Cannabis auf Rezept: Verkehrsrechtliche Folgen?

von Dr. Jörn Patzak, veröffentlicht am 25.08.2019

Mit Gesetz zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften vom 6.3.2017 wurde die Verschreibung von Cannabis in Form von getrockneten Blüten und Extrakten zu medizinischen Zwecken ermöglicht (s. meinen Blog-Beitrag vom 9.3.2017). Seitdem kann ein Patient, dem ein Arzt Medizinalcannabis verschrieben hat, dieses erlaubnisfrei in einer Apotheke erwerben (§ 4 Abs. 1 Nr. 3 BtMG).

Fraglich ist, welche Folgen der Konsum von Medizinalcannabis hat, wenn der Patient im Straßenverkehr ein Kraftfahrzeug führt.

1. Strafrecht:

Nimmt ein Fahrzeugführung unter der Wirkung von Medizinalcannabis mit einem Kraftfahrzeug am Straßenverkehr teil, begeht er eine Straftat nach § 316 StGB (ggf. auch § 315c StGB), wenn der Konsum des Cannabis in der konkreten Verkehrssituation zu seiner Fahruntüchtigkeit geführt hat. Da es bei illegalen Drogen anders als bei Alkohol zurzeit keine Grenze einer absoluten Fahruntüchtigkeit gibt, kann der Nachweis der Fahruntüchtigkeit nur aufgrund des konkreten rauschmittelbedingten Leistungsbildes des Fahrers im Einzelfall geführt werden (relative Fahruntüchtigkeit). Eine solche relative Fahruntüchtigkeit liegt vor, wenn der Fahrzeugführer durch sein Fahrverhalten oder durch sonstige erhebliche Beeinträchtigung in der Anhaltesituation zeigt, dass eine schwerwiegende Beeinträchtigung seiner psycho-physischen Leistungsfähigkeit, insbesondere seiner Wahrnehmungs- und Reaktionsfähigkeit vorliegt (sog. Ausfallerscheinigungen). In diesem Fall spielt es keine Rolle, ob das vom Arzt verschriebene Cannabis bestimmungsgemäß eingenommen wurde oder nicht.

2. Ordnungswidrigkeitenrecht:

Nimmt ein Fahrzeugführer unter der Wirkung von Medizinalcannabis mit einem Kraftfahrezeug am Straßenverkehr teil (Nachweis von mindestens 1ng/ml THC im Blut), ohne Ausfallerscheinungen zu zeigen, liegt eine Ordnungswidrigkeit nach § 24a Abs. 2 StVG vor. Ist aber der festgestellte Drogeneinfluss darauf zurückzuführen, dass das Medizinalcannabis dem Betroffenen für einen konkreten Krankheitsfall verschrieben und von diesem auch bestimmungsgemäß eingenommen wurde, scheidet die Ordnungswidrigkeit gemäß § 24a Abs. 2 Satz 3 StVG aus (sog. Medikamentenprivileg). Die Ausnahme des § 24a Abs. 2 Satz 3 StVG gilt nicht mehr, wenn das Medizinalcannabis missbräuchlich eingenommen wird, z.B. in einer höheren Dosis als ärztlich verordnet oder in einer anderen Konsumform als verordnet.

3. Fahrerlaubnisrecht:

Neben diesen repressiven Folgen des Führens eines Kraftfahrzeugs im Straßenverkehr unter der Wirkung von Medizinalcannabis ist auch das Fahrerlaubnisrecht zu beachten. Hiermit hat sich jüngst der VGH München befasst (Beschl. v. 29.4.2019, 11 B 18.2482 = BeckRS 2019, 8194 = NJW 2019, 2419 [Ls.]). Er hat folgende Leitsätze aufgestellt:

„1. Wird medizinisches Cannabis nicht entsprechend der ärztlichen Verordnung eingenommen, besteht nach Nr. 9.4 der Anlage 4 zur FeV keine Fahreignung.

 2. Im Falle des Beigebrauchs von illegalem Cannabis oder fahreignungsrelevantem Mischkonsum mit Alkohol besteht bei Cannabispatienten ebenfalls keine Fahreignung.

 3. Erfolgt die ärztliche Verordnung von medizinischem Cannabis erst nach einem Verstoß gegen das Trennungsgebot in Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV, hat die Fahrerlaubnisbehörde zu prüfen, ob durch die Verordnung die Fahreignungszweifel ausgeräumt sind. Ggf. sind entsprechende Aufklärungsmaßnahmen einzuleiten.“

Zum konkreten Sachverhalt heißt es in den Entscheidungsgründen wie folgt:

 „Der Kläger hat nach seinen eigenen Angaben das medizinische Cannabis nicht entsprechend der Verordnung seines Arztes eingenommen und es liegt damit ein übermäßiger Gebrauch i.S.d. Nr. 9.4 der Anlage 4 zur FeV vor. Weder hat er die Konsumform noch die Dosierung eingehalten.

