Arbeitgeberbescheinigung: erstmal vernünftig darstellen, dann Richtigkeit prüfen!

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 10.09.2019
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht|19687 Aufrufe

In Fahrverbotsfällen in OWi-Verfahren werden regelmäßig Arbeitgeberbescheinigungen vorgelegt. Manche sind gut und detailliert, manche nur pauschal und Gefälligkeitsbescheinigungen. Als Tatrichter sollte man in der Regel ein Absehen vom Regelfahrverbot allein aufgrund einer solchen Bescheinigung nicht vornehmen. Vielmehr ist eine Prüfung der Angaben angesagt, so etwa durch Vernehmung des Ausstellers als Zeugen. Im vorliegenden Fall des BayObLG reichte die Bescheinigung allein nicht:

 

 Indes halten die Erwägungen des Amtsgerichts zum Absehen von dem an sich verwirkten Fahrverbot einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Dass mit Blick auf die festgestellte Vorahndungslage allein die von ihm als glaubhaft angesehene Versicherung des Betroffenen, es habe bei ihm ein Umdenken stattgefunden, weshalb er seit der verfahrensgegenständlichen Tat straßenverkehrsrechtlich nicht mehr in Erscheinung getreten sei, nicht ansatzweise genügt, um ein Absehen vom Fahrverbot zu rechtfertigen, hat das Amtsgericht bereits selbst zutreffend erkannt. Soweit darüber hinaus das Amtsgericht das Absehen von der Verhängung des an sich verwirkten Fahrverbotes mit der Gefahr eines Arbeitsplatzverlustes begründet hat, hält dies rechtlicher Überprüfung jedoch nicht stand.

 a) Nach gefestigter obergerichtlicher Rechtsprechung kann auch beim Vorliegen einer beharrlichen Pflichtverletzung außerhalb des gesetzlichen Regelfalles - wie im vorliegenden Fall - trotz der grundsätzlich gebotenen Gleichbehandlung aller Verkehrsteilnehmer ein Absehen von einem an sich verwirkten Fahrverbot dann gerechtfertigt sein, wenn dieses über bloße Erschwernisse bei der Berufsausübung hinaus zu einer massiven Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz des Betroffenen führt. Dabei müssen zum einen von dem Betroffenen in substantiierter Weise Tatsachen vorgetragen werden, welche die Annahme einer Existenzgefährdung greifbar erscheinen lassen (BVerfG NJW 1995, 1541). Zum anderen hat der Tatrichter im Rahmen der von ihm zu treffenden Entscheidung die Gefährdung des Arbeitsplatzes bzw. der wirtschaftlichen Existenzgrundlage des Betroffenen positiv festzustellen und die seiner Einschätzung zugrunde liegenden Tatsachen in den Urteilsgründen eingehend darzulegen. Da ein Betroffener die Anordnung eines Fahrverbotes in aller Regel als besonders belastend empfindet, wird er häufig ihn besonders treffende angebliche Härten geltend machen. Dies zwingt den Tatrichter, eine derartige Einlassung ausweislich seiner Urteilsgründe besonders kritisch zu prüfen und nicht ohne weiteres als glaubhaft und überzeugend zu übernehmen. Nur so kann das missbräuchliche Behaupten eines solchen Ausnahmefalles ausgeschlossen werden und wird das Rechtsbeschwerdegericht in die Lage versetzt, die Rechtsanwendung - wenn auch eingeschränkt - nachzuprüfen (vgl. nur OLG Bamberg, Beschluss vom 11.04.2006 - 3 Ss OWi 354/06 = ZfSch 2006, 533 = DAR 2006, 515 = VRS 111 [2006], 62 m.w.N.).

 b) Die bisher zum Absehen vom Fahrverbot getroffenen Feststellungen des Amtsgerichts reichen für die Bejahung eines Härtefalls nicht aus. Die Annahme einer Existenzgefährdung des Betroffenen durch das Amtsgericht ist für das Rechtsbeschwerdegericht nicht hinreichend überprüfbar, die Begründung daher lückenhaft und nicht tragfähig. Das Amtsgericht stützt seine Entscheidung maßgeblich auf „das vom Betroffenen vorgelegte und in der Hauptverhandlung verlesene Schreiben seines Arbeitgebers, wonach dem Betroffenen für den Fall eines 1-monatigen Fahrverbotes gekündigt würde“. Es führt weiter aus, dass dies insofern nachvollziehbar sei, da es sich bei dem Arbeitgeber des Betroffenen um einen Kleinbetrieb handele, bei dem ein einmonatiger Ausfall eines Arbeitnehmers und Fahrers nicht durch organisatorische Maßnahmen aufgefangen werden könne. Auch würde der Betroffene von seinem Arbeitgeber keinen einmonatigen Urlaub erhalten.

