilsinhalts notwendig zu machen. Die den Rechtsmittelberechtigten in § 344 Abs. 1 StPO iVm. § 79 Abs. 3 OWiG eingeräumte „Macht zum unmittelbaren Eingriff in die Gestaltung des Rechtsmittels“ (siehe bereits RGSt 69, 110, 111; statt vieler auch: BGHSt 14, 30, 36) gebietet es, den in Rechtsmittelerklärungen zum Ausdruck gekommenen Gestaltungswillen im Rahmen des rechtlich Möglichen zu respektieren. Das Rechtsmittelgericht kann und darf diejenigen Entscheidungsteile nicht nachprüfen, deren Nachprüfung von keiner Seite begehrt wird, wenn und soweit der angegriffene Entscheidungsteil trennbar ist, also losgelöst vom übrigen Urteilsgehalt selbständig geprüft und beurteilt werden kann (RGSt 65, 296; RGSt 69, 110, 111; BGHSt 19, 46, 48; BGHSt 24, 185, 187; BGH NJW 1981, S. 589, 590, jeweils m.w.N.). Die grundlegende und unerlässliche Voraussetzung der Trennbarkeit von Schuld- und Rechtsfolgenfrage steht in engstem Zusammenhang mit dem Postulat der inneren Einheit bzw. Widerspruchsfreiheit der das Verfahren stufenweise abschließenden Urteile, die als ein einheitliches Ganzes anzusehen, und dem Ziel des Verfahrens verhaftet sind, zu einer insgesamt gesetzesmäßigen Entscheidung zu gelangen (vgl. BGHSt 10, 71, 72; BGHSt 24, 185, 188; BGHSt 25, 72, 75 f.; BGH NJW1981, 589, 590).

 Die Beschränkbarkeit des Rechtsmittels entfällt nur dann, wenn Schuldspruch und Rechtsfolgenbemessung so miteinander verknüpft sind, dass ein die Strafbarkeit erhöhender oder mindernder Umstand einen untrennbaren Teil der Schuldfrage, mithin eine so genannten doppelrelevante Tatsache bildet und der Anfechtende sich der Sache nach dagegen wendet, dass das Erstgericht einen solchen Umstand angenommen hat oder nicht angenommen hat.

 Ein solcher Fall liegt hier jedoch nicht vor. Infolge der Beschränkung der Rechtsbeschwerde auf den Rechtsfolgenausspruch ist der Schuldspruch in Rechtskraft erwachsen.

 2. Das Absehen von dem indizierten Fahrverbot hält rechtlicher Prüfung nicht stand.

 Hierzu führt die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg in ihrer Stellungnahme vom 12. Juni 2019 wie folgt aus:

 „Zum unverzichtbaren Inhalt eines bußgeldrichterlichen Urteils gehört unter anderem die Angabe der für erwiesen erachteten Tatsachen, in denen die gesetzlichen Merkmale der Ordnungswidrigkeit gesehen werden (§§ 71 Abs. 1 OWiG, 267 Abs. 1 Satz 1 StPO) und außerdem wenn - wie hier - der Sachverhalt Anlass dafür bietet, die Mitteilung derjenigen tatrichterlichen, auf nachvollziehbaren Anknüpfungstatsachen beruhenden Erwägungen, aufgrund derer ein [S. 2] den Verzicht auf das Fahrverbot rechtfertigender Ausnahmefall angenommen worden ist. Diesen Begründungserfordernissen wird die angefochtene Entscheidung nicht hinreichend gerecht.

 Hier hat das Gericht das Vorliegen des Ausnahmetatbestandes in Form des so genannten Augenblicksversagens nicht ausreichend begründet. Nach § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG i.V.m. der BKatV und dem Bußgeldkatalog kommt die Anordnung eines Fahrverbotes wegen grober Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers in Betracht, wenn - wie hier - der Kraftfahrzeugführer ein rotes Wechsellichtzeichen bei schon länger als einer Sekunde andauernder Rotphase nicht befolgt hat. Die Erfüllung des Tatbestandes weist auf das Vorliegen eines groben Verstoßes im Sinne von § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG hin, der zugleich ein derart hohes Maß an Verantwortungslosigkeit im Straßenverkehr offenbart, dass es regelmäßig der Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme eines Fahrverbotes bedarf.