In seinem Cannabinoidausweis ist vermerkt, dass er das Cannabis mittels Vaporisation und Inhalation einnehmen muss. Demgegenüber hat er es nach seinen eigenen Einlassungen mittels Joints geraucht. Es ist aber nicht ersichtlich, dass ihm entgegen den Angaben im Cannabinoidausweis Cannabis zur Verbrennung und Inhalation verordnet worden sein könnte. Der Kläger hat trotz Aufforderung durch den Senat weder die damalige noch die aktuelle ärztliche Verordnung oder eine vom vorgelegten Cannabinoidausweis abweichende Gebrauchsanweisung vorgelegt. Es erscheint auch ausgeschlossen, dass eine Verordnung zur Verbrennung und Inhalation erfolgt ist, denn nach der Ausarbeitung der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Apothekerkammern und der Bundesapothekerkammer vom 2. März 2017 „Verordnung von Arzneimitteln mit Cannabisblüten, -extrakt und Cannabinoiden - Information für verschreibende Ärzte/innen“ (abrufbar im Internet unter https://www.kbv.de) kann die Verordnung von medizinischem Cannabis nach neun Rezepturformeln erfolgen. Dabei können Cannabisblüten entweder zur Inhalation nach Verdampfung mittels Vaporisator oder zur Teezubereitung verordnet werden (NRF [= Neues Rezeptur-Formularium] 22.12 bis 22.15). Eine Verordnung zum Rauchen ist danach nicht möglich (vgl. auch Hoch/Friemel/Schneider, Cannabis - Potenzial und Risiko - Eine wissenschaftliche Bestandsaufnahme, S. 29 [abrufbar im Internet unter www.bundesgesundheitsministerium.de]; Mußhoff/Graw, Blutalkohol 2019, 73, 79) und im vorgelegten Cannabinoidausweis auch nicht vorgesehen. Damit entfällt die Privilegierung der bestimmungsgemäßen Einnahme eines psychoaktiv wirkenden Arzneimittels.

Darüber hinaus hat der Kläger auch die verordnete Dosierung nicht eingehalten, indem er die verordnete Einzeldosis von 0,4 Gramm nach seinen eigenen Angaben nicht beachtet hat. Nach § 9 Abs. 1 Nr. 5 der Verordnung über das Verschreiben, die Abgabe und den Nachweis des Verbleibs von Betäubungsmitteln vom 20. Januar 1998 (Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung - BtMVV, BGBl I S. 74), zuletzt geändert durch Verordnung vom 2. Juli 2018 (BGBl I S. 1078), ist auf dem Betäubungsmittelrezept die Gebrauchsanweisung mit Einzel- und Tagesgabe oder im Falle, dass dem Patienten eine schriftliche Gebrauchsanweisung übergeben wurde, ein Hinweis auf diese schriftliche Gebrauchsanweisung erforderlich. Auch aus der Ausarbeitung der Apothekerkammern (a.a.O.) geht hervor, dass bei der Verordnung von medizinischem Cannabis die Gebrauchsanweisung eindeutig sein muss und unklare Verordnungen nicht beliefert werden dürfen. Aus der Verordnung muss sich dabei auch die Anzahl der an einem Tag einzunehmenden Einzelgaben ergeben (vgl. zur Anzahl der an einem Tag einzunehmenden Tabletten Körner/Patzak/Volkmer, Betäubungsmittelgesetz, 9. Aufl. 2019, § 9 BtMVV Rn. 8). Hier ist die Verordnung nur dann klar und eindeutig, wenn man die Einzeldosis mit genau 0,4 Gramm annimmt und damit maximal fünf Einzeldosen täglich möglich sind. Würde die Einzeldosis entgegen dem Wortlaut der Dosierungsanweisung mit maximal 0,4 Gramm angenommen, wäre die mögliche tägliche Anzahl der Einzelgaben nicht bestimmbar und die Verordnung damit nicht eindeutig. Die Auffassung des Arztes des Klägers in der beim Verwaltungsgericht vorgelegten E-Mail vom 27. Juni 2018, die Menge und Anzahl der Einzeldosis blieben dem Kläger überlassen, findet sich weder in der Dosierungsanleitung im Cannabinoidausweis wieder noch entspricht dies den Vorgaben der Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung und kann daher keine Berücksichtigung finden. Sollte die Verschreibung geändert werden müssen, so muss der Arzt dies nach § 9 Abs. 2 Satz 3 BtMVV auf allen Teilen des Betäubungsmittelrezepts vermerken und durch seine Unterschrift bestätigen. Hier ist nicht ersichtlich, dass die Einzeldosis in der Verschreibung auf diese Art und Weise geändert worden ist.“

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