 aa) Für den Senat ist schon nicht erkennbar, ob das Amtsgericht nicht nur die Tatsache einer im Falle der Verhängung eines Fahrverbotes drohenden Kündigung, sondern auch seine Erwägungen zur Betriebsgröße und zur Handhabung des Urlaubs in diesem Betrieb auf den Inhalt der Arbeitgeberbestätigung stützt, oder ob diese lediglich auf einer entsprechenden, nicht überprüften Einlassung des Betroffenen beruhen. Stützt sich der Tatrichter im Rahmen seiner Beweiswürdigung maßgeblich auf eine schriftliche Bestätigung, so muss er jedenfalls regelmäßig deren Inhalt in ihrem Wortlaut bzw. sinngemäß so wiedergeben, dass dem Senat, welcher bei der Überprüfung des Urteils aufgrund der Sachrüge auf die Urteilsurkunde beschränkt ist, eine hinreichende Überprüfung möglich ist. Weil dies hier jedenfalls nicht zweifelsfrei geschehen ist, kann der Senat nicht überprüfen, ob das Amtsgericht insbesondere aufgrund der Arbeitsgeberbestätigung tatsächlich von einer Existenzgefährdung des Betroffenen in Folge drohenden Arbeitsplatzverlustes ausgehen durfte. Daher ist auch nicht auszuschließen, dass die tatrichterlichen Erwägungen letztlich doch in wesentlichen Teilen auf den Angaben des Betroffenen beruhen, die das Amtsgericht nicht hinreichend kritisch hinterfragt hat.

 bb) Darüber hinaus besteht in aller Regel Anlass, die Stichhaltigkeit entsprechender Angaben in Bezug auf einen drohenden Arbeitsplatzverlust - mögen sie auf einer entsprechenden Einlassung des Betroffenen selbst beruhen oder sich aus einer schriftlichen Bestätigung seines Arbeitgebers ergeben - kritisch zu überprüfen. Der Tatrichter muss dabei - das lehrt die Erfahrung - in Rechnung stellen, dass in solchen Fällen entsprechende Bestätigungen seitens des Arbeitgebers nicht selten aus bloßer Gefälligkeit für den betroffenen Arbeitnehmer ausgestellt werden. Zur Überprüfung wird daher regelmäßig die zeugenschaftliche Vernehmung des Arbeitgebers, seines Personalverantwortlichen oder des sonstigen Ausstellers der Bestätigung veranlasst sein (vgl. nur OLG Koblenz, Beschluss vom 23.04.2014 - 2 SsBs 14/14 = Blutalkohol 51 [2014], 353; KG DAR 2016, 281; OLG Hamm BA 42, 157; KG VRS 127, 74; OLG Bamberg ZfS 2009, 648; OLG Bamberg, Beschluss vom 22.01.2009 - 2 Ss OWi 5/09 = NZV 2010, 46). Je allgemeiner und floskelhafter eine derartige Bestätigung in ihren Aussagen und Formulierungen gehalten ist, umso mehr muss sich dem Tatrichter ihre Überprüfung aufdrängen, um sich hinreichend vom sicheren Eintritt der nach aller Erfahrung kaum jemals wirklich auftretenden Konsequenz eines Arbeitsplatzverlustes infolge der Verhängung eines - wie hier nur einmonatigen und überdies mit der Vollstreckungserleichterung gemäß § 25 Abs. 2a StVG versehenen - Fahrverbotes zu überzeugen und damit sicher auszuschließen, dass es sich um eine bloße Gefälligkeitserklärung des Arbeitgebers handelt. Kritisch begegnen muss der Tatrichter in diesem Zusammenhang aber auch Erklärungen des Betroffenen bzw. seines Arbeitgebers zur angeblich fehlenden Möglichkeit, das im Raum stehende Fahrverbot ganz oder in Teilen im Urlaub abzuleisten, zumal sich die Beteiligten regelmäßig mehrere Monate auf eine mögliche Ableistung des Fahrverbotes einstellen konnten. Schließlich wird der Tatrichter auch die Möglichkeiten innerbetrieblicher Überbrückungsmaßnahmen sowie einer Freistellung des Betroffenen kritisch hinterfragen müssen.

 Nach alledem ist zu besorgen, dass das Amtsgericht im Ergebnis seinen Feststellungen einseitig die Angaben des Betroffenen zugrunde gelegt und diese unter Heranziehung einer wenig aussagekräftigen Arbeitgeberbestätigung ohne hinreichende Ausschöpfung weiterer Beweismittel nur einer an der Oberfläche verbleibenden Plausibilitätsprüfung unterzogen hat. Dies genügt den aus § 267 Abs. 3 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG resultierenden sachlich-rechtlichen Anforderungen an die Abfassung der Urteilsgründe nicht.

 III.

 Aufgrund der aufgezeigten sachlich-rechtlichen Mängel ist das angefochtene Urteil auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft hin mit den nach Einspruchsbeschränkung nur noch den Rechtsfolgenausspruch betreffenden Feststellungen aufzuheben (§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, § 353 StPO). Da zwischen Fahrverbot und Geldbuße eine Wechselwirkung besteht, hat die Aufhebung den gesamten Rechtsfolgenausspruch zu erfassen.

 Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht zurückverwiesen (§ 79 Abs. 6 OWiG). Dabei wird sich bei der neuen Entscheidung im Tenor eine Bezugnahme auf den nicht angegriffenen Teil des verfahrensgegenständlichen Bußgeldbescheides empfehlen (BayObLG DAR 2000, 366).

BayObLG Beschl. v. 31.7.2019 – 202 ObOWi 1244/19, BeckRS 2019, 17044

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