 Dass sich die vorliegende Tat in einem solchen Maße zugunsten des Betroffenen von den Regelfällen unterscheidet, dass das Absehen von der Anordnung des Fahrverbotes - etwa wegen eines Augenblicksversagens - gerechtfertigt wäre, lassen die tatrichterlichen Feststellungen nicht mit der erforderlichen Klarheit erkennen.

 Die Anordnung eines Fahrverbotes ist auch dann nicht angezeigt, wenn ein Verkehrsverstoß nicht auf einer groben Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers, sondern lediglich auf einer augenblicklichen Unachtsamkeit beruht, die jedem sorgfältigen und pflichtbewussten Verkehrsteilnehmer einmal unterlaufen kann (grundlegend BGHSt 43, 241 ff.; OLG Hamm NZV 2005, 489). In solchen Fällen des Augenblicksversagens indiziert zwar der in der Bußgeldkatalogverordnung beschriebene Regelfall das Vorliegen einer groben bzw. beharrlichen Pflichtverletzung im Sinne des § 25 Abs. 1 StVG, es fehlt jedoch an einer ausreichenden individuellen Vorwerfbarkeit.

 Nach den getroffenen Feststellungen ist davon auszugehen, dass der Betroffene hinter einem anderen Fahrzeug hergefahren ist, das kurz zuvor auf seinem Fahrstreifen gewechselt war, und das Rotlicht nicht rechtzeitig wahrgenommen hat. Ob dieser Wahrnehmungsfehler den Betroffenen entlastet, kann anhand der Urteilsfeststellungen jedoch nicht abschließend festgestellt werden. Der Wahrnehmungsfehler könnte nämlich seinerseits als grob pflichtwidrig angesehen werden. Auf nur einfache Fahrlässigkeit kann sich derjenige nicht berufen, welcher die an sich gebotene Aufmerksamkeit in grob pflichtwidriger Weise unterlassen hat (BGHSt 43, 241; OLG Karlsruhe VRs 111, 489). Vorliegend müsste der Betroffene zusätzlich zur Rotphase auch die vorherige 3 Sekunden dauernde Gelbphase der Lichtzeichenanlage über-[S.3]sehen haben, was sich durch den einfachen Spurwechsel eines voranfahrenden Fahrzeugs ohne weitere Feststellungen nicht erklären lässt. Dem Betroffenen könnte insoweit zum Vorwurf gemacht werden, dass er keine hinreichenden Anstrengungen unternommen hat, sich selbst von der Ampelschaltung in Kenntnis zu setzen.

 Da Fahrverbot und Geldbuße in einer Wechselwirkung zueinanderstehen (vgl. BbgOLG Beschluss vom 02.03.2016 - (1B) 53 Ss-OWi 44/18 (30/16)) ist der Rechtsfolgenausspruch insgesamt aufzuheben.“

 Der Senat tritt diesen Ausführungen bei, sie entsprechen der Sach- und Rechtslage. Die Urteilsgründe lassen besorgen, dass das Tatgericht keine eigenen, die Annahme eines Ausnahmefalls rechtfertigenden Feststellungen getroffen, sondern im Wesentlichen die Ausführungen des Betroffenen repliziert hat, ohne diese in das Zeitfenster von 4,1 Sekunden zu stellen, in denen der Betroffene auf die Lichtzeichenanlage infolge des Farbenwechsels hätte aufmerksam geworden sein müssen. Die Überschreitung des Schwellenwertes von 0,1 Sekunden kann hierbei keine besondere Bedeutung erlangen.

 3. Der Senat hat von der nach § 79 Abs. 6 OWiG gegebenen Möglichkeit Gebrauch gemacht, die Sache an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Potsdam zu verweisen.

OLG Brandenburg Beschl. v. 1.7.2019 – (1 B) 53 Ss-OWi 353/19 (210/19), BeckRS 2019, 13882

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